Hurrikan Katrina fegt über New Orleans hinweg und legt die Stadt in Schutt und Asche.Mit all seinem Können, feinen Charakterbeschreibungen und dichten Schilderungen der Südstaatenatmosphäre widmet sich Burke in seinem facettenreichen "Sturm über New Orleans" dieser Katastrophe. Wer Burke liest, spürt die Hitze der Stadt, schmeckt den Geruch der Zerstörung, riecht den Dunst der Bars. Inmitten des Chaos lässt er den eigenwilligen Dave Robicheaux seinen Job erledigen. Robicheaux ist Vietnam-Veteran und trockener Alkoholiker, der in seinem Leben diverse Schicksalsschläge hinnehmen musste. Als Cop folgt er seiner ganz eigenen Vorstellung von Moral und Gerechtigkeit. Burke hat mit "Sturm über New Orleans" einen fulminanten Roman geschrieben. Der Leser taucht sofort in seine bildhafte Sprache ein und sieht einen Film vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. Burke ist ganz großes Kino!
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit seinem Krimi "Sturm über New Orleans" schlägt James Lee Burke tief in "die Kerbe eines pervertierten Moralismus", berichtet Tobias Gohlis. Vor der Kulisse des von Katrina verheerten New Orleans lässt Burke vier schwarze Amerikaner einen krebskranken Priester töten, der ertrinkende Gemeindemitglieder retten wollte, und gibt, nachdem er zwei der Täter auf der Flucht sterben lässt, den anderen die Chance, sich zu ändern und Abbitte zu leisten, fasst der Rezensent zusammen. Am Ende dürfen sie sich sogar mit den Opfern aussöhnen, verrät Gohlis noch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2015KRIMI-KOLUMNE
In der Todeszone
von „Katrina“
Ein Stück Katastrophensoziologie vom Sommer 2005, einem der schlimmsten Hurrikansommer Amerikas. „New Iberia und Lafayette waren jetzt voller Evakuierter, die vor dem Hurrikan Rita flohen oder bereits vor Katrina geflüchtet waren. Das Geschäft mit Schusswaffen und Munition florierte. Das anfängliche Mitleid mit den aus New Orleans Evakuierten machte eine sonderbare Wandlung durch. In rechtslastigen Talkshows ließen sich massenhaft wutentbrannte Anrufer darüber aus, dass die Flüchtlinge eine einmalige Unterstützung von zweitausend Dollar erhielten, damit sie sich Lebensmittel kaufen und eine Unterkunft suchen konnten. Das alte Schreckgespenst des Südens war wieder da, roh, nackt und geifernd – der totale Hass auf die Ärmsten der Armen.“
Was damals, in den Tagen der Hurrikane Katrina und wenige Wochen später Rita geschah, so empfindet es James Lee Burke, das war mehr als eine Naturkatastrophe, es war das Versagen der Bush-Regierung in ihrer Verantwortung für die Opfer, der denkbar größte Verrat an der Bevölkerung, ein Verbrechen. Eine nationale Schande. Davon erzählt der Roman „Sturm über New Orleans“.
