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Als vor 50 Jahren die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse begannen, verband sich damit auch die Hoffnung auf eine neue moralische Qualität in den internationalen Beziehungen. Die Täter von Kriegsverbrechen, Menschlichkeitsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden sollten sich nicht länger hinter der Anonymität des Staates verbergen können, sondern individuell für ihre Taten verantwortlich gemacht werden. Die Nürnberger Prozesse sind ein Präzedenzfall geblieben. Dies nicht etwa, weil die Welt insgesamt friedlicher geworden wäre. Vielmehr scheiterten weitere internationale…mehr

Produktbeschreibung
Als vor 50 Jahren die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse begannen, verband sich damit auch die Hoffnung auf eine neue moralische Qualität in den internationalen Beziehungen. Die Täter von Kriegsverbrechen, Menschlichkeitsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden sollten sich nicht länger hinter der Anonymität des Staates verbergen können, sondern individuell für ihre Taten verantwortlich gemacht werden.
Die Nürnberger Prozesse sind ein Präzedenzfall geblieben. Dies nicht etwa, weil die Welt insgesamt friedlicher geworden wäre. Vielmehr scheiterten weitere internationale Strafgerichtsverfahren nach dem Vorbild von Nürnberg an dem Selbstverständnis der Staaten, die trotz zunehmender weltweiter Organisiertheit die erforderliche Beschränkung ihrer nationalen Souveränität ablehnten.
Die Diskussion über eine internationale Strafgerichtsbarkeit verebbte jedoch nie ganz. Sie war allerdings beschränkt auf einen kleinen Kreis von Völkerrechtsexperten, die - von der Öffentlichkeit gänzlic h unbeachtet - in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Entwürfen vorlegten. Es bedurfte erst des grausamen Krieges im ehemaligen Jugoslawien und weltweiter Empörung ob der dort begangenen Verbrechen, um das Thema einer internationalen Strafgerichtsbarkeit wieder auf die weltpolitische Tagesordnung zu setzen.
Nicht nur der runde Jahrestag der Nürnberger Prozesse, sondern auch und vor allem die beklemmende Realität von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in vielen anderen Ländern werfen daher die Frage auf, was eine internationale Strafgerichtsbarkeit heute zu leisten vermag. Ist sie überhaupt in der Lage, zur Lösung oder Verhinderung von bewaffneten Konflikten beizutragen, oder wird sie der politischen Opportunität geopfert, vornehmlich dann, wenn sie vermeintlich diplomatischen Lösungen oder sogenannten übergeordneten politischen Interessen im Wege steht?
Der vorliegende Band informiert aus jeweils unterschiedlichen Problemstellungen heraus.
Autorenporträt
Dr. jur. Gerd Hankel, geboren 1957, Sprachwissenschaftler und Jurist, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995

Völkerrecht oder Aberglaube
Menschheitsverbrechen: Man kann nur staunen, was alles streng verboten ist

Gerd Hankel, Gerhard Stuby (Herausgeber): Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen. Hamburger Edition, Hamburg 1995. 536 Seiten, 68,- Mark.

Mord wird bestraft, Völkermord nicht. Die kriminellen Energien müssen nur astronomische Dimensionen annehmen, schreibt der Kriminologe Herbert Jäger, dann kapituliert das Strafrecht von selbst. Trägt der Mörder eine Uniform, einen Talar, einen Beamtenrock, kleidet sich die Vernichtungswut in einen obrigkeitlichen Befehl oder ein staatliches Gesetz, dient die Menschenfeindlichkeit dem Selbstbehauptungswillen einer Despotie und macht sie sich die Ungerechtigkeit zur Regel, dann ist deren Strafverfolgung mattgesetzt. Strafsanktionen durchzusetzen ist Staatsangelegenheit. Ist es ein Unrechtsstaat, bringt ihn gewöhnlich keine Macht der Welt vor die Schranken der Justiz. Die Justiz ist der Verbrecher selber, darin besteht das perfekte Verbrechen. Es parodiert Gesetze und ist von ihnen nicht klar zu unterscheiden.

Hilfsorgan

Hier wäre ein Hilfsorgan vonnöten, eine Instanz der ausgleichenden Gerechtigkeit. Die notorische Straflosigkeit der schlimmstmöglichen Greuel verstört das internationale Publikum. Eine Weltpolizei und ein Völkerstrafrecht müßten eingreifen. Das letztere ist auf dem Papier schon weit gediehen; Gerd Hankel und Gerhard Stuby haben aus Anlaß des 50. Jahrestages des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses einen stattlichen Sammelband herausgebracht mit dem neuesten Stand. Man kann nur staunen, was alles streng verboten ist. Sanitätsluftfahrzeuge sind seit 1977 auch geschützt. Im Krieg dürfen dem Zivil weder Wasser noch Strom abgeschnitten werden. Willkürliche Arreste, Zufügung schweren seelischen Schadens, erniedrigende Behandlung, grobe Verletzungen der persönlichen Würde, Maßnahmen zur Geburtenverhinderung sind zu unterlassen, Kinder und Kulturdenkmäler absolut zu schonen. Die UN-Völkerrechtskommission arbeitet zudem seit knapp 50 Jahren an noch weiter gehenden Strafvorschriften, welche so bedauerliche Gewohnheiten wie die Finanzierung terroristischer Aktivitäten und die Entsendung bewaffneter Banden in Nachbarländer pönalisiert.

