Was ist dir lieber: Urlaub in einem Hühnerstall oder im Schleimparadies? Bei was langweilst du dich am besten, vielleicht beim Friedhofsbesuch mit Oma? Was ist dir peinlicher: wenn Erwachsene knutschen oder wenn dein kleiner Bruder ausläuft? Welchen Po wünschst du dir und was ist deine Lieblingskatastrophe? Such aus!Viele schlimme, schöne, gefährliche und lustige Möglichkeiten werden hier zur Auswahl vor uns ausgebreitet. Zum Glück müssen wir die meisten Entscheidungen davon nie wirklich treffen. Umso spaßiger ist es, sie in der Fantasie durchzuspielen - befeuert von wild-wuseligen Bildern der tollen Künstlerin Juliane Pieper.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022Zum Einschlafen in den Schweinebaumel
Die Welt als Wille und Vorstellung: In ihrem ersten Bilderbuch "Such aus!" spielt Juliane Pieper vergnüglich mit Entscheidungen.
Von Fridtjof Küchemann
Wer würde sich nicht gerne einmal auf diese Weise langweilen? Im Auto auf der Autobahn, während auf den anderen Spuren Fahrzeuge in Blüten- oder Wellenform vorbeifahren, als roter Kritzelflausch oder lila Stern mit orangefarbenen Punkten und Fühlern auf Rädern? Oder beim Friedhofsbesuch mit Oma, während grünliche Wesen vor windschiefen Kreuzen aus den Gräbern krabbeln und mit Knochen fuchteln? Zugegeben, so ein Gang zu Großvaters Grab oder eine Reise in die Ferien kann ganz schön zäh sein. Wer sich ansieht, was sich die Illustratorin Juliane Pieper zu diesen Szenen hat einfallen lassen, kann an Langeweile allerdings kaum denken. Mit einer Ausnahme: In der Mitte der Seite aus ihrem Bilderbuch "Such aus! Mein großes wildes Buch der Entscheidungen" unterhalten sich Erwachsene - und was sie einander erzählen, ist wirklich für Kinder einigermaßen uninteressant.
Die Illustrationen von Juliane Pieper waren bereits im "New Yorker" zu sehen oder in der "taz", in Büchern über seltsame Lesewesen, die uns irgendwie bekannt vorkommen, oder über das Kochen von Kugelförmigem. Begonnen hat sie mit reduzierten Strichzeichnungen, aber auch der Einsatz von glitzernden Sternchen und neonfarbenem Schleim in ihren künstlerischen Arbeiten ist ihr nicht fremd. Wer ihr wohl einmal gesagt hat, ihre Illustrationen wären nichts für Kinder? Monika Osberghaus jedenfalls, Verlegerin des Klett-Kinderbuch-Verlags, konnte sich diesem Urteil nicht anschließen und hat Juliane Pieper um ein Buch über Entscheidungen gebeten.
Das Ergebnis ist poppig bunt, kindlich-durchgeknallt und ein Vergnügen - zum Vorlesen, mehr allerdings noch in den Unterhaltungen, die sich mit Kindern aus dem gemeinsamen Betrachten ergeben. "Such aus!" ist dabei nicht nur der Titel, sondern auch eine Aufforderung, die sich durchs ganze Buch zieht: Welches Haustier wäre was, wohin könnte es im Urlaub gehen, was wäre wie im Paradies? Dazu schwebt eine Pizza am Fallschirm zu Boden, eine Müll fressende Pflanze schnappt sich eine Coladose, ein riesiger wolliger Hund hält schützend seine Pfote vor ein Mädchen, das im obersten Stockwerk auf der Balkonbrüstung schlafwandelt: "Jemand fängt mich immer auf", hat Juliane Pieper dazu geschrieben: Das wäre wirklich paradiesisch. Als Haustiere stehen nicht allein Kätzchen, Meerschweinchen und Kaninchen zur Wahl, sondern auch ein Pterosaurier, ein Gummibärchen und ein Roboter.
