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Welche Möglichkeiten und Aufgaben hat eine psychoanalytisch orientierte Sozialpsychologie, die nicht der Illusion erliegen will, Gesellschaft mit individualpsychologischen Kategorien »erklären« zu können? Sie müßte sich, fordert Hans-Joachim Busch, von der Sprache der Neurosenlehre trennen und die überindividuelle, soziale Ebene mit eigens dafür entwickelten Begriffen anvisieren. Sie hätte die Aufgabe, zu untersuchen, welches die Spielräume und Widerstandspotentiale sind, die dem Subjekt unter den heutigen Bedingungen zur Verfügung stehen.

Produktbeschreibung
Welche Möglichkeiten und Aufgaben hat eine psychoanalytisch orientierte Sozialpsychologie, die nicht der Illusion erliegen will, Gesellschaft mit individualpsychologischen Kategorien »erklären« zu können? Sie müßte sich, fordert Hans-Joachim Busch, von der Sprache der Neurosenlehre trennen und die überindividuelle, soziale Ebene mit eigens dafür entwickelten Begriffen anvisieren. Sie hätte die Aufgabe, zu untersuchen, welches die Spielräume und Widerstandspotentiale sind, die dem Subjekt unter den heutigen Bedingungen zur Verfügung stehen.
Autorenporträt
Hans-Joachim Busch, geb. 1951, Studium der Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main und der Supervision in Kassel 1983. Promotion am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main bei Alfred Lorenzer . Tätigkeiten als Mentor und Studienberater an der Fernuniversität GHS Hagen (nebenberuflich) und als Erzieher (hauptberuflich) Seit 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFI in der damals von Klaus Horn geleiteten Abteilung für Sozialpsychologie, später: Schwerpunkt Psychoanalyse und Gesellschaft. 2000 Habilitation und Privatdozentur am obengenannten Fachbereich. Von 2004 bis 2006 Vertreter einer Professur für Soziologie und Sozialpsychologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt . Seit 2007 außerplanmässiger Professor für Soziologie und Sozialpsychologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt . Seit Anfang April 2008 für zunächst zwei Jahre hauptamtlich Hochschullehrer für Soz

iologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt Seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Sprecher des Arbeitskreises Politische Psychologie (DVPW) .
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2001

Scharpings letzte Ausfahrt
Das zahlt keine Kasse: Glücksberatung bei Hans-Joachim Busch

Wie kommt man auf die Idee, sich über den Gesundheitszustand einer gesamten Gesellschaft Gedanken zu machen? Wenn der Gesellschaftswissenschaftler von "sozialen Pathologien" spricht, so stellt er nicht allein die Gerechtigkeit einer politischen Ordnung in Frage, sondern meint ein viel grundsätzlicheres Mißverhältnis, das die Menschen daran hindere, ihrer Natur gemäß zu leben. Welche Lebensbedingungen allerdings der menschlichen Natur angemessen sind, darüber läßt sich streiten. Theorien einer gesunden Wechselwirkung zwischen Subjektivität und Sozialität gibt es wahrscheinlich annähernd so viele wie private Vorstellungen über "das Glück" (Rudolf Scharping).

Glaubt man den diesbezüglichen Erkundungen Axel Honneths, so stehen der Sozialphilosophie deshalb in Zeiten des Wertepluralismus nur noch wenige Wege offen, eine allgemeingültige Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu begründen. Einer der bei aller Skepsis aussichtsreichsten scheint paradoxerweise zum Subjekt zurückzuführen: Die Sozialphilosophie würde dort einen festen Anker finden, wo sich der gesellschaftlichen Ordnung nachweisen ließe, im Widerspruch zu den notwendigen Voraussetzungen von subjektiver Identität und Handlungsfähigkeit zu stehen.

