Zwei junge Männer, zwei Geschichten: Schüttler, ein Berliner Boulevardjournalist, durchlebt sadomasochistische Arbeitstage, muss grenzdebile Artikel und Promi-Storys schreiben. In der Freizeit treibt er sich mit einer Bande herum, die auf behornbrillte Hipster schießt - mit Sektkorken. Doch trotz aller Abgebrühtheit träumt Schüttler von einem anderen Leben ... Ein Leben, das Robert gefunden zu haben glaubt. Robert ist ausgestiegen aus dem deutschen Mief und reist nun, bis über beide Ohren verliebt, der schönen Luca durch Indien hinterher. Er findet sie in einem Hippie-Camp auf den Andamanen, feiert, lebt und liebt. Doch die Romanze wie die endlosen Partys werden Robert bald fremd und fremder. Julian Heun lässt Robert und Schüttler überraschend zusammentreffen - und lotet das Lebensgefühl der Twentysomethings zwischen Anpassung und Exzess, Vernunft und Freiheit aus. Die «unerhört poetische Kraft» (NZZ) des Slam-Dichters Julian Heun spürt man auch in seinem Romandebüt: Kühn konstruiert, frisch, originell und kraftvoll erzählt, ist «Strawberry Fields Berlin» ein pointiertes, oft ironisches Zeitbild - und dabei durchdrungen von einer wunderbaren Sehnsucht nach dem wahren Leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2013Geschichten von Hipstern Julian Heuns Debüt
"Strawberry Fields Berlin"
"Kitschscheiße, widerwärtige Deluxe-Kitschscheiße - und" - mit diesen Worten beginnt "Strawberry Fields Berlin", der erste Roman des vierundzwanzigjährigen Julian Heun. Sie geben für den Rest der Geschichte zutreffend das Programm vor. Mit Wortsalven, wie aus der Kalaschnikow geschossen, erzählt Heun die Geschichte von zwei scheinbar gegensätzlichen Figuren. Schüttler, ein übersättigter Zyniker, arbeitet bei einer Boulevardzeitung in Berlin und verbringt seine Freizeit damit, Hipster zu demütigen. Robert, ein lebenshungrige Suchender, pflegt eher sich selbst zu demütigen. Er reist einer flüchtigen Jugendliebe nach Indien hinterher und verliert sich dort in einer Hippie-Gemeinde auf den Andamanen-Inseln.
Im Wechsel treibt Heun die Geschichten auf ihren jeweiligen Höhepunkt zu. Dabei wartet "Strawberry Fields Berlin" mit zahlreichen Neologismen ("frustverdreht") und wunderbar bösartigen Personenbeschreibungen auf. Nachdem der Boulevardjournalist Schüttler die Hetzjagd auf ein Artikelopfer beendet hat, lässt er sich schlecht gelaunt in einem Café nieder und charakterisiert seine Sitznachbarin mitsamt Kind so: "Und dann nimmt man sich den Dienstagvormittag frei, der Klempner klingelt und antwortet auf die Frage, ob er einen Kaffee wolle: ,Ne, hab schon einen heute. Det drückt sonst so.' Wenn ebendieser Satz die größte Normabweichung der letzten zwölf Wochen ist und man darüber lacht mit dem Freund, mit der Arbeitskollegin und mit Anke und Rüdi, dann entschließt man sich zur größten Anmaßung, man kriegt ein Kind, dreißig Kilo Glücksund Lebensforderung."
Wie Schüttler durch die Nachtclubs der Hauptstadt stolpert, den von ihm selbst kreierten Drink "Gin Borgward" fest umklammernd, erinnert er an eine Mischung aus Christian Krachts Ich-Erzähler im Roman "Faserland" und Hunter S. Thompson. Das ist eine Ahnenreihe, die im Roman auch explizit anklingt. Denn "Strawberry Fields Berlin" teilt ganz offen das unterschwellige Motto von "Faserland": Gegen Ende ringt sich Schüttler, von seinem Dauerfeuerwerk an Bissigkeit und Sarkasmus selbst ermüdet, zum Bekenntnis durch, etwas zu vermissen, "dieses breite Gefühl, etwas schön finden zu dürfen, ohne dass darunter und darüber fünf Ironieebenen mitschwingen". Schüttlers Welt ist verseucht durch den sich über alles erhebenden Willen, die Dinge lächerlich zu machen. Sein Organismus erstarrt in emotionaler Abwehrhaltung.
