Marktwirtschaft, Wissenschaft und politische Intervention: die staatliche Stützung der bundesdeutschen Industrie nach dem »Wirtschaftswunder«.Mit dem Abflauen des Nachkriegsbooms in den 1960er Jahren geriet die bundesdeutsche Industrie unter verstärkten Anpassungsdruck. Zunehmende Rufe nach staatlicher Unterstützung resultierten in Subventionen, die zur Dämpfung von Deindustrialisierungskrisen ebenso eingesetzt wurden wie zur Förderung von Branchen, die als besonders zukunftsfähig galten. Die Etablierung eines neuen Politikfelds namens »Strukturpolitik« sollte diese Eingriffe in den wirtschaftlichen Strukturwandel gleichzeitig legitimieren und begrenzen. Forderungen nach einem drastischen Subventionsabbau standen jedoch in den 1970er und 1980er Jahren zunehmende Leistungen an die Industrie gegenüber. Das Feld blieb von Aushandlungsprozessen zwischen Politik und Wirtschaft sowie von einem Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Politikberatung und pragmatischer Praxis geprägt. Ralf Ahrens analysiert die Debatten über Legitimität und Formen industriepolitischer Intervention bis zum Ende der »alten« Bundesrepublik. In Fallstudien zur Stahlindustrie, zum Flugzeugbau und zur Computerindustrie zeigt er, dass die Subventionierung über Regierungswechsel hinweg vor allem von Branchenkonstellationen bestimmt war.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein an sich etwas trockenes Thema, Subventionen in der BRD von 1960 bis zur Wende, hat den Rezensenten Hartmut Berghoff doch überraschen können: Der Autor Ralf Ahrens kann ihm zeigen, dass Subventionen immer politisch und viel seltener ökonomisch motiviert sind. Doch was genau sind eigentlich Subventionen? Finanzspritzen und Steuererleichterung. Dies werde anhand interessanter, gut recherchierter Beispiele und den sie umgebenden Kontroversen erläutert, wie dem eigentlich todgeweihten Bergbau, der, man wollte keine Wählerstimmen verlieren, aus politischen Gründen weiter subventioniert wurde, verrät Berghoff. Er nimmt aus dem Buch auch mit, dass bis heute viele wenig zukunftsfähige Wirtschaftszweige in Deutschland abhängig von Subventionen sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2022"Opium für die Wirtschaft"
Zur Geschichte der Subventionen in Deutschland
Das politische Urgestein der alten Bundesrepublik, Franz Josef Strauß, wetterte gegen die um sich greifende "Subventionsmentalität", bestand aber 1979 auf milliardenschweren Hilfen für die Deutsche Airbus, deren Aufsichtsrat er im Nebenamt vorstand. Der Berliner Wirtschaftssenator Elmar Pieroth ließ kein gutes Haar an den Hilfen für die Werften, schwieg aber zu der erschreckend wirkungslosen Berlinförderung. Subventionen werden oft als "Opium für die Wirtschaft" kritisiert, zugleich aber eigene Branchen- oder Standortinteressen mit dem Hinweis auf strukturpolitische Sachzwänge hartnäckig verteidigt.
In dieses Dickicht führt das luzide Buch von Ralf Ahrens, der die bundesdeutsche Subventionspraxis zwischen den 1960er- und den 1980er-Jahren sowie die sie begleitenden Kontroversen analysiert. Das Thema ist kompliziert, denn es fehlt eine klare Definition von Subventionen, deren exakter Umfang unbekannt ist. Der seit 1967 erscheinende Subventionsbericht der Bundesregierung ist alles andere als vollständig. Im Kern geht es um direkte Finanzhilfen und Steuerkonzessionen, die auf verschiedenen Ebenen bis hinunter zu den Kommunen gewährt werden. Ahrens konzentriert sich auf den Bund und die Industrie. Die Wahl des Zeitraumes leuchtet ein, denn nach dem Ende des Nachkriegsbooms und durch die Ölkrisen kam die deutsche Wirtschaft um 1970 unter Druck. Den Endpunkt der Darstellung markiert die deutsche Vereinigung, mit der ein neues Kapitel der Subventionspolitik begann.
Die Ergebnisse dieser profunden, jedoch zuweilen trockenen Studie lassen aufhorchen. Die Vergabe von Subventionen folgte nie einer ökonomischen, sondern stets einer politischen Logik. Die mittelständisch strukturierte und regional breit gestreute Textilindustrie kam zu keinem Zeitpunkt in die Nähe der Fördertöpfe, die der Ruhrbergbau anzapfen konnte. Hier handelte es sich um geographisch konzentrierte Großunternehmen mit großer politischer Hebelkraft. Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsstärkstes Bundesland hatte eine überragende Bedeutung als Wählerreservat, die eine zugeknöpfte Politik gegenüber den Kumpeln nicht zuließ. So flossen über die Jahrzehnte dreistellige Milliardenbeträge an strukturkonservierenden Subventionen in den todgeweihten Steinkohlebergbau. Es ist bemerkenswert, dass man die Stahlindustrie nicht im Entferntesten in ähnlicher Höhe förderte. Sie blieb sogar deutlich hinter den Werften und der Schifffahrt zurück.