Im vorigen Jahr kehrte James Lee Burke mit seinem gewaltigen Epos „Regengötter“ furios auf den deutschen Krimimarkt zurück, wo er viele Jahren vermisst wurde. „Sturm über New Orleans“, endlich ein neuer Dave-Robicheaux-Roman auf Deutsch – weitere sollen folgen. Robicheaux ist Burkes Alter Ego, Sheriff von New Iberia, wo auch Burke lebt, der erste Roman mit ihm stammt aus dem Jahr 1987. Ein Versehrter, von Depressionen immer wieder Geplagter, er hat zwei Frauen verloren, hat Vietnam überlebt – schon das ein schmerzlicher amerikanischer Verrat –, wird täglich mit sozialer Ungerechtigkeit, Drogenkriminalität, Rassismus und Gewalt gegen Frauen konfrontiert. All das ist nun im Chaos nach dem Hurrikan noch mal radikalisiert: Überflutete Straßen, überbelegte Hallen und Stadien, Menschen, die sich auf Dächer flüchteten und von dort nicht gerettet werden können, Hitze, Hunger, Gestank, Leichen, die durchs Wasser treiben, bläulich fluoreszierend. Plünderungen der Geschäfte in New Orleans – der „Großen Schmuddeligen“ –, aber auch der verlassenen Häuser im Umkreis durch Schwarze, dann aber auch Weiße, die aus der Sicherheit ihrer verbarrikadierten Häuser heraus gezielt abschießen. Rassismus lässig, sportiv: „Die schwarzen Iren werden nach Naturkatastrophen bockig.“
Im großen Chaos von Schuld und Sühne müssen ein paar Menschen sich bewähren und versuchen ihre Integrität zu bewahren. Jude LeBlanc, der junge Priester, der Krebs hat und dadurch drogenabhängig wurde. Otis Baylor, der Versicherungsmann, der nicht verhindern konnte, das seine Tochter von drei Schwarzen vergewaltigt wurde. Bertrand Melancon, der schwarze Kleinkriminelle, dessen Bruder Eddy einen Schuss in die Kehle bekommt und danach am ganzen Körper gelähmt ist. Und Cletus Purcel, ein Ausgebüxtenjäger – er sucht für einen Kautionsteller alle, die sich der Rückzahlung durch Flucht entziehen. Auch er ist ein Versehrter, eines Nachts taucht er bei seinem Freund Dave auf, voll depressiv: „Es war so, als wäre ich gestorben und keiner hat mir Bescheid gesagt.“
Der Hurrikan treibt die Tendenz des Krimi-Genres zum Exzess, führt soziale, kritische Empathie in reinen Solipsismus. In die „Todeszone“, die ein amerikanischer Mythos von Sisyphos ist: „Es ist ein besonderer Ort, den jeder heillose Zocker sucht, ohne sich dessen bewusst zu sein. Man muss sich nur mal nach dem siebten Rennen an die Bar begeben. Die Menschen sind selig wie vollgefressene Säue. Sie haben das Geld für die Lebensmittel, die Miete, die Hypothek und die Ratenzahlung fürs Auto verloren, sogar die Zinsen, die sie dem Kredithai schulden. Aber jetzt sind sie in Sicherheit, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Außerdem haben sie jetzt ein für alle Male den Beweis dafür, dass sich alles gegen sie verschworen hat, um sie zu betrügen und zu schädigen. Gott ist an ihrem Versagen schuld, nicht sie. Ihre Seele ist jetzt in Trockeneis gepackt, die Schlacht vorüber.“
FRITZ GÖTTLER
James Lee Burke: Sturm über New Orleans. Aus dem Englischen von Georg Schmidt. Mit einem Nachwort von Oliver Huzly. Pendragon Verlag, Bielefeld 2015. 576 S., 17,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
„Es war so, als wäre ich
gestorben und keiner
hat mir Bescheid gesagt.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In der Todeszone
von „Katrina“
Ein Stück Katastrophensoziologie vom Sommer 2005, einem der schlimmsten Hurrikansommer Amerikas. „New Iberia und Lafayette waren jetzt voller Evakuierter, die vor dem Hurrikan Rita flohen oder bereits vor Katrina geflüchtet waren. Das Geschäft mit Schusswaffen und Munition florierte. Das anfängliche Mitleid mit den aus New Orleans Evakuierten machte eine sonderbare Wandlung durch. In rechtslastigen Talkshows ließen sich massenhaft wutentbrannte Anrufer darüber aus, dass die Flüchtlinge eine einmalige Unterstützung von zweitausend Dollar erhielten, damit sie sich Lebensmittel kaufen und eine Unterkunft suchen konnten. Das alte Schreckgespenst des Südens war wieder da, roh, nackt und geifernd – der totale Hass auf die Ärmsten der Armen.“
Was damals, in den Tagen der Hurrikane Katrina und wenige Wochen später Rita geschah, so empfindet es James Lee Burke, das war mehr als eine Naturkatastrophe, es war das Versagen der Bush-Regierung in ihrer Verantwortung für die Opfer, der denkbar größte Verrat an der Bevölkerung, ein Verbrechen. Eine nationale Schande. Davon erzählt der Roman „Sturm über New Orleans“.
