Auch in Stundenholz, seinem dritten Gedichtband, reichert Alexandru Bulucz individuelle Erfahrungen und Lektüreeindrücke mit Funden aus dem kollektiven Gedachtnis der Kulturen an, die sein Leben und seine Poetik bestimmen: der rumanischen und der deutschen. Ausgepragter als bisher ist unter anderem sein ethnografisches Interesse an Manifestationen kindlicher Autonomie wie dem aus der Not geborenen Kinderspiel(zeug) im Rumanien der Neunzigerjahre. Dem stellt er nicht nur das Erleben von Fremdbestimmung, sondern auch das allem entrückte, in Mythen gleitende karpatische Landleben mit seinen unwirklich anmutenden Gestalten wie der Urgroßmutter »Majka« zur Seite.
Von Klangen des Stundenholzes getragene Erzahlgedichte, sprachanalytische Gedichte oder solche, die lakonisch etwas behaupten, werden in Fußnoten, Kommentaren und Kurzessays fortgeführt und geben Einblick in den literarischen Schaffensprozess. Die sinnliche und zugleich metaphysische Poesie wechselt zwischen Lebensbejahung und -überdruss, zwischen erlittenem Mangel und Glücksempfinden.
Von Klangen des Stundenholzes getragene Erzahlgedichte, sprachanalytische Gedichte oder solche, die lakonisch etwas behaupten, werden in Fußnoten, Kommentaren und Kurzessays fortgeführt und geben Einblick in den literarischen Schaffensprozess. Die sinnliche und zugleich metaphysische Poesie wechselt zwischen Lebensbejahung und -überdruss, zwischen erlittenem Mangel und Glücksempfinden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Ein Sprachbilderbogen der rumänischen Erinnerung
Rief an den Vater: Alexandru Bulucz erweist sich in seinem neuen Gedichtband "Stundenholz" als ernsthafter Spieler.
Von Christian Metz
Krähe" lautet der Spitzname des eigenwilligen, poetischen Erzählers, der in Alexandru Bulucz' drittem Gedichtband "Stundenholz" das Wort führt: "Mein erster Spottname fällt mir jetzt ein, ist ,cioara' gewesen, was auf Rumänisch ,Krähe' bedeutet". Solche Namensgebungen können die Eigenschaften einer Figur so zuspitzen, als pikste man sie mit einer Stecknadel auf.
Diese Benennung macht zugleich aber auch die Schreibweise des Dichters pointiert sichtbar. Im eigenen Spitznamen lässt Bulucz elegant den Namen ,Kavka' anklingen. Was im Tschechischen Dohle heißt, also der deutschen Turmkrähe gleichkommt. Hochintelligente Tiere, die man aufgrund ihres auffälligen Verhaltens als bunte Vögel bezeichnen muss, trotz ihres schwarzen Federkleids. Schwarzbunt treibt es auch Bulucz, wenn er mit dem Namen cioara listig noch einen großen Literaten zum Tanz auf der Namensnadelspitze bittet: Emil Cioran.
Ein Spottname genügt Bulucz, um sich als Dichter zu charakterisieren, der seine Stimme als überaus genauer Leser erhebt. Der sich selbst als "horchend in Dohlen- und Krähenlauten" positionieren kann, wobei er diese Beschreibung ihrerseits von einer Kafka-Bemerkung ableitet. Noch ein Twist kommt hinzu: Bulucz verdrillt die Wissens-, Sprach- und Erinnerungspartikel umgehend zu einem minimalistischen Erzählstrang, indem er seinen Spottnamen als Zuspitzung des eigenen affektiven Habitus erkennt: "Ich steigerte mich oftmals derart in solch lautes Fluchen hinein, dass mir nur die eigene Heiserkeit Einhalt gebieten konnte. Das Gekrächz der Eltern untereinander, die verbale Gewalt, mit der sie sich angriffen, hat sich auf das Kind übertragen." Das Krächzen trägt den elterlichen Streit im Modus des eigenen Stimmschadens fort, um sich doch ins Poetische zu wenden. Vielleicht darf man Bulucz' fein austarierte Balancearbeit noch in der Tradition der sprachphilosophischen Dekonstruktion verorten, als poetische Postmoderne mit intimer Höchstrelevanz, die sich in kleinteiligen Wiederholungen bewegt, in "Paronomasien", wie der Titel eines Zyklus heißt, stets das Material eigener Erinnerungen "prüfend, ob des Furors Funken überspringen".