Nach den von Horkheimer und Adorno verfolgten Vorstellungen fiel spätestens seit den dreißiger Jahren der Psychoanalyse die derart umrissene Aufgabe zu, Gesellschaftskritik anthropologisch zu fundieren. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür sind die zahlreichen, auf das Projekt "Autorität und Familie" des Instituts für Sozialforschung zurückgehenden Untersuchungen zum "autoritären Charakter". Man betrachtete damals die allgemeine Verbreitung dieses Charaktertyps als sozialpsychologische Bedingung für den Faschismus. Aber auch Marcuses Theorem von der "repressiven Entsublimierung" - der Vernichtung von Leidensfähigkeit und Schuldgefühl durch das kapitalistische Leistungsprinzip - sowie Alexander Mitscherlichs Diagnose einer "vaterlosen", das heißt der klassisch ödipalen Identitätsbildung hinderlichen Gesellschaft waren Ergebnisse einer solchen tiefenpsychologisch ansetzenden Sozialforschung.

Nun ist eine bemerkenswerte Monographie erschienen, die sich für den soziologischen Gebrauch interessiert, der im Umkreis der Frankfurter Schule von psychoanalytischen Kategorien gemacht wurde. Der Autor, Hans-Joachim Busch, steht einer Verbindung von Psychoanalyse und Sozialtheorie grundsätzlich positiv gegenüber. Die Mehrzahl der vorfindlichen Ansätze hält er aber deshalb für inakzeptabel, weil sie den Unterschied zwischen Individual- und Sozialanalyse methodisch nicht ausreichend reflektierten: Sie behandelten Gesellschaft wie ein krankes Großsubjekt, dem sie einen eigenen Charakter, Krankheitssymptome und ein Unbewußtes zuschrieben.

So verträten, nach seiner Ansicht, die frühen Studien zum autoritären Charakter eine naive Korrespondenztheorie: Herrschaftsverhältnisse sollten sich demnach automatisch in neurotischen Verhaltensmustern niederschlagen. Mitscherlichs Vaterlosigkeitsthese wirft Busch, nicht anders als dem Marcuseschen Entsublimierungsgedanken, einen "frühkindlichen Determinismus" vor: Ihnen zufolge sei die gesellschaftsbedingte Mißbildung der Subjekte schon in frühester Kindheit zu einer unumkehrbaren Tatsache geworden. Sollten die sozialen Verhältnisse aber der Triebstruktur des einzelnen tatsächlich so umstandslos ihre Form diktieren, dann hätte sich das kritische Potential der Psychoanalyse eben in jenem "universalen Verblendungszusammenhang" aufgelöst, den Adorno seiner Zeit attestierte. Um diesen Begründungsnotstand der Kritischen Theorie zu beenden, schmiedet Hans-Joachim Busch ungewöhnliche Allianzen: Er orientiert sich dabei an einer Zustandsbeschreibung von Gesellschaft, wie sie unter dem Stichwort der "globalisierten Risikogesellschaft" mit unterschiedlicher Trennschärfe die Runde gemacht hat. Als die gravierendsten gesellschaftlichen Mißstände, deren Einfluß auf die "Motivationsstruktur der spätmodernen Subjektivität" Busch nachzeichnet, erscheinen ihm Umweltzerstörung und das ungelöste Verhältnis der Geschlechter.

Im Hinblick auf beide Problemfelder hat er aber sehr unterschiedliche Strategien vor Augen. Unstimmigkeiten zwischen Männern und Frauen begreift Busch eher als Kommunikationspathologie. Ein Anerkennungsmodell, das jenseits von rechtlicher Gleichstellung auch etwas zur Frage der geschlechtsspezifischen Identitätsbildung zu sagen hätte, soll hier Abhilfe schaffen. Das ökologische Problem wiederum taucht im Zusammenhang mit der Motivationsstruktur des Subjekts vor allem als "widerspenstige innere Natur" auf. Einerseits sei sie mit der äußeren Natur verschwistert, insofern Kulturschaffen auf der Unterdrückung beider beruhe. Andererseits stelle sie immer auch eine Bedrohung der Umwelt dar. Das Szenario, das Freud in seiner späten Schrift "Das Unbehagen in der Kultur" entwirft, nur leicht variierend, wird das Schicksal des Planeten an den Ausgang des "ewigen Kampfes" zwischen Lebens- und Todestrieb geknüpft.

