Joachim Wolf identifiziert mit seiner umfassenden, theoriegeleiteten, vier Jahrzehnte überspannenden Untersuchung einschneidende Veränderungen der Strategien und Organisationsstrukturen deutscher Unternehmen und zeigt insbesondere die organisatorischen Konsequenzen der internationalen Geschäftstätigkeit sowie der Globalisierung der Wirtschaft auf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2001Strategie und Struktur
Joachim Wolf präsentiert ein "sachliches Interdependenzkonzept"
Joachim Wolf: Strategie und Struktur 1955 bis 1995. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Theodor Gabler, Wiesbaden 2000, 673 Seiten, 189 DM.
Als der Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler 1962 sein Buch "Strategy and Structure - Chapters in the History of the American Industrial Enterprise" veröffentlichte, ging die griffige Formel "Structure follows Strategy" wie ein Lauffeuer durch die Harvard Business School. Allerdings ahnte damals kaum jemand, daß der Verfasser damit eine Kontroverse ausgelöst hatte, die Theorie und Praxis der Unternehmensführung vier Jahrzehnte lang intensiv beschäftigen würde. Zu überzeugend erschienen die auf Fallstudien in den vier größten Unternehmen der Vereinigten Staaten gestützten Forschungsergebnisse Chandlers. Am Beispiel von Dupont, General Motors, Sears Roebuck und Standard Oil wies er nach, daß deren Entwicklung von einer stark zentralisierten zu einer dezentralisierten multinationalen Organisationsstruktur einer vorhergehenden Umstellung in Richtung einer Diversifikationsstrategie folgte.
Joachim Wolf, Inhaber des Organisationslehrstuhls der Universität zu Kiel, geht auf Chandlers Arbeit selbst nur kurz ein, dafür aber um so stärker auf dessen Rezeptionsgeschichte. Der Autor schließt sich weder Chandlers These noch der erstmals von Richard Rumelt 1974 geäußerten Gegenthese an, wonach Strategieänderungen auch durch organisatorischen Druck ausgelöst werden können ("Strategy follows Structure"). Er sieht sich vielmehr als Vertreter eines "sachlichen Interdependenzkonzepts" zwischen Strategievariablen, Einflußgrößen der Organisationsstruktur und Erfolgsvariablen. Wolf stützt sich auf den Informationsverarbeitungsansatz, mit dessen Hilfe quantitative Aussagen über die Informationsverarbeitungskapazität und den Informationsbedarf bei unterschiedlichen Organisationsstrukturen und Strategieausprägungen getroffen werden können.
Die empirische Untersuchung selbst erstreckt sich auf Fragebogenangaben von 156 Unternehmen, von 1955 bis 1995. Dargestellt werden zunächst die Veränderungen in den Organisationsstrukturen. Die Befunde bestätigen, daß die aufgabenorientierte Funktionalorganisation an Bedeutung verloren hat. Demgegenüber haben die auf Produktbereiche bezogene Spartenstruktur, die zweidimensionale Matrixorganisation und - erst zu Beginn der neunziger Jahre - die dreidimensionale Tensororganisation (Gliederung nach Funktionen, Produktgruppen und Regionen) an Einfluß gewonnen. Der Verfasser dokumentiert seine Ergebnisse sorgfältig und umfassend.
Den größten Umfang (rund 300 Seiten) nimmt in dem Werk die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Strategiefacetten und Organisationsstrukturen ein. Aus der Fülle der Einzelfeststellungen, die sich dort finden, seien drei hervorgehoben. Erstens läßt sich der Zusammenhang von Unternehmensstrategien und Organisationsstrukturen in den deutschen Unternehmen nicht durch pauschale Thesen wie "Structure follows Strategy" oder "Strategy follows Structure" wiedergeben. Vielmehr ist stets zu prüfen, welcher konkrete Strategie- oder Strukturaspekt gemeint ist. Die Beziehungen zwischen Wettbewerbsstrategie und Organisationsstruktur erweisen sich über den gesamten Zeitraum hinweg als stabil.
Zweitens gilt für die deutschen Verhältnisse nicht die Annahme, funktional organisierte Unternehmen seien weniger erfolgreich als nach Produktsparten gegliederte. Funktionalstrukturen werden jedoch von strategisch wenig intensiven Firmen bevorzugt, während sich strategisch intensive Unternehmen für eine Produktsparten- oder Matrixorganisation entscheiden. Drittens erweisen sich die Strategieparameter "Unternehmensgröße" und "Diversifikationsgrad" als die wichtigsten Einflußfaktoren der Organisationsgestaltung. Eine wichtige Rolle spielte auch die Internationalität als Strategiefacette insbesondere in kleineren Unternehmen. Joachim Wolfs Untersuchung kann den Rang eines Standardwerks beanspruchen; sie richtet sich allerdings überwiegend an den theoretisch interessierten Leser.
HARTMUT KREIKEBAUM
(Professor an der European Business School, Oestrich-Winkel)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joachim Wolf präsentiert ein "sachliches Interdependenzkonzept"
Joachim Wolf: Strategie und Struktur 1955 bis 1995. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Theodor Gabler, Wiesbaden 2000, 673 Seiten, 189 DM.