Von "gibt's doch gar nicht" landet man schnell über "so ein Quatsch" bei "stell dir vor": Wie wäre wohl ein Urlaub im Unterseeboot, im Dschungel oder im Hühnerstall? Was hieße es, einen Urwald pflanzen, die Oma im Himmel besuchen oder ein Wundermittel erfinden zu können? Was ist wirklich am peinlichsten: wenn Erwachsene knutschen, wenn etwas runterfällt oder wenn man etwas falsch versteht? Und ist, im Lichte all der anderen auf dieser Seite versammelten Peinlichkeiten, nicht jede einzelne im Grunde genommen doch gar nicht so schlimm, auf jeden Fall nichts Besonderes und vielleicht sogar aus der Distanz betrachtet ein kleines bisschen lustig?
Ob es um Gesäßformen oder Katastrophen geht, um Essbares oder das Alter: Immer wieder zeigt Juliane Pieper die Welt des Möglichen als kleinen Ausschnitt des Vorstellbaren. Klar, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, und die der kindlichen Betrachter wird die Vorschläge im Buch ein ums andere Mal angeregt, aufgeregt hinter sich lassen.
Wenn es auf der letzten Seite zum Ausklang um die Frage geht, "wie möchtest du einschlafen?", darf man bezweifeln, ob ein paar der Optionen die baldige Nachtruhe wirklich befördern: Ein Kind hat sich im Schweinebaumel zu den Fledermäusen gehängt, eines setzt sich schnell noch mal ans Schlagzeug, und von einem sieht man gerade noch die Füße unterm Bett hervorschauen. Es hat sich kurzerhand zu den Monstern gelegt, die dort doch klassischerweise damit beschäftigt sind, den Kindern das Einschlafen zu erschweren. Immerhin: Auch auf dieser aufgekratzten Seite vermittelt Juliane Pieper zwischen Unsinn und Übertreibung die beruhigende Botschaft: Wie es ist, ist es gar nicht so schlecht.
Juliane Pieper: "Such aus!" Mein großes wildes Buch der Entscheidungen.
Klett Kinderbuch, Leipzig 2022. 32 S., geb., 15,- Euro. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Welt als Wille und Vorstellung: In ihrem ersten Bilderbuch "Such aus!" spielt Juliane Pieper vergnüglich mit Entscheidungen.
Von Fridtjof Küchemann
Wer würde sich nicht gerne einmal auf diese Weise langweilen? Im Auto auf der Autobahn, während auf den anderen Spuren Fahrzeuge in Blüten- oder Wellenform vorbeifahren, als roter Kritzelflausch oder lila Stern mit orangefarbenen Punkten und Fühlern auf Rädern? Oder beim Friedhofsbesuch mit Oma, während grünliche Wesen vor windschiefen Kreuzen aus den Gräbern krabbeln und mit Knochen fuchteln? Zugegeben, so ein Gang zu Großvaters Grab oder eine Reise in die Ferien kann ganz schön zäh sein. Wer sich ansieht, was sich die Illustratorin Juliane Pieper zu diesen Szenen hat einfallen lassen, kann an Langeweile allerdings kaum denken. Mit einer Ausnahme: In der Mitte der Seite aus ihrem Bilderbuch "Such aus! Mein großes wildes Buch der Entscheidungen" unterhalten sich Erwachsene - und was sie einander erzählen, ist wirklich für Kinder einigermaßen uninteressant.
Die Illustrationen von Juliane Pieper waren bereits im "New Yorker" zu sehen oder in der "taz", in Büchern über seltsame Lesewesen, die uns irgendwie bekannt vorkommen, oder über das Kochen von Kugelförmigem. Begonnen hat sie mit reduzierten Strichzeichnungen, aber auch der Einsatz von glitzernden Sternchen und neonfarbenem Schleim in ihren künstlerischen Arbeiten ist ihr nicht fremd. Wer ihr wohl einmal gesagt hat, ihre Illustrationen wären nichts für Kinder? Monika Osberghaus jedenfalls, Verlegerin des Klett-Kinderbuch-Verlags, konnte sich diesem Urteil nicht anschließen und hat Juliane Pieper um ein Buch über Entscheidungen gebeten.