Der einzige Empfänger hoher Subventionen, den man als Zukunftsindustrie klassifizieren kann, war die Luft- und Raumfahrtindustrie. Beim Airbus-Projekt spielten starke außen- und militärpolitische Überlegungen eine Rolle. Was anfangs ein Fass ohne Boden zu sein schien, entwickelte sich langfristig zu einem teilweise hochprofitablen Gegengewicht zum amerikanischen Monopolisten Boeing. Dieser Erfolg war nicht absehbar und stand immer wieder infrage.
Auch die Informationstechnologie zählte zu den Zukunftsindustrien. Der Versuch, die Vormachtstellung von IBM bei Großrechnern durch die Förderung von Siemens und AEG herauszufordern, wurde ein Schlag ins Wasser. Die Umorientierung auf die sogenannte "mittlere Datentechnik" machte zwar prinzipiell Sinn, brachte aber nur karge Resultate hervor. Die Dominanz der USA bei der IT wurde auch mit Zuschüssen aus der Staatskasse nicht gebrochen.
Keine Branchen wurden so üppig bedacht wie die Landwirtschaft und der Bergbau. Schrumpfende Sektoren erhielten deutlich mehr als Wachstumsbranchen. Zu keiner Zeit gab es eine systematische Erfolgskontrolle oder ein subventionspolitisches Gesamtkonzept, sondern stets nur fallbezogene Reaktionen auf spezifische Forderungen und letztlich intransparente Aushandlungsprozesse. Dort, wo es wie im Ruhrgebiet oder in den Küstenländern regional hoch konzentrierte Branchen gab, waren die Erfolgsaussichten hoch. Auch die Terminierung von Wahlen spielte eine nicht unwesentliche Rolle. Es gab auch sehr alte Subventionen, an deren Sinn sich niemand mehr erinnern konnte, wie die 1868 eingeführte Steuerbefreiung von Salz für das damals wichtige Einsalzen von Heringen. Ungefähr ein Drittel der als Subventionen klassifizierten Steuervergünstigungen waren vor 1949 eingeführt worden.
Allerdings täuscht der Eindruck einer ständigen Erhöhung der Subventionen. Es gab auch Phasen des relativen Abbaus wie in den frühen 1970er-Jahren, als ihr Anteil am Bundeshaushalt sank. In den 1980er-Jahren stiegen die Leistungen zugunsten der Industrie aber im Gegensatz zur neoliberalen Marktrhetorik der Kohl-Regierung auf neue Höchststände. Diverse Versuche der Rückführung von Subventionen etwa durch generelle prozentuale Kürzungen scheiterten immer am Widerstand der Empfänger. Die deutsche Vereinigung beendete die zweifelhafte Zonenrand- und Berlinförderung, um das Prinzip der Regionalförderung sofort auf ganz Ostdeutschland zu übertragen. Die Wirtschaft ist auch nach Jahrzehnten marktwirtschaftlicher Sonntagsreden nicht von ihrer "Drogenabhängigkeit" kuriert. Ganz im Gegenteil wächst in Zeiten der neuen Energiepreiskrise die Zahl der Süchtigen sprunghaft. HARTMUT BERGHOFF
Ralf Ahrens: Strukturpolitik und Subventionen. Debatten und industriepolitische Entscheidungen in der Bonner Republik, Wallstein, Göttingen 2022, 312 Seiten, 32 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zur Geschichte der Subventionen in Deutschland
Das politische Urgestein der alten Bundesrepublik, Franz Josef Strauß, wetterte gegen die um sich greifende "Subventionsmentalität", bestand aber 1979 auf milliardenschweren Hilfen für die Deutsche Airbus, deren Aufsichtsrat er im Nebenamt vorstand. Der Berliner Wirtschaftssenator Elmar Pieroth ließ kein gutes Haar an den Hilfen für die Werften, schwieg aber zu der erschreckend wirkungslosen Berlinförderung. Subventionen werden oft als "Opium für die Wirtschaft" kritisiert, zugleich aber eigene Branchen- oder Standortinteressen mit dem Hinweis auf strukturpolitische Sachzwänge hartnäckig verteidigt.
In dieses Dickicht führt das luzide Buch von Ralf Ahrens, der die bundesdeutsche Subventionspraxis zwischen den 1960er- und den 1980er-Jahren sowie die sie begleitenden Kontroversen analysiert. Das Thema ist kompliziert, denn es fehlt eine klare Definition von Subventionen, deren exakter Umfang unbekannt ist. Der seit 1967 erscheinende Subventionsbericht der Bundesregierung ist alles andere als vollständig. Im Kern geht es um direkte Finanzhilfen und Steuerkonzessionen, die auf verschiedenen Ebenen bis hinunter zu den Kommunen gewährt werden. Ahrens konzentriert sich auf den Bund und die Industrie. Die Wahl des Zeitraumes leuchtet ein, denn nach dem Ende des Nachkriegsbooms und durch die Ölkrisen kam die deutsche Wirtschaft um 1970 unter Druck. Den Endpunkt der Darstellung markiert die deutsche Vereinigung, mit der ein neues Kapitel der Subventionspolitik begann.