Im vorigen Jahr kehrte James Lee Burke mit seinem gewaltigen Epos „Regengötter“ furios auf den deutschen Krimimarkt zurück, wo er viele Jahren vermisst wurde. „Sturm über New Orleans“, endlich ein neuer Dave-Robicheaux-Roman auf Deutsch – weitere sollen folgen. Robicheaux ist Burkes Alter Ego, Sheriff von New Iberia, wo auch Burke lebt, der erste Roman mit ihm stammt aus dem Jahr 1987. Ein Versehrter, von Depressionen immer wieder Geplagter, er hat zwei Frauen verloren, hat Vietnam überlebt – schon das ein schmerzlicher amerikanischer Verrat –, wird täglich mit sozialer Ungerechtigkeit, Drogenkriminalität, Rassismus und Gewalt gegen Frauen konfrontiert. All das ist nun im Chaos nach dem Hurrikan noch mal radikalisiert: Überflutete Straßen, überbelegte Hallen und Stadien, Menschen, die sich auf Dächer flüchteten und von dort nicht gerettet werden können, Hitze, Hunger, Gestank, Leichen, die durchs Wasser treiben, bläulich fluoreszierend. Plünderungen der Geschäfte in New Orleans – der „Großen Schmuddeligen“ –, aber auch der verlassenen Häuser im Umkreis durch Schwarze, dann aber auch Weiße, die aus der Sicherheit ihrer verbarrikadierten Häuser heraus gezielt abschießen. Rassismus lässig, sportiv: „Die schwarzen Iren werden nach Naturkatastrophen bockig.“
Im großen Chaos von Schuld und Sühne müssen ein paar Menschen sich bewähren und versuchen ihre Integrität zu bewahren. Jude LeBlanc, der junge Priester, der Krebs hat und dadurch drogenabhängig wurde. Otis Baylor, der Versicherungsmann, der nicht verhindern konnte, das seine Tochter von drei Schwarzen vergewaltigt wurde. Bertrand Melancon, der schwarze Kleinkriminelle, dessen Bruder Eddy einen Schuss in die Kehle bekommt und danach am ganzen Körper gelähmt ist. Und Cletus Purcel, ein Ausgebüxtenjäger – er sucht für einen Kautionsteller alle, die sich der Rückzahlung durch Flucht entziehen. Auch er ist ein Versehrter, eines Nachts taucht er bei seinem Freund Dave auf, voll depressiv: „Es war so, als wäre ich gestorben und keiner hat mir Bescheid gesagt.“
Der Hurrikan treibt die Tendenz des Krimi-Genres zum Exzess, führt soziale, kritische Empathie in reinen Solipsismus. In die „Todeszone“, die ein amerikanischer Mythos von Sisyphos ist: „Es ist ein besonderer Ort, den jeder heillose Zocker sucht, ohne sich dessen bewusst zu sein. Man muss sich nur mal nach dem siebten Rennen an die Bar begeben. Die Menschen sind selig wie vollgefressene Säue. Sie haben das Geld für die Lebensmittel, die Miete, die Hypothek und die Ratenzahlung fürs Auto verloren, sogar die Zinsen, die sie dem Kredithai schulden. Aber jetzt sind sie in Sicherheit, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Außerdem haben sie jetzt ein für alle Male den Beweis dafür, dass sich alles gegen sie verschworen hat, um sie zu betrügen und zu schädigen. Gott ist an ihrem Versagen schuld, nicht sie. Ihre Seele ist jetzt in Trockeneis gepackt, die Schlacht vorüber.“
FRITZ GÖTTLER
James Lee Burke: Sturm über New Orleans. Aus dem Englischen von Georg Schmidt. Mit einem Nachwort von Oliver Huzly. Pendragon Verlag, Bielefeld 2015. 576 S., 17,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
„Es war so, als wäre ich
gestorben und keiner
hat mir Bescheid gesagt.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2015Katrinas Opfer
Krimis in Kürze: Glasgow, Amsterdam, New Orleans
Oft ist ja nach der Lektüre die Frage interessanter, warum man das Buch unbedingt lesen wollte, als das Urteil, ob es denn gelungen ist. Bei dem Thriller "Die Suche" (Ullstein, 416 S., br. 12,90 [Euro]) war der Schlüsselreiz unwiderstehlich: Malaria-Tote in Europa, epidemische Ausbreitung mangels wirksamer Gegenmittel möglich. Man hoffte also auf eine Art Thriller, wie ihn früher Michael Crichton schrieb. Nick Louth, Wirtschaftsjournalist und Reuters-Korrespondent, hat auch ordentlich recherchiert. Man lernt daraus, dass das allein nicht ausreicht, wenn die wissenschaftliche Grundierung seriös wirkt, der Zuschnitt der Charaktere jedoch und die Verwicklungen der Handlung auch gutwilligste Leser überstrapazieren.
