Hurrikan Katrina trifft New Orleans mit voller Wucht. In der überfluteten Stadt treiben Leichen umher, und die Menschen versuchen panisch, ihr Hab und Gut zu retten. Die Häuser sind verlassen, der Strom ist weg und keine Spur mehr von Recht und Ordnung. Ein tiefer Graben des Misstrauens trennt die weiße und die schwarze Bevölkerung, während Hilfe der Behörden auf sich warten lässt. Inmitten dieses Szenarios soll Dave Robicheaux die Vergewaltigung an einem jungen Mädchen aufklären und einen verschwundenen Priester finden. Dabei müsste er sich viel dringender um den Gründer einer Bürgerwehr kümmern, der wesentlich gefährlicher ist als die vielen Verbrecher, die damit beschäftigt sind, die Stadt zu plündern.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit seinem Krimi "Sturm über New Orleans" schlägt James Lee Burke tief in "die Kerbe eines pervertierten Moralismus", berichtet Tobias Gohlis. Vor der Kulisse des von Katrina verheerten New Orleans lässt Burke vier schwarze Amerikaner einen krebskranken Priester töten, der ertrinkende Gemeindemitglieder retten wollte, und gibt, nachdem er zwei der Täter auf der Flucht sterben lässt, den anderen die Chance, sich zu ändern und Abbitte zu leisten, fasst der Rezensent zusammen. Am Ende dürfen sie sich sogar mit den Opfern aussöhnen, verrät Gohlis noch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2015Katrinas Opfer
Krimis in Kürze: Glasgow, Amsterdam, New Orleans
Oft ist ja nach der Lektüre die Frage interessanter, warum man das Buch unbedingt lesen wollte, als das Urteil, ob es denn gelungen ist. Bei dem Thriller "Die Suche" (Ullstein, 416 S., br. 12,90 [Euro]) war der Schlüsselreiz unwiderstehlich: Malaria-Tote in Europa, epidemische Ausbreitung mangels wirksamer Gegenmittel möglich. Man hoffte also auf eine Art Thriller, wie ihn früher Michael Crichton schrieb. Nick Louth, Wirtschaftsjournalist und Reuters-Korrespondent, hat auch ordentlich recherchiert. Man lernt daraus, dass das allein nicht ausreicht, wenn die wissenschaftliche Grundierung seriös wirkt, der Zuschnitt der Charaktere jedoch und die Verwicklungen der Handlung auch gutwilligste Leser überstrapazieren.
Das fängt beim Protagonisten Max an, früher bei der amerikanischen Küstenwache, jetzt metallverarbeitender Künstler, im Zuge des Plots zu einem Bond-artigen Helden reifend; und es infiziert folgerichtig den Antagonisten, dem eine Superschurken-Statur zuwächst. Epidemiologen, Parasitologen, Affenforscher, Schläger oder Kunsthändler werden rasch zu Statisten. Der Roman operiert auf zwei Ebenen. In der Gegenwart wird Erica, Max' Freundin und Malaria-Forscherin, in Amsterdam entführt, zwischendrin liest man ihr Afrika-Tagebuch aus dem Jahr 1992. Der Body Count ist nicht gerade knapp, was weniger an den Moskitos liegt, aber Ressourcen wie Sinn und Wahrscheinlichkeit schrumpfen bedenklich.
Es sollte sich niemand davon abschrecken lassen, dass "Der Killer hat das letzte Wort" (Fischer Taschenbuch, 384 S., br., 9,99 [Euro]) den zweiten Teil einer Trilogie bildet. "Glasgow-Trilogie" heißt sie, und man sollte sich auch nicht vom Lesen abhalten lassen, weil von Glasgow als spezifischem, unverwechselbarem Schauplatz nicht viel zu spüren ist. Was an Kolorit fehlt, kompensiert Malcolm Mackays Roman durch erzählerische Finesse und Genauigkeit in der Zeichnung der Charaktere. Parataktisch setzt er die Handlungen neben die Gedanken der Handelnden, neben ihre Bedenken, ihre Erwartungen und ihre Erwartungserwartungen. Und von denen gibt es viele bei einem alternden Killer wie Frank, der mit künstlicher Hüfte noch mal zum Comeback ansetzt; aber auch bei Peter, dem Chef der Organisation, der an einem verdienten Mitarbeiter wie Frank hängt und zugleich spürt, dass er gegen eine Konkurrenzorganisation nicht energisch genug auftritt.
