'Stoner' ist einer der großen vergessenen Romane der amerikanischen Literatur. John Williams erzählt das Leben eines Mannes, der, als Sohn armer Farmer geboren, schließlich seine Leidenschaft für Literatur entdeckt und Professor wird - es ist die Geschichte eines genügsamen Lebens, das wenig Spuren hinterließ.
Ein Roman über die Freundschaft, die Ehe, ein Campus-Roman, ein Gesellschaftsroman, schließlich ein Roman über die Arbeit. Über die harte, erbarmungslose Arbeit auf den Farmen; über die Arbeit, die einem eine zerstörerische Ehe aufbürdet, über die Mühe, in einem vergifteten Haushalt mit geduldiger Einfühlung eine Tochter großzuziehen und an der Universität oft teilnahmslosen Studenten die Literatur nahebringen zu wollen.
'Stoner' ist kein Liebesroman, aber doch und vor allem ein Roman über die Liebe: über die Liebe zur Poesie, zur Literatur, und auch über die romantische Liebe. Es ist ein Roman darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Ein Roman über die Freundschaft, die Ehe, ein Campus-Roman, ein Gesellschaftsroman, schließlich ein Roman über die Arbeit. Über die harte, erbarmungslose Arbeit auf den Farmen; über die Arbeit, die einem eine zerstörerische Ehe aufbürdet, über die Mühe, in einem vergifteten Haushalt mit geduldiger Einfühlung eine Tochter großzuziehen und an der Universität oft teilnahmslosen Studenten die Literatur nahebringen zu wollen.
'Stoner' ist kein Liebesroman, aber doch und vor allem ein Roman über die Liebe: über die Liebe zur Poesie, zur Literatur, und auch über die romantische Liebe. Es ist ein Roman darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.
buecher-magazin.deWie eine Gravur in Stein. So fest, markant und unerschütterlich verzahnt sich die Stimme von Burghart Klaußner mit diesem Roman aus dem Jahr 1965. Unerschütterlich ist auch die Hauptfigur William Stoner, von dessen Lebensweg erzählt wird. Von seinem Aufwachsen als Farmerssohn in Missouri, der Universitätsdozent für Literaturwissenschaft wird. Aber jede Emanzipation, die ihm gelingt, wendet sich irgendwann gegen ihn. Die Ehe mit Edith, einer schönen Frau aus reichen Kreisen, wird zur Qual. An der Uni handelt sich Stoner mit dem ehrgeizigen Kollegen Lomax einen Feind ein. Und als er bei der Studentin Catherine endlich sein Lebens- und Liebes-Glück zu finden scheint, stehen ihnen Moralvorstellungen in den USA im frühen 20. Jahrhundert im Weg. Stoner erträgt, begehrt nie entscheidend auf, was sich als Stärke, aber auch als tragische Schwäche erweist. In dieser Ambivalenz liegt einer der Reize dieses Romans. Klaußners dunkel getönte Interpretation veredelt dieses erzählerisch packende Werk. Allein die dialogischen Auseinandersetzungen Stoners mit dem von einem intriganten Geist getriebenen Lomax lassen das Blut gefrieren.
© BÜCHERmagazin, Martin Maria Schwarz (mms)
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Selten war ich am Ende eines Buches so dankbar, Zeit mit der Figur, von der es handelt, verbracht haben zu dürfen. Matthias Brand, Schauspieler Die Welt 20191228
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Im 1965 publizierten Roman des amerikanischen Literaturwissenschafters und Schriftstellers John Williams regiert das Karge und das Nüchterne, berichtet die Rezensentin Angela Schader. Williams' Protagonist William Stoner bestreitet eine dürftige akademische Karriere an der Universität von Missouri in Columbia, nachdem er der elterlichen Farm entkommen ist, fasst die Rezensentin zusammen. Dazu ist er unglücklich verheirat, zuhause führt er einen Kleinkrieg mit seiner Frau Edith, der noch "der Permafrost gutbürgerlicher Sitten" anhaftet, erklärt die Rezensentin. Die einzige Tochter ist Alkoholikerin und leidet nicht minder unter ihrem eigenen Eheleben. Lichteinfälle in dieses düstere Szenario gibt es nur selten, verrät Schader, das Buch glänzt durch seine Sprache, nicht durch Gefälligkeit, findet sie. Dass es das auch im Deutschen tut, ist dem versierten Bernhard Robben zu verdanken, lobt die Rezensentin und bedankt sich beim Verlag für die treffliche Wahl.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2013Er war kein Kämpfer, aber ein Sieger
Warum wird dieses Buch erst jetzt berühmt? Mit "Stoner" hat John Williams 1965 einen Klassiker geschrieben, der jetzt auch auf Deutsch zu entdecken ist.