Im Gegensatz zu "Faserland" fehlen allerdings in "Strawberry Fields Berlin" die leisen Töne fast vollständig. Der Roman ist neongrell erleuchtet und springt dem Leser bei jedem zweiten Satz entgegen. Heun, der eine bemerkenswerte Poetry-Slam-Karriere vorzuweisen hat und den Berliner Wettbewerb zweimal gewonnen hat, agiert in dieser Tradition: mit einer erotischen Verehrung für das Wort, die jedes Bild, jeden Gedanken maximal auskostet. Was im Hexenkessel von Slambühnen aber noch funktionieren mag, überdehnt den Roman. "Strawberry Fields Berlin" gibt sich einen etwas zu nihilistischen Anstrich, denn fast jeder gute Satz wird durch den nachfolgenden zertrümmert. Für den Roman selbst gilt nie, was Schüttler einmal über eine Dame sagt, die er in der Disco kennenlernt: "Sie provoziert mehr kess als notorisch rotzig, dabei aber scharfzüngig und unerträglich charmant."
Später, als Schüttler seinen Job verliert und Robert merkt, dass Liebe nicht zwingend auf Gegenseitigkeit beruhen muss, bricht in den Hedonismus der Hauptfiguren doch noch die Ernsthaftigkeit des Lebens ein. Allerdings nur halbwegs überzeugend, wie am Umgang Schüttlers mit seinem Hipster-Feindbild deutlich wird. Denn wenn er etwa einem Kind ein Eis in Aussicht stellt, damit es einem zufällig vorbeilaufenden Hipster in die Hacken tritt, wenn er heimlich Abführmittel in ihren Drinks auflöst und sie verprügelt, dann wird jedwede Reaktion der Malträtierten ausgeblendet. Falls Heuns Hipster überhaupt etwas sagen, dann "öhm", "ähm" oder andere eher wenig kluge Sätze. Es sind leblose Hintergrundfolien, auf denen der Autor den Hass seines Protagonisten durchexerziert. Und genau jene Zombies, als die Schüttler sie sich vorstellt.
In dem Moment, als Heun seine Erzählstränge zusammenführt, schimmert der Aufruf, das Leben zu lieben, zu programmatisch durch den Roman. Vielleicht geht es dem Leser so wie mit den Werken von Hermann Hesse: Wer sie als Achtzehnjähriger liest, fühlt sich verstanden und blickt hasserfüllt auf die profane, philisterhafte Welt. Mit dreiundzwanzig beginnt man heimlich, die "Ahs" und "Ohs" am Seitenrand auszuradieren, mit Mitte zwanzig werden die Bücher in den Keller gestellt, einige Jahre später dann verkauft. Alles eine Frage des Alters. Für den Debütroman eines Vierundzwanzigjährigen ist das allerdings nicht weiter problematisch.
MORTEN FREIDEL.
Julian Heun: "Strawberry Fields Berlin".
Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 224 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Strawberry Fields Berlin"
"Kitschscheiße, widerwärtige Deluxe-Kitschscheiße - und" - mit diesen Worten beginnt "Strawberry Fields Berlin", der erste Roman des vierundzwanzigjährigen Julian Heun. Sie geben für den Rest der Geschichte zutreffend das Programm vor. Mit Wortsalven, wie aus der Kalaschnikow geschossen, erzählt Heun die Geschichte von zwei scheinbar gegensätzlichen Figuren. Schüttler, ein übersättigter Zyniker, arbeitet bei einer Boulevardzeitung in Berlin und verbringt seine Freizeit damit, Hipster zu demütigen. Robert, ein lebenshungrige Suchender, pflegt eher sich selbst zu demütigen. Er reist einer flüchtigen Jugendliebe nach Indien hinterher und verliert sich dort in einer Hippie-Gemeinde auf den Andamanen-Inseln.
Im Wechsel treibt Heun die Geschichten auf ihren jeweiligen Höhepunkt zu. Dabei wartet "Strawberry Fields Berlin" mit zahlreichen Neologismen ("frustverdreht") und wunderbar bösartigen Personenbeschreibungen auf. Nachdem der Boulevardjournalist Schüttler die Hetzjagd auf ein Artikelopfer beendet hat, lässt er sich schlecht gelaunt in einem Café nieder und charakterisiert seine Sitznachbarin mitsamt Kind so: "Und dann nimmt man sich den Dienstagvormittag frei, der Klempner klingelt und antwortet auf die Frage, ob er einen Kaffee wolle: ,Ne, hab schon einen heute. Det drückt sonst so.' Wenn ebendieser Satz die größte Normabweichung der letzten zwölf Wochen ist und man darüber lacht mit dem Freund, mit der Arbeitskollegin und mit Anke und Rüdi, dann entschließt man sich zur größten Anmaßung, man kriegt ein Kind, dreißig Kilo Glücksund Lebensforderung."