Raus aus dem Detail, ins Große: Trüge dieser Gedichtband einen Körper, hätte er die Figur eines wohlgenährten Endvierzigers. Seine beiden mittleren Zyklen (fünf und sechs) weisen mit ihren 22 und 18 Gedichten den mit Abstand größten Umfang auf. Hinzu kommt mit dem ausgreifenden 8. Zyklus noch ein dritter Bauchring. Von dieser wohlrunden Mitte aus verzweigen sich die weiteren Zyklen als schmale Gliedmaßen: ein Band von der Statur eines Pirelli-Männchens. Aber das ist kein vorteilhaftes Bild, um einen Lyrikband zu charakterisieren. Noch einmal: Alle drei zentralen Zyklen versammeln Erinnerungstexte. Der Band wirkt, als würde Bulucz, vom Ufer seines heutigen Lebens aus, drei schwere Steine in die Tiefen der Erinnerung werfen, um ihrem Sinken ebenso wie den auf der Oberfläche entstehenden Wellenkreisen zuzusehen. Was zeigt sich dort? Folgt man dem Band zu seinen feinsten Gliedmaßen, kommt man zu den hochästhetischen Bewegungen eines Air Jordan, wenn dieser "dem Ball mit den Fingerspitzen der Linken eine leichte Drehung gegen den Uhrzeigersinn" gibt. Oder am anderen Ende zur stockfleckigen Schildkröte in der "Arbeitswohnung in Alt-Tegel 6". In seinen zentralen Kreisen indes eröffnen sich faszinierende Bilder eines Landes: Rumänien. Sie gewinnen zum einen Kontur durch die Sprach- und Traditionsräume von Celan, Eliade, Cioran, Ionescu und Herta Müller. Zum anderen zeichnen sich Bilder von Bulucz' eigenem Leben ab. 1987 im rumänischen Alba Iulia geboren, verbrachte er die ersten Jahre seiner Kindheit dort, bevor er nach Deutschland kam. Im ersten der zentralen Zyklen "Lob des Herkommens aus der Geometrie der Zeit" umkreisen die Gedanken das Gehöft der Urgroßmutter mütterlicherseits. Die Kindheitsszenen auf dem Land, entlang des sogenannten Heuwegs, der jenen locus amoenus von der Realität abzugrenzen scheint, changieren zwischen erster zart wachsender Freundschaft und nie erloschenen Begegnungen mit Gaftia oder dem Stiefurgroßvater, "der gar nicht mein Stiefurgroßvater war, // wie Mutter im Nachhinein erzählt / der aber mein Stiefurgroßvater bleibt, / als den ich ihn mir vorgestellt habe". Zentralfigur dieser Umkreisung bleibt die Urgroßmutter, deren tägliche Praktiken und Tätigkeiten anschaulich werden: Das Rebeln von Maiskolben vergisst nach der Lektüre dieses Bandes niemand mehr.
Der zweite Erinnerungskreis enthält die ersten Jahre in einem Wohnblock: "Die zwei Teppichstangen im Hof zwischen den Hofblöcken", die in ihrer vielseitigen Verwendung ein Aufwachen im Sinne einer rumänischen Sportidentität erlaubt: zwischen Turnen, Tennis und Torerfolg. Oder eben zwischen Comaneci, Hagi, Tiriac und Nastase. Die dritte Auseinandersetzung mit der rumänischen Vergangenheit setzt die vorherigen geistigen Reisen in tatsächliche Bewegung um. Der poetische Erzähler bricht auf, um seinen erkrankten Vater wiederzusehen. Abermals spinnt Bulucz diesen Faden von Kafka aus: Aus dessen "Briefen an den Vater" streicht er im Angesicht der eigenen Telekommunikation schlicht den ersten Buchstaben: "Rief an den Vater" erzählt über Jahre hinweg die Geschichte der beiden überaus treffend, da diese nur aus vom Sohn initiierten Telefonaten besteht: "Die Gespräche / am Telefon, die auf Augenhöhe, sind mit unserer Trennung das Einzige, was unsere Trennung bezeugt." Um schließlich doch über die Anrufe hinaus nach Rumänien aufzubrechen, um "Abschied vom Vater" zu nehmen: "Bei Vater gewesen, der teerigen Bettstatt / der niemals mehr fremdgehen wird / der Beweger bewegt sich kaum noch."
Alexandru Bulucz hat sich seit seinem Debüt im Jahre 2016 als einer der wichtigsten Übersetzer, Herausgeber und Literaturkritiker seiner Generation profiliert. Spätestens mit diesem Band gilt dies auch für den Dichter.
