Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2006Der Impressionist als Regisseur
Lichter der Großstadt: Herman Bangs "Stuck" in einer Neuausgabe
Vielleicht muß man in Prag leben, um so über Kopenhagen zu schreiben, bettelarm sein, um Prunk und Verschwendung so farbig zu schildern, und vor den Trümmern einer Liebe stehen, um eine Generation zu zeichnen, die sich auf große Gefühle lieber nicht einlassen mag.
Als Herman Bang 1887 aus dieser mehrfachen Distanz seinen großen Vanitas-Roman "Stuck" schrieb, das Buch von Aufstieg und Fall eines prächtigen Theaterhauses in Kopenhagen und seiner Betreiber, erzählte er gleichwohl von einer Welt, die ihm zutiefst vertraut war: Die aufstrebende, wirtschaftlich wie kulturell überschnell expandierende dänische Hauptstadt hatte er wenige Jahre zuvor als Zuschauer und auch ein wenig als Akteur erlebt. Wie der Journalist Herluf Berg, aus dessen Perspektive viele Kapitel erzählt werden, bewegte sich Bang schon in jungen Jahren unüberhörbar in der literarischen Öffentlichkeit, publizierte Kritiken und Essays und sorgte mit seinem ersten, deutlich autobiographischen Roman "Hoffnungslose Geschlechter" für einen handfesten Skandal. Er hielt Vorträge und umgab sich dabei mit dandyhaftem Glamour, strapazierte seine Finanzen aufs äußerste für Garderobe und Parfüm - und sah sich in Dänemark wegen seiner Homosexualität immer häßlicheren Anwürfen ausgesetzt.
Bang zog nach Berlin, um sich dort als Journalist zu etablieren, wurde rasch wegen Majestätsbeleidigung ausgewiesen (er hatte in einem Feuilleton allzu sorglos über die kaiserliche Familie gespottet), floh über Meiningen nach Wien und Prag, immer überwacht von der Geheimpolizei, immer in Angst, seine Liebesbeziehung mit dem deutschen Schauspieler Max Eisfeld könne ans Licht kommen, von immer ärgeren Geldsorgen geplagt, schließlich von Eisfeld betrogen und verlassen. Und seinen neuen Roman, mußte der nunmehr Dreißigjährige feststellen, wollte der dänische Verleger auch nicht drucken, jedenfalls nicht so.
Daß er es mit einem überlegen komponierten Großstadtroman zu tun hatte, sah der Verleger erstaunlicherweise nicht. Das Buch, das nun in neuer Übersetzung von Ingeborg und Aldo Keel bei Manesse erschienen ist, ein flirrender Text aus lauter Miniaturen, verleiht der Metropole Gestalt und läßt sie zum eigenständigen Akteur der Handlung werden: die Architektur, die schnell hochgezogenen Gebäude aus brüchigem Material, in denen schon das Wasser steht, während die Fassade noch in Stuckornamenten schwelgt, den Straßenlärm und die Geräusche der Baustellen, das unaufhörliche Gerede ihrer Bewohner und das Lied der Saison, ein Couplet aus einer frivolen Operette.
Herman Bangs Figuren, allen voran Herluf Berg, schon durch den Namen als Alter ego des Autors gezeichnet, knüpfen ihre Träume an den überall spürbaren Aufbruch der Stadt; Berg übernimmt das glitzernde Victoria-Theater und erleidet am Ende mit seinem Kompagnon Schiffbruch, um ihn herum perlen die Seifenblasenträume seiner Bekannten, die Geschäfte machen und Wechsel fälschen, die aus der Provinz in die Hauptstadt strömen und vor lauter Verwunderung über das schnelle Kopenhagen immer einen Schritt zu langsam sind, die bei den großen Einladungen und Feiern mithalten wollen und sich dafür rettungslos verschulden - Bangs großes Talent, festliche Mahlzeiten in allen Schattierungen zu schildern, zeigt sich in diesem Roman ein erstes Mal: wo die Speisenfolge, die Tischordnung, jeder Griff zum Glas oder zur Serviette im Dienst der Handlung steht, ohne daß man es beim ersten Lesen recht eigentlich merkt und ohne daß sich diese Bedeutung als Gewicht an den Erzählfluß hinge.