Eine "amerikanische Offenbarung" nannte eine französische Zeitung John Williams' "Stoner". Der Roman war bereits 1965 erschienen; doch erst 2006 mit der Neuausgabe in der legendären Reihe "New York Review Book Classics" fand er weltweit Beachtung. C. P. Snow, der Autor von "Die zwei Kulturen", begann seine Eloge in der "Financial Times" mit dem Satz: "Why isn't this book famous?" Eine der möglichen Antworten wäre, weil die Hauptfigur, der zurückhaltende Literaturprofessor William Stoner, nicht hineinpasste in die literarische Szene der sechziger Jahre. Eine andere, weil dieser Sohn bitterarmer Farmer aus dem Mittelwesten aus der Zeit gefallen ist, geradezu einzigartig in seiner stoischen Ruhe und Schicksalsergebenheit. "Hemingway ohne Lärm", so hat ein Kritiker den Stil von Williams zu beschreiben versucht. Auf jeden Fall hat Williams eine wunderbar klare Sprache, die ohne große Worte auskommt, aber fähig ist, tiefste Empfindungen auszudrücken. Es geht um nichts Geringeres als Liebe und den Sinn und die Würde des Lebens.
John Williams (1922 bis 1994) hat Gedichte und vier Romane geschrieben - einer davon, "Augustus", wurde mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. "Stoner" ist der erste, der jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Williams ist wie Stoner ein passionierter Hochschullehrer gewesen. Seine Seminare und Schreibkurse waren berühmt, wie auch seine exzessiven Trinkgelage, die seine Gesundheit ruinierten. Mag sein, dass er im Universitätsbetrieb von Denver Intrigen und ähnliche Enttäuschungen erfahren musste wie sein Alter Ego in Columbia.
Den Mikrokosmos Universität, abgehoben vom Alltäglichen, eine Brutstätte von Feindschaften, aber auch eine Zuflucht, wo Wissenschaft absolute Hingabe verlangt und dafür tiefe Befriedigung schenken kann - Williams hat ihn minutiös beschrieben. Er fand hier nach den Schrecken des Krieges, die er als Pilot in Indien und Burma erlebte, zu sich selbst. Seinen Stoner lässt er allerdings, anders als dessen beide Freunde, nicht in den Krieg ziehen: "Er bringt es nicht über sich, die Deutschen zu hassen." Wie sein verehrter Lehrer Sloane ist er überzeugt davon, dass der "Krieg in einem Volk etwas tötet, das nie mehr wiederbelebt werden kann ... Der Gelehrte sollte nicht gebeten werden, das zu zerstören, was er sein Leben lang aufzubauen versucht hat."
William Stoner hat in seiner Jugend nichts anderes kennengelernt als die Arbeit auf den kargen Feldern seines Vaters, von der die kleine Familie kaum leben konnte. Und es scheint kein Ende zu nehmen mit der Schinderei: Um ein landwirtschaftliches College besuchen zu könnenen, muss er für Kost und Logis das Vieh seiner Verwandten versorgen, ehe er in seiner ungeheizten Dachkammer lernen kann. Nach zwei Semestern öffnet sich für ihn mit einem Sonett Shakespeares wie ein Wunder die Tür zu den Schätzen von Literatur und Philosophie. Endlich hat er gefunden, was er gesucht hat und was er nun beharrlich ergründen will. Er wechselt seine Studienfächer, und nachdem er sein Examen bestanden hat, erhält er auch einen bescheiden dotierten Lehrauftrag.
Es sind immer wieder die mit größtmöglicher Genauigkeit beschriebenen Bilder und Porträts, die sich einprägen, Szenen wie die beim fast wortlosen Abschied Stoners von seinen Eltern, von denen er sich unter Schmerzen entfremdet hat. Oder seine Erscheinung auf dem Campus: eine hagere, von harter Arbeit früh gebeugte Gestalt in einem abgetragenen dunklen Anzug, ein Außenseiter, der den Betrieb und jede Geselligkeit scheut, seine Pflichten aber gewissenhaft und oft mit ansteckender Begeisterung erfüllt. Ein durch und durch Bescheidener auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der nicht zuletzt deshalb Gelassenheit und Würde ausstrahlt.
Dass sein möglicher Aufstieg in eine höhere Gesellschaftsschicht durch die Ehe mit der Tochter eines Bankiers scheitert, ist vorauszusehen. Doch zum ersten Mal liebt er, alles andere ist ihm gleichgültig. Er versucht nur äußerlich, sich den Ansprüchen seiner Frau anzupassen. Nach einem Monat weiß er jedoch, dass er blind gewesen war, überwältigt von Gefühlen, die seine frigide Ehefrau nicht erwidert. Es gibt keinerlei Übereinstimmung zwischen den Eheleuten. Und die verwöhnte, frustrierte, zänkische Frau - sie ist nicht frei von schizoiden Zügen - entwickelt sich zu einem zerstörerischen Monster. Für Stoner beginnt ein intimes, fast lebenslanges Martyrium. Wehrlos nimmt er Demütigungen und Niedertracht hin. Selbst als die einzige Tochter, die er anfangs mit großer Liebe allein versorgt hat, von ihm ferngehalten wird, protestiert er nicht, auch nicht, als ihn seine Frau aus dem Haus drängt. Die Universitätsbibliothek und sein schmales Studierzimmer sind von nun an sein Refugium, in dem er forschen, entdecken und schreiben kann. Die großen Gestalten der Literatur werden ihm vertrauter als seine Familie und seine Kollegen an der Universität, wo nur ein einziger Freund zu ihm hält.
