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Seit den 1960er Jahren wird in der Theorie, den Künsten sowie im politischen Aktivismus die gängige Form des »Widerstands durch Neinsagen« zunehmend als nicht ausreichend abgelehnt. Macht sich eine Kritik, die auf Negation beruht, nicht abhängig von jenem System, das sie überwinden will? Bleibt sie nicht in einem Denken von Oppositionen gefangen?
Mit Formulierungen wie 'subversive Affirmation', 'negative Affirmation', 'Scheinaffirmation', 'affirmative Übercodierung', 'Hyperaffirmation', 'Überidentifikation', 'Paradoxe Intervention', 'Symptomverordnung', 'Revolution des Ja', 'affirmative
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Produktbeschreibung
Seit den 1960er Jahren wird in der Theorie, den Künsten sowie im politischen Aktivismus die gängige Form des »Widerstands durch Neinsagen« zunehmend als nicht ausreichend abgelehnt. Macht sich eine Kritik, die auf Negation beruht, nicht abhängig von jenem System, das sie überwinden will? Bleibt sie nicht in einem Denken von Oppositionen gefangen?

Mit Formulierungen wie 'subversive Affirmation', 'negative Affirmation', 'Scheinaffirmation', 'affirmative Übercodierung', 'Hyperaffirmation', 'Überidentifikation', 'Paradoxe Intervention', 'Symptomverordnung', 'Revolution des Ja', 'affirmative Sabotage' oder 'Counter-Mimicry' wurde von ganz unterschiedlichen Seiten aus der Versuch unternommen, eine affirmative Kritik zu entwickeln, die nicht nur Negation überwindet, sondern auch den Unterschied zwischen bewusster Zustimmung und Konformität, Kapitulation, Gleichgültigkeit oder Pragmatismus bewusst macht.

Sylvia Sasse analysiert in ihrem Buch subversiveAffirmation als kritische Praxis in unterschiedlichen politischen Systemen. Sie fragt nach der Wirksamkeit einer solchen Kritik und nach ihrer Aktualität in einer Zeit, in der sich verschiedene politische Akteur:innen subversive Affirmation aneignen und nicht mehr als Verfahren der Kritik verwenden.
Autorenporträt
Sylvia Sasse ist Professorin für Slawistische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Sie ist Mitbegründerin des ZKK (Zentrum für Künste und Kulturtheorie), Mitglied des ZGW (Zentrum Geschichte des Wissens) und Mitherausgeberin von 'Geschichte der Gegenwart' (www.geschichtedergegenwart.ch).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Überzeugt berichtet Rezensent Bernd Stiegler von Sylvia Sasses Sachbuch zur Praxis der "Subversiven Affirmation". Die in der Schweiz lehrende Slavistin untersucht darin diese Form der kritischen künstlerischen Praxis, die ihren Gegenstand nicht direkt angreift, sondern vielmehr überbejaht - sodass in der Überbietung des Kritisierten, so fasst Stiegler es zusammen, eine Distanz zu diesem aufscheint. Als Beispiel führt der Rezensent Christoph Schlingensiefs 2000 in Wien veranstaltete Aktion "Bitte liebt Österreich!", bei welcher der Künstler ausländerfeindliche Positionen der rechten FPÖ in eine diese vermeintlich in die Tat umsetzende Performance integrierte. Besonders lobt Stiegler, wie differenziert Sasse verschiedene Theorien der Subversiven Affirmation - etwa von Homi K. Bhabha, Gayatri Spivak oder Theodor W. Adorno - unterscheidet und diese erklärt. Dass ihr Buch vor allem Beispiele aus sozialistischen Ländern beinhaltet, führt er auf die unter Stalin etablierte dogmatische Abwehr von Kritik und auf historisch entwickelte Praxen ihrer künstlerischen Überwindung zurück. Ein informativer Band, den Stiegler seinen Leserinnen empfehlen kann.
 

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2024

Zuspitzen der Verhältnisse
Sylvia Sasse sondiert künstlerische Varianten subversiver Affirmation

Vor knapp einem Vierteljahrhundert standen während der Festwochen auf dem Wiener Opernplatz einige Container, in die dann zwölf Teilnehmer einer Art Asyl-Big-Brother-Show einzogen. Es wurde eine Website eingerichtet, auf der das Publikum wie bei der Fernsehshow österreichweit votieren konnte, wer die Container, in denen Kameras installiert waren, zu verlassen hatte, um dann, so die Ankündigung, abgeschoben zu werden.