Unter all diesen jungen Unternehmern aber, die entschlossen zugreifen, wo sie ein Geschäft wittern, herrscht umgekehrt eine beträchtliche Verunsicherung, wenn es um längerfristige Entwürfe geht, um Ziele, die über den Tag hinausweisen. Wenn einmal ein alter Professor, dessen Sohn im Sterben liegt, in einer wütenden Tirade auf die Protagonisten des Wandels in Kopenhagen schimpft, "diese Freiheitsleute" hätten diesen Glanz auf tönernen Füßen "mit ihrer freien Liebe" und "ihren freien Gedanken errichtet", so liegt er ganz falsch: Denn von beidem kann keine Rede sein, im Gegenteil, es ist gerade der Mangel an Entschlußkraft in seiner Affäre mit einer verheirateten Frau, die den Sohn des Professors letztlich ins Grab gebracht hat.
Um so deutlicher gilt Bangs Teilnahme den Gestalten am Rande (und auch dies weist auf seine späteren großen Erzählungen voraus), jenen Figuren, die zwischen Bewunderung und Besorgnis schwanken, wenn sie der ungeheuren Verschwendung zusehen, und die manchmal geradezu verbissen handeln, um zu retten, was sich retten läßt - die verhutzelte Frau des Architekten all dieser Wunderbauten etwa, die in der Küche des von ihm betriebenen Theaterrestaurants dem französischen Koch Tag und Nacht auf die Finger schaut, bis der entnervt das Weite sucht. Es sind die Liebenden in einer lieblosen Welt, verstörte Gäste, die in den glitzernden Ballsälen den Verfall vor allen anderen kommen sehen, den verschlissenen Stoff der Vorhänge, die Tische, deren edles Holz nur Farbe ist, die Marmorsäulen aus Gips.
Versuche, Bang in Deutschland heimisch zu machen, hat es auch vor dieser Neuausgabe von "Stuck" gegeben, besonders zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sind die wichtigsten Werke des Autors bei S. Fischer erschienen. Später unternahmen die Verlage Hinstorff und Hanser in Ost und West eine dreibändige Ausgabe, die zwar einige empfindliche Lücken enthält (es fehlt etwa der Künstlerroman "Michael" und, gewichtiger noch, "Hoffnungslose Geschlechter"), aber doch ein ernsthaftes Angebot an die Leser war, einen Autor kennenzulernen, den man nicht verfehlen sollte: als Meister der kleinen Form, als beobachtenden Impressionisten von Gnaden, als souveränen Regisseur der Abendgesellschaften zudem, deren Glanz er beschreibt, ohne den ideellen Preis zu vergessen, mit dem jeder Schluck Champagner erkauft wurde. Und dessen Talent zur boshaften Entlarvung aller Aufgeblasenheit Hand in Hand geht mit einem umfassenden Mitgefühl für diejenigen, die dabei unter die Räder geraten sind.
TILMAN SPRECKELSEN
Herman Bang: "Stuck". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ingeborg und Aldo Keel. Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2005. 521 S., geb., 22,90 [Euro] (als Lederausgabe 59,90 [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lichter der Großstadt: Herman Bangs "Stuck" in einer Neuausgabe
Vielleicht muß man in Prag leben, um so über Kopenhagen zu schreiben, bettelarm sein, um Prunk und Verschwendung so farbig zu schildern, und vor den Trümmern einer Liebe stehen, um eine Generation zu zeichnen, die sich auf große Gefühle lieber nicht einlassen mag.
Als Herman Bang 1887 aus dieser mehrfachen Distanz seinen großen Vanitas-Roman "Stuck" schrieb, das Buch von Aufstieg und Fall eines prächtigen Theaterhauses in Kopenhagen und seiner Betreiber, erzählte er gleichwohl von einer Welt, die ihm zutiefst vertraut war: Die aufstrebende, wirtschaftlich wie kulturell überschnell expandierende dänische Hauptstadt hatte er wenige Jahre zuvor als Zuschauer und auch ein wenig als Akteur erlebt. Wie der Journalist Herluf Berg, aus dessen Perspektive viele Kapitel erzählt werden, bewegte sich Bang schon in jungen Jahren unüberhörbar in der literarischen Öffentlichkeit, publizierte Kritiken und Essays und sorgte mit seinem ersten, deutlich autobiographischen Roman "Hoffnungslose Geschlechter" für einen handfesten Skandal. Er hielt Vorträge und umgab sich dabei mit dandyhaftem Glamour, strapazierte seine Finanzen aufs äußerste für Garderobe und Parfüm - und sah sich in Dänemark wegen seiner Homosexualität immer häßlicheren Anwürfen ausgesetzt.
