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Ein Band von erschreckender Aktualität vor dem Hintergrund jüngster Massaker islamischer Fundamentalisten nicht nur in Ägypten, dem Sudan, Algerien und Frankreich: Der 'Mahdi' Sinnbild des Aufbegehrens der farbigen Völker gegen den Weißen Mann. Zugleich aber auch Vorläufer des heutigen islamischen Fundamentalismus. Im Mahdi, der Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Briten antrat, vereinen sich die Ideale eines Freiheitskämpfers mit dem unbeugsamen Fanatismus eines Glaubenskämpfers. Zugleich war der Mahdi einer der größten Sklavenhalter seiner Zeit: Eine widersprüchliche Persönlichkeit, deren…mehr

Produktbeschreibung
Ein Band von erschreckender Aktualität vor dem Hintergrund jüngster Massaker islamischer Fundamentalisten nicht nur in Ägypten, dem Sudan, Algerien und Frankreich: Der 'Mahdi' Sinnbild des Aufbegehrens der farbigen Völker gegen den Weißen Mann. Zugleich aber auch Vorläufer des heutigen islamischen Fundamentalismus. Im Mahdi, der Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Briten antrat, vereinen sich die Ideale eines Freiheitskämpfers mit dem unbeugsamen Fanatismus eines Glaubenskämpfers. Zugleich war der Mahdi einer der größten Sklavenhalter seiner Zeit: Eine widersprüchliche Persönlichkeit, deren Schicksal - wie auch der historische und kulturelle Kontext - minutiös nachgezeichnet wird, und zwar anhand der Berichte zeitgenössischer Augenzeugen, die ein ebenso anschauliches wie lebendiges Bild des Sudan am Vorabend der Moderne hinterlassen haben. So entsteht ein faszinierendes Panorama, das nicht nur den historisch Interessierten, sondern zugleich auch die Wagemutigeren unter den Globetrottern anspricht. Denn, es sollte nicht vergessen werden: Noch immer tobt im Sudan, dem größten Land Afrikas, ein Glaubenskrieg, der bislang über eine Million Tote gefordert hat, und selbst die Sklaverei - wie auch solch barbarische Unsitten wie die weibliche Beschneidung - besteht ungehindert weiter.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.1998

Ein Mahdi von anderem Kaliber
Cum ira et studio: Über islamischen Fundamentalismus des 19. Jahrhunderts

Wilfried Westphal: Sturm über dem Nil. Der Mahdi-Aufstand. Aus den Anfängen des islamischen Fundamentalismus. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1998. 419 Seiten, 23 Abbildungen, 48,- Mark.

Im September des Jahres 1898 mähte ein englisch-ägyptisches Expeditionskorps mit Granatwerfern und Maschinengewehren bei Omdurman nördlich von Khartum im Sudan die zahlenmäßig weit überlegenen Truppen der Mahdisten nieder; diese waren den modernen Artillerie- und Infanteriewaffen, oft nur mit Speeren und Lanzen bewaffnet, entgegengestürmt. Die Schlacht von Omdurman bedeutete für die unterlegenen Sudanesen und für die Sieger das Ende jenes theokratischen Regimes, das etwa fünfzehn Jahre lang über jene Regionen südlich der ägyptischen Grenze, die den heutigen Staat Sudan bilden, geherrscht hatte.

Ende 1881 hatte sich Mohammed Ahmed, ein frommer Muslim aus der Stadt Dongola, zum "Mahdi" erklärt, das heißt zu jenem spirituellen Führer, der nach verschiedenen, schon aus der Frühzeit des Islams rührenden und mit Legenden verwobenen Traditionssträngen dereinst als Welt- und Glaubenserneuerer auftreten, die Einheit der Religion des Propheten und die Gerechtigkeit in der Welt wiederherstellen soll. Dies war nicht neu im Sudan, wo solche Erneuerungsbewegungen immer wieder einmal auftraten. Der "Mahdi" wurde denn auch anfangs politisch nicht sonderlich ernst genommen: weder vom nominell noch immer vom Osmanischen Reich abhängigen Ägypten, das in den Jahrzehnten zuvor den Sudan unterworfen hatte, noch von England, das sich 1882 zum Schutz des Suez-Kanals die faktische Herrschaft in Kairo gesichert hatte.

Bald zeigte sich jedoch, daß dieser "Mahdi" von anderem Kaliber war als seine Vorgänger und zudem von Umständen profitieren konnte, die ihm zugute kamen. Sicher spielte der religiöse Impuls eine Rolle; er trieb ihm viele Anhänger zu: Es war im Sudan einfach, Kairo und Konstantinopel mit ihrer nicht so strengen Vorstellung vom Islam der "Abweichung vom rechten Glauben" zu zeihen und dem einen asketischen Lebenswandel entgegenzusetzen, wie ihn der "Mahdi" predigte. Noch wichtiger für den Erfolg dürfte aber der Unmut über die ägyptische Herrschaft gewesen sein, den die arabisch-muslimische Schicht hegte, die den größeren Nordteil des Landes beherrschte. Dieser richtete sich nicht nur dagegen, daß der Vizekönig in Kairo (Khedive) immer wieder europäische Christen, "Ungläubige", als Gouverneure in den Sudan entsandt hatte, sondern seit Ende der siebziger Jahre auf den Druck Englands hin auch den lukrativen Sklavenhandel gewaltsam unterbinden ließ, der bisher am Südrand des bis nach Äquatorialafrika reichenden Sudan ein unerschöpfliches Reservoir gefunden und die Wirtschaft des Landes entscheidend getragen hatte. Schließlich kamen dem "Mahdi" die halbherzigen ägyptischen und englischen Versuche entgegen, den inzwischen ausgerufenen "Heiligen Krieg" zu bekämpfen; sie hatten immer wieder in katastrophalen Niederlagen der Ägypter und Briten geendet und ihm nach und nach die Aura der Unbesiegbarkeit verliehen. So unterwarf er in zwei Jahren den größten Teil des Landes, nur die Verwaltungszentrale Khartum und einige kleinere Randgebiete standen noch nicht unter seiner Herrschaft.