Christoph Schlingensief, der diese Aktion unter dem Titel "Bitte liebt Österreich!" initiierte und moderierend begleitete, übernahm bei seiner Kommentierung und auch bei den angebrachten Plakaten einschlägige Slogans der FPÖ, die damals wie heute eine rechtsnationale ausländerfeindliche Politik verfolgte. Er nahm die Parolen der Partei beim Wort und übersetzte sie in eine Aktion, die konkrete Handlungen ankündigte und vermeintlich auch umsetzte. Zu keinem Zeitpunkt distanzierte sich Schlingensief von den martialischen Zitaten, ja fügte ihnen noch deutlich weitergehende Sprüche hinzu. Ausgestattet mit einem Megafon, machte er sich vermeintlich zu einem Sprachrohr der Rechten und provozierte heftige Reaktionen aus allen politischen Lagern. Auf seine Strategie angesprochen, gab er die Maxime an: Widerstand ist zwecklos, Widersprüchlichkeit ist gefragt. Zu Letzterer gehörte auch, dass das Publikum offenkundig erhebliche Schwierigkeiten hatte, zwischen Affirmation und Kritik zu unterscheiden, sofern es nicht Informationen zur Aktion hatte.

Christoph Schlingensief ist nicht der erste und wird auch nicht der letzte Künstler sein, der sich bei dezidiert politischen Arbeiten dieser Strategie der, wie Sylvia Sasse es nennt, subversiven Affirmation bedient. In ihrem erhellenden Buch rekonstruiert sie die Theorie und Geschichte dieser künstlerischen Praxis. Die subversive Affirmation ist eine Form der Kritik, die eine bis zur Ununterscheidbarkeit reichende Mimesis an den kritisierten Gegenstand praktiziert, dessen Logik auf- und übernimmt und einzig durch Arten von Überbietung des ins Visier genommenen Programms Distanz markiert. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden die Aktionen den verlautbarten Vorgaben Genüge tun, ja diese sogar übererfüllen, wie etwa bei freiwilligen Arbeitseinsätzen in sozialistischen Ländern. Diese sogenannten Subbotniks waren bei verschiedenen Künstlergruppen ungemein beliebt, um kritische Distanz zum Regime zu markieren. Man nahm die ideologischen Appelle beim Wort, säuberte Felsen, schrubbte etwa die Uferpromenade in Odessa oder bepflanzte eine "Allee der Avantgarde" mit Bäumen.

Viele der Beispiele in Sasses Buch stammen aus sozialistischen Ländern, und das nicht zuletzt aus politischen Gründen. Wenn Stalin zwischen zwei Formen von Kritik und Selbstkritik unterschied, nämlich einer echten, zugleich willkommenen, welche die Gesellschaft voranbringe, und einer bloß in Anführungszeichen, die in Wahrheit konterrevolutionär sei, dann gestattete ihm das fortan, jede dem Regime nicht genehme Kritik als eine der zweiten Kategorie zu verfolgen. Die Praktiken der subversiven Affirmation stellten dann ihrerseits eine riskante Fortsetzung dieser machtbewehrten Unterscheidung mit anderen Mitteln dar.

Sylvia Sasse führt durch ein Dickicht von Strategien und macht dabei Ähnliches unähnlich. "Kritische Mimikry" (Bhabha), "Positivität der Negativität" (Lyotard), "subversive Mimesis" und "entstellende Angleichung" (Adorno), "affirmative Sabotage" (Spivak), "negative Affirmation" (Brock), "mimetische Verschlimmerung" (Foster) oder die "Identitätskorrektur" der Künstlergruppe "The Yes Men" sind nur einige Schlagworte für Praktiken, die auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden sind und doch sehr unterschiedlichen Intentionen folgen.

"Man muss die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt." Dieses Zitat aus Marx' "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" ist dabei so etwas wie ein gemeinsames Motto der verschiedenen Strategien, das zugleich ihren kleinsten gemeinsamen Nenner bildet. In welcher Weise die "versteinerten Verhältnisse" konkret zu verändern wären, bleibt dabei offen und liegt auch jenseits des Horizonts der Kritik, die sich an den bestehenden Verhältnissen abarbeitet. Entscheidend ist aber die Markierung einer wenn auch nur winzigen Distanz. Die Unterschiede, das ist die fragile Basis solcher Kritik, liegen nämlich oft nicht in der Praxis, sondern in der Intention. BERND STIEGLER

Sylvia Sasse: "Subversive Affirmation".

Diaphanes Verlag, Zürich 2024.

336 S., Abb., br. 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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