Winner, Christianity Today 2015 Book Award in History/Biography
Shortlisted for the PEN/Jacqueline Bograd Weld Award for Biography
In the decades since his execution by the Nazis in 1945, Dietrich Bonhoeffer, the German pastor, theologian, and anti-Hitler conspirator, has become one of the most widely read and inspiring Christian thinkers of our time. With unprecedented archival access and definitive scope, Charles Marsh captures the life of this remarkable man who searched for the goodness in his religion against the backdrop of a steadily darkening Europe. From his brilliant student days in Berlin to his transformative sojourn in America, across Harlem to the Jim Crow South, and finally once again to Germany where he was called to a ministry for the downtrodden, we follow Bonhoeffer on his search for true fellowship and observe the development of his teachings on the shared life in Christ. We witness his growing convictions and theological beliefs, culminating in his vocal denunciation of Germany s treatment of the Jews that would put him on a crash course with Hitler. Bringing to life for the first time this complex human being his substantial flaws, inner torment, the friendships and the faith that sustained and finally redeemed him Strange Glory is a momentous achievement.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Shortlisted for the PEN/Jacqueline Bograd Weld Award for Biography
In the decades since his execution by the Nazis in 1945, Dietrich Bonhoeffer, the German pastor, theologian, and anti-Hitler conspirator, has become one of the most widely read and inspiring Christian thinkers of our time. With unprecedented archival access and definitive scope, Charles Marsh captures the life of this remarkable man who searched for the goodness in his religion against the backdrop of a steadily darkening Europe. From his brilliant student days in Berlin to his transformative sojourn in America, across Harlem to the Jim Crow South, and finally once again to Germany where he was called to a ministry for the downtrodden, we follow Bonhoeffer on his search for true fellowship and observe the development of his teachings on the shared life in Christ. We witness his growing convictions and theological beliefs, culminating in his vocal denunciation of Germany s treatment of the Jews that would put him on a crash course with Hitler. Bringing to life for the first time this complex human being his substantial flaws, inner torment, the friendships and the faith that sustained and finally redeemed him Strange Glory is a momentous achievement.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2015Gegen die Verhakenkreuzung des Kreuzes
Der Weg des an sich unpolitischen Glaubenskämpfers Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen Hitler
"Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden", stellte Dietrich Bonhoeffer, heute vielleicht der weltweit anerkannteste und berühmteste deutsche Theologe, Anfang 1943 anlässlich des zehnten Jahrestags von Hitlers "Machtergreifung" in einem Rundschreiben an seine Freunde fest. Zu diesem Zeitpunkt waren die unbeirrbaren Streiter im Kirchenkampf bereits zu einer kleinen Schar geschrumpft. Im Kampf gegen die Verhakenkreuzung des Kreuzes hatten sie sich aufgerieben. Erst nach 1945 wurde Bonhoeffers Bedeutung entdeckt, denn nun galt er als Zeuge einer unbeugsamen Haltung angesichts des Rassenwahns. Er wurde fast dem Gnadenkonto der Evangelischen Kirche gutgeschrieben, was selbstkritische Schulddiskussionen ehemaliger "Deutscher Christen" erschwerte. Dabei taten sich die Evangelischen Landeskirchen nach 1933 sehr schwer, Bonhoeffers Rigorismus zu teilen, der sich vor allem im Kampf gegen die "Deutschen Christen" niederschlug - gegen "falsche Schwestern und Brüder", die sich gerne als "SA Christi" bezeichneten und zu Komplizen und Mittätern im NS-Staat wurden.
Die Distanzierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft von Fragen des Glaubens tat seit den fünfziger Jahren ein Übriges, denn den Kern von Bonhoeffers Theologie zu verstehen fällt einer säkularisierten Gesellschaft nicht leicht. Die Gegenwärtigkeit Christi im "gemeinsamen Leben", die Realisierung mönchischer Ideale des unbedingten Vertrauens, die Entscheidung für eine "Nachfolge" Christi in den Wirrungen und Irrungen der Gegenwart zu begreifen ist in einer protestantischen Gesellschaft, die minimalen sonntäglichen Kirchgang praktiziert, durch Kirchenaustritte von sich reden macht und durch zunehmenden Verzicht auf Trauung und Taufe charakterisiert ist, kaum möglich. Bonhoeffer ging es um letzte Dinge, nicht um den Kirchenbesuch als Zeichen kultureller Differenz.