Als der Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler 1962 sein Buch "Strategy and Structure - Chapters in the History of the American Industrial Enterprise" veröffentlichte, ging die griffige Formel "Structure follows Strategy" wie ein Lauffeuer durch die Harvard Business School. Allerdings ahnte damals kaum jemand, daß der Verfasser damit eine Kontroverse ausgelöst hatte, die Theorie und Praxis der Unternehmensführung vier Jahrzehnte lang intensiv beschäftigen würde. Zu überzeugend erschienen die auf Fallstudien in den vier größten Unternehmen der Vereinigten Staaten gestützten Forschungsergebnisse Chandlers. Am Beispiel von Dupont, General Motors, Sears Roebuck und Standard Oil wies er nach, daß deren Entwicklung von einer stark zentralisierten zu einer dezentralisierten multinationalen Organisationsstruktur einer vorhergehenden Umstellung in Richtung einer Diversifikationsstrategie folgte.
Joachim Wolf, Inhaber des Organisationslehrstuhls der Universität zu Kiel, geht auf Chandlers Arbeit selbst nur kurz ein, dafür aber um so stärker auf dessen Rezeptionsgeschichte. Der Autor schließt sich weder Chandlers These noch der erstmals von Richard Rumelt 1974 geäußerten Gegenthese an, wonach Strategieänderungen auch durch organisatorischen Druck ausgelöst werden können ("Strategy follows Structure"). Er sieht sich vielmehr als Vertreter eines "sachlichen Interdependenzkonzepts" zwischen Strategievariablen, Einflußgrößen der Organisationsstruktur und Erfolgsvariablen. Wolf stützt sich auf den Informationsverarbeitungsansatz, mit dessen Hilfe quantitative Aussagen über die Informationsverarbeitungskapazität und den Informationsbedarf bei unterschiedlichen Organisationsstrukturen und Strategieausprägungen getroffen werden können.
Die empirische Untersuchung selbst erstreckt sich auf Fragebogenangaben von 156 Unternehmen, von 1955 bis 1995. Dargestellt werden zunächst die Veränderungen in den Organisationsstrukturen. Die Befunde bestätigen, daß die aufgabenorientierte Funktionalorganisation an Bedeutung verloren hat. Demgegenüber haben die auf Produktbereiche bezogene Spartenstruktur, die zweidimensionale Matrixorganisation und - erst zu Beginn der neunziger Jahre - die dreidimensionale Tensororganisation (Gliederung nach Funktionen, Produktgruppen und Regionen) an Einfluß gewonnen. Der Verfasser dokumentiert seine Ergebnisse sorgfältig und umfassend.
Den größten Umfang (rund 300 Seiten) nimmt in dem Werk die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Strategiefacetten und Organisationsstrukturen ein. Aus der Fülle der Einzelfeststellungen, die sich dort finden, seien drei hervorgehoben. Erstens läßt sich der Zusammenhang von Unternehmensstrategien und Organisationsstrukturen in den deutschen Unternehmen nicht durch pauschale Thesen wie "Structure follows Strategy" oder "Strategy follows Structure" wiedergeben. Vielmehr ist stets zu prüfen, welcher konkrete Strategie- oder Strukturaspekt gemeint ist. Die Beziehungen zwischen Wettbewerbsstrategie und Organisationsstruktur erweisen sich über den gesamten Zeitraum hinweg als stabil.
Zweitens gilt für die deutschen Verhältnisse nicht die Annahme, funktional organisierte Unternehmen seien weniger erfolgreich als nach Produktsparten gegliederte. Funktionalstrukturen werden jedoch von strategisch wenig intensiven Firmen bevorzugt, während sich strategisch intensive Unternehmen für eine Produktsparten- oder Matrixorganisation entscheiden. Drittens erweisen sich die Strategieparameter "Unternehmensgröße" und "Diversifikationsgrad" als die wichtigsten Einflußfaktoren der Organisationsgestaltung. Eine wichtige Rolle spielte auch die Internationalität als Strategiefacette insbesondere in kleineren Unternehmen. Joachim Wolfs Untersuchung kann den Rang eines Standardwerks beanspruchen; sie richtet sich allerdings überwiegend an den theoretisch interessierten Leser.
HARTMUT KREIKEBAUM
(Professor an der European Business School, Oestrich-Winkel)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach Hartmut Kreikebaum kann dieses Buch durchaus "den Rang eines Standardwerks beanspruchen", doch räumt er gleichzeitig ein, dass der Leser ein starkes Interesse für Wirtschaftstheorie mitbringen muss. Das gleiche gilt auch für den Leser dieser Rezension, denn nur wer in Sachen Organisationsstruktur sattelfest ist, wird verstehen, worum es in dem vorliegenden Buch genau geht. Allerdings wird deutlich, dass Wolf hier an die von Alfred Chandler 1962 durch sein Buch 'Strategy und Structure' ausgelöste Kontroverse anknüpft, wobei er sich jedoch kaum auf das Buch direkt bezieht, sondern vielmehr auf "dessen Rezeptionsgeschichte". Nach Kreikebaum stellt sich Wolf jedoch weder auf Chandlers Seite noch auf die seiner Gegner. Vielmehr sehe er sich "als Vertreter eines 'sachlichen Interdependenzkonzepts' zwischen Strategievariablen, Einflussgrößen der Organisationsstruktur und Erfolgsvariablen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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