Ein meisterhafter Kurzroman und ein Plädoyer für Menschlichkeit In der Invalidenstraße 98e steigt wieder mal eine Fete. Der alte Graf und Lebemann hat sich bei der temperamentvollen jungen Witwe Pauline Pittelkow, seinem "Verhältnis", zu einer vergnüglichen Sause angesagt und an diesem Abend seinen Neffen Waldemar mitgebracht. Während es auf berlinische Weise hoch hergeht, die Trinksprüche immer gewagter, die szenischen Einlagen einer urkomischen Vorstadttragödin immer ausgelassener werden, fühlt sich der junge Graf von Haldern von Stines stillem Wesen angezogen. Sie, die gegensätzliche Schwester Paulines, wirkt mit ihrer Natürlichkeit so stark auf den kränklichen Waldemar, daß dieser alle Kraft zusammennimmt und Stine einen Antrag macht. Seine Familie will er verlassen, die Heimat aufgeben und in Amerika eine unabhängige Existenz gründen. Doch das Mädchen weiß, daß es keine Stine von Haldern geben wird. Ihr Nein nimmt dem jungen Mann allen Mut, auch den zum Leben. Nachdem große Zeitschriften und selbst die "Vossin" einen Vorabdruck abgelehnt hatten, erschien "Stine" zuerst 1890 in der naturalistischen Wochenschrift "Deutschland". Kurz darauf folgte die Buchausgabe. Christine Hehle, die Herausgeberin von "Unterm Birnbaum" und "Effi Briest", deren neuartige Kommentare viel beachtet wurden, erörtert anhand dieses kleinen meisterlichen Romans, wie Fontane die Berliner Topographie der siebziger Jahre in sein imaginäres Fontanopolis verwandelt.