Das fängt beim Protagonisten Max an, früher bei der amerikanischen Küstenwache, jetzt metallverarbeitender Künstler, im Zuge des Plots zu einem Bond-artigen Helden reifend; und es infiziert folgerichtig den Antagonisten, dem eine Superschurken-Statur zuwächst. Epidemiologen, Parasitologen, Affenforscher, Schläger oder Kunsthändler werden rasch zu Statisten. Der Roman operiert auf zwei Ebenen. In der Gegenwart wird Erica, Max' Freundin und Malaria-Forscherin, in Amsterdam entführt, zwischendrin liest man ihr Afrika-Tagebuch aus dem Jahr 1992. Der Body Count ist nicht gerade knapp, was weniger an den Moskitos liegt, aber Ressourcen wie Sinn und Wahrscheinlichkeit schrumpfen bedenklich.
Es sollte sich niemand davon abschrecken lassen, dass "Der Killer hat das letzte Wort" (Fischer Taschenbuch, 384 S., br., 9,99 [Euro]) den zweiten Teil einer Trilogie bildet. "Glasgow-Trilogie" heißt sie, und man sollte sich auch nicht vom Lesen abhalten lassen, weil von Glasgow als spezifischem, unverwechselbarem Schauplatz nicht viel zu spüren ist. Was an Kolorit fehlt, kompensiert Malcolm Mackays Roman durch erzählerische Finesse und Genauigkeit in der Zeichnung der Charaktere. Parataktisch setzt er die Handlungen neben die Gedanken der Handelnden, neben ihre Bedenken, ihre Erwartungen und ihre Erwartungserwartungen. Und von denen gibt es viele bei einem alternden Killer wie Frank, der mit künstlicher Hüfte noch mal zum Comeback ansetzt; aber auch bei Peter, dem Chef der Organisation, der an einem verdienten Mitarbeiter wie Frank hängt und zugleich spürt, dass er gegen eine Konkurrenzorganisation nicht energisch genug auftritt.
Franks designierter Nachfolger Callum wiederum zaudert, weil er sich nicht binden möchte wie in einer Festanstellung, Fischer, der verbitterte Polizist in schlechtsitzenden Anzügen, kommt nicht voran. Mackays nüchterner Tonfall beschädigt den Spannungsaufbau nicht. Er sorgt für eine dokumentarische Anmutung. Es ist ein Porträt des Killers als gewöhnlicher Werktätiger, ohne Sensationsgier, dafür mit allen Problemen, welche aus anderen arbeitsteilig organisierten Berufswelten vertraut sind. Es geht um Geschäftszweige mit Wachstumschancen, um Probleme der Selbständigkeit und um Kleingewerbetreibende mit hohem Risikoanteil. Die Agentur für Arbeit könnte einen Berufsführer daraus entwickeln.
