Im Sommer 1972, in dem die Amerikaner Nordvietnam bombardieren, bereitet Ernst, der sich nach seinem Idol von den Rolling Stones Mick nennt, mit seinen Freunden im Strandbad die Revolution vor. Während sein Vater meistens in der Garage beschäftigt ist und seine Mutter die Tiefkühltruhe zum Bersten anfüllt, sollte Mick eigentlich für die Französisch-Nachprüfung lernen, lässt sich jedoch von zwei bislang im Bad noch nie gesichteten Mädchen ablenken. Doch schließlich endet dieser Sommer nicht nur für Candy, den jüngsten der Freunde, mit einer Katastrophe. Kurt Palm erzählt, wie lange ein Sommer in der Provinz in Österreich sein kann und wie kurz und unerbittlich das Leben.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.03.2017Böser Mond
Kurz nur rebellierte die Jugend im Österreich der frühen Siebziger. Kurt Palm erzählt davon in „Strandbad Revolution“
Es war 1972, da war er gerade mal 17, als ihm bewusst wurde, „dass es zur Revolution keine Alternative gab“. Er hieß Ernst, aber nannte sich Mick, wegen der Rolling Stones, ähnlich wie sein Freund Heinrich, der sich Hendrix nannte. Siegfried, für Freunde Candy, stahl seine Bücher in der örtlichen Buchhandlung, wo auch Mick einen Adorno mitgehen ließ, den er vergeblich zu verstehen versuchte. Es hatte, inmitten einer verschlafenen österreichischen Provinz, die Zeit des Erwachens begonnen. Mick plante mit seiner Freizeit- Gang eine politische Aktion gegen den Spießerschlaf und versuchte bei Mädchen als Mann zu bestehen, was nicht immer rund lief. Aber eigentlich war das wirkliche Problem seines Lebens die Französisch-Nachprüfung am Ende des Sommers. Trotzdem notierte er bedeutungsschwanger in sein Tagebuch, dessen baldige Veröffentlichung ihm dringend erschien: „man fragt sich, warum es leid gibt. antwort: ich weiß es nicht.“
Kurt Palms Roman „Strandbad Revolution“ erzählt in ironischer Manier von der Komödie des Erwachsenwerdens in der Revolte-Zeit, von der Nervosität der Männchen und der Gelassenheit der Mädchen unter der Glocke des Stumpfsinns autoritären Familienlebens und dem ganzen Mief allgemein. Man kennt Stoff und Verfahren mit Bezug auf jeweils verschiedene Jahrzehnte ausreichend, von Jürgen Theobaldy („Sonntags Kino“) oder Leander Haußmann („Sonnenallee“) bis Rocko Schamoni („Dorfpunks“).
Dass Kurt Palm, eine der Ikonen des Wiener Kulturlebens, sich allein mit einer Rückblende und ein bisschen Autobiografie als Hintergrund begnügt, war nicht zu befürchten. Er hat sich schon Mitte der 1990er-Jahre mit seiner gefeierten Fernsehproduktion „Phettbergs Nette Leit Show“, das absolute Freak-Format mit dem schwergewichtigen Wiener Privatgelehrten Phettberg als Moderator, als Heroe des Trash positioniert, mit Filmen wie „In Schwimmen-Zwei-Vögel“ (nach dem Roman von Flann O’Brian) als Avantgardist, hat Theater und Opern inszeniert. Jetzt erzählt er eigentlich von einer positiven Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung auf Veränderung. Aber er lässt sie durch Personen, Ort und Umstände nicht nur als nahezu kindisch erscheinen, sein „fabula docet“lautet: In den guten Zeiten werden die schlechten geboren. Von den Bands und Songs, auf die sich seine Jugendlichen beziehen, erscheint ein Lied hauptsächlich. Es ist ein Hit der Creedence Clearwater Revival: „Bad Moon Rising“. Palms Generation: Das sind heute die Verlierer schlechthin – in einem gesellschaftlichen Sinn.
Aber diese Niederlage ist nichts gegen die Schläge des Schicksals. Dadurch erst geht ein böser Mond auf für Mick. Kurze Vorschaupassagen auf das spätere Leben zeigen, was in Micks Dasein wirklich einschlägt, es ist nicht die Restauration, sondern der Tod der Mutter, der frühe Tod des Bruders, der Selbstmord seines Freundes Siegfried, der sich Candy nannte. Selbst ein Mädchen, in das er sich gerade verliebt hat, verschwindet über Nacht mit seinen Eltern aus dem Österreich-Urlaub, offenbar wegen eines Todesfalles in der Familie. Nur bei Candys Tragödie spielt das politische Klima, die verheerende Wirkung seines Betonkopf-Vaters, noch eine Rolle, weshalb Mick seine Gefühle vor dem offenen Grab mit Blick auf die ausdruckslose Miene des Vaters so beschreibt: „Du Nazi Sau, dachte ich angewidert.“
Ein noch üblerer Mond wird eine kleine Zeit später über Rocko Schamonis Dorfpunks aufgehen. Da wendet sich bereits alles zum halbwegs Psychopathischen, in dunkle Verzweiflung, Gewalt und Selbstbeschädigung. Dagegen geht es bei Palm noch relativ lustig zu, wenn von den absurden Streitereien des Großvaters mit seinem Nachbarn erzählt wird, der den Opa schließlich erschießt. Oder von einer Fahrt in den Familienurlaub mit dem uralten Opel Rekord des Vaters, der am Wurzenpass hängen bleibt. Aber so komisch das auch sein mag, die politischen Vergangenheiten der älteren Männer scheinen dubios zu sein. Oder warum bekommt etwa der Großvater Einladungen zu einem „Treffen der Stalingradkämpfer mit Unterhaltungsmusik und kleinem Buffet“, obwohl er selber doch gar nicht in Stalingrad war.