Bang zog nach Berlin, um sich dort als Journalist zu etablieren, wurde rasch wegen Majestätsbeleidigung ausgewiesen (er hatte in einem Feuilleton allzu sorglos über die kaiserliche Familie gespottet), floh über Meiningen nach Wien und Prag, immer überwacht von der Geheimpolizei, immer in Angst, seine Liebesbeziehung mit dem deutschen Schauspieler Max Eisfeld könne ans Licht kommen, von immer ärgeren Geldsorgen geplagt, schließlich von Eisfeld betrogen und verlassen. Und seinen neuen Roman, mußte der nunmehr Dreißigjährige feststellen, wollte der dänische Verleger auch nicht drucken, jedenfalls nicht so.
Daß er es mit einem überlegen komponierten Großstadtroman zu tun hatte, sah der Verleger erstaunlicherweise nicht. Das Buch, das nun in neuer Übersetzung von Ingeborg und Aldo Keel bei Manesse erschienen ist, ein flirrender Text aus lauter Miniaturen, verleiht der Metropole Gestalt und läßt sie zum eigenständigen Akteur der Handlung werden: die Architektur, die schnell hochgezogenen Gebäude aus brüchigem Material, in denen schon das Wasser steht, während die Fassade noch in Stuckornamenten schwelgt, den Straßenlärm und die Geräusche der Baustellen, das unaufhörliche Gerede ihrer Bewohner und das Lied der Saison, ein Couplet aus einer frivolen Operette.
Herman Bangs Figuren, allen voran Herluf Berg, schon durch den Namen als Alter ego des Autors gezeichnet, knüpfen ihre Träume an den überall spürbaren Aufbruch der Stadt; Berg übernimmt das glitzernde Victoria-Theater und erleidet am Ende mit seinem Kompagnon Schiffbruch, um ihn herum perlen die Seifenblasenträume seiner Bekannten, die Geschäfte machen und Wechsel fälschen, die aus der Provinz in die Hauptstadt strömen und vor lauter Verwunderung über das schnelle Kopenhagen immer einen Schritt zu langsam sind, die bei den großen Einladungen und Feiern mithalten wollen und sich dafür rettungslos verschulden - Bangs großes Talent, festliche Mahlzeiten in allen Schattierungen zu schildern, zeigt sich in diesem Roman ein erstes Mal: wo die Speisenfolge, die Tischordnung, jeder Griff zum Glas oder zur Serviette im Dienst der Handlung steht, ohne daß man es beim ersten Lesen recht eigentlich merkt und ohne daß sich diese Bedeutung als Gewicht an den Erzählfluß hinge.
Unter all diesen jungen Unternehmern aber, die entschlossen zugreifen, wo sie ein Geschäft wittern, herrscht umgekehrt eine beträchtliche Verunsicherung, wenn es um längerfristige Entwürfe geht, um Ziele, die über den Tag hinausweisen. Wenn einmal ein alter Professor, dessen Sohn im Sterben liegt, in einer wütenden Tirade auf die Protagonisten des Wandels in Kopenhagen schimpft, "diese Freiheitsleute" hätten diesen Glanz auf tönernen Füßen "mit ihrer freien Liebe" und "ihren freien Gedanken errichtet", so liegt er ganz falsch: Denn von beidem kann keine Rede sein, im Gegenteil, es ist gerade der Mangel an Entschlußkraft in seiner Affäre mit einer verheirateten Frau, die den Sohn des Professors letztlich ins Grab gebracht hat.
