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Diskrete Ausnahmezustände, heillose Ausweichmanöver, melancholischer Slapstick und verqueres Glück: Die kleinen Geschichten und Theaterstücke, die Angelika Meier in ihrem dritten Buch versammelt, eint eine höchst amüsante Traurigkeit. Gewissenhaft und mit gebotenem Sportsgeist, mitunter auch kindlich selbstvergessen spielen die Figuren hier ihre komischen Trauerspiele. Neben anderen treten auf: Jack Nicholson und ICH, die sich vom Fernsehsessel aus unversehens als neue Regenten Ägyptens wiederfinden; ein verhinderter »Waldbruder«, der sich von Jürgen Klinsmann geistige Führung erhofft; die…mehr

Produktbeschreibung
Diskrete Ausnahmezustände, heillose Ausweichmanöver, melancholischer Slapstick und verqueres Glück: Die kleinen Geschichten und Theaterstücke, die Angelika Meier in ihrem dritten Buch versammelt, eint eine höchst amüsante Traurigkeit. Gewissenhaft und mit gebotenem Sportsgeist, mitunter auch kindlich selbstvergessen spielen die Figuren hier ihre komischen Trauerspiele. Neben anderen treten auf: Jack Nicholson und ICH, die sich vom Fernsehsessel aus unversehens als neue Regenten Ägyptens wiederfinden; ein verhinderter »Waldbruder«, der sich von Jürgen Klinsmann geistige Führung erhofft; die Amazonenkönigin Penthesilea, die in Malibu Kleist liest und zaudernd noch einmal den Liebeskampf gegen Achill aufnimmt; oder ein Anwalt, der ein riesiges Loch im Bauch hat und sich daher mit einem »Kleidungsproblem« herumschlägt. Zu gewinnen gibt es freilich nichts, und nicht jeder kommt mit heiler Haut davon. Aber solange man spielt, kann einen niemand zwingen, man selbst zu sein.
Autorenporträt
Angelika Meier lebt als freie Schriftstellerin in Berlin und Essen. 2016 erhielt sie den Kunstpreis Literatur der Akademie der Künste, Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2013

Rettung vor der Seele
Angelika Meiers Miniaturen: "Stürzen, drüber schlafen"

"Meine Beklemmung hatte sich von Mal zu Mal gesteigert, schon nach ein paar Tests war klar, ich habe ein Kopfproblem." So steht es geschrieben, und es ist unfair, es jetzt zu zitieren, eine literarische Aussage aus ihrem Zusammenhang zu reißen und als Autorenkommentar quasi gegen sich selbst zu wenden. Das Kopfproblem wird in der Erzählung "Das hätte ich gern" von Angelika Meier mit sciencefictionhafter Technizität erörtert. Ein gewisser Mike hat "Werkzeug" angeschleppt, um Panikattacken des geschlechtsunspezifischen Ich-Erzählers in seinem Ich-Einschluss-Vakuum-Anzug vorzubeugen. Es geht offensichtlich darum, "die Dinge zu Ende zu denken", dann die Reaktionen des Körpers vorauszuberechnen, dadurch abzuschwächen und - Achtung! - den Körper von der vor sich hin spintisierenden Seele zu befreien, indem man die Seele von den Reflexen des Körpers befreit: Reset für das Reizverarbeitungssystem Mensch.

Der Leib sei der Kerker der Seele, so das Ergebnis jahrhundertealter Dualismus-Debatten der abendländischen Philosophie, bis Friedrich Nietzsche erste Zweifel an dieser Hierarchisierung anmeldete und Michel Foucault sie schließlich entschieden umkehrte. Der wahre Kerker im Menschenhaus sei seine Seele, ihr Gefangener der Körper. Der (gesellschaftliche) Zwang, lückenlos Rechenschaft über die eigene Biologie abzugeben - beim Sündenbekenntnis oder in den Beichtstuben der modernen Psychiatrie -, sei durchaus als Selbstzüchtigungsinstitut zu begreifen. "Man beaufsichtigt sich immer mit der Peitsche", heißt es dazu lakonisch in Meiers Text. So ganz auf sich zurückgeworfen in diesem Vakuumanzug, der keine Auswege aus dem eigenen Seelendrama mehr erlaubt, wird hier ein Selbstüberwindungsszenario durchgespielt. Es lässt einen einigermaßen ratlos zurück. Werden hier Körper und Geist voneinander geschieden wie bei Samuel Becketts berühmtem Irrenhauswärter Murphy, der sich nackt und in metaphysischer Mission an seinen Schaukelstuhl fesselt? Und wenn, wäre das mit dem Erreichen eines neuen Lebensspiel-Levels zu vergleichen? Davon ist in dieser Kürzesterzählung nicht unbedingt auszugehen, denn es heißt darin eben auch: "Nie hätte ich geahnt, dass ausgerechnet in diesem Anzug das dead end unserer gesamten Mission lauern könnte."

