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Weltweit leben schätzungsweise etwa 100 Millionen Kinder auf der Straße ? wie viele es genau sind, weiß niemand. Es gab sie zu allen Zeiten, in allen Ländern und sie werden immer mehr. Mutarama ist 15 und lebt in Ruanda. Ihre Eltern wurden während des Bürgerkrieges 1996 vor ihren Augen von Milizen getötet. Mutarama flieht und lebt danach jahrelang auf der Straße in Butare, einer großen Stadt nahe der Grenze zu Burundi. Der tägliche Kampf ums Überleben, um etwas zu Essen und einen Schlafplatz ist hart. Nichts ist selbstverständlich, jeder Tag ist eine neue Herausforderung, es herrscht das…mehr

Produktbeschreibung
Weltweit leben schätzungsweise etwa 100 Millionen Kinder auf der Straße ? wie viele es genau sind, weiß niemand. Es gab sie zu allen Zeiten, in allen Ländern und sie werden immer mehr. Mutarama ist 15 und lebt in Ruanda. Ihre Eltern wurden während des Bürgerkrieges 1996 vor ihren Augen von Milizen getötet. Mutarama flieht und lebt danach jahrelang auf der Straße in Butare, einer großen Stadt nahe der Grenze zu Burundi. Der tägliche Kampf ums Überleben, um etwas zu Essen und einen Schlafplatz ist hart. Nichts ist selbstverständlich, jeder Tag ist eine neue Herausforderung, es herrscht das Gesetz des Dschungels: Überleben werden nur die Stärksten. Fast am anderen Ende der Welt, in Argentinien, lebt Juan, 17, ebenfalls auf der Straße. Prostitution und Drogen sind sozusagen sein tägliches Brot, dazu muss er sich in Acht nehmen vor der Polizei, die die Straßenkinder willkürlich verhaftet, ins Gefängnis steckt und auch vor Folterungen nicht zurückschreckt. Weltweit leben schätzungsweise etwa 100 Millionen Kinder auf der Straße ? wie viele es genau sind, weiß niemand. Es gab sie zu allen Zeiten, in allen Ländern und sie werden immer mehr. Sie sind die Opfer von Arbeitslosigkeit, Armut und dem Zerfall der Familien, von Krieg, Flucht und Vertreibung, Gewalt und Erpressung. Sie durchwühlen die Mülltonnen nach Essbarem, haben kein Dach über dem Kopf und keinen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, zu Bildung und Ausbildung. Sie sind jeder Ausbeutung und Willkür ausgeliefert. Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge informiert ein Sachteil über das Leben auf der Straße früher und heute, die Ursachen und Lebensumstände im industrialisierten Westen und in der ´Dritten Welt´, die Verfolgung von Straßenkindern und über Hilfsorganisationen, die Kinder von der Straße holen und ihnen ein Zuhause geben.
Autorenporträt
Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth im Hunsrück geboren. Nach dem Studium der Sozialpädagogik ist er seit 1977 im Schuldienst und in der Lehrerfortbildung tätig. Seine Schwerpunkte sind Leseförderung, Gewalt, Menschenrechte. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Anthologien zu gesellschaftlichen Brennpunktthemen und seit 1969 aktiv bei amnesty international.
Rezensionen
Aus dem Elternhaus vertrieben
Kinder, die auf der Straße leben müssen, sind schon lange kein Phänomen mehr, das sich nur auf arme oder so genannte Entwicklungsländer beschränkt. Wer in Deutschland auf Bahnhöfen oder an zentralen Orten in Großstädten nicht wegschaut, kann sie auch hier entdecken. Und wer will, kann auch wissen, dass sie kein selbst gewähltes Schicksal erleiden. Bei uns sind es Alkoholismus von Vater oder Mutter, sexueller Missbrauch oder Verarmung, die Kinder aus ihrem Elternhaus treiben.
"Menschlicher Sperrmüll"
So vielfältig die Gründe sein mögen, so individuell sind die Schicksale. Der Autor hat zwei Biografien ausgewählt und erzählt die Geschichten von Mutamara aus Ruanda und die von Juan aus Argentinien. Bei beiden spielen Diebstahl, Drogen, Prostitution, Vergewaltigung, Krankheiten und Ausbeutung ganz wesentliche Rollen ? und dies unter Mädchen und Jungen zwischen acht und fünfzehn! Unvorstellbar auch die Reaktionen der öffentlichen und veröffentlichten Meinung auf diese Kinder: Als Ungeziefer, Straßenratten, Buschköter oder menschlicher Sperrmüll werden sie mitunter bezeichnet.
Hilfsprojekte geben Hoffnung
Zwischen diese beiden bewegenden Lebensgeschichten setzt der Autor Fakten und Informationen, die das Thema Straßenkinder von der dokumentarischen Seite her beleuchten. Niemand weiß genau, wie viele auf der Straße leben. 10 bis 15 Millionen heißt es oder auch 100 bis 200 Millionen. Eines ist sicher: Es werden immer mehr, insbesondere in osteuropäischen Staaten wie Russland, Rumänien und Albanien. Es gibt Länder, da sind Straßenkinder vogelfrei, werden erschossen, verschleppt, krankenhausreif geprügelt, ohne dass solche Menschenrechtsverletzungen je geahndet werden. Die einzige Hoffnung, die die Kinder haben, sind Projekte von Hilfsorganisationen und Einzelpersonen, die Angebote zum Ausstieg machen. Einige Adressen werden im Buch genannt. Sie wirken sicher zuweilen wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Aber ist nicht jedes gerettete Menschenleben es wert, darum zu kämpfen?
(Roland Große Holtforth, literaturtest.de)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2002