Ein Schwergewicht ist zurück: James Lee Burke. Genauer gesagt: sein Alter Ego, der Polizist Dave Robicheaux aus New Iberia, nicht weit von New Orleans, Held von mittlerweile zwanzig Romanen, von denen zwölf auf Deutsch vorliegen. "Sturm über New Orleans" (Pendragon Verlag, 576 S., br. 17,99 [Euro]) ist in den Vereinigten Staaten zwar schon 2007 erschienen, aber die Wut auf die Regierung, die Bestürzung und Trauer nach dem Hurrikan Katrina im August 2005 hallen in Burkes Prosa noch bis heute nach. Dass Robicheaux eine Vergewaltigung aufklären und einen verschwundenen Priester auffinden soll, wird nebensächlich angesichts der Verwüstungen, der Plünderungen, des Elends im Gefolge von Katrina. Und deshalb verzweigt sich die Erzählung auch lange Zeit fast so sehr wie das Delta des Mississippi, beobachtet Straßenszenen, schildert alltäglichen Rassismus und Momente, die Gläubige als Vorboten der Apokalypse deuten würden. Burke kann wunderbar dicht und pointiert beschreiben. Für die Atmosphäre einer Kneipe braucht er einen Satz: "Es war ein Lokal, in dem weder Freude noch Verzweiflung herrschten, in dem es selten zu Gewalt oder einem ersten Rendezvous kam." Und man liest in Krimis selten so lyrische Wendungen wie "New Orleans war ein Song, der unter den Wogen versank. Manchmal sehe ich in meinen Träumen eine Stadt unter dem Meer."
An Dave Robicheaux, dem Familienvater mit seiner Frau, einer ehemaligen Nonne, und der Adoptivtochter, einer salvadorianischen Indianerin, erkennen wir, was vom Helden der Hardboiled-Literatur übrig geblieben ist. "Wenn du kein Cop wärst, hättest du einen Priesterkragen um", sagt seine Vorgesetzte. Da er aber nun mal ein Cop ist, kann er nicht untätig zusehen, als seine Familie ins Visier eines Psychopathen gerät. Sobald sich diese Bedrohung zuspitzt, greifen auch wieder die Erzählmuster und Zwänge eines Krimi-Plots - was man nach den epischen Panoramaansichten fast ein wenig bedauert.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Glasgow, Amsterdam, New Orleans
Oft ist ja nach der Lektüre die Frage interessanter, warum man das Buch unbedingt lesen wollte, als das Urteil, ob es denn gelungen ist. Bei dem Thriller "Die Suche" (Ullstein, 416 S., br. 12,90 [Euro]) war der Schlüsselreiz unwiderstehlich: Malaria-Tote in Europa, epidemische Ausbreitung mangels wirksamer Gegenmittel möglich. Man hoffte also auf eine Art Thriller, wie ihn früher Michael Crichton schrieb. Nick Louth, Wirtschaftsjournalist und Reuters-Korrespondent, hat auch ordentlich recherchiert. Man lernt daraus, dass das allein nicht ausreicht, wenn die wissenschaftliche Grundierung seriös wirkt, der Zuschnitt der Charaktere jedoch und die Verwicklungen der Handlung auch gutwilligste Leser überstrapazieren.
Das fängt beim Protagonisten Max an, früher bei der amerikanischen Küstenwache, jetzt metallverarbeitender Künstler, im Zuge des Plots zu einem Bond-artigen Helden reifend; und es infiziert folgerichtig den Antagonisten, dem eine Superschurken-Statur zuwächst. Epidemiologen, Parasitologen, Affenforscher, Schläger oder Kunsthändler werden rasch zu Statisten. Der Roman operiert auf zwei Ebenen. In der Gegenwart wird Erica, Max' Freundin und Malaria-Forscherin, in Amsterdam entführt, zwischendrin liest man ihr Afrika-Tagebuch aus dem Jahr 1992. Der Body Count ist nicht gerade knapp, was weniger an den Moskitos liegt, aber Ressourcen wie Sinn und Wahrscheinlichkeit schrumpfen bedenklich.