Das Ergebnis ist poppig bunt, kindlich-durchgeknallt und ein Vergnügen - zum Vorlesen, mehr allerdings noch in den Unterhaltungen, die sich mit Kindern aus dem gemeinsamen Betrachten ergeben. "Such aus!" ist dabei nicht nur der Titel, sondern auch eine Aufforderung, die sich durchs ganze Buch zieht: Welches Haustier wäre was, wohin könnte es im Urlaub gehen, was wäre wie im Paradies? Dazu schwebt eine Pizza am Fallschirm zu Boden, eine Müll fressende Pflanze schnappt sich eine Coladose, ein riesiger wolliger Hund hält schützend seine Pfote vor ein Mädchen, das im obersten Stockwerk auf der Balkonbrüstung schlafwandelt: "Jemand fängt mich immer auf", hat Juliane Pieper dazu geschrieben: Das wäre wirklich paradiesisch. Als Haustiere stehen nicht allein Kätzchen, Meerschweinchen und Kaninchen zur Wahl, sondern auch ein Pterosaurier, ein Gummibärchen und ein Roboter.
Von "gibt's doch gar nicht" landet man schnell über "so ein Quatsch" bei "stell dir vor": Wie wäre wohl ein Urlaub im Unterseeboot, im Dschungel oder im Hühnerstall? Was hieße es, einen Urwald pflanzen, die Oma im Himmel besuchen oder ein Wundermittel erfinden zu können? Was ist wirklich am peinlichsten: wenn Erwachsene knutschen, wenn etwas runterfällt oder wenn man etwas falsch versteht? Und ist, im Lichte all der anderen auf dieser Seite versammelten Peinlichkeiten, nicht jede einzelne im Grunde genommen doch gar nicht so schlimm, auf jeden Fall nichts Besonderes und vielleicht sogar aus der Distanz betrachtet ein kleines bisschen lustig?
Ob es um Gesäßformen oder Katastrophen geht, um Essbares oder das Alter: Immer wieder zeigt Juliane Pieper die Welt des Möglichen als kleinen Ausschnitt des Vorstellbaren. Klar, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, und die der kindlichen Betrachter wird die Vorschläge im Buch ein ums andere Mal angeregt, aufgeregt hinter sich lassen.
Wenn es auf der letzten Seite zum Ausklang um die Frage geht, "wie möchtest du einschlafen?", darf man bezweifeln, ob ein paar der Optionen die baldige Nachtruhe wirklich befördern: Ein Kind hat sich im Schweinebaumel zu den Fledermäusen gehängt, eines setzt sich schnell noch mal ans Schlagzeug, und von einem sieht man gerade noch die Füße unterm Bett hervorschauen. Es hat sich kurzerhand zu den Monstern gelegt, die dort doch klassischerweise damit beschäftigt sind, den Kindern das Einschlafen zu erschweren. Immerhin: Auch auf dieser aufgekratzten Seite vermittelt Juliane Pieper zwischen Unsinn und Übertreibung die beruhigende Botschaft: Wie es ist, ist es gar nicht so schlecht.
Juliane Pieper: "Such aus!" Mein großes wildes Buch der Entscheidungen.
Klett Kinderbuch, Leipzig 2022. 32 S., geb., 15,- Euro. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zwischen Unsinnn und Übertreibung fühlt sich Fridtjof Küchemann wohl, zumindest, wenn Juliana Pieper die Begriffe in ihren Illustrationen und Entscheidungsfragen ausmisst. Was ist peinlicher, wenn Große knutschen und wenn einem was runterfällt? Und welches Haustier soll es denn sein? Noch unterhaltsamer als beim Vorlesen und Anschauen wird es laut Küchemann beim Gespräch mit den Kindern über das Gesehene und Gefragte. Küchemann selbst langweilt sich jedenfalls nicht, fühlt sich angeregt unterhalten und über die Schwierigkeiten des Entscheidens bunt aufgeklärt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Welch schöne Qual ...« DAS MAGAZIN, Mai 2022