A journey in images and words into the creative world of musician, storyteller, and cultural icon Nick Cave. One of the world's most celebrated artists, Nick Cave has enthralled and intrigued fans for more than four decades. With Stranger Than Kindness he reveals his innermost creative process as never before. Vibrant, evocative, and startlingly intimate, this remarkable volume peels back the layers of a unique artist, illuminating the inspiration that drives his work and exploring his many universes, both real and imagined. Featuring full color reproductions of original artwork, handwritten lyrics, photographs, and collected personal artifacts, Stranger Than Kindness ponders the origins of our deepest influences?what shapes our lives and makes us who we are?and celebrates the curiosity and power of the creative spirit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2021Der Jesus in der Suppe sah
Ein reich illustrierter Band breitet das lyrisch-künstlerische Universum von Nick Cave aus.
Seine Ausgabe des "Penguin Dictionary of Curious and Interesting Words" ist sehr zerlesen, musste sogar mit Gafferband neu gebunden werden: Das sagt einiges über Nick Caves Hang zur Wörterbuchwilderei, die in seinen Texten durchscheint. Es sagt aber vielleicht auch einiges über sein Talent zur Inszenierung seines Handwerks mittels Artefakten: Jedenfalls kann man beim Anschauen und Lesen eines nun aus der Ausstellung "Stranger Than Kindness" hervorgegangenen Prachtbandes durchaus den Eindruck eines literarischen Vorlasses bekommen. Lyrisches und bildliches, eigenes und inspirierendes Material verdichtet sich hier zum Gesamtkunstwerk, vom Urheber offenbar schon seit seinen frühen Jahren selbst arrangiert im vollen Bewusstsein, dass es irgendwann Nachlasscharakter haben wird.
Das sieht man auch an den quasi offiziellen Stempeln, die Cave so auf seine Notizbuchseiten gedrückt hat, als wären es Einreisestempel in einem Pass. Sind es ja vielleicht auch: Einreisestempel für die Wörter auf dem Weg vom Chaos zur Ordnung. Erst handschriftliche, manchmal vorläufige Ordnung, dann solche mit der Schreibmaschine, dann auch noch solche durch Montage und Collage - und zwar im wörtlichen Sinne, wie man etwa an dem mit Tesafilm aus Zetteln zusammengeklebten Liedtext für "The Mercy Seat" sehen kann. Der geht dann noch in die Ordnung der Aufnahme oder des Konzerts ein, die uns beim Hören wiederum Chaos im Kopf bereitet: "A ragged cup, a twisted mop / The face of Jesus in my soup".
Es ist fast eine Obsession mit sakraler Kunst, die in diesem Band anhand von Caves gesammelten Heiligenbildchen, Bibeltextausrissen oder Jesus-Büsten den Lesern entgegentritt - die allerdings keinen Cave-Fan überraschen wird, auch nicht die Hörer seines neuen Albums "Carnage". Ebenso wenig wie die Kombination dieses Sakralen mit dem Profanen und Obszönen. Ein Essay der amerikanischen Autorin Darcey Steinke hilft, sie besser zu verstehen - interessanterweise unter Rückgriff auf William Faulkner, Leonard Cohen und Nick Caves Online-Kommunikationsforum "The Red Hand Files".
Wir erfahren ferner anhand von Belegen auf Hotelblocks, dass Cave seit jeher gern nackte Frauen in allerlei Positionen zeichnet, allerdings, wie er sagt, nur beiläufig zu meditativen Zwecken. "Doodling naked women" nennt er das: Der Band hat aufschlussreiche Fußnoten. In einem Begleitheft zu dem englischsprachigen Band hat der Verlag die Texte von Christian Lux übersetzen lassen. Also hier: "Queen Victoria hat Pferde gekritzelt, Mark Twain Wale, Claude Monet Pinsel, ich kritzele nackte Frauen." Die Zeichnungen haben Cave zufolge jedoch "keinerlei künstlerischen Wert".
Dieses Selbsturteil ist, verglichen mit der Einordnung zwischen der britischen Königin und einem Maler der ersten Reihe, vielleicht doch ein Understatement. Ziemlich sicher künstlerischen Wert hat vieles andere hier Versammelte: von den frühen Zeugnissen des Kunststudenten Cave über betrunken verfasste Liebesbriefe und Entwürfe auf Spucktüten für seine "Sick Bag Songs" - bis zu einem kleinen Manifest über das Ringen zwischen Zersplitterung und Synthese, das dem Buch voransteht: "Du ringst um die Einzelteile deiner zerborstenen Geschichte. Du baust dich selbst wieder zu etwas zusammen, das dir absolut fremd scheint und dennoch vollständig und augenblicklich erkennbar."
Am besten sieht man das vielleicht auf einer großartigen Fotografie von Bleddyn Butcher aus Nick Caves Berliner Zeit, die ihn 1985 in seiner Wohnung in der Yorckstraße zeigt. So durcheinander sie auf den ersten Blick wirkt, so komponiert wirkt bei näherem Hinschauen der arme Poet im Unterhemd und Cowboystiefeln, eingebettet in eine Bücher- und Bilderhöhle zwischen Elvis und Brigitte Bardot, zwischen Cyrano de Bergerac und einem Lexikon der Antike, zwischen Vodka, Kaffee, Zigaretten und Flohmarktfunden wie drei braunen Haarzöpfen, die laut Cave eine Flut von Ideen auslösten und Eingang in seine Lieder und Romane fanden.