Es gibt eine Menge zu bedenken in den Miniaturen Angelika Meiers, einer erst noch vom hiesigen Lesepublikum zu entdeckenden Berliner Autorin, die es mit ihrem Psychiatrieroman "Heimlich, heimlich, mich vergiss" zwar auf die Longlist des deutschen Buchpreises geschafft hatte, dann aber, womöglich wegen der posttheoretisch hochgerüsteten Subjektzersetzungsrhetorik der versierten Literaturwissenschaftlerin, die Meier auch ist, den Sprung ins nächste Level der Shortlist nicht mehr vollzogen hat. In ihrer jetzt erschienenen Sammlung kleiner Erzählungen und Bühnenstücke kann man sich einen guten Eindruck von der Denkspannweite im Erzählrepertoire dieser Autorin machen. Bei der Unterschiedlichkeit der Stoffe fallen zwei Merkmale ins Auge.

Zum einen der abgründige Humor, der einem nach jeder erkenntnistheoretischen Arabeske entgegengrätscht, um mit herausgestreckter Zunge einen Veitstanz vor dem krampfenden Auge des Lesers aufzuführen. Etwa wenn Jürgen Klinsmann einen "Waldbruder" (eben noch dem Selbstzersetzungsseminar in Bad Berka entkommen) zum Bundesverdienstkreuz-Abholen in Anwesenheit der Köhlers mitschleppt - zu Döner Deluxe am Kottbusser Tor. Oder wenn es in einer anderen Geschichte mehr als streetwise heißt: "Es gibt nichts Besseres als die Kühle des Morgens. Der einzige gute Schlag ins Gesicht, den man bekommt."

Zum anderen wäre da bei Meier die Dauerpräsenz der Frage, wie sich der zur Selbstverleugnung fähige Kopfmensch eigentlich zu seinem Körperanhang verhalte. In einer Erzählung gibt es einen Anwalt, in dessen Körpermitte ein "ordentliches Rechteck" aus geöffneter Bauchdecke klafft. Doch anstatt ihm das Loch zu flicken, sehen die behandelnden Ärzte nur mehr eine Chance für den Patienten: Loch vergrößern. Den ganzen Innereienschmodder raus. Räumungsverkauf der inneren Organe.

Offenbar müssen alle Figuren Angelika Meiers durch das Nadelöhr des Clearing hindurch. Niemand wird hier einfach kuriert. Alle werden entkernt, ausgewaschen, neu zusammengesetzt und wieder in die Realität entlassen. Eine psychiatrische Metapher des Selbstverlustes zieht sich durch Meiers Weltwahrnehmung und hinterlässt nicht nur das irre Lachen des Klinikinsassen, sondern auch den Angstschauer der existentiellen Unbehaustheit eines Jedermann. Und was heißt hier schon behaust?

"Wenn man eine Zelle entkernt und dann die leere Hülle wieder mit genau dem füllt, was vorher drin war, dann könnte man sagen, ist gar nichts geschehen. Und doch schaut man die Sache hinterher anders an. Man weiß: Etwas ist faul im Staate Dänemark. Den Moment, und sei er noch so kurz, wo die Hülle leer war, den vergisst man nicht wieder und auch nicht, wie der Kern mal da draußen herumgelegen ist." Ja, wahrscheinlich vergisst man die eigene Entkernung nie, falls sie einem jemals widerfahren ist. Angelika Meiers unerschöpfliche Lust, das Thema zu drehen und zu wenden, bis es fast schon freiwillig den Witzetod zu sterben bereit ist, das ist ganz große Selbstentkernungskunst. Ach was, das ist einfach souverän!

KATHARINA TEUTSCH

Angelika Meier: "Stürzen, drüber schlafen".

Diaphanes Verlag, Zürich 2013. 192 S., br., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Geschichten in Angelika Meiers "Stürzen, drüber schlafen" lassen sich nicht wirklich nacherzählen, berichtet der Rezensent Martin Zingg, der deshalb nur kleine Fragmente zum Besten gibt. Da gibt es die Geschichte "Letzte Reise", in der ein Anwalt ein großes Loch in der Bauchgegend diagnostiziert bekommt und überlegt, ob die Höhle nicht ideal für ein nervenschwaches Eichhörnchen wäre, erzählt Zingg. Um ein wenig nachzuhelfen, nimmt er "Interventionen in der Körpermitte des erzählenden Ichs" vor - mit einem Küchenmesser. Es geht viel um Körper bei Angelika Meier, erklärt der Rezensent, allerdings selten so drastisch, wie in der Geschichte des Anwalts. Meistens wirft sie ihre Erzähler-Ichs in skurrile Situationen, in denen sie eigentlich nur reagieren können, berichtet Zingg, "das Ich hatte eigentlich anderes vor".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Angelika Meier pflegt einen korrosiven, abgründigen Humor, der nie, nicht eine Zeile lang, die Absicht hegt, den Aufprall der Lesenden zu mildern.« Martin Zingg, Neue Zürcher Zeitung