Vielleicht lag es an diesen Nachkriegsentwicklungen, dass Bonhoeffer als politischer Regimegegner begriffen wurde, der im Kreis um Oster, Dohnanyi und Guttenberg früh die Tötung Hitlers durch einen Anschlag erwogen und angestrebt hatte. Der Theologe wurde oft von seinem Ende her gedeutet, als er - auch um als entschiedener Pazifist dem Wehrdienst zu entgehen - in das "Amt Ausland/Abwehr" unter Admiral Wilhelm Canaris verpflichtet wurde und fortan als eine Art Abwehrmann seinen Dienst tat.
Erst nach dem Ende von Hitlers Herrschaft wandelte sich das Bonhoeffer-Bild. "Von guten Mächten . . . " - nicht mehr als ein Silvester-Gruß -, wurde zum wohl am weitesten verbreiteten Kirchenlied für alle Lebenslagen. Befördert wurde die Anerkennung des in Flossenbürg am 9. April 1945 Hingemordeten nicht zuletzt durch seinen wohl engsten Freund Eberhard Bethge, der Bonhoeffers Texte sammelte, eine erschöpfende Biographie verfasste und die Grundlage für die umfangreiche Werkausgabe schuf, ohne die auch die Biographie des amerikanischen Theologen Charles Marsh nicht hätte entstehen können.
Aufsehen hat die Arbeit von Marsh bisher vor allem durch die Andeutung erregt, Bonhoeffer sei denkbar eng mit Bethge befreundet gewesen, so eng, dass sich bei einem Rezensenten die Vermutung verdichtete, beide seien ein schwules Paar gewesen. Belegen kann Marsh seine Vermutung nicht. Ein gemeinsames Konto ist gewiss kein Beweis, sondern zeugt von einem gewissen Pragmatismus. Zwar gab es immer wieder derartige Gerüchte, auch, weil Bonhoeffer durch die Eleganz seiner Kleidung auffiel, aber niemals wurde diese Unterstellung bestätigt, auch nicht von den späteren Peinigern Bonhoeffers in der Gestapo, die ihm mit Sicherheit gern auch dieses todeswürdige Verbrechen nachgewiesen hätten.
Es wäre schade, wenn die Andeutung dieser engen freundschaftlichen Verbindung zwischen Bethge und Bonhoeffer die Bedeutung dieser neuen Biographie verdunkeln würde. Denn Marsh gelingt es, eine der methodisch sehr schwer zu bewältigenden Forderungen der modernen Widerstandsforschung einzulösen. Denn immer werden Regimegegner nach ihrer Verstrickung in das Regime gefragt. Viel zu selten wollen Historiker wissen, wie es den Gegnern Hitlers gelang, im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des NS-Staates, mit den sich anbahnenden Übergriffen und Verbrechen, Positionen zu überwinden, die sie zunächst sehr oft mit den Nationalsozialisten geteilt hatten. Dies gilt auch für Bonhoeffer, der im Grunde seines Herzens deutschnational geprägt war, den Versailler Friedensvertrag und die Kriegsschuld ablehnte, gegenüber der Weimarer Republik distanziert war (viel distanzierter als sein Bruder Klaus) und als wissenschaftlicher Theologe einem Lager zugerechnet werden konnte, das ebenfalls nationalistisch dachte und schon vor 1933 wichtige Weichen für die Stärkung des Deutschchristentums stellte. Irritierend wirkten erst seine Kontakte zu Karl Barth; entscheidend aber wurde eine kritische Auseinandersetzung mit der kulturprotestantischen praktischen Seelsorge, die Bonhoeffer kritisierte, weil sie nicht auf eine existentielle Konfrontation mit Glaubensfragen zielte.
