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"Stoffgewitter" ist ein unzüchtiges Konkubinat literarischer Gattungen, doch keine Angst, minderjähriges noch auszubildendes Jungpersonal sollte ruhig bedenkenlos das Buch verkaufen und auch vorher flüchtig Einblick nehmen, denn wenn eine Dichtungsform mit einer andren sodomitische Perversion treibt, ist das noch immer nicht Pornographie. Das Buch eröffnet mit Vorträgen, allzu poetisch erzählend, um nur Essay oder Theorie zu sein, gleitet in zwei lange Erzählungen, die manchmal in Gefahr geraten, aufgrund ihrer Singularität zu vereinsamen, und mündet über Kabarett-Nummern und…mehr

Produktbeschreibung
"Stoffgewitter" ist ein unzüchtiges Konkubinat literarischer Gattungen, doch keine Angst, minderjähriges noch auszubildendes Jungpersonal sollte ruhig bedenkenlos das Buch verkaufen und auch vorher flüchtig Einblick nehmen, denn wenn eine Dichtungsform mit einer andren sodomitische Perversion treibt, ist das noch immer nicht Pornographie. Das Buch eröffnet mit Vorträgen, allzu poetisch erzählend, um nur Essay oder Theorie zu sein, gleitet in zwei lange Erzählungen, die manchmal in Gefahr geraten, aufgrund ihrer Singularität zu vereinsamen, und mündet über Kabarett-Nummern und Schein-Feuilletons, die ihren vorigen Beruf als Zeitungsartikel nicht und nicht aushielten, in eine Sammlung von "Textinsekten", wie sie der Autor manchmal gerne nennt und nach deren Lektüre das Auge des Lesers jeweils kurz den Atem anhält (anhalten muß). Alles in allem bildet sich zwischen den Buchdecken ein Ereignishorizont von einer solchen Dichte und Geschlossenheit, daß der Kragen platzt: Bunte Blätter im, plötzlichen Laubsturm, Bilder einer Ausstellung in gemischter Technik, zu deren Vernissage Sie herzlich geladen sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.1996

Das Firmament hängt an der Wand
Schrott mit schönen Stellen: Gert Jonke läßt den Stoff gewittern · Von Thomas Poiss

In einem Rutsch und Rausch ein Buch zu durchlesen und zu durchleben bildet eine der beglückendsten Erfahrungen der Zivilisation, und jeder Leser wartet insgeheim auf die Wiederkehr dieser wahren Entrückung. Genau so ein Buch zu verfassen muß auch Gert Jonkes Wunsch gewesen sein, denn er sucht mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln jenen raptus legendi zu stimulieren, von dem Leser und Autor träumen. Die "Stoffgewitter" lassen dazu unaufhörlich Worte in schwellender Fülle strömen und wollen so "ein wenn auch verrätseltes Welterkennen blitzartig ermöglichen". Gelingt dieser Blitzsieg des Schauens über Welt und Buchstaben?

Im Gegensatz zu den letzten abgeschlossenen Musiker-Büchern Jonkes bietet dieser Band Texte von so unterschiedlicher Art und Qualität, daß eine einheitliche Antwort unmöglich wird. Essays, kurze Gedichte, Musikerinterpretationen, eine Novelle, eine Rede, ein fiktiver Brief und anderes mehr werden zwar zusammengehalten von gemeinsamen Motiven und Techniken, doch folgt die Realisation jeweils eigenen Gesetzen. Der trostloseste Text ist wohl die Schweizer Rede. Sie gibt sich als Stegreifimprovisation, aber auch dafür werden zu wenig Gedanken beim Reden verfertigt. Aporie und Präteritio zur Eröffnung: "Leider weiß ich nicht genau, was ich plötzlich da bei Ihnen soll", dann zwei Seiten über Entropie und Molkerei. Dann wieder Ratlosigkeit: "Ich weiß aber nichts über die Schweiz." Allmählich dämmert die Erinnerung an Dürrenmatts "Winterkrieg in Tibet", da gibt es die unterirdische Schweiz, in der Minotauren gezüchtet werden. Der Österreicher? Der liebt Lipizzaner. Jeder Schweizer ein Minotaurus, jeder Österreicher ein Zentaur. Der Redner verdrückt sich per "Letztrettungsverschwund" durch einen Kanaldeckel in die unterirdische Schweiz.