In London führte der jeglichem Imperialismus abholde Premierminister Gladstone die Regierung; er trat gegen ein auch kostspieliges Engagement im Sudan ein. Dennoch entschloß man sich 1884, General Gordon nach Khartum zu schicken mit dem Auftrag, Stadt und Garnison von Khartum zu evakuieren. Doch Gordon, der schon Jahre zuvor als Generalgouverneur des Sudan wesentlich an der Eindämmung des Sklavenhandels mitgewirkt hatte, fühlte sich den schließlich vollständig in Khartum Eingeschlossenen so verbunden, daß er eine Abreise ohne die Rettung der ihm Anbefohlenen verweigerte. Eine Rettungsexpedition kam zwei Tage zu spät. Die Öffentlichkeit hatte den Marsch der Entsatzexpedition aufmerksam verfolgt, und die Erschütterung über die Nachricht vom Fall Khartums und die Schmach Englands trug bald darauf zum Sturz der Regierung bei. Gordon ist noch heute so populär in England, daß vor wenigen Jahren Zeitungen mit der Nachricht aufmachen konnten, neue Akten hätten ergeben, daß Gordon möglicherweise den Fall Khartums überlebt habe.

Mit der Eroberung Khartums und damit des gesamten Sudan hatte der "Mahdi" sein erstes Ziel, dem der "Heilige Krieg" (dschihad) gegen den Rest der Welt folgen sollte, erreicht. Doch er überlebte seinen militärischen Erfolg gegen England, das sich nun auf die Grenzsicherung am Südrand Ägyptens zurückzog, nur um wenige Wochen. Unter seinem Nachfolger Abdullah, der mit dem Titel des Kalifen das Reich weiter beherrschte, traten nach und nach Rivalitäten, Grenzstreitigkeiten und wirtschaftliche Krisen ein. Doch erst der imperialistische Wettlauf Englands mit den anderen Mächten, besonders mit Frankreich, das sich im Südsudan festsetzen wollte, führte 1896 zum Entschluß, die Rückeroberung des Sudan - nominell für Ägypten - in Angriff zu nehmen. Sie wurde nun von General Kitchener mit allen Mitteln der modernen Kriegführung betrieben und fand schließlich 1898 in der eingangs beschriebenen Schlacht von Omdurman ihren Schlußpunkt. Das kurz darauf stattfindende Zusammentreffen englischer und französischer Truppen in Faschoda im Südsudan, das beide Mächte an den Rand des Krieges brachte, endete mit dem Nachgeben Frankreichs. Es folgte die Etablierung eines ägyptisch-britischen Kondominiums und der britischen Herrschaft über den Sudan, die bis 1956 währte.

Westphals Buch ist ausdrücklich cum ira et studio geschrieben. Er bezieht nachdrücklich Stellung gegen das, was er als frühes Beispiel des islamischen Fundamentalismus charakterisiert, und urteilt dabei vollständig aus der Sicht des heutigen westlichen Beobachters. So verdammt er die Wiedereinführung der Sklaverei durch den "Mahdi" sowie die damit im Zusammenhang stehende deutliche Verschlechterung der Stellung der Frau und greift die schon vor allem von europäischen Gefangenen des "Mahdi" und des Kalifen Abdullah geäußerte Kritik auf, daß die beiden Wasser gepredigt, selbst aber Wein getrunken hätten. Letztlich gipfelt das Buch darin, daß im Sudan mit seinem heutigen islamisch-fundamentalistischen Regime und dem praktisch schon vier Jahrzehnte währenden brutalen Bürgerkrieg, der erst in jüngster Zeit etwas stärker ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit getreten ist, noch heute jene Strukturen wirken, die schon den Staat des "Mahdi" ausgezeichnet hätten.

Sicher trifft zu, daß erst unter dem "Mahdi" all jene vielen Völker in einen Staat gezwängt wurden, die wenig miteinander gemein haben: der arabisch-islamische Norden und der animistisch und heute teilweise auch christliche Süden. Eine historische Betrachtungsweise würde aber vielleicht doch vorsichtiger urteilen über den Staat des "Mahdi", würde den Einbruch der Moderne in die Vormoderne, wie ihn der ägyptische und noch mehr der indirekte englische Einfluß im Sudan vor dem Aufstand des "Mahdi" bedeuteten, stärker in Rechnung stellen. Eine solche Betrachtung würde vielleicht auch darauf hinweisen, daß die in Westphals Werk zu Recht dargestellten Bemühungen Großbritanniens und überhaupt Europas um die Eindämmung des Sklavenhandels doch in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine relativ neue Erscheinung gewesen sind. Immerhin weist Westphal nach, daß moderne Entwicklungen in Afrika nicht immer nur als Folge der europäischen Kolonialherrschaft gedeutet werden können, wie es eine allzu vereinfachende Sichtweise propagieren will und wie es am Beispiel des Sudan bis auf den heutigen Tag leicht zu widerlegen ist.

WOLFGANG ELZ

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