Prägend war nach Marsh vor allem die Erfahrung, die Bonhoeffer in den Vereinigten Staaten mit den dortigen Kirchen, vor allem mit der - wie er schrieb - "Negerkirche", sammelte. Bonhoeffer entwickelte seinen offenen Blick für Minderheiten am Rand der Gesellschaft. Dies sensibilisierte ihn für die praktischen Konsequenzen des politischen Antisemitismus und radikalisierte ihn rasch. Aber er dachte theologisch, nicht politisch und auch noch nicht menschenrechtlich, denn, so argumentierte er, die Gemeinde Christi vertrüge keine rassenideologische Differenzierung.
Ausgangspunkt seines späteren unbeirrbaren Widerspruchs war wohl ein ihn schwer belastendes persönliches Versagen, denn Bonhoeffer verzichtete in Abstimmung mit seinen kirchlichen Vorgesetzten darauf, einer dringenden Bitte seiner Zwillingsschwester zu entsprechen und ihren im April 1933 verstorbenen jüdischen Schwiegervater zu beerdigen. Das sei nicht opportun, beschied man Bonhoeffer. Dieses Versagen markierte seinen Wende- und widerstandsgeschichtlichen Ausgangspunkt. Erst jetzt forderte Bonhoeffer, Kirche müsse eben auch dem Rad des Staates in die Speichen "fallen". Nun wurde er zu einer treibenden Kraft im Kirchenkampf, klärte im Ausland auf, nutzte ökumenische Kontakte, engagierte sich in der "Untergrundausbildung" der Bekennenden Kirche und wurde als entschiedener Glaubenskämpfer zunehmend zum Regimegegner, der schließlich "ohne Deckung" (Bethge) arbeitete.
Wenn man konservativen Widerständlern in Verwaltung und Militär vorwirft, in der Verfolgung der Juden kein entscheidendes Motiv für ihr Handeln gefunden zu haben, so überrascht, wie wenig Bonhoeffer sich auf die politische Verfolgung Andersdenkender - von Intellektuellen, Sozialisten, Kommunisten - des Regimes bezog. An Informationen fehlte es mit Sicherheit nicht. Denn sein Vater Karl Bonhoeffer war psychiatrischer Gutachter im Strafverfahren gegen Marinus van der Lubbe, der seine Beteiligung am Reichstagsbrand mit dem Leben bezahlte. Politisch scheint Bonhoeffer erstaunlich unbedarft. Die Wehrpflicht nahm er zum Anlass, über Grundfragen des Pazifismus zu diskutieren, und fast gleichzeitig erlag er völlig dem Flitter und dem propagandistischen Glanz der Olympiade von 1936.
Vielleicht liegt hier der Schlüssel für den bewegenden Satz, den er "nach zehn Jahren", wenige Monate vor seiner Verhaftung wegen angeblicher Beteiligung an einer Devisenschieberei, niederschrieb: "Nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd." Zugleich beklagte er, in der Auseinandersetzung um die wahre Kirche hätten seine Mitstreiter die Kunst der Verstellung und der Lüge gelernt. Sie seien gleichsam "mit allen Wassern gewaschen". Selbstgerecht, das wird deutlich, war Bonhoeffer zu keiner Zeit. Und deshalb konnte er sich und seine Freunde fragen: "Sind wir noch brauchbar?"
PETER STEINBACH.
Charles Marsh: Dietrich Bonhoeffer. Der verklärte Fremde. Eine Biografie. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015. 592 S. 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Weg des an sich unpolitischen Glaubenskämpfers Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen Hitler
"Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden", stellte Dietrich Bonhoeffer, heute vielleicht der weltweit anerkannteste und berühmteste deutsche Theologe, Anfang 1943 anlässlich des zehnten Jahrestags von Hitlers "Machtergreifung" in einem Rundschreiben an seine Freunde fest. Zu diesem Zeitpunkt waren die unbeirrbaren Streiter im Kirchenkampf bereits zu einer kleinen Schar geschrumpft. Im Kampf gegen die Verhakenkreuzung des Kreuzes hatten sie sich aufgerieben. Erst nach 1945 wurde Bonhoeffers Bedeutung entdeckt, denn nun galt er als Zeuge einer unbeugsamen Haltung angesichts des Rassenwahns. Er wurde fast dem Gnadenkonto der Evangelischen Kirche gutgeschrieben, was selbstkritische Schulddiskussionen ehemaliger "Deutscher Christen" erschwerte. Dabei taten sich die Evangelischen Landeskirchen nach 1933 sehr schwer, Bonhoeffers Rigorismus zu teilen, der sich vor allem im Kampf gegen die "Deutschen Christen" niederschlug - gegen "falsche Schwestern und Brüder", die sich gerne als "SA Christi" bezeichneten und zu Komplizen und Mittätern im NS-Staat wurden.