Mit Anfang vierzig fühlt er sich einsam und ausgebrannt. "Vor sich sah er nichts, auf das er sich zu freuen wünschte, und hinter sich nur wenig, woran er sich gern erinnerte." Doch dann wird er unerwartet durch eine neue Liebe von diesem "Gewicht der Verzweiflung" befreit. Als "Akt der Menschwerdung" empfindet er seine Vereinigung mit Katherine. Es gelingt ihm, mit ihr vertraut zu werden voller Hingabe, Zärtlichkeit und Ruhe. Sie sprechen eine gemeinsame Sprache und stimmen auch mit Lust beim gemeinsamen Lernen überein. "Wie alle Liebespaare redeten sie viel über sich selbst, als könnten sie so die Welt besser verstehen, die sie möglich gemacht hatte."
Einmal sprechen sie von ihrem Glück, doch da ahnen sie schon, dass es gefährdet ist durch die bigotte Moral der Universitätsgesellschaft in den sechziger Jahren. Vor der Zerstörung ihrer Existenzgrundlage scheuen sich beide. Selten ist eine Liebesbeziehung so zart und anrührend beschrieben worden. Sie endet lautlos und ohne jede Hoffnung im "Chaos des Möglichen". Stoner gibt Katherine auf wie sie ihn. Ihm bleibt die tröstliche Gewissheit, dass er wenigstens ein einziges Mal vollendetes Glück erfahren hat. Seine Resignation ist frei von Bitterkeit, doch sein Körper reagiert mit schwerer Krankheit. Danach vergräbt er sich mehr und mehr in seinem abgeschotteten Gelehrtendasein.
Gegen Ende seines Lebens findet er zurück zu Frau und Tochter. "Sie hatten sich das Leid vergeben, das sie einander zugefügt hatten, und betrachteten selbstversunken, was aus ihrem gemeinsamen Leben hätte werden können." Kurz vor seinem Tod zieht er ein Fazit. Er bekennt sich zu seinem Scheitern in der Ehe, aber auch zu seiner Wehrlosigkeit als Hochschullehrer gegenüber seinen intriganten Kollegen, die seine Karriere an der Hochschule verhindert hatten. Doch was er getan hat, hat er gern getan. Unfähig zu kämpfen, ist er sich doch selbst treu geblieben. Nein, er ist kein Versager, und das Eingeständnis von Schwäche ist keine Kapitulation, er behält seine Würde: "Mit plötzlicher Kraft fühlte er seine Macht. Er war er selbst, und er wusste, was er gewesen war."
John Williams ist nun als der große Unbekannte der amerikanischen Literatur entdeckt worden, sein "Stoner" gilt als Klassiker der Moderne. An der Qualität des Romans ist nicht zu zweifeln. Es sind gerade die leisen Töne und die tiefe menschliche Weisheit seines scheuen Helden, die ihn so liebenswert machen. Bleibt noch zu loben, dass der Übersetzer Bernhard Robben makellose Arbeit geleistet hat.
MARIA FRISÉ
John Williams: "Stoner". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013. 351 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum wird dieses Buch erst jetzt berühmt? Mit "Stoner" hat John Williams 1965 einen Klassiker geschrieben, der jetzt auch auf Deutsch zu entdecken ist.
Eine "amerikanische Offenbarung" nannte eine französische Zeitung John Williams' "Stoner". Der Roman war bereits 1965 erschienen; doch erst 2006 mit der Neuausgabe in der legendären Reihe "New York Review Book Classics" fand er weltweit Beachtung. C. P. Snow, der Autor von "Die zwei Kulturen", begann seine Eloge in der "Financial Times" mit dem Satz: "Why isn't this book famous?" Eine der möglichen Antworten wäre, weil die Hauptfigur, der zurückhaltende Literaturprofessor William Stoner, nicht hineinpasste in die literarische Szene der sechziger Jahre. Eine andere, weil dieser Sohn bitterarmer Farmer aus dem Mittelwesten aus der Zeit gefallen ist, geradezu einzigartig in seiner stoischen Ruhe und Schicksalsergebenheit. "Hemingway ohne Lärm", so hat ein Kritiker den Stil von Williams zu beschreiben versucht. Auf jeden Fall hat Williams eine wunderbar klare Sprache, die ohne große Worte auskommt, aber fähig ist, tiefste Empfindungen auszudrücken. Es geht um nichts Geringeres als Liebe und den Sinn und die Würde des Lebens.