Die Engführung der genannten Modelle ist allerdings keinesfalls selbstverständlich, gelten doch die Grundbegriffe der Freudschen Triebtheorie aus Sicht der Anerkennungslehre heute als "monologisch", mithin als veraltet. Zur Überwindung des scheinbaren Gegensatzes greift Busch interessanterweise auf Alfred Lorenzers Theorie der "Interaktionsformen" zurück. In Anlehnung an Lorenzer hatte nämlich auch Habermas in den siebziger Jahren den später aufgegebenen Plan verfolgt, die Psychoanalyse sprach- und handlungstheoretisch zu reformulieren. Anders als frühere Arbeiten der Frankfurter Schule habe Lorenzer gezeigt, wie die "Bausteine der Persönlichkeit" in sozialen Interaktionen entstünden. Seine psychoanalytische Sozialisationstheorie löse das Programm der Kritischen Theorie ein, die gesellschaftliche Bildung und Deformation der Triebstruktur zu erklären.

So einleuchtend die Bezugnahme auf Lorenzer sein mag, wirft sie für Buschs Konzeption Fragen auf. Denn wenn der Trieb gerade nicht als "außersoziales Körpersubstrat" verstanden wird, das sich aus prinzipiellen Gründen gegen die gesellschaftliche Zurichtung sperrt, dann läßt sich - wenigstens in einem psychoanalytischen Rahmen - wohl auch das Widerstandspotential des Subjekts kaum aus dessen "Natur" ableiten.

Hätte Busch das Thema "Kritik der instrumentellen Vernunft", das bei ihm in den Motiven der Auszehrung natürlicher Ressourcen und des Zerfalls traditioneller Lebensformen anklingt, explizit ausgeführt, so wäre vielleicht klarer geworden, daß man den großen Herausforderungen unserer Zivilisation kaum durch rückwärtsgewandtes "Eingedenken der Natur im Subjekt" begegnen kann, sondern bestenfalls durch eine umsichtiger gewordene Aufklärung. Weder gegen die systematisch verzerrte Kommunikation zwischen den Geschlechtern noch gegen fortschreitende Umweltzerstörung ist wahrscheinlich im Namen des "Anderen der Vernunft" ein Kraut gewachsen.

BETTINA ENGELS

Hans-Joachim Busch: "Subjektivität in der spätmodernen Gesellschaft". Konzeptuelle Schwierigkeiten und Möglichkeiten psychoanalytisch-sozialpsychologischer Zeitdiagnose. Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2001. 320 S., geb., 69,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine "bemerkenswerte Monografie" findet Rezensentin Bettina Engels - auch deshalb, weil Autor Busch sich für den "soziologischen Gebrauch" interessierte, der im Umkreis der Frankfurter Schule von psychoanalytischen Kategorien gemacht wurde. In den meisten der "vorfindlichen Ansätze" werde die Gesellschaft als "krankes Großsubjekt" beschrieben, der Unterschied zwischen "Individual- und Sozialanalyse" methodisch aber nicht "ausreichend reflektiert". Busche stellt dann wohl so manches Theorem der Kritischen Theorie auf die Füße und schmiedet "ungewöhnliche Allianzen". Unter anderem mit Alfred Lorenzer, dessen psychoanalytische Sozialisationsstheorie laut Rezensentin das "Programm der Kritischen Theorie" eingelöst hätte. Aber gerade die "Bezugnahme auf Lorenzer" wirft bei der Rezensentin dann doch Fragen über Buschs Konzeption auf. Mit einiger Leidenschaft werden in ihrer Kritik die zentralen Themen des Buches diskutiert, was für spannende Ansätze spricht. Lediglich das Thema "Kritik der instrumentellen Vernunft" hätte die Rezensentin gern expliziter ausgeführt gesehen.

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