Aber dies alles hat sich inzwischen erledigt. Die älteren sind tot, die Träume der Jungen vorbei. Wahrscheinlich liegen jetzt brave Kleinfamilien im Strandbad und berichten darüber auf Facebook. Das ist kein Stoff mehr, aus dem man Bücher machen könnte.
HELMUT SCHÖDEL
Kurt Palm: Strandbad Revolution. Roman. Deuticke Verlag, Wien 2017. 256 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kurz nur rebellierte die Jugend im Österreich der frühen Siebziger. Kurt Palm erzählt davon in „Strandbad Revolution“
Es war 1972, da war er gerade mal 17, als ihm bewusst wurde, „dass es zur Revolution keine Alternative gab“. Er hieß Ernst, aber nannte sich Mick, wegen der Rolling Stones, ähnlich wie sein Freund Heinrich, der sich Hendrix nannte. Siegfried, für Freunde Candy, stahl seine Bücher in der örtlichen Buchhandlung, wo auch Mick einen Adorno mitgehen ließ, den er vergeblich zu verstehen versuchte. Es hatte, inmitten einer verschlafenen österreichischen Provinz, die Zeit des Erwachens begonnen. Mick plante mit seiner Freizeit- Gang eine politische Aktion gegen den Spießerschlaf und versuchte bei Mädchen als Mann zu bestehen, was nicht immer rund lief. Aber eigentlich war das wirkliche Problem seines Lebens die Französisch-Nachprüfung am Ende des Sommers. Trotzdem notierte er bedeutungsschwanger in sein Tagebuch, dessen baldige Veröffentlichung ihm dringend erschien: „man fragt sich, warum es leid gibt. antwort: ich weiß es nicht.“
Kurt Palms Roman „Strandbad Revolution“ erzählt in ironischer Manier von der Komödie des Erwachsenwerdens in der Revolte-Zeit, von der Nervosität der Männchen und der Gelassenheit der Mädchen unter der Glocke des Stumpfsinns autoritären Familienlebens und dem ganzen Mief allgemein. Man kennt Stoff und Verfahren mit Bezug auf jeweils verschiedene Jahrzehnte ausreichend, von Jürgen Theobaldy („Sonntags Kino“) oder Leander Haußmann („Sonnenallee“) bis Rocko Schamoni („Dorfpunks“).
Dass Kurt Palm, eine der Ikonen des Wiener Kulturlebens, sich allein mit einer Rückblende und ein bisschen Autobiografie als Hintergrund begnügt, war nicht zu befürchten. Er hat sich schon Mitte der 1990er-Jahre mit seiner gefeierten Fernsehproduktion „Phettbergs Nette Leit Show“, das absolute Freak-Format mit dem schwergewichtigen Wiener Privatgelehrten Phettberg als Moderator, als Heroe des Trash positioniert, mit Filmen wie „In Schwimmen-Zwei-Vögel“ (nach dem Roman von Flann O’Brian) als Avantgardist, hat Theater und Opern inszeniert. Jetzt erzählt er eigentlich von einer positiven Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung auf Veränderung. Aber er lässt sie durch Personen, Ort und Umstände nicht nur als nahezu kindisch erscheinen, sein „fabula docet“lautet: In den guten Zeiten werden die schlechten geboren. Von den Bands und Songs, auf die sich seine Jugendlichen beziehen, erscheint ein Lied hauptsächlich. Es ist ein Hit der Creedence Clearwater Revival: „Bad Moon Rising“. Palms Generation: Das sind heute die Verlierer schlechthin – in einem gesellschaftlichen Sinn.