John Williams (1922 bis 1994) hat Gedichte und vier Romane geschrieben - einer davon, "Augustus", wurde mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. "Stoner" ist der erste, der jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Williams ist wie Stoner ein passionierter Hochschullehrer gewesen. Seine Seminare und Schreibkurse waren berühmt, wie auch seine exzessiven Trinkgelage, die seine Gesundheit ruinierten. Mag sein, dass er im Universitätsbetrieb von Denver Intrigen und ähnliche Enttäuschungen erfahren musste wie sein Alter Ego in Columbia.
Den Mikrokosmos Universität, abgehoben vom Alltäglichen, eine Brutstätte von Feindschaften, aber auch eine Zuflucht, wo Wissenschaft absolute Hingabe verlangt und dafür tiefe Befriedigung schenken kann - Williams hat ihn minutiös beschrieben. Er fand hier nach den Schrecken des Krieges, die er als Pilot in Indien und Burma erlebte, zu sich selbst. Seinen Stoner lässt er allerdings, anders als dessen beide Freunde, nicht in den Krieg ziehen: "Er bringt es nicht über sich, die Deutschen zu hassen." Wie sein verehrter Lehrer Sloane ist er überzeugt davon, dass der "Krieg in einem Volk etwas tötet, das nie mehr wiederbelebt werden kann ... Der Gelehrte sollte nicht gebeten werden, das zu zerstören, was er sein Leben lang aufzubauen versucht hat."
William Stoner hat in seiner Jugend nichts anderes kennengelernt als die Arbeit auf den kargen Feldern seines Vaters, von der die kleine Familie kaum leben konnte. Und es scheint kein Ende zu nehmen mit der Schinderei: Um ein landwirtschaftliches College besuchen zu könnenen, muss er für Kost und Logis das Vieh seiner Verwandten versorgen, ehe er in seiner ungeheizten Dachkammer lernen kann. Nach zwei Semestern öffnet sich für ihn mit einem Sonett Shakespeares wie ein Wunder die Tür zu den Schätzen von Literatur und Philosophie. Endlich hat er gefunden, was er gesucht hat und was er nun beharrlich ergründen will. Er wechselt seine Studienfächer, und nachdem er sein Examen bestanden hat, erhält er auch einen bescheiden dotierten Lehrauftrag.
Es sind immer wieder die mit größtmöglicher Genauigkeit beschriebenen Bilder und Porträts, die sich einprägen, Szenen wie die beim fast wortlosen Abschied Stoners von seinen Eltern, von denen er sich unter Schmerzen entfremdet hat. Oder seine Erscheinung auf dem Campus: eine hagere, von harter Arbeit früh gebeugte Gestalt in einem abgetragenen dunklen Anzug, ein Außenseiter, der den Betrieb und jede Geselligkeit scheut, seine Pflichten aber gewissenhaft und oft mit ansteckender Begeisterung erfüllt. Ein durch und durch Bescheidener auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der nicht zuletzt deshalb Gelassenheit und Würde ausstrahlt.
Dass sein möglicher Aufstieg in eine höhere Gesellschaftsschicht durch die Ehe mit der Tochter eines Bankiers scheitert, ist vorauszusehen. Doch zum ersten Mal liebt er, alles andere ist ihm gleichgültig. Er versucht nur äußerlich, sich den Ansprüchen seiner Frau anzupassen. Nach einem Monat weiß er jedoch, dass er blind gewesen war, überwältigt von Gefühlen, die seine frigide Ehefrau nicht erwidert. Es gibt keinerlei Übereinstimmung zwischen den Eheleuten. Und die verwöhnte, frustrierte, zänkische Frau - sie ist nicht frei von schizoiden Zügen - entwickelt sich zu einem zerstörerischen Monster. Für Stoner beginnt ein intimes, fast lebenslanges Martyrium. Wehrlos nimmt er Demütigungen und Niedertracht hin. Selbst als die einzige Tochter, die er anfangs mit großer Liebe allein versorgt hat, von ihm ferngehalten wird, protestiert er nicht, auch nicht, als ihn seine Frau aus dem Haus drängt. Die Universitätsbibliothek und sein schmales Studierzimmer sind von nun an sein Refugium, in dem er forschen, entdecken und schreiben kann. Die großen Gestalten der Literatur werden ihm vertrauter als seine Familie und seine Kollegen an der Universität, wo nur ein einziger Freund zu ihm hält.