Alexandru Bulucz: "Stundenholz". Gedichte.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2024. 144 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rief an den Vater: Alexandru Bulucz erweist sich in seinem neuen Gedichtband "Stundenholz" als ernsthafter Spieler.
Von Christian Metz
Krähe" lautet der Spitzname des eigenwilligen, poetischen Erzählers, der in Alexandru Bulucz' drittem Gedichtband "Stundenholz" das Wort führt: "Mein erster Spottname fällt mir jetzt ein, ist ,cioara' gewesen, was auf Rumänisch ,Krähe' bedeutet". Solche Namensgebungen können die Eigenschaften einer Figur so zuspitzen, als pikste man sie mit einer Stecknadel auf.
Diese Benennung macht zugleich aber auch die Schreibweise des Dichters pointiert sichtbar. Im eigenen Spitznamen lässt Bulucz elegant den Namen ,Kavka' anklingen. Was im Tschechischen Dohle heißt, also der deutschen Turmkrähe gleichkommt. Hochintelligente Tiere, die man aufgrund ihres auffälligen Verhaltens als bunte Vögel bezeichnen muss, trotz ihres schwarzen Federkleids. Schwarzbunt treibt es auch Bulucz, wenn er mit dem Namen cioara listig noch einen großen Literaten zum Tanz auf der Namensnadelspitze bittet: Emil Cioran.
Ein Spottname genügt Bulucz, um sich als Dichter zu charakterisieren, der seine Stimme als überaus genauer Leser erhebt. Der sich selbst als "horchend in Dohlen- und Krähenlauten" positionieren kann, wobei er diese Beschreibung ihrerseits von einer Kafka-Bemerkung ableitet. Noch ein Twist kommt hinzu: Bulucz verdrillt die Wissens-, Sprach- und Erinnerungspartikel umgehend zu einem minimalistischen Erzählstrang, indem er seinen Spottnamen als Zuspitzung des eigenen affektiven Habitus erkennt: "Ich steigerte mich oftmals derart in solch lautes Fluchen hinein, dass mir nur die eigene Heiserkeit Einhalt gebieten konnte. Das Gekrächz der Eltern untereinander, die verbale Gewalt, mit der sie sich angriffen, hat sich auf das Kind übertragen." Das Krächzen trägt den elterlichen Streit im Modus des eigenen Stimmschadens fort, um sich doch ins Poetische zu wenden. Vielleicht darf man Bulucz' fein austarierte Balancearbeit noch in der Tradition der sprachphilosophischen Dekonstruktion verorten, als poetische Postmoderne mit intimer Höchstrelevanz, die sich in kleinteiligen Wiederholungen bewegt, in "Paronomasien", wie der Titel eines Zyklus heißt, stets das Material eigener Erinnerungen "prüfend, ob des Furors Funken überspringen".
Raus aus dem Detail, ins Große: Trüge dieser Gedichtband einen Körper, hätte er die Figur eines wohlgenährten Endvierzigers. Seine beiden mittleren Zyklen (fünf und sechs) weisen mit ihren 22 und 18 Gedichten den mit Abstand größten Umfang auf. Hinzu kommt mit dem ausgreifenden 8. Zyklus noch ein dritter Bauchring. Von dieser wohlrunden Mitte aus verzweigen sich die weiteren Zyklen als schmale Gliedmaßen: ein Band von der Statur eines Pirelli-Männchens. Aber das ist kein vorteilhaftes Bild, um einen Lyrikband zu charakterisieren. Noch einmal: Alle drei zentralen Zyklen versammeln Erinnerungstexte. Der Band wirkt, als würde Bulucz, vom Ufer seines heutigen Lebens aus, drei schwere Steine in die Tiefen der Erinnerung werfen, um ihrem Sinken ebenso wie den auf der Oberfläche entstehenden Wellenkreisen zuzusehen. Was zeigt sich dort? Folgt man dem Band zu seinen feinsten Gliedmaßen, kommt man zu den hochästhetischen Bewegungen eines Air Jordan, wenn dieser "dem Ball mit den Fingerspitzen der Linken eine leichte Drehung gegen den Uhrzeigersinn" gibt. Oder am anderen Ende zur stockfleckigen Schildkröte in der "Arbeitswohnung in Alt-Tegel 6". In seinen zentralen Kreisen indes eröffnen sich faszinierende Bilder eines Landes: Rumänien. Sie gewinnen zum einen Kontur durch die Sprach- und Traditionsräume von Celan, Eliade, Cioran, Ionescu und Herta Müller. Zum anderen zeichnen sich Bilder von Bulucz' eigenem Leben ab. 1987 im rumänischen Alba Iulia geboren, verbrachte er die ersten Jahre seiner Kindheit dort, bevor er nach Deutschland kam. Im ersten der zentralen Zyklen "Lob des Herkommens aus der Geometrie der Zeit" umkreisen die Gedanken das Gehöft der Urgroßmutter mütterlicherseits. Die Kindheitsszenen auf dem Land, entlang des sogenannten Heuwegs, der jenen locus amoenus von der Realität abzugrenzen scheint, changieren zwischen erster zart wachsender Freundschaft und nie erloschenen Begegnungen mit Gaftia oder dem Stiefurgroßvater, "der gar nicht mein Stiefurgroßvater war, // wie Mutter im Nachhinein erzählt / der aber mein Stiefurgroßvater bleibt, / als den ich ihn mir vorgestellt habe". Zentralfigur dieser Umkreisung bleibt die Urgroßmutter, deren tägliche Praktiken und Tätigkeiten anschaulich werden: Das Rebeln von Maiskolben vergisst nach der Lektüre dieses Bandes niemand mehr.
