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Antonia Baum führt das typische Leben einer jungen, privilegierten Frau in der Großstadt: Sie hat einen interessanten Job, führt eine feste Beziehung und genießt die urbanen Annehmlichkeiten. Ihre Umgebung in einem sozial schwachen Bezirk kann sie dabei weitgehend ausblenden. Dann erwartet sie ein Kind - und plötzlich ist ihr Blick auf ihr Leben völlig verändert, und sie bekommt Angst. Nicht nur scheint ihr Platz in der Gesellschaft plötzlich unklar zu sein, ihre Identität ist in Gefahr und die Nachbarn wirken bedrohlich. In ihrem Buch macht Antonia Baum das Persönliche politisch, sie…mehr

Produktbeschreibung
Antonia Baum führt das typische Leben einer jungen, privilegierten Frau in der Großstadt: Sie hat einen interessanten Job, führt eine feste Beziehung und genießt die urbanen Annehmlichkeiten. Ihre Umgebung in einem sozial schwachen Bezirk kann sie dabei weitgehend ausblenden. Dann erwartet sie ein Kind - und plötzlich ist ihr Blick auf ihr Leben völlig verändert, und sie bekommt Angst. Nicht nur scheint ihr Platz in der Gesellschaft plötzlich unklar zu sein, ihre Identität ist in Gefahr und die Nachbarn wirken bedrohlich. In ihrem Buch macht Antonia Baum das Persönliche politisch, sie schildert ihr Erleben und kommt dabei auf die ganz großen gesellschaftlichen Themen: wie Erfolgreiche und Abgehängte nebeneinanderher leben , wie man Mutterschaft und ein eigenes Leben verbindet, weshalb man sich mit Kind plötzlich in altmodischen Beziehungsmodellen wiederfindet und warum Mütter es eigentlich niemandem recht machen können.
Autorenporträt
Baum, Antonia
Antonia Baum, geboren 1984, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Kulturwissenschaft. Sie hat verschiedene Kurzgeschichten veröffentlicht und erhielt große Medienresonanz für ihre erschienenen Romane »Vollkommen leblos, bestenfalls tot« (2011) und »Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren« (2015) und »Tony Soprano darf nicht sterben« (2016). Seit Februar 2012 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2018

Das Kinderthema
Antonia Baum ist Mutter geworden. In ihrem neuen Buch berichtet die Autorin
freimütig: Erst dadurch hat sie gemerkt, dass sie in einer Gesellschaft lebt
VON JOHAN SCHLOEMANN
Die Journalistin und Schriftstellerin Antonia Baum hat immer schon so geschrieben, als würde man sie kennen, sogar gut kennen. Vor vier Jahren schrieb sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Man muss ja total wahnsinnig sein, auf die Idee zu kommen, wirklich ein Kind zu kriegen. (...) Mir ist das zu gefährlich, ich traue mich das einfach nicht.“
Vier Jahre später, in ihrem neuen Buch, schreibt Antonia Baum über ihre Schwangerschaft: „Und ich beschloss außerdem, nie, niemals über das Kinderthema zu schreiben, ja ich rief sogar Leute an und erzählte ihnen unaufgefordert, dass ich darüber nie schreiben werde, weil ich davon überzeugt war, dass das der absolute Schriftstellerselbstmord sein würde.“
Antonia Baum, in diesem Jahr 34 Jahre alt, hat sich beides doch getraut: ein Kind zu kriegen und über das Kinderthema zu schreiben. Ihr Buch dokumentiert denn auch beides: dass sie dem, was am Mutterwerden „gefährlich“ ist, trotzt, obwohl es ihr anfangs ziemlich zusetzt, und dass der „absolute Schriftstellerselbstmord“ doch nicht stattgefunden hat.
