Mit einer einzelnen Szene eine ganze Geschichte erzählen - das kann die ungarische Autorin Krisztina Tóth wie keine andere. Sie schreibt von Aufbruch und Verlust, von kindlicher Schuld und dem ersten großen Schmerz, von den Zumutungen familiärer Bindung und der Nähe des Todes im Leben.
Dem Kindheits-Ich, das durch diese Geschichten huscht, war der Strichcode ein vertrautes Geheimnis. Ein untrügliches Erkennungsmerkmal für Waren aus dem Westen, meist unerreichbar im Ungarn der Kádár-Zeit. Und zugleich ein rätselhaftes Zeichen, von dem es hieß, es erfasse die Dinge in ihrem Wesen. In fünfzehn Begebenheiten versucht Krisztina Tóth den Strichcode des eigenen Lebens zu entschlüsseln und blickt lakonisch auf ihr früheres Selbst: das Kind, das in der Budapester U-Bahn zum ersten Mal eine Tote erblickt; das Mädchen, dessen Vater ihre Puppe in den Ofen wirft, weil die Familie beim Umzug »nur das Nötigste« mitnimmt; die Teenagerin, die sich seit der Ankunft ihrer amerikanischen Gastschülerin von allen Seiten zurückgesetzt fühlt; die Studentin, die sich in einem schäbigen Pariser Wohnheim in eine heftige Liebesaffäre stürzt. Subtile Bilder, Witz, Melancholie, mal faszinierend fremd, mal unheimlich vertraut - deshalb ist Krisztina Tóth eine Entdeckung.
Dem Kindheits-Ich, das durch diese Geschichten huscht, war der Strichcode ein vertrautes Geheimnis. Ein untrügliches Erkennungsmerkmal für Waren aus dem Westen, meist unerreichbar im Ungarn der Kádár-Zeit. Und zugleich ein rätselhaftes Zeichen, von dem es hieß, es erfasse die Dinge in ihrem Wesen. In fünfzehn Begebenheiten versucht Krisztina Tóth den Strichcode des eigenen Lebens zu entschlüsseln und blickt lakonisch auf ihr früheres Selbst: das Kind, das in der Budapester U-Bahn zum ersten Mal eine Tote erblickt; das Mädchen, dessen Vater ihre Puppe in den Ofen wirft, weil die Familie beim Umzug »nur das Nötigste« mitnimmt; die Teenagerin, die sich seit der Ankunft ihrer amerikanischen Gastschülerin von allen Seiten zurückgesetzt fühlt; die Studentin, die sich in einem schäbigen Pariser Wohnheim in eine heftige Liebesaffäre stürzt. Subtile Bilder, Witz, Melancholie, mal faszinierend fremd, mal unheimlich vertraut - deshalb ist Krisztina Tóth eine Entdeckung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2012Bücher I Eine sozialistische Jugend, ein Erwachsenwerden im Postsozialismus, Studium im Ausland und Rückkehr in die ungarische Heimat, erste Lieben, ein Kind - das sind die Koordinaten der Biographie einer jungen Frau, von der Krisztina Tóth in "Strichcode" erzählt (Bloomsbury, 19,90 Euro). Wie eine Cutterin am Schneidetisch, die aus Bildformaten und -materialien, Schärfen und Unschärfen, Doppelbelichtungen einen Film montiert, baut Tóth mit fast schon unheimlichem Gespür aus den schmalen, breiten Strichcodefäden der Erinnerung ihre Montage, die sich zu einer Einheit zusammenschließt, aber auch so viel Schwarzfilm stehen lässt, dass kein Lebenslauf daraus wird. Tóth zeigt, welche Befreiung das Schreiben ist: Denn im Akt des Erzählens, das Überhöhung, Verdichtung, Übertreibung erlaubt, dreht sich das Machtverhältnis um, nicht die Dinge haben dann Gewalt über uns, wir selbst sind es jetzt, die die sich kreuzenden, verfehlenden, auslöschenden Linien ordnen, den Strichcode des Lebens ziehen, den jeder von uns immerfort zu entschlüsseln sucht.
beha
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Judith Leister ist ganz aus dem Häuschen angesichts dieser brachialen und doch sensiblen, traurigen und doch humorvollen, in jedem Fall aber vitalen Prosa. Was die Ungarin Krisztina Toth in ihren laut Leister sowohl als zusammenhängende Erzählung auch als einzeln funktionierenden, hoch konzentrierten Texten an Verlorenen, an Erniedrigten und Traumatisierten versammelt, lebt für die Rezensentin allerdings nur vordergründig von Ekel- und Schockeffekten. Dahinter entdeckt sie historisch-politische Bedingungen, Kindheitserfahrungen im sozialistischen Plattenbau und im globalen Supermarkt, von Brüchen gezeichnete Lebenslinien. Die Linie als Strukturprinzip, für Leister gleichfalls offenbar in den Texten der Autorin als Trenn-, Schnitt- oder Grenzlinie unterstreicht das Fragmentarische dieser Erzählungen, die die Rezensentin "manchmal an verwackelte Urlaubsvideos erinnern".
© Perlentaucher Medien GmbH
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