Der zweite Erinnerungskreis enthält die ersten Jahre in einem Wohnblock: "Die zwei Teppichstangen im Hof zwischen den Hofblöcken", die in ihrer vielseitigen Verwendung ein Aufwachen im Sinne einer rumänischen Sportidentität erlaubt: zwischen Turnen, Tennis und Torerfolg. Oder eben zwischen Comaneci, Hagi, Tiriac und Nastase. Die dritte Auseinandersetzung mit der rumänischen Vergangenheit setzt die vorherigen geistigen Reisen in tatsächliche Bewegung um. Der poetische Erzähler bricht auf, um seinen erkrankten Vater wiederzusehen. Abermals spinnt Bulucz diesen Faden von Kafka aus: Aus dessen "Briefen an den Vater" streicht er im Angesicht der eigenen Telekommunikation schlicht den ersten Buchstaben: "Rief an den Vater" erzählt über Jahre hinweg die Geschichte der beiden überaus treffend, da diese nur aus vom Sohn initiierten Telefonaten besteht: "Die Gespräche / am Telefon, die auf Augenhöhe, sind mit unserer Trennung das Einzige, was unsere Trennung bezeugt." Um schließlich doch über die Anrufe hinaus nach Rumänien aufzubrechen, um "Abschied vom Vater" zu nehmen: "Bei Vater gewesen, der teerigen Bettstatt / der niemals mehr fremdgehen wird / der Beweger bewegt sich kaum noch."
Alexandru Bulucz hat sich seit seinem Debüt im Jahre 2016 als einer der wichtigsten Übersetzer, Herausgeber und Literaturkritiker seiner Generation profiliert. Spätestens mit diesem Band gilt dies auch für den Dichter.
Alexandru Bulucz: "Stundenholz". Gedichte.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2024. 144 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Geertjan de Vugt lässt sich gern von Alexandru Bulucz die Stunde schlagen. Vom Stundenbrett zum Hammer ist es für den Rezensenten nur ein Schlag, und so horcht er in diesen Gedichten auf Echos, die das Hämmern erzeugt, wie er glaubt. Natürlich findet er sie auch - in Paronomasien, Klangähnlichkeiten, aber auch inhaltlich in Erinnerungen des Autors an den Vater, die Jugend in Siebenbürgen und die rumänische Nachkriegszeit, die darin fortwirkte. Mal klingt darin für de Vugt Kafka an, dann wieder Mircea Eliade. Dass Bulucz nicht davor zurückschreckt, die eigenen Gedichte in seinen Texten zu kommentieren und ins Erzählerische und Essayistische hinüberzugleiten, stört den Rezensenten nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2024Mit dem Hammer dichten
Wenn man in die Welt hineinruft wie Alexandru Bulucz, schallt es in den buntesten Tönen zurück. Sein neuer Band „Stundenholz“ und die unvergleichliche Resonanz seiner Lyrik.
Es beginnt mit einigen hohlen, holzigen Klängen. Bald gehen sie in einen rascheren Rhythmus über. In einem beschwörenden Spiel lassen Mönche ihre zwei Hämmer über einem frei schwingenden, aufgehängten Holzbrett tanzen. Man könnte fast in einen Rausch geraten, wenn es nur ein wenig länger dauern würde. Aber die Mönche wissen: Wenn das Stundenholz klingt, ist es Zeit, zur Messe zu gehen.