Die Distanzierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft von Fragen des Glaubens tat seit den fünfziger Jahren ein Übriges, denn den Kern von Bonhoeffers Theologie zu verstehen fällt einer säkularisierten Gesellschaft nicht leicht. Die Gegenwärtigkeit Christi im "gemeinsamen Leben", die Realisierung mönchischer Ideale des unbedingten Vertrauens, die Entscheidung für eine "Nachfolge" Christi in den Wirrungen und Irrungen der Gegenwart zu begreifen ist in einer protestantischen Gesellschaft, die minimalen sonntäglichen Kirchgang praktiziert, durch Kirchenaustritte von sich reden macht und durch zunehmenden Verzicht auf Trauung und Taufe charakterisiert ist, kaum möglich. Bonhoeffer ging es um letzte Dinge, nicht um den Kirchenbesuch als Zeichen kultureller Differenz.
Vielleicht lag es an diesen Nachkriegsentwicklungen, dass Bonhoeffer als politischer Regimegegner begriffen wurde, der im Kreis um Oster, Dohnanyi und Guttenberg früh die Tötung Hitlers durch einen Anschlag erwogen und angestrebt hatte. Der Theologe wurde oft von seinem Ende her gedeutet, als er - auch um als entschiedener Pazifist dem Wehrdienst zu entgehen - in das "Amt Ausland/Abwehr" unter Admiral Wilhelm Canaris verpflichtet wurde und fortan als eine Art Abwehrmann seinen Dienst tat.
Erst nach dem Ende von Hitlers Herrschaft wandelte sich das Bonhoeffer-Bild. "Von guten Mächten . . . " - nicht mehr als ein Silvester-Gruß -, wurde zum wohl am weitesten verbreiteten Kirchenlied für alle Lebenslagen. Befördert wurde die Anerkennung des in Flossenbürg am 9. April 1945 Hingemordeten nicht zuletzt durch seinen wohl engsten Freund Eberhard Bethge, der Bonhoeffers Texte sammelte, eine erschöpfende Biographie verfasste und die Grundlage für die umfangreiche Werkausgabe schuf, ohne die auch die Biographie des amerikanischen Theologen Charles Marsh nicht hätte entstehen können.
Aufsehen hat die Arbeit von Marsh bisher vor allem durch die Andeutung erregt, Bonhoeffer sei denkbar eng mit Bethge befreundet gewesen, so eng, dass sich bei einem Rezensenten die Vermutung verdichtete, beide seien ein schwules Paar gewesen. Belegen kann Marsh seine Vermutung nicht. Ein gemeinsames Konto ist gewiss kein Beweis, sondern zeugt von einem gewissen Pragmatismus. Zwar gab es immer wieder derartige Gerüchte, auch, weil Bonhoeffer durch die Eleganz seiner Kleidung auffiel, aber niemals wurde diese Unterstellung bestätigt, auch nicht von den späteren Peinigern Bonhoeffers in der Gestapo, die ihm mit Sicherheit gern auch dieses todeswürdige Verbrechen nachgewiesen hätten.
Es wäre schade, wenn die Andeutung dieser engen freundschaftlichen Verbindung zwischen Bethge und Bonhoeffer die Bedeutung dieser neuen Biographie verdunkeln würde. Denn Marsh gelingt es, eine der methodisch sehr schwer zu bewältigenden Forderungen der modernen Widerstandsforschung einzulösen. Denn immer werden Regimegegner nach ihrer Verstrickung in das Regime gefragt. Viel zu selten wollen Historiker wissen, wie es den Gegnern Hitlers gelang, im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des NS-Staates, mit den sich anbahnenden Übergriffen und Verbrechen, Positionen zu überwinden, die sie zunächst sehr oft mit den Nationalsozialisten geteilt hatten. Dies gilt auch für Bonhoeffer, der im Grunde seines Herzens deutschnational geprägt war, den Versailler Friedensvertrag und die Kriegsschuld ablehnte, gegenüber der Weimarer Republik distanziert war (viel distanzierter als sein Bruder Klaus) und als wissenschaftlicher Theologe einem Lager zugerechnet werden konnte, das ebenfalls nationalistisch dachte und schon vor 1933 wichtige Weichen für die Stärkung des Deutschchristentums stellte. Irritierend wirkten erst seine Kontakte zu Karl Barth; entscheidend aber wurde eine kritische Auseinandersetzung mit der kulturprotestantischen praktischen Seelsorge, die Bonhoeffer kritisierte, weil sie nicht auf eine existentielle Konfrontation mit Glaubensfragen zielte.