Mit Anfang vierzig fühlt er sich einsam und ausgebrannt. "Vor sich sah er nichts, auf das er sich zu freuen wünschte, und hinter sich nur wenig, woran er sich gern erinnerte." Doch dann wird er unerwartet durch eine neue Liebe von diesem "Gewicht der Verzweiflung" befreit. Als "Akt der Menschwerdung" empfindet er seine Vereinigung mit Katherine. Es gelingt ihm, mit ihr vertraut zu werden voller Hingabe, Zärtlichkeit und Ruhe. Sie sprechen eine gemeinsame Sprache und stimmen auch mit Lust beim gemeinsamen Lernen überein. "Wie alle Liebespaare redeten sie viel über sich selbst, als könnten sie so die Welt besser verstehen, die sie möglich gemacht hatte."
Einmal sprechen sie von ihrem Glück, doch da ahnen sie schon, dass es gefährdet ist durch die bigotte Moral der Universitätsgesellschaft in den sechziger Jahren. Vor der Zerstörung ihrer Existenzgrundlage scheuen sich beide. Selten ist eine Liebesbeziehung so zart und anrührend beschrieben worden. Sie endet lautlos und ohne jede Hoffnung im "Chaos des Möglichen". Stoner gibt Katherine auf wie sie ihn. Ihm bleibt die tröstliche Gewissheit, dass er wenigstens ein einziges Mal vollendetes Glück erfahren hat. Seine Resignation ist frei von Bitterkeit, doch sein Körper reagiert mit schwerer Krankheit. Danach vergräbt er sich mehr und mehr in seinem abgeschotteten Gelehrtendasein.
Gegen Ende seines Lebens findet er zurück zu Frau und Tochter. "Sie hatten sich das Leid vergeben, das sie einander zugefügt hatten, und betrachteten selbstversunken, was aus ihrem gemeinsamen Leben hätte werden können." Kurz vor seinem Tod zieht er ein Fazit. Er bekennt sich zu seinem Scheitern in der Ehe, aber auch zu seiner Wehrlosigkeit als Hochschullehrer gegenüber seinen intriganten Kollegen, die seine Karriere an der Hochschule verhindert hatten. Doch was er getan hat, hat er gern getan. Unfähig zu kämpfen, ist er sich doch selbst treu geblieben. Nein, er ist kein Versager, und das Eingeständnis von Schwäche ist keine Kapitulation, er behält seine Würde: "Mit plötzlicher Kraft fühlte er seine Macht. Er war er selbst, und er wusste, was er gewesen war."
John Williams ist nun als der große Unbekannte der amerikanischen Literatur entdeckt worden, sein "Stoner" gilt als Klassiker der Moderne. An der Qualität des Romans ist nicht zu zweifeln. Es sind gerade die leisen Töne und die tiefe menschliche Weisheit seines scheuen Helden, die ihn so liebenswert machen. Bleibt noch zu loben, dass der Übersetzer Bernhard Robben makellose Arbeit geleistet hat.
MARIA FRISÉ
John Williams: "Stoner". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013. 351 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013Der Brennstoff des Lebens
John Williams zählt zu den vergessenen Schriftstellern Amerikas. Sein Roman „Stoner“
ist eine Liebeserklärung an die Literatur und die beglückendste Wiederentdeckung dieser Saison
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Zu den Pflichtkursen am landwirtschaftlichen Kolleg der Universität von Missouri, an der William Stoner sich im Jahr 1910 einschreibt, gehört eine Einführung in die englische Literatur. Es war das einzige Seminar, das den 19-Jährigen „verstörte und beunruhigte“, und zwar „wie nichts zuvor“, heißt es im Buch. Fast wäre Stoner schon durchgefallen, obwohl keiner die Bücher auf der Lektüreliste so gründlich studiert hat wie er. Klarer als er selbst erkennt sein Englisch-Dozent, wie es um den Studenten steht: „Es ist Liebe, Mr Stoner. Sie sind verliebt. So einfach ist das.“
„Stoner“ von John Williams (1922-1994) ist ein Liebesroman, aber er handelt nicht nur von der Liebe eines Mannes zu einer Frau – das auch –, sondern von der selbstlosen Liebe zur Literatur. Und weil auch diese Liebe eine Himmelsmacht ist, bedarf es keiner Erklärung, weshalb William Stoner den Studiengang wechselt und Philosophie, Geschichte und englische Literatur belegt. Dass ihr einziger Sohn nicht auf die Farm zurückkehren wird, nehmen die Eltern schicksalsergeben hin wie eine Missernte oder eine Dürreperiode.
Auch John Williams kommentiert die Zäsur im Leben seines Protagonisten nicht. Dessen Entscheidung für die Welt der Literatur, so die implizite Botschaft, sei einfach als unhintergehbar zu akzeptieren, elementar wie ein Naturereignis. Und dass es eine Entscheidung fürs Leben ist, weiß der Leser schon von der ersten Seite an. Williams schickt seinem Roman einen kurzenLebensabriss voraus, aus dem hervorgeht, dass William Stoner bis zu seinem Tod im Jahr 1956 an seiner Heimat-Universität unterrichtet, es dort aber nie weiter bringt als bis zum Assistenzprofessor.
