Produktdetails
  • Verlag: Carlsen
  • Seitenzahl: 40
  • Altersempfehlung: ab 5 Jahren
  • Deutsch
  • Abmessung: 10mm x 242mm x 245mm
  • Gewicht: 410g
  • ISBN-13: 9783551515995
  • ISBN-10: 3551515999
  • Artikelnr.: 11864885
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2003

Wenn die Rentiere streiken
Für Weihnachtsmuffel und Hundefreunde: Bücher zum Fest

"Diese Weihnachtsstimmung ist doch zum Kotzen." Wer hat noch nicht so oder so ähnlich gedacht, wenn die äußeren Zeichen verordneter Glückseligkeit - Weihnachtslieder im Radio, Lichterketten im Schaufenster und inflationär viele rote Gestalten, die "ho, ho, ho" rufen - immer aufdringlicher werden, während die Hektik des Geschenkebesorgens zunimmt, sich die Familie über den Wuchs des Christbaums entzweit und an den Festtagen Verwandtschaft oder quälendes Alleinsein drohen.

Die Symptome dieser saisonalen Krise, die ebenso zu Weihnachten gehört wie strahlende Augen, Glühweingeruch und Kerzenschein, hat Iris Praël in ihren "Geschichten für Festmuffel und Keksverächter" gesammelt. Der provozierend flapsige Titel täuscht, keiner der Autoren - unter ihnen Zoran Drvenkar, Christian Bieniek, Selim Özdogan und Harald Parigger - erweist sich als Gegner feiertäglichen Wohlgefühls oder als Saboteur familiärer Geborgenheit. Doch weil sich die Welt auch zum Fest der Liebe nicht zwangsläufig harmonisch einrichtet, finden sich in diesem Band angetrunkene Väter und ohrfeigende Mütter, ausgewachsene Neurosen und reichlich Randale.

Besinnlich geht es also in der thematisch wie stilistisch schönen Vielfalt nicht zu, wohl aber nachdenklich, versöhnlich, sogar anrührend. Pubertierende Gören, die zunächst über die Spießigkeit des Schenkens spotten, halten am Ende für die beste Freundin doch ein kleines Päckchen in den Händen, mürrische Männer sind für rustikalen Frauencharme zugänglich, und sogar die coolsten Jungen zeigen Herz. Zur Weihnachtszeit bleiben eben selbst die Ernüchterten und Orientierungslosen immer noch ein wenig glücksbereit und wundergläubig.

Saisonbedingte Probleme hat auch Meister Matthäus, der gerne kickt, aber bloß nicht "Lothar" genannt werden möchte. Dem Leiter der himmlischen Weihnachtsorganisation, Abteilung Auslieferung, verweigert die Rentiergewerkschaft wegen Überarbeitung beim Schlittenziehen die Gefolgschaft. Gasttiere müssen her, natürlich per computergesteuerter Werbestrategie. Wer sich da so alles vor den Karren spannen läßt: das Dromedar Samina zum Beispiel, der Stier Luis und die Kuh Hertha. Wie das Kaninchen Widur mangels Zugkraft der Abteilung Wunscherfüllung überstellt wird und die Elefanten-Rhinozeros-Kombination beim Trainingsflug die Kulissenstadt fast zum Einsturz bringt, das sind nur einige von vielen gelungenen Phantasien von Martin Klein - von Kerstin Meyer mit kleinen, zurückhaltenden, aber schwungvollen Zeichnungen versehen -, die größtes Vergnügen machen. Das organisatorische Chaos hat eben selbst im Himmel etwas sehr Weltliches.

Mit Problemen ganz anderer Art muß sich der Hund in Sandy Turners "Stille Nacht" herumschlagen. Denn der Weihnachtsmann will sich heimlich in sein Haus schleichen und Geschenke bringen. Doch weil selbst im kleinsten Köter ein Wachhund steckt, jagt dieser das Ungetüm im roten Wams treppauf und treppab, zwickt ihn in Wade und Hinterteil, begleitet von wütendem Gebell. Selten ist in einem Bilderbuch eine wortlose Geschichte so lautstark und vielsagend erzählt worden, obwohl das seitenweise Geknurre und Gekläffe zunächst gänzlich albern wirkt. Der verschmitzte Hintersinn in Turners fein gestrichelten, farblich reduzierten Zeichnungen offenbart sich erst bei genauem Hinsehen. Dann aber sieht man das kurzbeinige Vieh mal kampfbereit und siegessicher, dann wieder zögernd und geknickt - und den Weihnachtsmann schwanken zwischen hartnäckiger Wunscherfüllung und blankem Entsetzen.

Das nahezu unvermeidliche Teddybärenbuch hat in diesem Jahr Karen Duve geschrieben, einst Fräuleinwunder der jungen deutschen Frauenliteratur. Wie ein pelziger Gefährte verlorengeht und auf abenteuerliche Weise zurückkehrt, ist oft und immer wieder schön erzählt worden, Duves Variation aber bleibt trotz aller klugen Gespräche zwischen Thomas Müller, dem Bär, und Sandra Kaiser, der Katze, seltsam inhaltsleer. Allem einen Namen zu geben - Wortmanns fahren im Ford nach Hamburg, der Bär geht bei Karstadt verloren und findet sich vor dem Burger King wieder - wirkt ermüdend aufdringlich. Wirkliche Nähe schaffen die Illustrationen von Petra Kolitsch, die, farbenreich, verspielt und stimmungsvoll, so viel mehr von Verlust und Trauer, Freundschaft und den Gefühlen zum Fest erzählen, als es die dünne Geschichte vermag. Der Leser müßte sorgenvoll dreinblicken wie der Bär auf dem Einband, gäbe es in Text und Bild der weihnachtlichen Saisonware mit anderem wundervollen Getier, herrlich seltsamen Kreaturen und richtigen Typen überhaupt keinen Grund zur Krise.

ELENA GEUS

Iris Praël (Hrsg.): "Fiese Weihnachten". Geschichten für Festmuffel und Keksverächter. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2003. 173 S., br., 12,90 [Euro]. Ab 12 J.

Martin Klein: "Alle Jahre Widder". Mit Illustrationen von Kerstin Meyer. Carlsen Verlag, Hamburg 2003. 89 S., geb., 7,90 [Euro]. Ab 8 J.

Sandy Turner: "Stille Nacht". Carlsen Verlag, Hamburg 2003. 32 S., geb., 14,- [Euro]. Ab 5 J.

Karen Duve: "Weihnachten mit Thomas Müller". Mit Illustrationen von Petra Kolitsch. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 36 S., geb., 9,95 [Euro]. Ab 6 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Selten fand Rezensentin Elena Geus in einem Bilderbuch eine wortlose Geschichte "so lautstark und vielsagend" erzählt, wie in diesem Weihnachtsbuch von Sandy Turner. Zwar wirkte das "seitenweise Geknurre und Gekläffe" des kleinen Hundes, der den geschenkeaustragenden Weihnachtsmann durch die Geschichte verfolgt, zunächst "gänzlich albern" auf sie. Der verschmitzte Hintersinn der "fein gestrichelten, farblich reduzierten" Zeichnungen offenbarte sich der Rezensentin erst beim näheren Hinsehen. Dann allerdings ziemlich nachhaltig.

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