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Wenn wir die ökologische Krise verstehen wollen, müssen wir die Arbeitswelt verstehen. Denn es ist die Arbeit, durch die Gesellschaften laut Karl Marx ihren Stoffwechsel mit der Natur vollziehen. Arbeitspolitik ist daher für Simon Schaupp stets auch Umweltpolitik - oder »Stoffwechselpolitik«. Dabei spielt die Natur selbst eine aktive Rolle: Je weiter ihre Nutzbarmachung vorangetrieben wird, desto drastischer wirkt sie auf die Arbeitswelt zurück.
Wie produktiv diese Perspektive ist, zeigt der Soziologe an einer Vielzahl historischer Beispiele: Ohne Moskitos sind weder Aufstieg noch
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Produktbeschreibung
Wenn wir die ökologische Krise verstehen wollen, müssen wir die Arbeitswelt verstehen. Denn es ist die Arbeit, durch die Gesellschaften laut Karl Marx ihren Stoffwechsel mit der Natur vollziehen. Arbeitspolitik ist daher für Simon Schaupp stets auch Umweltpolitik - oder »Stoffwechselpolitik«. Dabei spielt die Natur selbst eine aktive Rolle: Je weiter ihre Nutzbarmachung vorangetrieben wird, desto drastischer wirkt sie auf die Arbeitswelt zurück.

Wie produktiv diese Perspektive ist, zeigt der Soziologe an einer Vielzahl historischer Beispiele: Ohne Moskitos sind weder Aufstieg noch Niedergang der Plantagenwirtschaft zu verstehen. Die Durchsetzung der Gewerkschaften wurde unter anderem durch die neuen Machthebel möglich, welche die materiellen Eigenschaften der Steinkohle den Beschäftigten an die Hand gaben. Und auch das Fließband wurde nicht zuletzt deshalb eingeführt, weil sich in frühen Schlachtfabriken infolge von Streiks verwesende Tierkadaver stauten. Soll die Erderwärmung zumindest verlangsamt werden, setzt dies für Schaupp eine Transformation der Arbeitswelt voraus: Wir müssen die Logik der expansiven Nutzbarmachung überwinden und die Autonomie der Natur ernst nehmen.
Autorenporträt
Simon Schaupp, geboren 1988, ist Oberassistent am Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse der Universität Basel. Seine 2021 erschienene Dissertation Technopolitik von unten wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Suhrkamp Verlag gab er zuletzt zusammen mit Tanja Carstensen und Sebastian Sevignani den Band Theorien des digitalen Kapitalismus heraus (stw 2415).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Soziologe Simon Schaupp unterzieht das Verhältnis von Arbeitspolitik und Klimapolitik einer "gründlichen Analyse", schreibt Rezensent Titus Blome. Dabei kristallisiere sich heraus, dass die modernen Arbeitskämpfe immer mehr mit der ökologischen Krise zusammen gedacht werden, erfahren wir. Schaupp denkt dabei nicht in Kategorien wie Produktion und Reproduktion, so der Rezensent, sondern schaut auf die "Nutzbarmachung" der Natur im Kapitalismus und wie deren Verwertung auf den Menschen zurückwirkt. In "spannenden historischen Analysen" blickt Schaupp außerdem auf andere erfolgreiche Arbeitskämpfe, die er auf die heutige Zeit bezieht, erklärt Blome. Schaupp erteilt in dem Buch zudem Bruno Latour und seinem Konzept der "Neuen Materialismen" ein Absage, merkt der Kritiker an. Letztlich fehlen auch Schaupp die konkreten Lösungen, um den ökologischen Arbeitskampf voranzubringen - doch seine Analysen seien in jedem Fall eine Lektüre wert, findet Blome.

© Perlentaucher Medien GmbH
»In Stoffwechselpolitik ... legt [Schaupp] einen überzeugenden Versuch vor, Produktions- und Arbeitspolitik mit Umweltpolitik zu verflechten. ... In so akribischen wie spannenden historischen Analysen arbeitet [er] heraus, wie die Organisationsformen von Natur, Arbeit und Produktion einander beeinflussen ...« Titus Blome Süddeutsche Zeitung 20240508