Die Ergebnisse dieser profunden, jedoch zuweilen trockenen Studie lassen aufhorchen. Die Vergabe von Subventionen folgte nie einer ökonomischen, sondern stets einer politischen Logik. Die mittelständisch strukturierte und regional breit gestreute Textilindustrie kam zu keinem Zeitpunkt in die Nähe der Fördertöpfe, die der Ruhrbergbau anzapfen konnte. Hier handelte es sich um geographisch konzentrierte Großunternehmen mit großer politischer Hebelkraft. Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsstärkstes Bundesland hatte eine überragende Bedeutung als Wählerreservat, die eine zugeknöpfte Politik gegenüber den Kumpeln nicht zuließ. So flossen über die Jahrzehnte dreistellige Milliardenbeträge an strukturkonservierenden Subventionen in den todgeweihten Steinkohlebergbau. Es ist bemerkenswert, dass man die Stahlindustrie nicht im Entferntesten in ähnlicher Höhe förderte. Sie blieb sogar deutlich hinter den Werften und der Schifffahrt zurück.
Der einzige Empfänger hoher Subventionen, den man als Zukunftsindustrie klassifizieren kann, war die Luft- und Raumfahrtindustrie. Beim Airbus-Projekt spielten starke außen- und militärpolitische Überlegungen eine Rolle. Was anfangs ein Fass ohne Boden zu sein schien, entwickelte sich langfristig zu einem teilweise hochprofitablen Gegengewicht zum amerikanischen Monopolisten Boeing. Dieser Erfolg war nicht absehbar und stand immer wieder infrage.
Auch die Informationstechnologie zählte zu den Zukunftsindustrien. Der Versuch, die Vormachtstellung von IBM bei Großrechnern durch die Förderung von Siemens und AEG herauszufordern, wurde ein Schlag ins Wasser. Die Umorientierung auf die sogenannte "mittlere Datentechnik" machte zwar prinzipiell Sinn, brachte aber nur karge Resultate hervor. Die Dominanz der USA bei der IT wurde auch mit Zuschüssen aus der Staatskasse nicht gebrochen.
Keine Branchen wurden so üppig bedacht wie die Landwirtschaft und der Bergbau. Schrumpfende Sektoren erhielten deutlich mehr als Wachstumsbranchen. Zu keiner Zeit gab es eine systematische Erfolgskontrolle oder ein subventionspolitisches Gesamtkonzept, sondern stets nur fallbezogene Reaktionen auf spezifische Forderungen und letztlich intransparente Aushandlungsprozesse. Dort, wo es wie im Ruhrgebiet oder in den Küstenländern regional hoch konzentrierte Branchen gab, waren die Erfolgsaussichten hoch. Auch die Terminierung von Wahlen spielte eine nicht unwesentliche Rolle. Es gab auch sehr alte Subventionen, an deren Sinn sich niemand mehr erinnern konnte, wie die 1868 eingeführte Steuerbefreiung von Salz für das damals wichtige Einsalzen von Heringen. Ungefähr ein Drittel der als Subventionen klassifizierten Steuervergünstigungen waren vor 1949 eingeführt worden.
Allerdings täuscht der Eindruck einer ständigen Erhöhung der Subventionen. Es gab auch Phasen des relativen Abbaus wie in den frühen 1970er-Jahren, als ihr Anteil am Bundeshaushalt sank. In den 1980er-Jahren stiegen die Leistungen zugunsten der Industrie aber im Gegensatz zur neoliberalen Marktrhetorik der Kohl-Regierung auf neue Höchststände. Diverse Versuche der Rückführung von Subventionen etwa durch generelle prozentuale Kürzungen scheiterten immer am Widerstand der Empfänger. Die deutsche Vereinigung beendete die zweifelhafte Zonenrand- und Berlinförderung, um das Prinzip der Regionalförderung sofort auf ganz Ostdeutschland zu übertragen. Die Wirtschaft ist auch nach Jahrzehnten marktwirtschaftlicher Sonntagsreden nicht von ihrer "Drogenabhängigkeit" kuriert. Ganz im Gegenteil wächst in Zeiten der neuen Energiepreiskrise die Zahl der Süchtigen sprunghaft. HARTMUT BERGHOFF
Ralf Ahrens: Strukturpolitik und Subventionen. Debatten und industriepolitische Entscheidungen in der Bonner Republik, Wallstein, Göttingen 2022, 312 Seiten, 32 Euro.
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»eine ebenso fundierte wie detaillierte Gesamtdarstellung« (Christoph Kopper, Historische Zeitschrift, 2024)