Aber diese Niederlage ist nichts gegen die Schläge des Schicksals. Dadurch erst geht ein böser Mond auf für Mick. Kurze Vorschaupassagen auf das spätere Leben zeigen, was in Micks Dasein wirklich einschlägt, es ist nicht die Restauration, sondern der Tod der Mutter, der frühe Tod des Bruders, der Selbstmord seines Freundes Siegfried, der sich Candy nannte. Selbst ein Mädchen, in das er sich gerade verliebt hat, verschwindet über Nacht mit seinen Eltern aus dem Österreich-Urlaub, offenbar wegen eines Todesfalles in der Familie. Nur bei Candys Tragödie spielt das politische Klima, die verheerende Wirkung seines Betonkopf-Vaters, noch eine Rolle, weshalb Mick seine Gefühle vor dem offenen Grab mit Blick auf die ausdruckslose Miene des Vaters so beschreibt: „Du Nazi Sau, dachte ich angewidert.“
Ein noch üblerer Mond wird eine kleine Zeit später über Rocko Schamonis Dorfpunks aufgehen. Da wendet sich bereits alles zum halbwegs Psychopathischen, in dunkle Verzweiflung, Gewalt und Selbstbeschädigung. Dagegen geht es bei Palm noch relativ lustig zu, wenn von den absurden Streitereien des Großvaters mit seinem Nachbarn erzählt wird, der den Opa schließlich erschießt. Oder von einer Fahrt in den Familienurlaub mit dem uralten Opel Rekord des Vaters, der am Wurzenpass hängen bleibt. Aber so komisch das auch sein mag, die politischen Vergangenheiten der älteren Männer scheinen dubios zu sein. Oder warum bekommt etwa der Großvater Einladungen zu einem „Treffen der Stalingradkämpfer mit Unterhaltungsmusik und kleinem Buffet“, obwohl er selber doch gar nicht in Stalingrad war.
Aber dies alles hat sich inzwischen erledigt. Die älteren sind tot, die Träume der Jungen vorbei. Wahrscheinlich liegen jetzt brave Kleinfamilien im Strandbad und berichten darüber auf Facebook. Das ist kein Stoff mehr, aus dem man Bücher machen könnte.
HELMUT SCHÖDEL
Kurt Palm: Strandbad Revolution. Roman. Deuticke Verlag, Wien 2017. 256 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Mit Witz, aber niemals nach dem Kalauer schielend erzählt Palm." Michael Wurmitzer, Der Standard, 08.04.17
"Palm nimmt seine Figuren ernst, ihren Liebeskummer, ihre Leidenschaft für Musik und ihre Sorge um die Welt, während die USA Nordvietnam bombardieren. ... Man hätte von Palm ein groteskes Pointenfeuerwerk erwartet, umso mehr überrascht der feinsinnige Humor, der sich aus den recht lakonisch dargestellten Situationen und Dialogen ergibt." Friederike Leibl, Presse am Sonntag, 26.02.17
"Kurt Palm amüsiert mit 'Strandbadrevolution' sehr. ... Seine Witze sind mitunter erbarmungslos." Peter Pisa, Kurier, 25.02.17
"Kurt Palms Roman erzählt in ironischer Manier von der Komödie des Erwachsenwerdens in der Revolte-Zeit, von der Nervosität der Männchen und der Gelassenheit der Mädchen unter der Glocke des Stumpfsinns autoritären Familienlebens und dem ganzen Mief allgemein." Helmut Schödel, Süddeutsche Zeitung, 01.03.17
"Eine Hommage auf Tagträumerei, jugendliche Unbeschwertheit, die Härte des Schicksals und die ungeheure Macht der Musik." Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten, 02.03.17
"Mit 'Strandbadrevolution' legt Palm ein überraschend ernsthaftes, stringentes Erzählwerk vor, in dem er zwischen Komik und Tragik pendelt." Sebastian Fasthuber, Falter, 19.04.17
"Ein Buch, so abwechslungreich wie die Pubertät selbst." Lina Brünig, WDR5 Bücher, 06.05.17
"Palm nimmt seine Figuren ernst, ihren Liebeskummer, ihre Leidenschaft für Musik und ihre Sorge um die Welt, während die USA Nordvietnam bombardieren. ... Man hätte von Palm ein groteskes Pointenfeuerwerk erwartet, umso mehr überrascht der feinsinnige Humor, der sich aus den recht lakonisch dargestellten Situationen und Dialogen ergibt." Friederike Leibl, Presse am Sonntag, 26.02.17
"Kurt Palm amüsiert mit 'Strandbadrevolution' sehr. ... Seine Witze sind mitunter erbarmungslos." Peter Pisa, Kurier, 25.02.17
"Kurt Palms Roman erzählt in ironischer Manier von der Komödie des Erwachsenwerdens in der Revolte-Zeit, von der Nervosität der Männchen und der Gelassenheit der Mädchen unter der Glocke des Stumpfsinns autoritären Familienlebens und dem ganzen Mief allgemein." Helmut Schödel, Süddeutsche Zeitung, 01.03.17
"Eine Hommage auf Tagträumerei, jugendliche Unbeschwertheit, die Härte des Schicksals und die ungeheure Macht der Musik." Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten, 02.03.17
"Mit 'Strandbadrevolution' legt Palm ein überraschend ernsthaftes, stringentes Erzählwerk vor, in dem er zwischen Komik und Tragik pendelt." Sebastian Fasthuber, Falter, 19.04.17
"Ein Buch, so abwechslungreich wie die Pubertät selbst." Lina Brünig, WDR5 Bücher, 06.05.17