Franks designierter Nachfolger Callum wiederum zaudert, weil er sich nicht binden möchte wie in einer Festanstellung, Fischer, der verbitterte Polizist in schlechtsitzenden Anzügen, kommt nicht voran. Mackays nüchterner Tonfall beschädigt den Spannungsaufbau nicht. Er sorgt für eine dokumentarische Anmutung. Es ist ein Porträt des Killers als gewöhnlicher Werktätiger, ohne Sensationsgier, dafür mit allen Problemen, welche aus anderen arbeitsteilig organisierten Berufswelten vertraut sind. Es geht um Geschäftszweige mit Wachstumschancen, um Probleme der Selbständigkeit und um Kleingewerbetreibende mit hohem Risikoanteil. Die Agentur für Arbeit könnte einen Berufsführer daraus entwickeln.
Ein Schwergewicht ist zurück: James Lee Burke. Genauer gesagt: sein Alter Ego, der Polizist Dave Robicheaux aus New Iberia, nicht weit von New Orleans, Held von mittlerweile zwanzig Romanen, von denen zwölf auf Deutsch vorliegen. "Sturm über New Orleans" (Pendragon Verlag, 576 S., br. 17,99 [Euro]) ist in den Vereinigten Staaten zwar schon 2007 erschienen, aber die Wut auf die Regierung, die Bestürzung und Trauer nach dem Hurrikan Katrina im August 2005 hallen in Burkes Prosa noch bis heute nach. Dass Robicheaux eine Vergewaltigung aufklären und einen verschwundenen Priester auffinden soll, wird nebensächlich angesichts der Verwüstungen, der Plünderungen, des Elends im Gefolge von Katrina. Und deshalb verzweigt sich die Erzählung auch lange Zeit fast so sehr wie das Delta des Mississippi, beobachtet Straßenszenen, schildert alltäglichen Rassismus und Momente, die Gläubige als Vorboten der Apokalypse deuten würden. Burke kann wunderbar dicht und pointiert beschreiben. Für die Atmosphäre einer Kneipe braucht er einen Satz: "Es war ein Lokal, in dem weder Freude noch Verzweiflung herrschten, in dem es selten zu Gewalt oder einem ersten Rendezvous kam." Und man liest in Krimis selten so lyrische Wendungen wie "New Orleans war ein Song, der unter den Wogen versank. Manchmal sehe ich in meinen Träumen eine Stadt unter dem Meer."
An Dave Robicheaux, dem Familienvater mit seiner Frau, einer ehemaligen Nonne, und der Adoptivtochter, einer salvadorianischen Indianerin, erkennen wir, was vom Helden der Hardboiled-Literatur übrig geblieben ist. "Wenn du kein Cop wärst, hättest du einen Priesterkragen um", sagt seine Vorgesetzte. Da er aber nun mal ein Cop ist, kann er nicht untätig zusehen, als seine Familie ins Visier eines Psychopathen gerät. Sobald sich diese Bedrohung zuspitzt, greifen auch wieder die Erzählmuster und Zwänge eines Krimi-Plots - was man nach den epischen Panoramaansichten fast ein wenig bedauert.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Glasgow, Amsterdam, New Orleans
Oft ist ja nach der Lektüre die Frage interessanter, warum man das Buch unbedingt lesen wollte, als das Urteil, ob es denn gelungen ist. Bei dem Thriller "Die Suche" (Ullstein, 416 S., br. 12,90 [Euro]) war der Schlüsselreiz unwiderstehlich: Malaria-Tote in Europa, epidemische Ausbreitung mangels wirksamer Gegenmittel möglich. Man hoffte also auf eine Art Thriller, wie ihn früher Michael Crichton schrieb. Nick Louth, Wirtschaftsjournalist und Reuters-Korrespondent, hat auch ordentlich recherchiert. Man lernt daraus, dass das allein nicht ausreicht, wenn die wissenschaftliche Grundierung seriös wirkt, der Zuschnitt der Charaktere jedoch und die Verwicklungen der Handlung auch gutwilligste Leser überstrapazieren.
Das fängt beim Protagonisten Max an, früher bei der amerikanischen Küstenwache, jetzt metallverarbeitender Künstler, im Zuge des Plots zu einem Bond-artigen Helden reifend; und es infiziert folgerichtig den Antagonisten, dem eine Superschurken-Statur zuwächst. Epidemiologen, Parasitologen, Affenforscher, Schläger oder Kunsthändler werden rasch zu Statisten. Der Roman operiert auf zwei Ebenen. In der Gegenwart wird Erica, Max' Freundin und Malaria-Forscherin, in Amsterdam entführt, zwischendrin liest man ihr Afrika-Tagebuch aus dem Jahr 1992. Der Body Count ist nicht gerade knapp, was weniger an den Moskitos liegt, aber Ressourcen wie Sinn und Wahrscheinlichkeit schrumpfen bedenklich.