Prägend war nach Marsh vor allem die Erfahrung, die Bonhoeffer in den Vereinigten Staaten mit den dortigen Kirchen, vor allem mit der - wie er schrieb - "Negerkirche", sammelte. Bonhoeffer entwickelte seinen offenen Blick für Minderheiten am Rand der Gesellschaft. Dies sensibilisierte ihn für die praktischen Konsequenzen des politischen Antisemitismus und radikalisierte ihn rasch. Aber er dachte theologisch, nicht politisch und auch noch nicht menschenrechtlich, denn, so argumentierte er, die Gemeinde Christi vertrüge keine rassenideologische Differenzierung.
Ausgangspunkt seines späteren unbeirrbaren Widerspruchs war wohl ein ihn schwer belastendes persönliches Versagen, denn Bonhoeffer verzichtete in Abstimmung mit seinen kirchlichen Vorgesetzten darauf, einer dringenden Bitte seiner Zwillingsschwester zu entsprechen und ihren im April 1933 verstorbenen jüdischen Schwiegervater zu beerdigen. Das sei nicht opportun, beschied man Bonhoeffer. Dieses Versagen markierte seinen Wende- und widerstandsgeschichtlichen Ausgangspunkt. Erst jetzt forderte Bonhoeffer, Kirche müsse eben auch dem Rad des Staates in die Speichen "fallen". Nun wurde er zu einer treibenden Kraft im Kirchenkampf, klärte im Ausland auf, nutzte ökumenische Kontakte, engagierte sich in der "Untergrundausbildung" der Bekennenden Kirche und wurde als entschiedener Glaubenskämpfer zunehmend zum Regimegegner, der schließlich "ohne Deckung" (Bethge) arbeitete.
Wenn man konservativen Widerständlern in Verwaltung und Militär vorwirft, in der Verfolgung der Juden kein entscheidendes Motiv für ihr Handeln gefunden zu haben, so überrascht, wie wenig Bonhoeffer sich auf die politische Verfolgung Andersdenkender - von Intellektuellen, Sozialisten, Kommunisten - des Regimes bezog. An Informationen fehlte es mit Sicherheit nicht. Denn sein Vater Karl Bonhoeffer war psychiatrischer Gutachter im Strafverfahren gegen Marinus van der Lubbe, der seine Beteiligung am Reichstagsbrand mit dem Leben bezahlte. Politisch scheint Bonhoeffer erstaunlich unbedarft. Die Wehrpflicht nahm er zum Anlass, über Grundfragen des Pazifismus zu diskutieren, und fast gleichzeitig erlag er völlig dem Flitter und dem propagandistischen Glanz der Olympiade von 1936.
Vielleicht liegt hier der Schlüssel für den bewegenden Satz, den er "nach zehn Jahren", wenige Monate vor seiner Verhaftung wegen angeblicher Beteiligung an einer Devisenschieberei, niederschrieb: "Nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd." Zugleich beklagte er, in der Auseinandersetzung um die wahre Kirche hätten seine Mitstreiter die Kunst der Verstellung und der Lüge gelernt. Sie seien gleichsam "mit allen Wassern gewaschen". Selbstgerecht, das wird deutlich, war Bonhoeffer zu keiner Zeit. Und deshalb konnte er sich und seine Freunde fragen: "Sind wir noch brauchbar?"
PETER STEINBACH.
Charles Marsh: Dietrich Bonhoeffer. Der verklärte Fremde. Eine Biografie. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015. 592 S. 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main