Als "eines der schönsten Stücke des jungen Komponisten" stand das B-dur-Streichsextett bereits nach den ersten Aufführungen im Frühjahr 1861 bei Publikum wie Presse hoch im Kurs - und hat sich diese Position bis heute erhalten. Auch der Verleger Simrock war so angetan von dem Werk, dass er Brahms' Anregung aufnehmend zusätzlich zu den Stimmen eine Partitur drucken ließ, was damals durchaus nicht die Regel war. Die zahlreichen Differenzen dieser beiden noch 1861 erschienenen Erstausgaben stellen die Brahms-Forschung heute vor manche Probleme. Brahms-Spezialistin Katrin Eich hat sich dieser Aufgabe schon für die neue Johannes-Brahms-Gesamtausgabe gestellt, die optimale Aufbereitung für die Praxis erfolgt nun in der Urtextausgabe - natürlich ebenfalls in Stimmen und Partitur.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2022Wie man knusprigen Speck besingt
Zehn Jahre hat der Mann geschwiegen, jetzt ist Lyle Lovett wieder da. Und sein neues Album "12th of June" (Verve/Universal) sprüht nur so vor Einfällen. Mit seiner großen Band, zu der legendäre Veteranen wie der Schlagzeuger Russell Kunkel, der Gitarrist Dean Parks und der Bassist Viktor Krauss, aber auch eine stattliche Bläser-Abteilung gehören, streift Lovett durch elf Songs, darunter Klassiker wie Dave Frishbergs "Peel Me A Grape" oder Nat King Coles "Straighten Up and Fly Right". Dass er Jazz-und Country-Klänge wie selbstverständlich miteinander verbindet, ist ja schon lange Lovetts Markenzeichen, frappiert aber nach wie vor. Und auch sein Faible für skurrile Themen bekommt hier neues Futter. Dass Hosen überschätzt seien, stellt er auf "Pants Is Overrated" fest, das könne man ja schon an Jesus und den Schotten erkennen, auf "Pig Meat Man" dagegen singt er dem knusprigen Speck eine Hymne. Zwischendurch ist aber auch Platz für ein schlichtes Liebeslied wie "Her Loving Man" mit sehnsüchtig wimmernder Pedal Steel Guitar. roth.
*** Die CD mit Vesperpsalmen von Alessandro Grandi (outhere) ist venezianisch durchwirkt. In der wunderschönen Klosterkirche San Francesco della Vigna nahe dem Arsenale wurde sie aufgenommen, mit exzellenter Tonqualität. Grandis Musikalität wurde gerühmt, als er 1604, mit vierzehn Jahren, in den Chor der Basilica von San Marco eintrat. Wie sein Zeitgenosse Monteverdi probierte er in seinen Kompositionen unentwegt neue Möglichkeiten der Textausdeutung aus, so als maestro di cappella der Kirche Santa Maria Maggiore in Bergamo. Nach der Rückkehr von einer Fahrt 1630 nach Venedig, wo er seine Musik drucken ließ, wurde er, gerade vierzig Jahre alt, mitsamt seiner Familie von der Pest dahingerafft. Das 2019 gegründete Ensemble Accademia d'Arcadia unter Leitung von Alessandra Rossi Lürig singt die Psalmvertonungen voller Hingabe. Mal solistisch, begleitet von Barockorgel, Theorbe und Violine, mal im vollen, achtstimmigen Chor mit vier klangvollen Sackbuts (Barockposaunen) des Ensemble UtFaSol. Prachtvoll spiegelt das "Magnificat" die Seelenbewegung Mariae wider, und die Variationsmöglichkeiten des "Gloria patri" scheinen unendlich. art.
*** Mit "I Drink" hat Mary Gauthier unter den vielen Country-Songs, die vom Trinken handeln, vielleicht den besten geschrieben. Ihre ganze Kunst bei der Vertonung menschlicher Misere hat sie nun auf ein Thema verwendet, das mittelbar auch vom immer wieder erschütternden Waffen-Fanatismus in den Vereinigten Staaten geprägt ist: Ihr neues Album "Rifles & Rosary Beads" (In the Black Records/Membran) handelt von Kriegsveteranen, die nicht zurück ins Leben finden und es sich teils sogar nehmen. In dem Lied "The War After the War" findet sie eindrückliche Bilder für deren Wahrnehmung: Sie sehen "landmines in the living room / eggshells on the floor". Wie gelassen sie das im eigenen Wohnzimmer zwischen Büchern und Besenschlagzeug singt (siehe Musikvideo), verstärkt noch die Wirkung. Auch "Soldiering On" hält eine Lebensweisheit bereit: Was dich in der Schlacht rettet, kann dich zuhause töten. Wie bei allen guten Countrysängern fehlt auch bei ihr der Sarkasmus nicht: Am Veteranentag gehen andere für dich auf die Knie, sie würden dich aber am nächsten Tag wieder in den Kampf schicken. wiel.