JAN WIELE
Nick Cave: "Stranger Than Kindness".
Aus dem Englischen von Christian Lux. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2021. 276 S., dt. Booklet von 64 S.,
Abb., br., 29,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein reich illustrierter Band breitet das lyrisch-künstlerische Universum von Nick Cave aus.
Seine Ausgabe des "Penguin Dictionary of Curious and Interesting Words" ist sehr zerlesen, musste sogar mit Gafferband neu gebunden werden: Das sagt einiges über Nick Caves Hang zur Wörterbuchwilderei, die in seinen Texten durchscheint. Es sagt aber vielleicht auch einiges über sein Talent zur Inszenierung seines Handwerks mittels Artefakten: Jedenfalls kann man beim Anschauen und Lesen eines nun aus der Ausstellung "Stranger Than Kindness" hervorgegangenen Prachtbandes durchaus den Eindruck eines literarischen Vorlasses bekommen. Lyrisches und bildliches, eigenes und inspirierendes Material verdichtet sich hier zum Gesamtkunstwerk, vom Urheber offenbar schon seit seinen frühen Jahren selbst arrangiert im vollen Bewusstsein, dass es irgendwann Nachlasscharakter haben wird.
Das sieht man auch an den quasi offiziellen Stempeln, die Cave so auf seine Notizbuchseiten gedrückt hat, als wären es Einreisestempel in einem Pass. Sind es ja vielleicht auch: Einreisestempel für die Wörter auf dem Weg vom Chaos zur Ordnung. Erst handschriftliche, manchmal vorläufige Ordnung, dann solche mit der Schreibmaschine, dann auch noch solche durch Montage und Collage - und zwar im wörtlichen Sinne, wie man etwa an dem mit Tesafilm aus Zetteln zusammengeklebten Liedtext für "The Mercy Seat" sehen kann. Der geht dann noch in die Ordnung der Aufnahme oder des Konzerts ein, die uns beim Hören wiederum Chaos im Kopf bereitet: "A ragged cup, a twisted mop / The face of Jesus in my soup".
Es ist fast eine Obsession mit sakraler Kunst, die in diesem Band anhand von Caves gesammelten Heiligenbildchen, Bibeltextausrissen oder Jesus-Büsten den Lesern entgegentritt - die allerdings keinen Cave-Fan überraschen wird, auch nicht die Hörer seines neuen Albums "Carnage". Ebenso wenig wie die Kombination dieses Sakralen mit dem Profanen und Obszönen. Ein Essay der amerikanischen Autorin Darcey Steinke hilft, sie besser zu verstehen - interessanterweise unter Rückgriff auf William Faulkner, Leonard Cohen und Nick Caves Online-Kommunikationsforum "The Red Hand Files".
Wir erfahren ferner anhand von Belegen auf Hotelblocks, dass Cave seit jeher gern nackte Frauen in allerlei Positionen zeichnet, allerdings, wie er sagt, nur beiläufig zu meditativen Zwecken. "Doodling naked women" nennt er das: Der Band hat aufschlussreiche Fußnoten. In einem Begleitheft zu dem englischsprachigen Band hat der Verlag die Texte von Christian Lux übersetzen lassen. Also hier: "Queen Victoria hat Pferde gekritzelt, Mark Twain Wale, Claude Monet Pinsel, ich kritzele nackte Frauen." Die Zeichnungen haben Cave zufolge jedoch "keinerlei künstlerischen Wert".
Dieses Selbsturteil ist, verglichen mit der Einordnung zwischen der britischen Königin und einem Maler der ersten Reihe, vielleicht doch ein Understatement. Ziemlich sicher künstlerischen Wert hat vieles andere hier Versammelte: von den frühen Zeugnissen des Kunststudenten Cave über betrunken verfasste Liebesbriefe und Entwürfe auf Spucktüten für seine "Sick Bag Songs" - bis zu einem kleinen Manifest über das Ringen zwischen Zersplitterung und Synthese, das dem Buch voransteht: "Du ringst um die Einzelteile deiner zerborstenen Geschichte. Du baust dich selbst wieder zu etwas zusammen, das dir absolut fremd scheint und dennoch vollständig und augenblicklich erkennbar."
Am besten sieht man das vielleicht auf einer großartigen Fotografie von Bleddyn Butcher aus Nick Caves Berliner Zeit, die ihn 1985 in seiner Wohnung in der Yorckstraße zeigt. So durcheinander sie auf den ersten Blick wirkt, so komponiert wirkt bei näherem Hinschauen der arme Poet im Unterhemd und Cowboystiefeln, eingebettet in eine Bücher- und Bilderhöhle zwischen Elvis und Brigitte Bardot, zwischen Cyrano de Bergerac und einem Lexikon der Antike, zwischen Vodka, Kaffee, Zigaretten und Flohmarktfunden wie drei braunen Haarzöpfen, die laut Cave eine Flut von Ideen auslösten und Eingang in seine Lieder und Romane fanden.
JAN WIELE
Nick Cave: "Stranger Than Kindness".
Aus dem Englischen von Christian Lux. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2021. 276 S., dt. Booklet von 64 S.,
Abb., br., 29,- [Euro].
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