Durch die höchst informativen Beiträge der amerikanischen, französischen, deutschen, österreichischen und südafrikanischen Völkerrechtler ziehen sich indessen Spuren tiefer Melancholie. Die Verbote seien ohne Biß, die Regierungen scherten sich nicht um die Vorschläge, nähmen selten davon Notiz, die UN verschleppten Beschlüsse. Dagegen fallen die Tröstungen matt aus. Moderne Rechtspolitik ziele nicht primär auf Strafe und "Gegenschlag", sondern auf die Schärfung des Gewissens. Armeeführern wird nach dem Genfer Zusatzprotokoll I Art. 87 von ihren Rechtsverstößen Kunde gegeben. Das ist die Post, auf die Saddam und Mladic warten! Rechtsgrundsätze, schreibt François Rigaux, dienten der Orientierung, verlören allerdings angesichts völligen Fehlens juristischer Sanktionen ihre Rechtsnatur. Sie werden Traktate.

Eine scheue Hoffnung wird allgemein auf das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal gesetzt. Ein halbes Jahrhundert nach Nürnberg sitzen Richter wieder einmal außer Haus zu Gericht und konstituieren die Völkergemeinschaft als Rechtsgemeinschaft. Kleinlauter, ärmlicher, klösterlicher, doch ohne das hohle Pathos von damals. Es war ein ungutes Beginnen, daß dort die Herren des GULag den Herren von Auschwitz die Menschenrechte buchstabierten. Auch der UN-Sicherheitsrat, creator spiritus der zwei neuen Tribunale, empfiehlt sich kaum als Treuhänder des Völkerrechts. Es gibt nur keinen besseren. "Auf der Suche nach territorialen Kompromissen", schreibt Géraud de Gouffre zum Bosnien-Friedensplan, "hat der Sicherheitsrat Eroberungen gebilligt, die durch verbrecherische Aktionen erzielt wurden. Diese Aktionen aber soll nun eine von demselben Sicherheitsrat eingesetzte Justiz untersuchen."

Die Justiz hat in der Politik eine Konkurrentin von immanenter Lebenstüchtigkeit. Das Jugoslawien-Tribunal ist gegründet auf Abschnitt VII der UN-Charta, welcher die "Wiederherstellung des Friedens" regelt. Das mag durch Zugeständnisse an den Aggressor weit schneller passieren als durch Festnahme. Seine Vergewaltigungstruppe käme ohne Blessuren, die sie verabscheut, ans Ziel, und so wäre auch die Kette der Greuel zu beenden. Wer nachgibt, befriedet. Die Strafdrohung hingegen erbittert den Täter, und solange die Friedenspolizisten gegen ihn neutral bleiben, will nicht einleuchten, was die Schandtaten aufhält, wenn nicht die Korruption. Solange Staatsverbrecher politisch korrumpierbar sind, wird der angestrebte Internationale Strafgerichtshof an den hohen Polizeiausgaben scheitern. Die Prämiierung des Straftäters ist das Preiswertere.

So schält es sich unleugbar heraus, daß die Nürnberger Prozesse kein Präzedenzfall waren, sondern ein Ausnahmefall. "Die Behauptung", schreibt Cherif Bassiouni, "bei den Nürnberger und Tokioter Prozessen habe es sich um Siegerjustiz gehandelt, gewinnt an Glaubwürdigkeit." Das darum, weil Verlierer und Nichtstuer zu einer Strafjustiz nicht imstande sind. Sie setzt eine Autorität voraus, welche die Anarchie überwältigt, Normen aufstellt und Verletzer zur Strecke bringt. Insoweit das in Nürnberg geschah, ist es ein bis heute wohltuender Anblick. Gerichtsherr war allerdings die Besatzungsmacht am Platze, das heißt die amtierende Staatsgewalt. Und keiner der Rechtsgelehrten weiß zu sagen, wer den Souverän eines ordentlichen, eines ständigen internationalen Kriminalgerichts spielen soll.

Gelegentlich wird unter nationaler Gerichtshoheit nach Völkerrechtssätzen geurteilt. Wenn, wie den Deutschen bereits zweimal widerfahren, der Rechtsstaat Menschenrechtsverletzungen krimineller Vorgängerstaaten abstraft, gerät er unter Legitimationsdruck. Die Jurisprudenz bemängelt das mehr oder minder kaschierte rückwirkende Strafen. Im Unrechtsstaat ist die Kriminalität gesetzlich abgesichert. Katheder und Stammtisch maulen, daß, was dazumal als Recht proklamiert, nicht rückwirkend Unrecht heißen darf. Dies wäre besonders rufschädigend für die juristische Zunft.