*** Hemmungslose Hingabe an die Schönheit der Welt und des Lebens wie selten einmal in der Musik von Johannes Brahms strahlt aus seinem Streichsextett B-Dur op. 18. Obwohl der Komponist bei der Fertigstellung 1859 noch gar keinen Wiener Boden betreten hatte, ist doch der erste Satz schon mit ganzer Seele in Wien, mit ganzem Leib auch. Da wird ein Walzer nach dem andern getanzt, besser: ein Ländler, nicht ganz so schnell, denn das Belcea-Quartett, verstärkt um die Bratschistin Tabea Zimmermann und den Cellisten Jean-Guihen Queyras, hält sich wirklich an das Tempo Allegro ma non troppo, nicht zu schnell also. Druckvoll pulsiert der Ton; es ist ein körperreiches, organisches Spiel, das zugleich in partnerschaftlicher Aufmerksamkeit vibriert. Das Grazioso im Finale wird als zwischenmenschliche Zuwendung ausgekostet. Und wie im ersten der hier vorgelegten "String Sextets" (Alpha Classics) alles auf Tanzbarkeit ausgelegt ist, so verströmt das zweite, das G-Dur-Sextett op. 36, silbrig schimmernden Gesang. Ein vollkommenes Brahms-Glück. jbm.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zehn Jahre hat der Mann geschwiegen, jetzt ist Lyle Lovett wieder da. Und sein neues Album "12th of June" (Verve/Universal) sprüht nur so vor Einfällen. Mit seiner großen Band, zu der legendäre Veteranen wie der Schlagzeuger Russell Kunkel, der Gitarrist Dean Parks und der Bassist Viktor Krauss, aber auch eine stattliche Bläser-Abteilung gehören, streift Lovett durch elf Songs, darunter Klassiker wie Dave Frishbergs "Peel Me A Grape" oder Nat King Coles "Straighten Up and Fly Right". Dass er Jazz-und Country-Klänge wie selbstverständlich miteinander verbindet, ist ja schon lange Lovetts Markenzeichen, frappiert aber nach wie vor. Und auch sein Faible für skurrile Themen bekommt hier neues Futter. Dass Hosen überschätzt seien, stellt er auf "Pants Is Overrated" fest, das könne man ja schon an Jesus und den Schotten erkennen, auf "Pig Meat Man" dagegen singt er dem knusprigen Speck eine Hymne. Zwischendurch ist aber auch Platz für ein schlichtes Liebeslied wie "Her Loving Man" mit sehnsüchtig wimmernder Pedal Steel Guitar. roth.
*** Die CD mit Vesperpsalmen von Alessandro Grandi (outhere) ist venezianisch durchwirkt. In der wunderschönen Klosterkirche San Francesco della Vigna nahe dem Arsenale wurde sie aufgenommen, mit exzellenter Tonqualität. Grandis Musikalität wurde gerühmt, als er 1604, mit vierzehn Jahren, in den Chor der Basilica von San Marco eintrat. Wie sein Zeitgenosse Monteverdi probierte er in seinen Kompositionen unentwegt neue Möglichkeiten der Textausdeutung aus, so als maestro di cappella der Kirche Santa Maria Maggiore in Bergamo. Nach der Rückkehr von einer Fahrt 1630 nach Venedig, wo er seine Musik drucken ließ, wurde er, gerade vierzig Jahre alt, mitsamt seiner Familie von der Pest dahingerafft. Das 2019 gegründete Ensemble Accademia d'Arcadia unter Leitung von Alessandra Rossi Lürig singt die Psalmvertonungen voller Hingabe. Mal solistisch, begleitet von Barockorgel, Theorbe und Violine, mal im vollen, achtstimmigen Chor mit vier klangvollen Sackbuts (Barockposaunen) des Ensemble UtFaSol. Prachtvoll spiegelt das "Magnificat" die Seelenbewegung Mariae wider, und die Variationsmöglichkeiten des "Gloria patri" scheinen unendlich. art.
*** Mit "I Drink" hat Mary Gauthier unter den vielen Country-Songs, die vom Trinken handeln, vielleicht den besten geschrieben. Ihre ganze Kunst bei der Vertonung menschlicher Misere hat sie nun auf ein Thema verwendet, das mittelbar auch vom immer wieder erschütternden Waffen-Fanatismus in den Vereinigten Staaten geprägt ist: Ihr neues Album "Rifles & Rosary Beads" (In the Black Records/Membran) handelt von Kriegsveteranen, die nicht zurück ins Leben finden und es sich teils sogar nehmen. In dem Lied "The War After the War" findet sie eindrückliche Bilder für deren Wahrnehmung: Sie sehen "landmines in the living room / eggshells on the floor". Wie gelassen sie das im eigenen Wohnzimmer zwischen Büchern und Besenschlagzeug singt (siehe Musikvideo), verstärkt noch die Wirkung. Auch "Soldiering On" hält eine Lebensweisheit bereit: Was dich in der Schlacht rettet, kann dich zuhause töten. Wie bei allen guten Countrysängern fehlt auch bei ihr der Sarkasmus nicht: Am Veteranentag gehen andere für dich auf die Knie, sie würden dich aber am nächsten Tag wieder in den Kampf schicken. wiel.
*** Hemmungslose Hingabe an die Schönheit der Welt und des Lebens wie selten einmal in der Musik von Johannes Brahms strahlt aus seinem Streichsextett B-Dur op. 18. Obwohl der Komponist bei der Fertigstellung 1859 noch gar keinen Wiener Boden betreten hatte, ist doch der erste Satz schon mit ganzer Seele in Wien, mit ganzem Leib auch. Da wird ein Walzer nach dem andern getanzt, besser: ein Ländler, nicht ganz so schnell, denn das Belcea-Quartett, verstärkt um die Bratschistin Tabea Zimmermann und den Cellisten Jean-Guihen Queyras, hält sich wirklich an das Tempo Allegro ma non troppo, nicht zu schnell also. Druckvoll pulsiert der Ton; es ist ein körperreiches, organisches Spiel, das zugleich in partnerschaftlicher Aufmerksamkeit vibriert. Das Grazioso im Finale wird als zwischenmenschliche Zuwendung ausgekostet. Und wie im ersten der hier vorgelegten "String Sextets" (Alpha Classics) alles auf Tanzbarkeit ausgelegt ist, so verströmt das zweite, das G-Dur-Sextett op. 36, silbrig schimmernden Gesang. Ein vollkommenes Brahms-Glück. jbm.
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