Wie Schüttler durch die Nachtclubs der Hauptstadt stolpert, den von ihm selbst kreierten Drink "Gin Borgward" fest umklammernd, erinnert er an eine Mischung aus Christian Krachts Ich-Erzähler im Roman "Faserland" und Hunter S. Thompson. Das ist eine Ahnenreihe, die im Roman auch explizit anklingt. Denn "Strawberry Fields Berlin" teilt ganz offen das unterschwellige Motto von "Faserland": Gegen Ende ringt sich Schüttler, von seinem Dauerfeuerwerk an Bissigkeit und Sarkasmus selbst ermüdet, zum Bekenntnis durch, etwas zu vermissen, "dieses breite Gefühl, etwas schön finden zu dürfen, ohne dass darunter und darüber fünf Ironieebenen mitschwingen". Schüttlers Welt ist verseucht durch den sich über alles erhebenden Willen, die Dinge lächerlich zu machen. Sein Organismus erstarrt in emotionaler Abwehrhaltung.
Im Gegensatz zu "Faserland" fehlen allerdings in "Strawberry Fields Berlin" die leisen Töne fast vollständig. Der Roman ist neongrell erleuchtet und springt dem Leser bei jedem zweiten Satz entgegen. Heun, der eine bemerkenswerte Poetry-Slam-Karriere vorzuweisen hat und den Berliner Wettbewerb zweimal gewonnen hat, agiert in dieser Tradition: mit einer erotischen Verehrung für das Wort, die jedes Bild, jeden Gedanken maximal auskostet. Was im Hexenkessel von Slambühnen aber noch funktionieren mag, überdehnt den Roman. "Strawberry Fields Berlin" gibt sich einen etwas zu nihilistischen Anstrich, denn fast jeder gute Satz wird durch den nachfolgenden zertrümmert. Für den Roman selbst gilt nie, was Schüttler einmal über eine Dame sagt, die er in der Disco kennenlernt: "Sie provoziert mehr kess als notorisch rotzig, dabei aber scharfzüngig und unerträglich charmant."
Später, als Schüttler seinen Job verliert und Robert merkt, dass Liebe nicht zwingend auf Gegenseitigkeit beruhen muss, bricht in den Hedonismus der Hauptfiguren doch noch die Ernsthaftigkeit des Lebens ein. Allerdings nur halbwegs überzeugend, wie am Umgang Schüttlers mit seinem Hipster-Feindbild deutlich wird. Denn wenn er etwa einem Kind ein Eis in Aussicht stellt, damit es einem zufällig vorbeilaufenden Hipster in die Hacken tritt, wenn er heimlich Abführmittel in ihren Drinks auflöst und sie verprügelt, dann wird jedwede Reaktion der Malträtierten ausgeblendet. Falls Heuns Hipster überhaupt etwas sagen, dann "öhm", "ähm" oder andere eher wenig kluge Sätze. Es sind leblose Hintergrundfolien, auf denen der Autor den Hass seines Protagonisten durchexerziert. Und genau jene Zombies, als die Schüttler sie sich vorstellt.
In dem Moment, als Heun seine Erzählstränge zusammenführt, schimmert der Aufruf, das Leben zu lieben, zu programmatisch durch den Roman. Vielleicht geht es dem Leser so wie mit den Werken von Hermann Hesse: Wer sie als Achtzehnjähriger liest, fühlt sich verstanden und blickt hasserfüllt auf die profane, philisterhafte Welt. Mit dreiundzwanzig beginnt man heimlich, die "Ahs" und "Ohs" am Seitenrand auszuradieren, mit Mitte zwanzig werden die Bücher in den Keller gestellt, einige Jahre später dann verkauft. Alles eine Frage des Alters. Für den Debütroman eines Vierundzwanzigjährigen ist das allerdings nicht weiter problematisch.
MORTEN FREIDEL.
Julian Heun: "Strawberry Fields Berlin".
Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 224 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Strawberry Fields Berlin" erzählt mit viel Wortgetöse einerseits die Geschichte eines Zynikers, der sein Geld als Boulevardjournalist verdient und seine Befriedigung aus dem Quälen von Hipstern zieht, andererseits die Abenteuer eines Suchenden, der seiner Flamme nach Indien folgt und in einer Hippie-Gemeinde endet. Rezensent Morten Freidel hört dem Text an, dass Julian Heun eine beachtliche Poetry-Slam-Karriere hinter sich hat. Während er in seinem Debütroman die Ahnen Christian Kracht und Hunter S. Thompson fest im Blick behält, vernachlässigt er vielleicht ein wenig den Sinn des Ganzen. Den Aufruf, das Leben zu lieben, erkennt Rezensent Freidel als Programm hinter diesem Roman, was er aber bei einem 24-jährigen Autor ganz in Ordnung findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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