Schroffer freilich kann man die Erwartungen an einen Campus-Roman nicht zurückweisen. Statt pikanter Abenteuer im Studentenwohnheim und infamer Intrigen am Institut, wie man sie mit diesem Sujet verbindet, kündigt der Autor an, das traurige Leben eines erfolglosen Dozenten an einer Provinzklitsche zu erzählen, eines Puritaners durch und durch, der so grau ist wie der Stein, den er im Namen trägt. Dabei gibt es beides, Kabale und Liebe, sehr wohl in diesem großartigen Buch, das erstmals 1965 erschien. Erst eine Neuauflage in den Nullerjahren verhalf dem Roman jedoch zu der verdienten Beachtung. Jetzt liegt „Stoner“, von Bernhard Robben vorzüglich übersetzt, in einer deutschen Ausgabe vor, die es erlaubt, einen zu Unrecht vergessenen Autor zu entdecken.
Nach seinem Erstling „Nothing But the Night“ hat John Williams drei weitere Romane veröffentlicht. 1960 erschien „Butcher’s Crossing“, ein Anti-Western über die sinnlose Ausrottung der letzten Büffel. Dasselbe Motiv hat ein Jahr später Cormac McCarthy in seinem Roman „Die Abendröte im Westen“ aufgegriffen – beide Bücher sind Abgesänge auf den amerikanischen „Frontier“-Mythos. Mit „Augustus“, einem Briefroman im Stil von Robert Graves’ „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“, gewann Williams 1973 den National Book Award. Nach dem Zusammenhang zwischen „Stoner“ und „Augustus“ gefragt, sagte er, die Machtspiele an einer Universität seien kaum anders als im römischen Reich oder in Washington. Und mit dem Mikroklima der Universität war Williams, der bis zu seiner Emeritierung 1985 in Denver lehrte, bestens vertraut.
Dass er in „Stoner“ von einem so unbestechlichen wie uncharismatischen Lehrer erzählt, der wie er selbst aus einfachsten Verhältnissen stammt, lässt sich durchaus als Abwehrzauber verstehen. Williams spielt in diesem Roman seiner mittleren Jahre die schlimmstmögliche Wendung durch, die sein Leben hätte nehmen können. Um darzutun, wie hart man sich das Recht auf Außenseitertum erkämpfen muss, siedelt er seine Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an. Gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit, der mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg zusammenfällt, handelt sich Stoner die Verachtung seiner Kollegen ein. Denn er widersteht der Welle patriotischer Euphorie und lässt sich freistellen. Das belastet seine Karriere.
Ein weiteres Hemmnis stellt seine gefühlskalte Frau Edith dar, die das akademische Fortkommen ihres Mannes hintertreibt. Spiegelbildlich zum privaten Unglück verhält sich das berufliche. Als Stoner einen körperbehinderten Studenten in einer Prüfung durchfallen lässt, gilt er als voreingenommen. Und als er Trost in den Armen der Doktorandin Katherine sucht, manövriert er sich endgültig ins Abseits. Doch Stoner, dieses Inbild des stillen Dulders, ein stoischer Fackelträger des pädagogischen Eros, nimmt alle Rückschläge und Gängeleien hin, ohne je seine Pflichten zu vernachlässigen. In ihm hat John Williams eine Ikone der heroischen Beharrlichkeit geschaffen, so unvergesslich wie Herman Melvilles Bartleby. Vor der Zeit gealtert, stirbt Stoner mit einem Buch in der Hand, und dass es seine Dissertation ist, das einzige, was er je veröffentlicht hat, spielt dabei keine Rolle.
Obwohl dieser Roman einen Lebensweg schildert, der nicht weniger steinig ist als die Scholle, auf der die Farmer sich plagen, ist John Williams’ „Stoner“ ein Buch über die Liebe, wie es kein zweites gibt. Eine Zeile aus Shakespeares Sonett 73 könnte als Inschrift auf dem Grab des Titelhelden stehen: „In mir siehst Du die Glut von alten Bränden.“ Doch diese Fähigkeit zu unbedingter Hingabe ist für ihn kein Gnadenstand, sondern nichts Geringeres als „ein Akt der Menschwerdung“. „Dann liebten sie sich, lagen eine Weile still und machten sich schließlich wieder an ihre Studien, als wären Liebe und Lernen ein und dasselbe“, schreibt Williams über das kurze, verschattete Glück Stoners mit Katherine. Ein hämischer Student wandelt das Glaubensbekenntnis so ab: „Für Stoner sind Konjugation und Kopulation dasselbe.“
Um so wirkungsvoller ist John Williams’ Prosa, als sie auf Wirkung nicht zielt. Er wählt einen betont ungeschmeidigen, ja ledrigen Stil, dessen Genauigkeit den Lyriker verrät, der Williams auch war. Sein auslotender Erzählgestus aber ist erkennbar an Henry James geschult. „Der Ikonoklasmus braucht nicht laut und chaotisch zu sein“, hat er einmal gesagt. Ein Teil des Reizes, der von diesem Roman eines Poeta doctus und soignierten Bilderstürmers ausgeht, liegt in dieser Ungleichzeitigkeit: Thematisch steigt Williams in die modernen Mittelstands-Höllen eines John Updike herab, doch sind diese Höllen noch mit den fein gesponnenen Seidentapeten des 19. Jahrhunderts ausgeschlagen.
