Japanisches und skandinavisches Architekturdesign teilen sich viele Elemente. Das ist nicht zufällig so, sondern beruht auf einigen gemeinsamen Randbedingungen, die sich mit Beginn der kulturellen Kontakte im 19. Jahrhundert günstig beeinflussten. Das skandinavische Design wurde nicht „japanisch“,
sondern erinnerte sich an alte Traditionen und nahm sie im Bewusstsein japanischer Ästhetik wieder…mehrJapanisches und skandinavisches Architekturdesign teilen sich viele Elemente. Das ist nicht zufällig so, sondern beruht auf einigen gemeinsamen Randbedingungen, die sich mit Beginn der kulturellen Kontakte im 19. Jahrhundert günstig beeinflussten. Das skandinavische Design wurde nicht „japanisch“, sondern erinnerte sich an alte Traditionen und nahm sie im Bewusstsein japanischer Ästhetik wieder auf. Gerade das ressourcen- und bevölkerungsarme Dänemark war geradezu prädestiniert, sich mit der sparsamen und reflektierten Verwendung von Materialien in Japan auseinanderzusetzen.
„Stillness“ ist der Versuch eines internationalen Expertenteams, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Es werden die Prinzipien erklärt, die japanischem Design zugrundeliegen, aber auch die Parallelen zum skandinavischen Ansatz. Kurze Aufsätze leiten jeweils ein Kapitel ein, das sich mit einem besonderen Aspekt beschäftigt. Das können allgemeine Ästhetikkonzepte sein, aber auch Materialien, die in beiden Kulturräumen eine besondere Stellung haben. Auch der Innen-/Außenbezug und die Verbindung zur Natur werden ausführlich thematisiert, wobei auffällt, dass so gut wie keine „modernen“ Baumaterialien zu sehen sind, weder in den japanischen noch den skandinavischen Projekten. Gezeigt werden vor allem die traditionelle japanische Architektur und das naturnahe, klare skandinavische Design der Gegenwart. Auch wenn es im Buch vor allem um Architekturdesign geht, sind die dahinterliegenden Prinzipien letztlich auf alle Designkategorien übertragbar.
Die Fotos von Jonas Bjerre-Poulsen fangen die Essenz der Ästhetik wunderbar ein, indem sie ein Gefühl für Raum und Atmosphäre vermitteln, im Großen wie im Detail. Der erste und umfangreichere Teil des Buches zeigt Motive aus Japan, erst im Kapitel „Projects“ werden diesen japanisch inspirierte Projekte von Keiji Ashizawa und Norm Architects entgegengestellt. Wer die theoretischen Exkurse in den vorangegangenen Kapiteln verinnerlicht hat, versteht sofort, warum die Grenze zwischen den beiden Kulturen hier so scheinbar nahtlos ineinanderfließt.
Im Anhang finden sich Kurzportraits von japanischen Kulturtheoretikern aus fünf Jahrhunderten mit ihren biografischen Daten und wichtigsten Errungenschaften. Eine (englischsprachige) weiterführende Liste mit wichtiger Literatur, bei der ich allerdings die äußerst einflussreichen Werke von Bruno Traut vermisst habe, und ein visueller Bildindex, der aber bewusst keinerlei zusätzliche Informationen zu Orten oder Objekten liefert, ergänzen den Anhang. Die Bilder sprechen wegen der fehlenden Quelleninformation einzig für sich und neben ihrem rein ästhetischen Wert werden sie erst im Kontext verständlich. Auch aus diesem Grund sind die sehr konzentriert geschriebenen Textbeiträge unerlässlich.
„Stillness“ ist nicht nur ein wunderschöner und buchtechnisch exzellent verarbeiteter Band, sondern vermittelt die Prinzipien japanischer Design- (und Wohn)kultur in einer Präzision und inhaltlichen Tiefe, wie man das selten findet.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)