Um so deutlicher gilt Bangs Teilnahme den Gestalten am Rande (und auch dies weist auf seine späteren großen Erzählungen voraus), jenen Figuren, die zwischen Bewunderung und Besorgnis schwanken, wenn sie der ungeheuren Verschwendung zusehen, und die manchmal geradezu verbissen handeln, um zu retten, was sich retten läßt - die verhutzelte Frau des Architekten all dieser Wunderbauten etwa, die in der Küche des von ihm betriebenen Theaterrestaurants dem französischen Koch Tag und Nacht auf die Finger schaut, bis der entnervt das Weite sucht. Es sind die Liebenden in einer lieblosen Welt, verstörte Gäste, die in den glitzernden Ballsälen den Verfall vor allen anderen kommen sehen, den verschlissenen Stoff der Vorhänge, die Tische, deren edles Holz nur Farbe ist, die Marmorsäulen aus Gips.
Versuche, Bang in Deutschland heimisch zu machen, hat es auch vor dieser Neuausgabe von "Stuck" gegeben, besonders zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sind die wichtigsten Werke des Autors bei S. Fischer erschienen. Später unternahmen die Verlage Hinstorff und Hanser in Ost und West eine dreibändige Ausgabe, die zwar einige empfindliche Lücken enthält (es fehlt etwa der Künstlerroman "Michael" und, gewichtiger noch, "Hoffnungslose Geschlechter"), aber doch ein ernsthaftes Angebot an die Leser war, einen Autor kennenzulernen, den man nicht verfehlen sollte: als Meister der kleinen Form, als beobachtenden Impressionisten von Gnaden, als souveränen Regisseur der Abendgesellschaften zudem, deren Glanz er beschreibt, ohne den ideellen Preis zu vergessen, mit dem jeder Schluck Champagner erkauft wurde. Und dessen Talent zur boshaften Entlarvung aller Aufgeblasenheit Hand in Hand geht mit einem umfassenden Mitgefühl für diejenigen, die dabei unter die Räder geraten sind.
TILMAN SPRECKELSEN
Herman Bang: "Stuck". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ingeborg und Aldo Keel. Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2005. 521 S., geb., 22,90 [Euro] (als Lederausgabe 59,90 [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein Autor, den man nicht verfehlen sollte: als Meister der kleinen Form, als beobachtenden Impressionisten von Gnaden, als souveränen Regisseur von Abendgesellschaften zudem, deren Glanz er beschreibt, ohne den ideellen Preis zu vergessen, mit dem jeder Schluck Champagner erkauft wurde." -- Tilman Spreckelsen - Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Bang war ein Zauberer impressionistischer Tableaus." -- Martin Meyer - Neue Zürcher Zeitung
"Mit kurzen Strichen belebt der Erzähler das flimmernde Panoptikum der Großstadt. Sprache und Struktur sind ihrer Zeit voraus." -- Stuttgarter Nachrichten
"Bang war ein Zauberer impressionistischer Tableaus." -- Martin Meyer - Neue Zürcher Zeitung
"Mit kurzen Strichen belebt der Erzähler das flimmernde Panoptikum der Großstadt. Sprache und Struktur sind ihrer Zeit voraus." -- Stuttgarter Nachrichten
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Als "überlegen komponierten Großstadtroman" und "flirrenden Text aus lauter Miniaturen" feiert Rezensent Tilman Spreckels den Roman des dänischen Dandys Herman Bang. Ende des 19. Jahrhunderts sei dieser "Vanitas-Roman" zuerst erschien und nun in neuer Übersetzung wieder aufgelegt worden, schreibt der Rezensent und verneigt sich vor Bang als "beobachtendem Impressionisten von Gnaden" und "souveränen Regisseur der Abendgesellschaften" seiner Zeit. Gegenstand des Romans sei "der Aufstieg und Fall eines prächtigen Theaterhauses in Kopenhagen" samt seiner Betreiber. Um diesen Plot herum gruppiert sich der Beschreibung des Rezensenten zufolge "Prunk und Verschwendung" der Belle Epoque in Kopenhagen, zu deren Symbol der titelgebende "Stuck" geworden ist, und zwar samt ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abgründe. Held sei mit dem Journalisten Herluf Berg ein Alterego des Autors, an dem der Rezensent besonders die Fähigkeit liebt, bei aller entlarvenden Beschreibung niemals das Mitgefühl mit denen zu verlieren, die unter die Räder geraten sind.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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»Bang war ein Zauberer impressionistischer Tableaus.« Martin Meyer - Neue Zürcher Zeitung