Der Lyriker Alexandru Bulucz, der 1987 im rumänischen Alba Iulia geboren wurde und auf Deutsch schreibt, kennt diese Klänge noch aus seiner Kindheit. Ein größeres Publikum kennt ihn, seit er 2022 beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gelesen hat. Und er engagiert sich im PEN Berlin. Schon in seinem 2020 erschienenen und viel bejubelten Band „Was Petersilie über die Seele weiß“ wird über das „toaca“, wie das Stundenbrett auf Rumänisch heißt, geschrieben. „Wir flogen // über Holzrauch von Klöstern, über liturgische Rufe aus Stundentrommeln / von Mönchen, toaca-Klänge spannten eine Himmelsleiter / auf uns zu u. über uns hinaus,“ heißt es im Gedicht „Stundenholz“, das ebenso sehr von seiner Kindheit in Rumänien erzählt, wie es auch eine Hommage an die Czernowitzer Lyrikerin Rose Ausländer ist. Die Klänge der Mönche treiben den Dichter also himmelwärts und bieten ihm zugleich Halt. Kurz gesagt, sie leiten ihn auf seinem Weg.
In Bulucz’ neuem, klugen Lyrikband wird das Stundenholz zum Bild tout court für seine Poesie erhoben. Schon der erste Teil, „Des Furors Funken“, lässt darüber kein Missverständnis entstehen: Der Hammer gehört nicht nur zum Instrumentarium des Philosophen, sondern auch zu dem des Lyrikers. Bulucz führt uns in seine Schmiede, wo er nur scheinbar in Wut – von Furor ist in diesen Gedichten kaum ein Blick zu erhaschen – auf den Amboss schlägt. Dichten heißt für ihn vor allem Hämmern. Und der Hammer, so wissen wir spätestens seit Nietzsche, ist zwar ein Instrument, das zur Zerstörung oder Diagnose verwendet werden kann, aber auch, und vielleicht sogar noch mehr, erlaubt er neue Dinge zu erschaffen.
Wer hämmert, ruft Echos hervor. Das ist zumindest eines der Prinzipien seiner lyrischen Praxis und bestimmt auch diesen Band. Bulucz stößt auf ein Wort, und bald erschallen andere Wörter, die sich im Klang ähneln. Paronomasien nennt der von Werner Hamacher in Sprachphilosophie unterrichtete Dichter diese schlagenden Wortspiele. „Mintă u. minte bedeuten auf Rumänisch Minze resp. Geist“, schreibt er zum Beispiel in „Minzgeist“, um direkt die Frage aufzuwerfen: „Teilen sie / einen Ursprung, einen flüchtigen Hauch ohne phonetischen Wert / wenigstens?“
Von der Pflanze wissen wir, dass sie ihren Geruch im Sonnenlicht intensiviert. Und, so fragt sich Bulucz, „ist Geist qua Geburt minzig, sind seine Auswüchse Anpassungen ans Klima?“ Aber damit endet das Gedicht nicht. Das semantische Spiel wird noch ergänzt in einer Anmerkung: „Nah an mintă und minte ist auch das rumänische Wort für lügen: a minţi.“ Egal, ob es alles etymologisch stimmt, lustig ist es jedenfalls, über die Verbindungen zwischen Geist, Geruch, Geschmack und Lüge nachzudenken, die von Bulucz berührt plötzlich anfangen zu singen. Mit Hämmern kann man also auch spielen.
Wer hämmert, bringt Echos hervor, und die müssen im Gedicht nicht nur sprachlich sein. Echos sind Erinnerungen, neue Klänge, die aus verzerrten Resten der eigenen Vergangenheit bestehen. Und persönliche Geschichten, die oft mit seiner Jugend in Siebenbürgen verbunden sind, gibt es viele in Alexandru Bulucz’ mal melancholischen, mal witzigen Gedichten. Ergreifend ist der Zyklus „Abschied von Vater“, der in dreizehn Gedichten von der Beziehung, oder besser: von einer kaum existierenden Beziehung zwischen Vater und Sohn handelt. Es ist eine Geschichte voll Referenzen an Kafka, von dessen „Brief an den Vater“ er den ersten Buchstaben wegnimmt, sodass nur noch „Rief an den Vater“ überbleibt.
Ein billiges Wortspiel könnte man denken, aber nicht, wenn man weiß, dass die Beziehung der beiden jahrelang fast nur telefonisch erhalten wurde. Schlag für Schlag meißelt Bulucz die Auswirkungen der rumänischen Nachkriegszeit auf die Geschichte dieser Beziehung heraus. Dabei lässt er nicht nur seinen Vater „den noch funktionierenden rechten Arm zum Deutschen Gruß“ recken, sondern weist auch auf den faschistischen Wurzeln seiner intellektuellen Väter hin, wie Emil Cioran und Mircea Eliade.