Unter den vielen Liebesgeschichten in diesem Herbst, Büchern von Uwe Timm und Martin Walser, Jo Lendle oder James Salter, dringt „Stoner“ am schmerzlichsten vor zum Glutkern des Seins. „Diese Leidenschaft“, heißt es einmal, „war weder eine des Verstandes noch des Fleisches, sondern vielmehr eine Kraft, die beides umschloss, als wären sie zusammen nichts anderes als der Stoff, aus dem die Liebe ist, ihre ganz spezifische Substanz. Angesichts einer Frau, eines Gedichts sagte sie einfach: Sieh her! Ich lebe.“
John Williams: Stoner. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. dtv, München 2013. 352 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Hier spielt ein Poeta doctus
durch, welche Wendung sein
Leben hätte nehmen können
An der Schwelle zur Hölle
der Moderne blickt der Autor
noch einmal zurück
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
John Williams zählt zu den vergessenen Schriftstellern Amerikas. Sein Roman „Stoner“
ist eine Liebeserklärung an die Literatur und die beglückendste Wiederentdeckung dieser Saison
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Zu den Pflichtkursen am landwirtschaftlichen Kolleg der Universität von Missouri, an der William Stoner sich im Jahr 1910 einschreibt, gehört eine Einführung in die englische Literatur. Es war das einzige Seminar, das den 19-Jährigen „verstörte und beunruhigte“, und zwar „wie nichts zuvor“, heißt es im Buch. Fast wäre Stoner schon durchgefallen, obwohl keiner die Bücher auf der Lektüreliste so gründlich studiert hat wie er. Klarer als er selbst erkennt sein Englisch-Dozent, wie es um den Studenten steht: „Es ist Liebe, Mr Stoner. Sie sind verliebt. So einfach ist das.“
„Stoner“ von John Williams (1922-1994) ist ein Liebesroman, aber er handelt nicht nur von der Liebe eines Mannes zu einer Frau – das auch –, sondern von der selbstlosen Liebe zur Literatur. Und weil auch diese Liebe eine Himmelsmacht ist, bedarf es keiner Erklärung, weshalb William Stoner den Studiengang wechselt und Philosophie, Geschichte und englische Literatur belegt. Dass ihr einziger Sohn nicht auf die Farm zurückkehren wird, nehmen die Eltern schicksalsergeben hin wie eine Missernte oder eine Dürreperiode.
Auch John Williams kommentiert die Zäsur im Leben seines Protagonisten nicht. Dessen Entscheidung für die Welt der Literatur, so die implizite Botschaft, sei einfach als unhintergehbar zu akzeptieren, elementar wie ein Naturereignis. Und dass es eine Entscheidung fürs Leben ist, weiß der Leser schon von der ersten Seite an. Williams schickt seinem Roman einen kurzenLebensabriss voraus, aus dem hervorgeht, dass William Stoner bis zu seinem Tod im Jahr 1956 an seiner Heimat-Universität unterrichtet, es dort aber nie weiter bringt als bis zum Assistenzprofessor.
Schroffer freilich kann man die Erwartungen an einen Campus-Roman nicht zurückweisen. Statt pikanter Abenteuer im Studentenwohnheim und infamer Intrigen am Institut, wie man sie mit diesem Sujet verbindet, kündigt der Autor an, das traurige Leben eines erfolglosen Dozenten an einer Provinzklitsche zu erzählen, eines Puritaners durch und durch, der so grau ist wie der Stein, den er im Namen trägt. Dabei gibt es beides, Kabale und Liebe, sehr wohl in diesem großartigen Buch, das erstmals 1965 erschien. Erst eine Neuauflage in den Nullerjahren verhalf dem Roman jedoch zu der verdienten Beachtung. Jetzt liegt „Stoner“, von Bernhard Robben vorzüglich übersetzt, in einer deutschen Ausgabe vor, die es erlaubt, einen zu Unrecht vergessenen Autor zu entdecken.