Um das Rückwirkungsverbot zu unterlaufen, behauptet der Rechtsstaat, die legale Regierungskriminalität sei immer illegal gewesen. Sie verstieß nämlich gegen einen Stapel internationaler Konventionen, Resolutionen und Brauchtümer. Was zulässig und was verboten ist, steht alles nachzulesen! Bernhard Graefrath, Leiter der Völkerrechtsabteilung an der Akademie der Wissenschaften der DDR, erläutert zugunsten seines Renommees und dem der Mauerschützen, wie man sich solcher Pflichten rechtzeitig entschlägt. Die DDR hat unangenehme Verträge ratifiziert, doch nicht transformiert in Landesrecht. Das ist regelwidrig, darauf kommt es aber nicht an. Die Landsassen braucht untransformiertes Völkerrecht nicht zu kümmern. Es ist ein ferner Luftballon. So macht man das! Die Bundesrepublik kann Graefrath einstweilen nicht folgen, weil sie seit 45 Jahren Nazis nach Völkerrechtssätzen aburteilt, die Hitler vorsorglich auch nicht transformiert hatte. Es ist, nebenbei, ein befremdliches Erlebnis, die antifaschistische Elite der DDR von Krenz bis Wolf zum 50. Jahrestag des Nürnberger Prozeßbeginns wie die Papageien Görings und Ribbentrops Verteidigungsargumente nachplappern zu sehen.

Westdeutschland, das hätte man gerne an irgendeiner Stelle des Sammelbandes gelesen, steht mit Nürnberg ebenfalls auf schlechtem Fuß. Wie ein Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 9. Januar 1995 (gE 2 ARs 59/58) richtig feststellt, wollte die Bundesrepulik die alliierten Kriegsverbrecherurteile "nicht anerkennen, weil sie rechtliche Bedenken wegen der Art hatte, in der ein Teil dieser Urteile zustande gekommen war, und wegen des sachlichen Rechts, auf dem sie beruhten".

Das Völkerrecht hat nur so lange Freunde, wie es nicht viel zustande bringt. Immerhin hat die Bundesrepublik im Kern nach internationalem Recht eine einzigartige Judikatur gegen Hitlerschergen fertiggebracht, ungern, aber mit Zähigkeit. Herbert Ostendorf, der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt, beginnt seine Abhandlung über dieses Justizkapitel mit der offiziellen Statistik von 6489 Verurteilungen. Diese stets herumgereichte Zahl ist grob irreführend, und man sollte sie endlich richtigstellen. 88 Prozent der fraglichen Urteile sind in den ersten Nachkriegsjahren wegen Bagatelldelikten, zumeist Körperverletzung, ergangen. Die Tötungsverbrechen des Dritten Reiches haben rund 800 Urteile nach sich gezogen, davon 180 wegen Mordtäterschaft. Auf die Judenvernichtung entfällt davon weniger als die Hälfte. Das wiederum ist weit mehr, als die Genozide gemeinhin an Rechtsfolgen riskieren. Die Völkermordkonvention, die alle Staaten seit 1948 zur internationalen Fahndung und Ahndung verpflichtet, ist bisher ebenfalls pure Deklamation geblieben.

Vollzugsformen

Damit etwas zu Recht wird, braucht es aber schlüssige, berechenbare und gleiche Vollzugsformen. In einem bemerkenswerten Aufsatz stellt Christian Tomuschat darum die Herrschaftsfrage an den Anfang. Auf welchem Felde will die Staatenfamilie Recht herrschen lassen und wo den Dschungel? Existiert ein Zivilisationsminimum, dem die Welt Geltung verschaffen möchte? Einen machtgeschützten Raum, in dem etwa der Gefahr, von enthusiastischen Völkermördern beseitigt zu werden, begegnet wird. Nürnberg war doch die Antwort auf einen Aggressor, den die Welt zu guter Letzt nicht mehr erdulden wollte.

Tomuschat schlägt vor, anstelle von üppigen Katalogen wünschenswerter Verbote eine Grenze der Duldsamkeit zu ziehen. Eine Linie, an welcher die Zivilisation verteidigungsbereit ist und notfalls aufmarschiert. Das wäre nur zugunsten einer Handvoll von Elementargütern zu erwarten. Die Staatenwelt soll ermitteln, welchen Werten sie Rechtsschutz gewährt. Findet sie solche, dann wird sie Organe schaffen, mühsam, querulant, aber doch erkennbar. Findet sie keine und beauftragt sie weitere 50 Jahre Findungskommissionen, sollte man das Institut des Völkerrechts dem Aberglauben zurechnen. JÖRG FRIEDRICH

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