Das Buch heißt auf dem Cover „Still leben“ und innen „Stillleben“. Damit ist doppelt umschrieben, was das Zuhausebleiben im ersten halben Jahr nach der Geburt, das sie mit ihrem Freund verabredet hatte, für die Autorin bedeutet hat: erstens plötzlich allein und alleinverantwortlich mit dem Säugling in der Wohnung zu sitzen, während die anderen draußen arbeiten – in einer Berliner Wohnung noch dazu, die eigentlich nicht direkt auf eine Elternschaft hin bezogen wurde: viele Treppen ohne Aufzug, bedauernswerte bis unangenehme Nachbarn und drumherum „eine schlechte Gegend, in der ich mir ein bisschen anders vorkommen konnte“, wie sie sich seinerzeit gedacht hatte, um sich von ihren liberalen, privilegierten, ökologisch bewussten Mittelschichtsgenossen abzuheben. Und zweitens bedeutete es, ein „Stillleben“ zu führen, also ebenso plötzlich ganz elementar für die Nahrung, den Schlaf, das Wachsen des neuen Lebens zuständig zu sein – „und zwar right now“, wie Antonia Baum es ausdrückt.
Antonia Baum, dies für diejenigen, die sie doch nicht so gut kennen, hat mit sehr offenherzigen Texten über Popkultur, Feminismus oder ihre Jugend in Hessen auf sich aufmerksam gemacht, sie schreibt für die Zeit, hat außerdem mehrere Bücher veröffentlicht, von denen das letzte, „Tony Soprano stirbt nicht“, 2016 erschienen, viel dafür gelobt wurde, wie kraftvoll und reflektiert es der Autorin inzwischen gelang, das Verhältnis von Literatur und Leben anzupacken.
Jetzt aber, wo „ein maximal freies, autonomes Leben mit vielen Ortswechseln“ wieder mal ganz existenziell ausgebremst wird, nämlich durch „das Baby“, wie es durchgehend heißt, jetzt bleibt zunächst kein Platz für literarische Experimente, sondern nur für einen handfesten Erfahrungsbericht, wenn auch wieder mit viel Selbstreflexion. Erzählt wird vor allem, was schwer war an der ersten Zeit nach der Geburt – Müdigkeit, Arbeits- und Rollenaufteilung in der Beziehung, Sorge um die Autorenschaft, gesellschaftliche Erwartungen, ein ständiger Vergleichsdruck, von dem Mütter sich verrückt machen lassen müssen (?): Verhalten sie sich „natürlich“ genug? Oder allzu „natürlich“?
Dass all das so unglaublich angst- und spannungsgeladen klingt und auch so, als wäre die Autorin auf dieser Erde die erste arbeitende Frau, die Kinder kriegt, das könnte man dem Phänomen „Regretting Motherhood“ zuordnen (moderne Mütter bedauern ihre Lebensentscheidung) oder auch gänzlich dem notwendigen Stress, den heutige Eltern eben haben, die Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung anstreben – hätte Antonia Baum nicht noch eine eigene Erklärung dafür, warum sich das junge Glück in diesem Buch so anstrengend anhören muss: „Das Schöne daran ist schwer zu beschreiben. Es ist privat, und ich glaube auch, dass es nicht so interessant wäre.“ Heißt das: Das Private ist politisch nur, insofern es unschön ist?
Als Generationsvertreterin sieht sich Antonia Baum jedenfalls oft dem Vorwurf des „Narzissmus“ im Zeitalter von Selfies und individueller Bedürfnisoptimierung ausgesetzt. Sie findet den Vorwurf einerseits albern, es werde „eigentlich jeder narzisstisch genannt“, der den jeweiligen Kritikern auf die Nerven gehe (ein bedenkenswerter Hinweis). Andererseits laboriert die Autorin selber seit der Geburt ihres Kindes an diesem Vorwurf, was man daran sieht, wie oft sie ihn in dem Buch vorwegnimmt.