Bulucz schreckt nicht davor zurück, seine eigenen Gedichte zu kommentieren. Der erzählerische Ton, der sein Werk prägt, schlägt manchmal um ins Essayistische. Die Grenze zwischen Gedicht, Erzählung und Essay sind bei Bulucz fließend. Was er zum Beispiel über das Mobiliar in den Gedichten seines Vorbilds Paul Celan schreibt – der mit „Eine Hand“ in seinem Band „Sprachgitter“ dem Stundenholz ebenfalls einen Vers gewidmet hat –, kann man kaum noch als Gedicht bezeichnen. Aber beeindruckend ist es doch, wie er auf knapp anderthalb Seiten, also in einer Art Miniaturversuch, den Tisch ins Zentrum von Celans Poetik rückt, obwohl diese Stelle in der Regel einem Händedruck oder einer Flaschenpost zugewiesen wird. Bei Celan heißt es: „Der Tisch, aus Stundenholz, mit / dem Reisgericht und dem Wein. / Es wird / geschwiegen, gegessen, getrunken. // Eine Hand, die ich küßte, / leuchtet den Mündern“. Auch das ist das Stundenholz: Nicht nur ein Instrument, womit Gläubige zur Messe eingeladen werden, daraus entsteht ein Ort des Zusammenkommens, des Liebens sogar.
Ob es nun eine große Stille ist, die dort aufsteigt, oder ein lautes Lachen über die Verbindungen zwischen Lüge, Leichtigkeit und Licht, oder ein Klangleiter, der ins Himmlische führt – wohin das Stundenholz auch führt, man lässt sich gerne von Bulucz’ Gedichten den Weg weisen.
GEERTJAN DE VUGT
Zwischen Geist,
Geruch und Lüge entsteht
eine Verbindung
Alexandru Bulucz:
Stundenholz. Gedichte. Schöffling, Frankfurt
am Main 2024.
144 Seiten, 22 Euro.
Die Übergänge zwischen Lyrik und Prosa sind fließend im lyrischen Werk des Dichters Alexandru Bulucz.
Foto: Dirk Skiba / Schöffling Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wenn man in die Welt hineinruft wie Alexandru Bulucz, schallt es in den buntesten Tönen zurück. Sein neuer Band „Stundenholz“ und die unvergleichliche Resonanz seiner Lyrik.
Es beginnt mit einigen hohlen, holzigen Klängen. Bald gehen sie in einen rascheren Rhythmus über. In einem beschwörenden Spiel lassen Mönche ihre zwei Hämmer über einem frei schwingenden, aufgehängten Holzbrett tanzen. Man könnte fast in einen Rausch geraten, wenn es nur ein wenig länger dauern würde. Aber die Mönche wissen: Wenn das Stundenholz klingt, ist es Zeit, zur Messe zu gehen.
Der Lyriker Alexandru Bulucz, der 1987 im rumänischen Alba Iulia geboren wurde und auf Deutsch schreibt, kennt diese Klänge noch aus seiner Kindheit. Ein größeres Publikum kennt ihn, seit er 2022 beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gelesen hat. Und er engagiert sich im PEN Berlin. Schon in seinem 2020 erschienenen und viel bejubelten Band „Was Petersilie über die Seele weiß“ wird über das „toaca“, wie das Stundenbrett auf Rumänisch heißt, geschrieben. „Wir flogen // über Holzrauch von Klöstern, über liturgische Rufe aus Stundentrommeln / von Mönchen, toaca-Klänge spannten eine Himmelsleiter / auf uns zu u. über uns hinaus,“ heißt es im Gedicht „Stundenholz“, das ebenso sehr von seiner Kindheit in Rumänien erzählt, wie es auch eine Hommage an die Czernowitzer Lyrikerin Rose Ausländer ist. Die Klänge der Mönche treiben den Dichter also himmelwärts und bieten ihm zugleich Halt. Kurz gesagt, sie leiten ihn auf seinem Weg.