Es sollte sich niemand davon abschrecken lassen, dass "Der Killer hat das letzte Wort" (Fischer Taschenbuch, 384 S., br., 9,99 [Euro]) den zweiten Teil einer Trilogie bildet. "Glasgow-Trilogie" heißt sie, und man sollte sich auch nicht vom Lesen abhalten lassen, weil von Glasgow als spezifischem, unverwechselbarem Schauplatz nicht viel zu spüren ist. Was an Kolorit fehlt, kompensiert Malcolm Mackays Roman durch erzählerische Finesse und Genauigkeit in der Zeichnung der Charaktere. Parataktisch setzt er die Handlungen neben die Gedanken der Handelnden, neben ihre Bedenken, ihre Erwartungen und ihre Erwartungserwartungen. Und von denen gibt es viele bei einem alternden Killer wie Frank, der mit künstlicher Hüfte noch mal zum Comeback ansetzt; aber auch bei Peter, dem Chef der Organisation, der an einem verdienten Mitarbeiter wie Frank hängt und zugleich spürt, dass er gegen eine Konkurrenzorganisation nicht energisch genug auftritt.
Franks designierter Nachfolger Callum wiederum zaudert, weil er sich nicht binden möchte wie in einer Festanstellung, Fischer, der verbitterte Polizist in schlechtsitzenden Anzügen, kommt nicht voran. Mackays nüchterner Tonfall beschädigt den Spannungsaufbau nicht. Er sorgt für eine dokumentarische Anmutung. Es ist ein Porträt des Killers als gewöhnlicher Werktätiger, ohne Sensationsgier, dafür mit allen Problemen, welche aus anderen arbeitsteilig organisierten Berufswelten vertraut sind. Es geht um Geschäftszweige mit Wachstumschancen, um Probleme der Selbständigkeit und um Kleingewerbetreibende mit hohem Risikoanteil. Die Agentur für Arbeit könnte einen Berufsführer daraus entwickeln.
Ein Schwergewicht ist zurück: James Lee Burke. Genauer gesagt: sein Alter Ego, der Polizist Dave Robicheaux aus New Iberia, nicht weit von New Orleans, Held von mittlerweile zwanzig Romanen, von denen zwölf auf Deutsch vorliegen. "Sturm über New Orleans" (Pendragon Verlag, 576 S., br. 17,99 [Euro]) ist in den Vereinigten Staaten zwar schon 2007 erschienen, aber die Wut auf die Regierung, die Bestürzung und Trauer nach dem Hurrikan Katrina im August 2005 hallen in Burkes Prosa noch bis heute nach. Dass Robicheaux eine Vergewaltigung aufklären und einen verschwundenen Priester auffinden soll, wird nebensächlich angesichts der Verwüstungen, der Plünderungen, des Elends im Gefolge von Katrina. Und deshalb verzweigt sich die Erzählung auch lange Zeit fast so sehr wie das Delta des Mississippi, beobachtet Straßenszenen, schildert alltäglichen Rassismus und Momente, die Gläubige als Vorboten der Apokalypse deuten würden. Burke kann wunderbar dicht und pointiert beschreiben. Für die Atmosphäre einer Kneipe braucht er einen Satz: "Es war ein Lokal, in dem weder Freude noch Verzweiflung herrschten, in dem es selten zu Gewalt oder einem ersten Rendezvous kam." Und man liest in Krimis selten so lyrische Wendungen wie "New Orleans war ein Song, der unter den Wogen versank. Manchmal sehe ich in meinen Träumen eine Stadt unter dem Meer."
An Dave Robicheaux, dem Familienvater mit seiner Frau, einer ehemaligen Nonne, und der Adoptivtochter, einer salvadorianischen Indianerin, erkennen wir, was vom Helden der Hardboiled-Literatur übrig geblieben ist. "Wenn du kein Cop wärst, hättest du einen Priesterkragen um", sagt seine Vorgesetzte. Da er aber nun mal ein Cop ist, kann er nicht untätig zusehen, als seine Familie ins Visier eines Psychopathen gerät. Sobald sich diese Bedrohung zuspitzt, greifen auch wieder die Erzählmuster und Zwänge eines Krimi-Plots - was man nach den epischen Panoramaansichten fast ein wenig bedauert.
PETER KÖRTE
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