Nach seinem Erstling „Nothing But the Night“ hat John Williams drei weitere Romane veröffentlicht. 1960 erschien „Butcher’s Crossing“, ein Anti-Western über die sinnlose Ausrottung der letzten Büffel. Dasselbe Motiv hat ein Jahr später Cormac McCarthy in seinem Roman „Die Abendröte im Westen“ aufgegriffen – beide Bücher sind Abgesänge auf den amerikanischen „Frontier“-Mythos. Mit „Augustus“, einem Briefroman im Stil von Robert Graves’ „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“, gewann Williams 1973 den National Book Award. Nach dem Zusammenhang zwischen „Stoner“ und „Augustus“ gefragt, sagte er, die Machtspiele an einer Universität seien kaum anders als im römischen Reich oder in Washington. Und mit dem Mikroklima der Universität war Williams, der bis zu seiner Emeritierung 1985 in Denver lehrte, bestens vertraut.
Dass er in „Stoner“ von einem so unbestechlichen wie uncharismatischen Lehrer erzählt, der wie er selbst aus einfachsten Verhältnissen stammt, lässt sich durchaus als Abwehrzauber verstehen. Williams spielt in diesem Roman seiner mittleren Jahre die schlimmstmögliche Wendung durch, die sein Leben hätte nehmen können. Um darzutun, wie hart man sich das Recht auf Außenseitertum erkämpfen muss, siedelt er seine Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an. Gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit, der mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg zusammenfällt, handelt sich Stoner die Verachtung seiner Kollegen ein. Denn er widersteht der Welle patriotischer Euphorie und lässt sich freistellen. Das belastet seine Karriere.
Ein weiteres Hemmnis stellt seine gefühlskalte Frau Edith dar, die das akademische Fortkommen ihres Mannes hintertreibt. Spiegelbildlich zum privaten Unglück verhält sich das berufliche. Als Stoner einen körperbehinderten Studenten in einer Prüfung durchfallen lässt, gilt er als voreingenommen. Und als er Trost in den Armen der Doktorandin Katherine sucht, manövriert er sich endgültig ins Abseits. Doch Stoner, dieses Inbild des stillen Dulders, ein stoischer Fackelträger des pädagogischen Eros, nimmt alle Rückschläge und Gängeleien hin, ohne je seine Pflichten zu vernachlässigen. In ihm hat John Williams eine Ikone der heroischen Beharrlichkeit geschaffen, so unvergesslich wie Herman Melvilles Bartleby. Vor der Zeit gealtert, stirbt Stoner mit einem Buch in der Hand, und dass es seine Dissertation ist, das einzige, was er je veröffentlicht hat, spielt dabei keine Rolle.
Obwohl dieser Roman einen Lebensweg schildert, der nicht weniger steinig ist als die Scholle, auf der die Farmer sich plagen, ist John Williams’ „Stoner“ ein Buch über die Liebe, wie es kein zweites gibt. Eine Zeile aus Shakespeares Sonett 73 könnte als Inschrift auf dem Grab des Titelhelden stehen: „In mir siehst Du die Glut von alten Bränden.“ Doch diese Fähigkeit zu unbedingter Hingabe ist für ihn kein Gnadenstand, sondern nichts Geringeres als „ein Akt der Menschwerdung“. „Dann liebten sie sich, lagen eine Weile still und machten sich schließlich wieder an ihre Studien, als wären Liebe und Lernen ein und dasselbe“, schreibt Williams über das kurze, verschattete Glück Stoners mit Katherine. Ein hämischer Student wandelt das Glaubensbekenntnis so ab: „Für Stoner sind Konjugation und Kopulation dasselbe.“
Um so wirkungsvoller ist John Williams’ Prosa, als sie auf Wirkung nicht zielt. Er wählt einen betont ungeschmeidigen, ja ledrigen Stil, dessen Genauigkeit den Lyriker verrät, der Williams auch war. Sein auslotender Erzählgestus aber ist erkennbar an Henry James geschult. „Der Ikonoklasmus braucht nicht laut und chaotisch zu sein“, hat er einmal gesagt. Ein Teil des Reizes, der von diesem Roman eines Poeta doctus und soignierten Bilderstürmers ausgeht, liegt in dieser Ungleichzeitigkeit: Thematisch steigt Williams in die modernen Mittelstands-Höllen eines John Updike herab, doch sind diese Höllen noch mit den fein gesponnenen Seidentapeten des 19. Jahrhunderts ausgeschlagen.
Unter den vielen Liebesgeschichten in diesem Herbst, Büchern von Uwe Timm und Martin Walser, Jo Lendle oder James Salter, dringt „Stoner“ am schmerzlichsten vor zum Glutkern des Seins. „Diese Leidenschaft“, heißt es einmal, „war weder eine des Verstandes noch des Fleisches, sondern vielmehr eine Kraft, die beides umschloss, als wären sie zusammen nichts anderes als der Stoff, aus dem die Liebe ist, ihre ganz spezifische Substanz. Angesichts einer Frau, eines Gedichts sagte sie einfach: Sieh her! Ich lebe.“
John Williams: Stoner. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. dtv, München 2013. 352 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Hier spielt ein Poeta doctus
durch, welche Wendung sein
Leben hätte nehmen können
An der Schwelle zur Hölle
der Moderne blickt der Autor
noch einmal zurück
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