Und weil sie sich dem Vorwurf stellen will, kommt es denn auch zu einer erstaunlich freimütigen Zuspitzung dessen, was man tatsächlich als die Kernaussage dieses Buches ansehen kann: Eine selbstbewusste, studierte Frau der Gegenwart wird Mutter und merkt erst dadurch, dass sie in einer Gesellschaft lebt. Sie gesteht zu, „dass in meiner bisherigen Rechnung so etwas wie Gemeinwesen und Angewiesenheit nicht vorkam“, schreibt sie: „Das Problem war, dass ich nicht gewohnt war, von mir und dem, was ich wollte, abzusehen.“ Oder gesellschaftlich verallgemeinert: „Es gibt nichts Gegensätzlicheres als die Mach-was-aus-dir-Konditionierung, die so ein moderner Kopf durchläuft, und die Versorgung des Kindes.“
Wie aber liest sich das Ganze als Buch? Der Schreibprozess ist offenbar von den zarten Zweifeln an der starken Subjektivität noch nicht so belastet. Antonia Baum verwendet ihre bewährte, etwas redundante Drauflosschreibweise, und das kann, wie ein längerer Magazin-Artikel, eben mal sehr nervig, naiv und platt, mal aber auch sehr entwaffnend, klug und erhellend sein. Es gibt immer wieder wunderbar treffende Beobachtungen – etwa zu den Abgründen der Baby-Produktwelt, oder zur Arbeitsteilung zu Hause: Mutter sein heißt „daran denken, ihm zu sagen, dass sie sich hinsetzen müssen, um über all die Sachen zu sprechen, an die sie in der nächsten Woche denken müssen“.
Oder sie schreibt einfach, aber ehrlich über den Kreativklassen-Blick auf die Welt: „Eltern ist es egal, wenn sie uncool sind, sie widmen sich der Fürsorge eines Kindes und setzen alles daran, dass dieses Kind selbstständig wird, also selbstständig cool wird, bis es schließlich selber bereit dazu ist, uncool zu werden, nämlich beiseitezutreten und für andere zu sorgen, die nun dran sein sollten.“ Ja, so kann man sie auch beschreiben, des Daseins unendliche Kette. Diese Schreibweise führt tatsächlich zu einigen suada-artigen Entlarvungen von Mittelschichtswidersprüchen, gemischt allerdings mit englischsprachigen Einsprengseln („das heißt literally...“) und Vulgarismen, die offenbar der Selbstvergewisserung dienen sollen, immer noch lebendig und gegenwärtig zu sein.
Bleibt die Frage, wie exemplarisch diese Geschichte ist oder eben wie unerheblich, fürs Leben oder für die Gesellschaft. Die Autorin selbst kann man kaum dazu befragen, denn sie ist stets bereit, alles Einzelne hochzurechnen: sich auf alle, und das erste Jahr mit Kind auf alle kommenden Jahre. Die Hochrechnungen aufs Geschlechterverhältnis sind angemessen, aber politisch und sozial komplex, wie Antonia Baum hier und da ausführt. Für die Hochrechenbarkeit des ersten Jahres als Familie auf die folgenden Jahre aber kann man nur das Allerbeste wünschen.
Mit der Geburt geht erst mal „ein
maximal freies, autonomes Leben
mit vielen Ortswechseln“ zu Ende
In ihrer bisherigen Rechnung
kam so etwas wie Gemeinwesen
und Angewiesenheit nicht vor
Antonia Baum: Still
leben. Piper Verlag,
München 2018.
220 Seiten, 20 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Das ist die Autorin Antonia Baum „vor dem Baby“, so ihre eigene Zeitangabe. Das Foto entstand 2012, und nicht lange danach, aber immer noch vor dem Baby, schrieb sie in einem Artikel: „Man muss ja total wahnsinnig sein, auf die Idee zu kommen, wirklich ein Kind zu kriegen.“
Foto: Franz Bischof/laif
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"Die Autorin Antonia Baum hat gerade ein sehr kluges Buch geschrieben, das die Schizophrenie der Mutterrolle auf den Punkt bringt.", taz.de, 12.05.2018