Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 3,99 €
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

Mit seinem ersten Gedichtband in der Sammlung Luchterhand, Zeichen im Schnee, hat Norbert Hummelt unter Beweis gestellt, daß er eine ganz originäre Stimme in der deutschen Literatur ist. Ausgezeichnet mit dem Mondseer Lyrikpreis und mit dem Hermann Lenz-Förderpreis, hat er sich von so unterschiedlichen Dichtern wie Joseph von Eichendorff, Gottfried Benn und Ernst Jandl anregen lassen und kehrt zurück zu den stillen Quellen: zu seiner Herkunft und zu unseren Verstrickungen in die schwierige deutsche Geschichte. Ob Rückgriff auf die Tradition oder Fortsetzung experimentellen Schreibens - immer…mehr

Produktbeschreibung
Mit seinem ersten Gedichtband in der Sammlung Luchterhand, Zeichen im Schnee, hat Norbert Hummelt unter Beweis gestellt, daß er eine ganz originäre Stimme in der deutschen Literatur ist. Ausgezeichnet mit dem Mondseer Lyrikpreis und mit dem Hermann Lenz-Förderpreis, hat er sich von so unterschiedlichen Dichtern wie Joseph von Eichendorff, Gottfried Benn und Ernst Jandl anregen lassen und kehrt zurück zu den stillen Quellen: zu seiner Herkunft und zu unseren Verstrickungen in die schwierige deutsche Geschichte. Ob Rückgriff auf die Tradition oder Fortsetzung experimentellen Schreibens - immer geht es ihm dabei um das Herstellen von Kunst. Die Bausteine dafür findet er in der Sprache.

Autorenporträt
Norbert Hummelt wurde 1962 in Neuss geboren und lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Für sein lyrisches Gesamtwerk wurde er 2021 mit dem Rainer-Malkowski-Preis ausgezeichnet. Zuvor hatte er u.a. den Hölty-Preis für Lyrik, den Rolf-Dieter-Brinkmann-Preis, den Mondseer Lyrikpreis sowie den Niederrheinischen Literaturpreis erhalten. Er übertrug T.S. Eliots Gedichtzyklen "Das öde Land" und "Vier Quartette" neu ins Deutsche und ist Herausgeber der Gedichte von W.B. Yeats. Bei Luchterhand erschienen zuletzt seine Gedichtbände »Fegefeuer« und »Sonnengesang«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2004

Reim, komm raus!
"Lyrik nervt", sagt Hans Magnus Enzensberger, aber Deutschlands Lyriker dichten einfach weiter: strenger und heiterer denn je

Was wird denn eigentlich so gedichtet in diesem Frühjahr in Deutschland? Eine naheliegende Frage. Denn gedichtet wird viel. Es ist so eine große Reimlust im Land. Eine poetische Stimmung. Eine Wunderbereitschaft. Eine Wortbegeisterung. Eine Freude an alten Formen. An strengen Regeln. An Gedichten. Scheint mir. Täuscht der Eindruck? Ist's nur der Frühling, der diesen galanten Gedicht-Gedanken gebiert? Und Stabreime?

Gerade kam eine Postkarte an. Von Peter Rühmkorf, vielleicht dem größten Dichter, den wir haben. Irgendeine lästige Sache mußte er absagen. Die Karte zeigt Sardinen in sehr, sehr engen Kisten. Rühmkorf sitzt am Hamburger Fischmarkt und schreibt: "Ich sitz hier vor meinen Fischen / + merke voller Beschwer' / So gern ich auch möchte, dazwischen / paßt keine Sardine mehr." Wir dürfen vorstellen: das berufliche Zweckgedicht. In diesem Fall: Absagegedicht. Der Zweck ist klar. In wenigen Worten eine lästige Sache abwehren und dem Adressaten, der sich gerade ärgern möchte, dabei noch eine Freude machen. Sehr praktisch und schön für beide Seiten.

Die zwei anderen Altmeister des deutschen Gedichtes, Robert Gernhardt und Hans Magnus Enzensberger, haben sich zur Lyrik-Frage gerade weit ausführlicher geäußert. Gernhardt hat soeben, zusammen mit Klaus Cäsar Zehrer, ein zukünftiges Standardwerk mit "555 komischen Gedichten aus 5 Jahrhunderten" herausgegeben, dem er zehn gewichtige "Thesen zum komischen Gedicht" voranstellte; und Enzensberger nahm sein bewährtes Pseudonym Andreas Thalmayr wieder an, um unter diesem Namen ein Gedicht-Rettungsbuch mit dem Titel "Lyrik nervt" herauszugeben. Nach Enzensbergers Meinung nervt Lyrik in Wahrheit natürlich keineswegs. Nein, sie verzückt. Sie rettet. Sie verzaubert. Sie ist Musik. Sie bringt die Wörter zum Tanzen. Bringt Menschen zum Tanzen. Tanzt manchmal sogar selbst. Da dies in letzter Zeit und vor allem in der Schule unter dem Mantel der Gelehrsamkeit, der Unverständlichkeit, des formierten Interpretationszwangs zu verschwinden drohte, hat er also dieses große Poesie-Popularisierungswerk geschrieben, in dem die verbotenste Frage lautet: "Was will uns der Dichter damit sagen?" Denn der Dichter hat ja schon gesagt, was er sagen wollte. Noch schöner: er hat es gedichtet. Und da geht es eben erst einmal darum, die Schönheit des Klangs zu hören, die Schönheit der Worte und zu einem neuen Lesen zu finden.