Ein so matter Herzmanovsky-Orlando-Verschnitt markiert den tiefsten Stand, die Novelle über Anton Weberns absurden Tod den mittleren Bereich von Jonkes Skala. In berührender Weise bietet Jonke alle Magie der Überredung auf, um den trunksüchtigen amerikanischen Koch Raymond Norwood Bell davon abzubringen, Dr. Anton Webern kurz nach Kriegsende beim Entzünden der ersten Nachkriegszigarre aus Versehen zu erschießen. Ein Stoff, wie um den Verstand zu verlieren, eine Geschichte, die erzählt werden mußte. Jonke versieht sie mit einer zauberhaften Schlußpointe - nachdem er sie zuvor mutwillig durch Wortbildungsexzesse zerstört hat. "Militärgetriebewindhosenüberlandverwirbelwinddetonationsspren gstoffzerstörungsfanatiker" dürfte wohl als letales Beispiel reichen. So entsteht verbaler, durch keine Musikallegorie zu rettender Schrott mit ein paar schönen Stellen.

Man muß dies in der gebotenen Schärfe sagen und darf es auch. Jonke selbst liefert im einleitenden Poetik-Essay "Individuum und Metamorphose" den Maßstab dazu. Wer sich auf Texte von Borges, Jandl, Musil, Cortázar beruft, muß sich auch an deren konsequenter poetischer Durchführung messen lassen. Auswahl und gedankliche Verknüpfung der Texte sprechen für Jonkes poetologischen Blick. Hellsichtig werden von ihm ein Borges-Text zur Eins-zu-eins-Kartographie - die ideale Karte ist so groß wie das Land -, Jandls "Antipoden"-Gedicht und Musils "Fliegenpapier" in Beziehung gesetzt, doch Jonkes eingeschobene Invektive gegen Kärnten als Eins-zu-eins-Kitsch-Malerei Kärntens ist so plump, daß man sich für den Autor geniert. In Cortázars von Jonke gleichfalls vollständig zitiertem Text zu den Axolotl-Tieren ist keine Silbe verschwendet, um an der zwingenden Metamorphose des Betrachters in die lidlosen Urwesen teilnehmen zu lassen - bei Jonke versickern Wolken von Gedanken in Wortgeröll. Dabei hat Jonke ein phantastisches, leider nicht untrügliches Ohr für Töne und Wortbildung. Der Plural "Menschenschläge" sitzt, das "Angstwetterleuchten" hält an, "die verschmierte Schultafel des Firmaments" hängt den Himmel mit einem Handgriff an die Wand, das Geheimnis der "Mur-Mürz-Furche" führt ins Herz Österreichs. Geschmack hingegen ist Jonkes Stärke nicht. Muß ja auch nicht sein, wenn er uns dafür durch die folgende Beschreibung von Literatur als "eine(r) Art Schmerzensgeldangebot für die Enttäuschung, daß man leider sonst umsonst in diese Welt hineingestellt sei", entschädigt.

Was Jonke wirklich kann, zeigt er nur in einigen kleinen Stücken, die sein höchstes Potential ausschöpfen. Dazu gehört das Monodram "Im Schatten der Wetterfahne", das den poetischen Vorsatz beinahe restlos einlöst, "eine durch ihre Dichte faszinierende magische Erklärung dieser Welt" zu sein: Eine in fortschreitender Amnesie erlebte Reise endet im Augeneinwärtsstürzen der Welt. Vollends dem "Brief an den Hans" gelingt es, den Tod eines vier Monate alten Kindes in leisen Trost und die Trauer in den Ursprung von so etwas wie Poesie zu verwandeln: "Indem Du etwa meinen Augen hilfst, manchmal ganz rasch aus dem Kopf hinaus zu fliegen wie ein paar ganz flinke Zaunkönige, einmal um den Erdball herumzukreisen und mir dann immer alles von der Welt genau zu erzählen, ohne selbst fort zu müssen." Den kürzesten Ausdruck seiner weitverzweigten Augenpoetik findet Jonke im "Telegramm an E. - Ein Aufatmen. / der Atem / der staunenden / Augen / wird zunehmend / schneller / wenn meine Pupillen / endlich wieder das Licht / von deinem Gesicht / einatmen." Zweifel bleiben, ob nicht auch die ehrwürdigen Auge-Vogel- und Licht-Atem-Gleichungen dem Kunstgewerbe zuzurechnen sind, aber so einfach wie auf den drei Seiten des Briefes oder in den neun Zeilen des Telegramms könnte das gehen, wenn Jonke seinen spätsurrealistischen Gewitterrauschsimulationen die Form nicht versagte. Und schon zeigte sich ihm und seinem Leser "der Schimmer eines nachsichtig leuchtenden Gleichmuts".

Gert Jonke: "Stoffgewitter". Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1996. 256 S., geb., 38,- DM.

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