In Bulucz’ neuem, klugen Lyrikband wird das Stundenholz zum Bild tout court für seine Poesie erhoben. Schon der erste Teil, „Des Furors Funken“, lässt darüber kein Missverständnis entstehen: Der Hammer gehört nicht nur zum Instrumentarium des Philosophen, sondern auch zu dem des Lyrikers. Bulucz führt uns in seine Schmiede, wo er nur scheinbar in Wut – von Furor ist in diesen Gedichten kaum ein Blick zu erhaschen – auf den Amboss schlägt. Dichten heißt für ihn vor allem Hämmern. Und der Hammer, so wissen wir spätestens seit Nietzsche, ist zwar ein Instrument, das zur Zerstörung oder Diagnose verwendet werden kann, aber auch, und vielleicht sogar noch mehr, erlaubt er neue Dinge zu erschaffen.
Wer hämmert, ruft Echos hervor. Das ist zumindest eines der Prinzipien seiner lyrischen Praxis und bestimmt auch diesen Band. Bulucz stößt auf ein Wort, und bald erschallen andere Wörter, die sich im Klang ähneln. Paronomasien nennt der von Werner Hamacher in Sprachphilosophie unterrichtete Dichter diese schlagenden Wortspiele. „Mintă u. minte bedeuten auf Rumänisch Minze resp. Geist“, schreibt er zum Beispiel in „Minzgeist“, um direkt die Frage aufzuwerfen: „Teilen sie / einen Ursprung, einen flüchtigen Hauch ohne phonetischen Wert / wenigstens?“
Von der Pflanze wissen wir, dass sie ihren Geruch im Sonnenlicht intensiviert. Und, so fragt sich Bulucz, „ist Geist qua Geburt minzig, sind seine Auswüchse Anpassungen ans Klima?“ Aber damit endet das Gedicht nicht. Das semantische Spiel wird noch ergänzt in einer Anmerkung: „Nah an mintă und minte ist auch das rumänische Wort für lügen: a minţi.“ Egal, ob es alles etymologisch stimmt, lustig ist es jedenfalls, über die Verbindungen zwischen Geist, Geruch, Geschmack und Lüge nachzudenken, die von Bulucz berührt plötzlich anfangen zu singen. Mit Hämmern kann man also auch spielen.
Wer hämmert, bringt Echos hervor, und die müssen im Gedicht nicht nur sprachlich sein. Echos sind Erinnerungen, neue Klänge, die aus verzerrten Resten der eigenen Vergangenheit bestehen. Und persönliche Geschichten, die oft mit seiner Jugend in Siebenbürgen verbunden sind, gibt es viele in Alexandru Bulucz’ mal melancholischen, mal witzigen Gedichten. Ergreifend ist der Zyklus „Abschied von Vater“, der in dreizehn Gedichten von der Beziehung, oder besser: von einer kaum existierenden Beziehung zwischen Vater und Sohn handelt. Es ist eine Geschichte voll Referenzen an Kafka, von dessen „Brief an den Vater“ er den ersten Buchstaben wegnimmt, sodass nur noch „Rief an den Vater“ überbleibt.
Ein billiges Wortspiel könnte man denken, aber nicht, wenn man weiß, dass die Beziehung der beiden jahrelang fast nur telefonisch erhalten wurde. Schlag für Schlag meißelt Bulucz die Auswirkungen der rumänischen Nachkriegszeit auf die Geschichte dieser Beziehung heraus. Dabei lässt er nicht nur seinen Vater „den noch funktionierenden rechten Arm zum Deutschen Gruß“ recken, sondern weist auch auf den faschistischen Wurzeln seiner intellektuellen Väter hin, wie Emil Cioran und Mircea Eliade.
Bulucz schreckt nicht davor zurück, seine eigenen Gedichte zu kommentieren. Der erzählerische Ton, der sein Werk prägt, schlägt manchmal um ins Essayistische. Die Grenze zwischen Gedicht, Erzählung und Essay sind bei Bulucz fließend. Was er zum Beispiel über das Mobiliar in den Gedichten seines Vorbilds Paul Celan schreibt – der mit „Eine Hand“ in seinem Band „Sprachgitter“ dem Stundenholz ebenfalls einen Vers gewidmet hat –, kann man kaum noch als Gedicht bezeichnen. Aber beeindruckend ist es doch, wie er auf knapp anderthalb Seiten, also in einer Art Miniaturversuch, den Tisch ins Zentrum von Celans Poetik rückt, obwohl diese Stelle in der Regel einem Händedruck oder einer Flaschenpost zugewiesen wird. Bei Celan heißt es: „Der Tisch, aus Stundenholz, mit / dem Reisgericht und dem Wein. / Es wird / geschwiegen, gegessen, getrunken. // Eine Hand, die ich küßte, / leuchtet den Mündern“. Auch das ist das Stundenholz: Nicht nur ein Instrument, womit Gläubige zur Messe eingeladen werden, daraus entsteht ein Ort des Zusammenkommens, des Liebens sogar.