Jaja, um den Genuß zu erhöhen, ist es natürlich gut, wenn man die Regeln kennt, nach denen da gedichtet wurde oder die eben gerade mißachtet wurden, in dem Gedicht, das man da hört. Und so führt Enzensberger entschlossen, knapp und klar in die Kunst des Sonettenkranzes ein, des Distichons, des Schüttelreims und sogar des Haiku, begrüßt beglückt die Zeit der freien Verse, ermutigt den Leser zum Selber-Dichten, gibt recht leicht zu erfüllende Vorgaben mit auf den Weg, mahnt aber auch, der beste Freund des Dichters sei der Papierkorb, und erinnert immer wieder: "Hauptsache, es macht Spaß." Und: "Wir sind schließlich zum Vergnügen hier."

Und was wurde also in diesem Frühjahr zu unserem Vergnügen so gedichtet? Von den jüngeren Lyrikern zum Beispiel? Sind diese Vorgaben der Alten überhaupt von Interesse? Oder, wie der Bachmann-Preisträger und Lautpoet Michael Lentz in dem von ihm herausgegebenen "Jahrbuch der Lyrik 2005" fragt: "Gibt es einen poetischen Generationenvertrag?" und gleich die Befreiungshoffnung hinzufügend: "Können wir Ferien machen, von der Geschichte der Poesie?" Doch ist das nur eine rhetorische Frage. Niemand will, so scheint es, zur Zeit weniger Ferien von der Geschichte der Poesie machen als die jungen Lyriker. So traditionsgesättigt, formstreng, formbewußt-mißachtend war die Poesie in Deutschland lange nicht mehr. Und selbst der Reim, von dem Enzensberger in seinem Buch noch behauptet, er sei zu 95 Prozent aus den Gedichten der Gegenwart verschwunden, ist immer öfter wieder da.

Es ist eine Suche nach den Quellen. Den Anfängen. Der Weg geht zurück. "Stille Quellen" hat der Neusser Lyriker Norbert Hummelt seinen neuen Gedichtband genannt, in dem er nach eben jenen Quellen sucht. Quellen der Sprache, der Form und des persönlichen Dichterlebens. Zurück. In alten Lyrik-Spuren. Hummelt und viele seiner Kollegen. Er erlebe "eine Neubelebung tradierter Formen, wie etwa des Sonetts, der Ode oder der Verserzählung" hat er kürzlich in einem Beitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" geschrieben. Und wenn man schöne Zeilen wie die letzte seines Gedichts "die stare" liest, "vorüber die jahre wie flogen die stare wohin", seine Spurensuchen in Neuss, Berlin, im Himmel, im Käfig des Sittichs und im Gehirn des Zebrafinken, dann weiß man, daß zur Formsicherheit eine schöne Tongewißheit und Soundkünstlerschaft hinzukommt. "erst wenn du schlafen kannst / beginnt die form / sich auszulösen / aus dem traumgesicht / so fremd am morgen / du begreifst es nicht / woher die worte sind / halb bild, halb beat".

König der tradierten Formbeherrschung unter den jungen Dichtern ist der dreiunddreißigjährige Jan Wagner aus Berlin, der in seinem zweiten Gedichtband "Guerickes Sperling" so erstaunliche Versformen wie die Sestine und Villanelle demonstriert, und das an so scheinbar unlyrischen Exempeln wie Neukölln und Wendisch-Rietz. (Villanelle übrigens: "Gedicht, das über die ganze Strecke hin mit zwei Endreimen auskommt." Danke, Herr Enzensberger!) Und im Zentrum: ein Sonettenkranz, der heißt "Görlitz", und wir zitieren nur kurz: "der herbst, der anbrach. und das herz? es schlug / wenngleich die farben aus den rabatten / entwichen waren, jeden tag der schatten / sich weiter vorschob - wie ein dunkler bug". "Lyrik nervt" sagt dazu übrigens: "Ein Sonett besteht aus genau vier haarscharf gereimten Strophen und besteht aus vierzehn Zeilen, keiner mehr und keiner weniger. Und das ist noch lange nicht alles! Die beiden ersten Strophen müssen nämlich aus je vier, die beiden letzten aus je drei Versen bestehen, so streng sind hier die Bräuche."