Schnüffeln, um zu vergessen
Heimatlose Kinder in Buenos Aires, St. Petersburg, Berlin

Alle Straßenkinder der Welt bekommen es mit Drogen zu tun. Die Straßenkinder der armen Länder aber verbindet eine ganz spezielle Droge, eine, mit der man kein Geld verdienen kann, die aber auch die gewünschte Wirkung zeigt: der Schusterleim. Durch Reiner Engelmanns Sachbuch "Straßenkinder - im Dschungel der Städte" zieht sich das Klebstoffschnüffeln wie ein roter Faden.

Den billigen, betäubenden Leim nehmen die Kinder und Jugendlichen nicht immer, aber immer dann, wenn es am schlimmsten ist. "Du fühlst dich wie ein König, aber am nächsten Tag hast du ein Gefühl, als wärst du mit dem Kopf durch eine Mauer gerannt", sagt der siebzehn Jahre alte Juan aus Argentinien. Zum Arbeiten ist dieser Zustand aber nicht zweckmäßig. Juans Arbeit besteht darin, zu stehlen, zu betteln oder sich zu prostituieren. Wenn es besser läuft, kann er Postkarten mit dem Porträt des Papstes verkaufen. Argentinien war nach dem Zweiten Weltkrieg eines der wohlhabendsten Länder der Welt - heute, verschärft durch die jüngste Wirtschaftskrise, macht die Zahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze schon die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus.

"Straßenkinder" ist mit einem ausführlichen Informationsteil versehen. Hier geht es um die unzureichende Verwirklichung der Kinderrechte in vielen Ländern, die Ursachen dafür werden diskutiert, und es gibt eine Liste der Hilfseinrichtungen. Reiner Engelmann ist hier an Differenzierung gelegen, etwa wenn er die Schwierigkeit benennt, überhaupt zuverlässige Informationen zu erhalten: "Staatliche Organe versuchen die Zahlen möglichst niedrig zu halten, um ihre Untätigkeit zu rechtfertigen. Vereine, die Straßenkinderprojekte betreiben, schrauben dagegen die Zahlen nach oben, um damit an mehr Spendengelder zu kommen." Am Anfang und am Ende des Buches steht jeweils eine persönliche Geschichte, die von Juan aus Argentinien und die von Mutarama aus Ruanda.

Als Mädchen ist Mutarama fast noch schlimmer dran als Juan, denn anders als er kann sie sich kaum auf Freunde unter ihresgleichen verlassen. Mit zehn Jahren - sie ist die einzige Überlebende ihrer ermordeten Familie - erleidet sie Aggression und Vergewaltigung durch Jungen, die auf der Straße leben wie sie. Gerade in dieser fesselnden, detailreichen Geschichte scheint es eine Perspektive zu geben, denn am Ende - nach drei Jahren - denkt Mutarama darüber nach, Rettung bei einer Hilfsstation mit Versorgung und Ausbildungsmöglichkeit zu suchen. Doch sicher ist sie sich nicht, denn es könnte ja wieder eine Falle von Mißbrauch und Ausbeutung sein.

In Deutschland gibt es vergleichsweise wenige Straßenkinder, fünf- bis siebentausend. Die dreizehnjährige Eva flieht nicht vor Krieg oder Armut, und sie schnüffelt auch nicht. Was sie von zu Hause vertreibt, ist Lieblosigkeit und sexueller Mißbrauch. Sie landet schließlich in der Prostitution. "Bei meiner Freundin hatte ich mitbekommen, wie es in einer normalen Familie sein kann. Das habe ich fast nicht ausgehalten."

ANJA-ROSA THÖMING.

Reiner Engelmann: "Straßenkinder". Im Dschungel der Städte. Elefanten Press im C. Bertelsmann Verlag, München 2002. 144 S., br., 9,- [Euro]. Ab 12 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Am Anfang und Ende des Buches steht jeweils die persönliche Geschichte eines Straßenkindes, schreibt Rezensentin Anja-Rosa Thöming, "die von Juan aus Argentinien und die von Mutarama aus Ruanda". Besonders die Geschichte des ruandischen Mädchens findet die Rezensentin fesselnd und detailreich. Das Buch sei auch mit einem ausführlichen Informationsteil versehen, in dem es u.a. um die unzureichende Verwirklichung der Kinderrechte in vielen Ländern gehe. Autor Reiner Engelmann diskutiere die Gründe dafür und biete eine Liste mit Hilfseinrichtungen. Dass ihm an Differenzierung gelegen ist, "etwa wenn er die Schwierigkeiten benennt, überhaupt zuverlässige Informationen zu erhalten", verstärkt dies den ausgesprochen positiven Gesamteindruck, denn das Jugendsachbuch auf die Rezensentin macht.

© Perlentaucher Medien GmbH