Ob es nun eine große Stille ist, die dort aufsteigt, oder ein lautes Lachen über die Verbindungen zwischen Lüge, Leichtigkeit und Licht, oder ein Klangleiter, der ins Himmlische führt – wohin das Stundenholz auch führt, man lässt sich gerne von Bulucz’ Gedichten den Weg weisen.
GEERTJAN DE VUGT
Zwischen Geist,
Geruch und Lüge entsteht
eine Verbindung
Alexandru Bulucz:
Stundenholz. Gedichte. Schöffling, Frankfurt
am Main 2024.
144 Seiten, 22 Euro.
Die Übergänge zwischen Lyrik und Prosa sind fließend im lyrischen Werk des Dichters Alexandru Bulucz.
Foto: Dirk Skiba / Schöffling Verlag
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»Die Gleichzeitigkeit von Fragilität und Souveränität, von Weltwissen, politischem Denken und philosophischer Erfahrung hat uns beeindruckt.« Laudatio von Insa Wilke, Vorsitzende der Bachmannpreis-Jury
»[Man] darf [...] Bulucz' fein austarierte Balancearbeit [...] in der Tradition der sprachphilosophischen Dekonstruktion verorten, als poetische Postmoderne mit intimer Hochstrelevanz [...].« Christian Metz / FAZ
»Die Lyrik des Alexandru Bulucz gewinnt ihre Schärfe aus dem Aushalten von Gegensätzen und der Integration von Widersprüchen ins Gedicht. [...] In seiner Generation ist er eine der bemerkenswertesten Erscheinungen innerhalb der Dichterszene.« Anton Thuswaldner / ORF
»Ob es nun eine große Stille ist, die dort aufsteigt, oder ein lautes Lachen über die Verbindungen zwischen Lüge, Leichtigkeit und Licht [...] - wohin das Stundenholz auch führt, man lasst sich gerne von Bulucz' Gedichten den Weg weisen.« Geertjan de Vugt / Süddeutsche Zeitung
»Diese Poesie versteht sich [...] auch als philosophische Archäologie. Sie gräbt unermüdlich und sichert ihre Funde. Mit großer Leidenschaft und Scharfsinn.« Björn Hayer / Berliner Zeitung
»Ein souveränes wie fragiles Kunstwerk [...] [, Bulucz'] Texte zeichnen sich durch inhaltliche wie auch durch Formenvielfalt aus. Die Poesie stark verdichteter Kurzlyrik beeindruckt ebenso wie mehrseitige Erzählungen.« Ortwin-R. Bonfert / Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien
»Alexandru Bulucz [...] erfasst in seinen Gedichten etwas allgemein Menschliches, eine Glückssehnsucht, die viele erkennen werden [...].« Insa Wilke / WDR3
»[Man] darf [...] Bulucz' fein austarierte Balancearbeit [...] in der Tradition der sprachphilosophischen Dekonstruktion verorten, als poetische Postmoderne mit intimer Hochstrelevanz [...].« Christian Metz / FAZ
»Die Lyrik des Alexandru Bulucz gewinnt ihre Schärfe aus dem Aushalten von Gegensätzen und der Integration von Widersprüchen ins Gedicht. [...] In seiner Generation ist er eine der bemerkenswertesten Erscheinungen innerhalb der Dichterszene.« Anton Thuswaldner / ORF
»Ob es nun eine große Stille ist, die dort aufsteigt, oder ein lautes Lachen über die Verbindungen zwischen Lüge, Leichtigkeit und Licht [...] - wohin das Stundenholz auch führt, man lasst sich gerne von Bulucz' Gedichten den Weg weisen.« Geertjan de Vugt / Süddeutsche Zeitung
»Diese Poesie versteht sich [...] auch als philosophische Archäologie. Sie gräbt unermüdlich und sichert ihre Funde. Mit großer Leidenschaft und Scharfsinn.« Björn Hayer / Berliner Zeitung
»Ein souveränes wie fragiles Kunstwerk [...] [, Bulucz'] Texte zeichnen sich durch inhaltliche wie auch durch Formenvielfalt aus. Die Poesie stark verdichteter Kurzlyrik beeindruckt ebenso wie mehrseitige Erzählungen.« Ortwin-R. Bonfert / Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien
»Alexandru Bulucz [...] erfasst in seinen Gedichten etwas allgemein Menschliches, eine Glückssehnsucht, die viele erkennen werden [...].« Insa Wilke / WDR3