Merkwürdig nur, daß sich im Moment so viele daran zu halten scheinen. Aber schon These vier zum Komischen Gedicht heißt: "Das komische Gedicht braucht die Regel", und sei es, um von ihr abzuweichen. Nur so entstehe die wahre Komik. Und nur so - oder vor allem so - entsteht auch ein besonderer Klang, ein Tonfall, eine Melodie. Und wenn Gedicht und Leserkopf dann also aufeinandertreffen, entsteht, wenn beide gut in Form sind, eben immer ein neues, anderes, ganz eigenes Stück Poesie.

"Hat nicht zu Stilleben mit Rebhuhn und / Trauben Euphorischem und Tragischem / wohlgenährten Kindheiten / jeder eine andere Assoziation"? fragt Silke Scheuermann in ihrem neuen Gedichtband "Der zärtlichste Punkt im All". Scheuermann ist einunddreißig, Leonce-und-Lena-Preisträgerin, und ihre Gedichte sind die poetischsten der hier ausgewählten. "Das Geschehene schläft in mir / Ich legte mir Ketten um geschenkte trojanische Sätze / und die Sprache in die ich gekleidet / war rannte der Katze nach über die Dächer".

Gleich der erste Zyklus ihres neuen Buches ist mit "Die Obsession, eine Vergangenheit zu haben" überschrieben, und es führt sie weit zurück. In eine Vergangenheit der Liebe, des Glücks und der Zeit vor dem Beginn von allem. "Schon im Körper meiner / Mutter durch die rundgeliebte / rosa Wand hindurch begann ich / den Silhouetten der Liebe zu mißtrauen". Schön. Obwohl sie sonst gar nicht zur Übertreibungskunst neigt. Eher zu so sehr, sehr Leisem: "Wie leicht wird vor allem / die Erlaubnis erhältlich sein / mit dir durch / den Schlaf zu reisen / überhaupt Schlaf".

Doch nach all diesem so poetischen und auch sehr zarten Ton ist es auch eine Freude, entschieden Gegenwärtiges zu hören. Und mit dem Dichter Albert Ostermaier durch die Flughäfen der Welt zu rennen, auf Glastreppen hinab, von einem Magneten in die Tiefe gezogen, weiter, immer weiter, dem Motto folgend "Alles auf sehnsucht einrichten nichts / auf gewohnheit" und weiter zu rennen, Gedichte zu rufen und Verzweiflung, weg von einem Punkt, an dem das Unglück begann, in eine Zukunft hinein, eine Vergangenheit, ins Nichts. Zu "lichtpunkten die mich ins / nichts beschleunigen". Und uns in ein unbekanntes Wörterreich.

Was also wird so gedichtet im Land? Außer Absagen auf Postkarten? Was fehlt, wird gedichtet. Alles, was fehlt.

VOLKER WEIDERMANN

Andreas Thalmayr: "Lyrik nervt". Hanser. 12,90 Euro / Silke Scheuermann: "Der zärtlichste Punkt im All". Suhrkamp. 16,90 Euro / Jan Wagner: "Guerickes Sperling". Berlin Verlag. 16 Euro / Norbert Hummelt: "Stille Quellen". Luchterhand. 9,50 Euro / Albert Ostermaier: "Solarplexus". Suhrkamp. 20,80 Euro / Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer: "Hell und Schnell. 555 komische Gedichte". Fischer. 24,90 Euro / Christoph Buchwald und Michael Lentz: "Jahrbuch der Lyrik 2005". C.H. Beck. 14,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dieser Rezensent arbeitet am Text. Guido Graf versucht uns begreifen zu lassen, was ihn an Norbert Hummelts Gedichten so ergreift - wobei 'ergreifen' oder 'begreifen' schon zentrale Elemente seiner Arbeit am Text, an der Lyrik Norbert Hummelts wären. "In den Gedichten Hummelts kommt es im mehrfachen Wortsinne zum Begreifen", schreibt Graf. Was die Augen nicht ermessen können, das wisse die Haut, erfragten die Finger, erführen die Sinne, diese "stillen Quellen", die für Graf unmittelbar mit der Dichtung verbunden sind. Sich sozusagen im hautnahen Kontakt befinden: "so fühle ich so fragen meine finger die kapsel/ leise mit der haut doch dann schnellt eine/ antwort aus dem kapselinnern: rührmichnicht an", zitiert Graf aus dem Gedichtband. Was die Sinne aufnehmen, steht für Graf auf einer Ebene mit der Erinnerung, den Träumen und den Sehnsüchten, die Hummelt in seiner Lyrik sprechen lässt. Hummelt betreibe Pflanzenkunde, Ahnenkunde, Archäologie in eigener Sache, verkündet Graf, sei stets verbunden mit den Quellen der deutschen Romantik und den unsichtbaren Zusammenhängen auf der Spur, die er meist in losen Binnenreimen benenne. Hummelt ist einer, sagt Graf, der für sinnliche Erkenntnis sorgt und es doch nicht nötig hat, das, was er nicht fassen, nicht ertasten, nicht er- oder begreifen kann, zu verifizieren.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Norbert Hummelt, Stadtschreiber von Vineta." Benedikt Erenz in DIE ZEIT