Es sollte sich niemand davon abschrecken lassen, dass "Der Killer hat das letzte Wort" (Fischer Taschenbuch, 384 S., br., 9,99 [Euro]) den zweiten Teil einer Trilogie bildet. "Glasgow-Trilogie" heißt sie, und man sollte sich auch nicht vom Lesen abhalten lassen, weil von Glasgow als spezifischem, unverwechselbarem Schauplatz nicht viel zu spüren ist. Was an Kolorit fehlt, kompensiert Malcolm Mackays Roman durch erzählerische Finesse und Genauigkeit in der Zeichnung der Charaktere. Parataktisch setzt er die Handlungen neben die Gedanken der Handelnden, neben ihre Bedenken, ihre Erwartungen und ihre Erwartungserwartungen. Und von denen gibt es viele bei einem alternden Killer wie Frank, der mit künstlicher Hüfte noch mal zum Comeback ansetzt; aber auch bei Peter, dem Chef der Organisation, der an einem verdienten Mitarbeiter wie Frank hängt und zugleich spürt, dass er gegen eine Konkurrenzorganisation nicht energisch genug auftritt.
Franks designierter Nachfolger Callum wiederum zaudert, weil er sich nicht binden möchte wie in einer Festanstellung, Fischer, der verbitterte Polizist in schlechtsitzenden Anzügen, kommt nicht voran. Mackays nüchterner Tonfall beschädigt den Spannungsaufbau nicht. Er sorgt für eine dokumentarische Anmutung. Es ist ein Porträt des Killers als gewöhnlicher Werktätiger, ohne Sensationsgier, dafür mit allen Problemen, welche aus anderen arbeitsteilig organisierten Berufswelten vertraut sind. Es geht um Geschäftszweige mit Wachstumschancen, um Probleme der Selbständigkeit und um Kleingewerbetreibende mit hohem Risikoanteil. Die Agentur für Arbeit könnte einen Berufsführer daraus entwickeln.
Ein Schwergewicht ist zurück: James Lee Burke. Genauer gesagt: sein Alter Ego, der Polizist Dave Robicheaux aus New Iberia, nicht weit von New Orleans, Held von mittlerweile zwanzig Romanen, von denen zwölf auf Deutsch vorliegen. "Sturm über New Orleans" (Pendragon Verlag, 576 S., br. 17,99 [Euro]) ist in den Vereinigten Staaten zwar schon 2007 erschienen, aber die Wut auf die Regierung, die Bestürzung und Trauer nach dem Hurrikan Katrina im August 2005 hallen in Burkes Prosa noch bis heute nach. Dass Robicheaux eine Vergewaltigung aufklären und einen verschwundenen Priester auffinden soll, wird nebensächlich angesichts der Verwüstungen, der Plünderungen, des Elends im Gefolge von Katrina. Und deshalb verzweigt sich die Erzählung auch lange Zeit fast so sehr wie das Delta des Mississippi, beobachtet Straßenszenen, schildert alltäglichen Rassismus und Momente, die Gläubige als Vorboten der Apokalypse deuten würden. Burke kann wunderbar dicht und pointiert beschreiben. Für die Atmosphäre einer Kneipe braucht er einen Satz: "Es war ein Lokal, in dem weder Freude noch Verzweiflung herrschten, in dem es selten zu Gewalt oder einem ersten Rendezvous kam." Und man liest in Krimis selten so lyrische Wendungen wie "New Orleans war ein Song, der unter den Wogen versank. Manchmal sehe ich in meinen Träumen eine Stadt unter dem Meer."
An Dave Robicheaux, dem Familienvater mit seiner Frau, einer ehemaligen Nonne, und der Adoptivtochter, einer salvadorianischen Indianerin, erkennen wir, was vom Helden der Hardboiled-Literatur übrig geblieben ist. "Wenn du kein Cop wärst, hättest du einen Priesterkragen um", sagt seine Vorgesetzte. Da er aber nun mal ein Cop ist, kann er nicht untätig zusehen, als seine Familie ins Visier eines Psychopathen gerät. Sobald sich diese Bedrohung zuspitzt, greifen auch wieder die Erzählmuster und Zwänge eines Krimi-Plots - was man nach den epischen Panoramaansichten fast ein wenig bedauert.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main