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.05.2024

Katastrophales Tauschgeschäft
Der soziale Frieden im Land ist trügerisch, findet der Soziologe Simon Schaupp in seinem Buch „Stoffwechselpolitik“. Lange gehe das nicht mehr gut.
Claus Weselsky hat ambitionierte Pläne und legt dafür regelmäßig die Republik lahm. Dass er für seinen Streikkurs dennoch gewissen Rückhalt findet, hat einen einfachen Grund: Bei der Bahn muss sich etwas ändern, sie ist zentraler Teil der notwendigen, ökologischen Verkehrswende. Hier sind sich fast alle einig.
Diesen Konflikt auf die schnöde Zweidimensionalität eines Kampfes zwischen Arbeiter und Managerklasse zu reduzieren, scheint verkürzt. Mindestens implizit nutzt die GDL den Klimawandel, um Forderungen Nachdruck zu verleihen. Explizit wird diese Allianz, wenn „Fridays for Future“ gemeinsam mit Verdi einen „Klimastreiktag“ für besseren öffentlichen Nahverkehr ausrufen. Mehrere Arbeitskämpfe enthalten also eine dezidiert ökologische Komponente, die in einer gründlichen Analyse mit beachtet werden muss.
Eine solche liefert jetzt der Soziologe Simon Schaupp. In „Stoffwechselpolitik – Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten“ legt er einen überzeugenden Versuch vor, Produktions- und Arbeitspolitik mit Umweltpolitik zu verflechten. Unter Stoffwechselpolitik, so schreibt er, „fallen demnach etwa Klimaschutzmaßnahmen, die Umstellungen in der Arbeitswelt nach sich ziehen, aber auch Produktivitätssteigerungen durch den Einsatz fossiler Energien, welche sich ihrerseits auf die natürliche Umwelt auswirken“. Um die Wechselwirkung zwischen Natur und Arbeit besser zu verstehen, schlägt Schaupp vor, den kapitalistischen Prozess nicht mehr länger in Produktion und Reproduktion zu zerdenken. Stattdessen fasst er die beiden unter dem Begriff der „Nutzbarmachung“ menschlicher wie nicht-menschlicher Natur zusammen. Der Kapitalismus verwandelt Böden in Äcker, Menschen in Arbeiter, Flüsse in Kanäle – es ist alles ein Prozess, aber kein einseitiger, wie die Moderne es annahm.
Die Natur wirkt stets auf die menschliche Arbeit zurück, zuletzt immer heftiger durch Klimawandel und Naturkatastrophen: Infrastruktur wird von Stürmen vernichtet, der katastrophale Verlust an Biodiversität begünstigt Pandemien und physische wie kognitive Arbeit wird durch extremes Wetter erschwert, was wiederum mehr Arbeit bedeutet. Das, so Schaupp, ist das Paradox im Kern des Kapitalismus: „Je weiter die Nutzbarmachung von Arbeit und Natur fortschreitet, desto mehr gesellschaftliche Arbeit muss in diese Nutzbarmachung investiert werden.“
In so akribischen wie spannenden historischen Analysen arbeitet Schaupp heraus, wie die Organisationsformen von Natur, Arbeit und Produktion einander beeinflussen: Kohleschächte, in denen kein Aufseher die Kumpel kontrollieren konnte, begünstigten die Geburt einer Arbeiteridentität. Sklaven nutzten bei Aufständen gezielt auf den Plantagen grassierenden Krankheiten gegen ihre anfälligen Kolonialherren. Die erste Fließbandproduktion wurde nicht in Fords Fabriken, sondern in Chicagos Schlachtereien eingeführt. Fleisch verdarb so schnell, dass schnelle Produktion ein Muss war – was Arbeiter nutzten, um schon mit kleinen Streiks großen Schaden anzurichten. Und in der Nachkriegszeit wurden viele Arbeitskämpfe mit einem „fossilen Klassenkompromiss“ pazifiziert, der durch katastrophale Ressourcenverschwendung und Massenkonsum erkauften man Gehorsam in der Fabrik.
Schaupp arbeitet heraus, was er den „ökologischen Eigensinn“ der Natur nennt, gesteht ihr wegen ihrer Unfähigkeit, strategisch zu agieren, jedoch nicht den Status eines Akteurs zu. Schaupp hält sich stattdessen klassisch an Marx, für den der menschliche Körper zwar Teil der Natur ist, der durch Arbeit aber auf die Natur zurückwirkt und sich so von ihr abgrenzt. Das bettet den Menschen verstärkt ökologisch ein, lässt ihm jedoch mehr Autonomie als jene „Neuen“ Materialismen Bruno Latours und anderer, die die Unterschiede zwischen Natur und Gesellschaft manchmal voll einstampfen wollen. Schaupp lehnt dies ab, weil das völlige Ineinanderfalten von Mensch und Umwelt es logisch unmöglich mache, von menschengemachter Umweltzerstörung zu sprechen, was wiederum politische Projekte erschwert.
Eine genaue Ausgestaltung solcher Projekte findet sich leider nicht bei Schaupp. Er spricht sich im Angesicht des Klimawandels für eine „lustvolle Politik der Nutzlosigkeit aus“, die jedoch weitgehend eine Leerstelle bleibt. Mögliche Ziele deutet er an, wenn er beiläufig „das Programm des grünen Wachstums“ verwirft oder schreibt, dass technische Steuerungsmittel heute so fortgeschritten sind, dass Profitabilität als Koordinationsmechanismus für die Weltwirtschaft eigentlich nicht mehr nötig wäre. Doch ökologische Arbeitskämpfe werden sich häufen. Wird der fossile Klassenkompromiss aufgekündigt, so Schaupp, würde das zu „erheblichen sozialen Konflikten“ führen. Lässt der Soziologe Nikolaj Schultz im neuen Buch „Landkrank“ (Suhrkamp) seinen klimabesorgten Protagonisten sagen: „Das Anthropozän ist offenbar kein guter Ort zum Schlafen“, lässt sich mit Schaupp womöglich schließen: Das Kapitalozän ist offenbar kein guter Ort zum Arbeiten.
TITUS BLOME
Simon Schaupp: Stoffwechselpolitik – Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten, Suhrkamp, Berlin 2024. 422 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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