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"Ich habe meine Mutter nicht geliebt." Dieser Satz steht am Anfang des Buches. Meckels Mutter, allem Geistigen verschrieben, ist eine Frau der anspruchsvollen Gesellschaft. Die Kinder sind nur im Weg, und auch der Krieg passt eigentlich nicht in dieses Szenario. In Meckels Portrait wird über den individuellen Fall hinaus ein Milieu sichtbar, in dem für Liebe nicht viel Platz bleibt.

Produktbeschreibung
"Ich habe meine Mutter nicht geliebt." Dieser Satz steht am Anfang des Buches. Meckels Mutter, allem Geistigen verschrieben, ist eine Frau der anspruchsvollen Gesellschaft. Die Kinder sind nur im Weg, und auch der Krieg passt eigentlich nicht in dieses Szenario. In Meckels Portrait wird über den individuellen Fall hinaus ein Milieu sichtbar, in dem für Liebe nicht viel Platz bleibt.
Autorenporträt
Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, wurde u. a. mit dem Rainer-Maria-Rilke-Preis für Lyrik, dem Georg-Trakl-Preis für Lyrik, dem Joseph-Breitbach-Preis und zuletzt 2016 mit dem Hölty-Preis für sein lyrisches Lebenswerk sowie 2018 mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis und dem Lyrikpreis Orphil der Landeshauptstadt Wiesbaden ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen zuletzt Einer bleibt übrig, damit er berichte (Erzählungen, 2005), Seele des Messers (Gedichte, 2006), Nachtsaison (Erzählungen, 2008), Gottgewimmer (Gedichte, 2010), Luis & Luis (Erzählungen, 2012), Tarnkappe (Gesammelte Gedichte, 2015) und Kein Anfang und kein Ende (Zwei Poeme, 2017). Christoph Meckel starb am 29. Januar 2020 in Freiburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Erkältung der Seele, ein Leben lang
Elternteilchenphysik: Christoph Meckel richtet den Sucher auf seine verstorbene Mutter / Von Heinz Ludwig Arnold

Es fehlten Umarmung, Selbstironie und Gedankenschärfe. Es fehlte die offene Strömung lebendigen Lebens." So las man 1980 in Christoph Meckels vielbeachtetem Buch "Suchbild. Über meinen Vater". Die Suche ergab damals das zwiespältige, weil kritisch und melancholisch gezeichnete Bild eines aus der Distanz gezeichneten Vaters, an den die sympathetische Annäherung des schreibenden Sohnes nicht immer gelang. Bei den Nazis war der Vater ein unbedeutender Mitläufer gewesen, aus dem Kriege kam er verwundet zurück - damals war "die Freude auf meinen Vater genzenlos". Auch der Vater war Schreiber gewesen, hatte traditionelle Gedichte verfaßt und als Kritiker gearbeitet - eine "stadtbekannte" Person; doch er "blieb in dem, was er (. . .) verfaßte, hinter allen literarischen Progressionen der Nachkriegszeit zurück", brachte es nie übers literarische Mittelmaß hinaus, aber wünschte sich "erfolgreiche Söhne im Rahmen bürgerlicher Vorstellungen von Respektabilität und gesichertem Einkommen".

Meckels Buch war damals eines der bemerkenswertesten Dokumente der "Väterliteratur". Das gute Dutzend dieser zwischen Mitte der siebziger und der achtziger Jahre erschienenen Bücher wurde deshalb so genannt, weil einige Schriftsteller in den Bildern ihrer Väter sich über jene Autoritäten und deren Prägung vergewisserten, denen sie selbst ihr geistiges Profil verdankten. Obwohl da häufig auch von den Müttern die Rede war, gaben die Väter offensichtlich die markantesten Figuren ab. Übrigens war Erkundung mehr als Abrechnung die geheime Zielsetzung der meisten dieser Autoren.

Mehr als zwanzig Jahre später hat Meckel nun das komplementäre "Suchbild: Meine Mutter" veröffentlicht. Und das beginnt mit der nüchternen Feststellung: "Ich habe meine Mutter nicht geliebt". Der Vater starb mit zweiundsechzig, die Mutter mit zweiundneunzig; der Vater "dämmerte ohne Wut aus dem Leben hinaus", die Mutter "blieb mit sich einverstanden bis zuletzt". Zwei Sätze, die zwei komplementäre gegensätzliche Leben bezeichnen.

Im Vaterbuch wird die Mutter kaum erwähnt; im Mutterbuch nun wird der Vater häufiger genannt, aber in seiner "kritiklosen Aufmerksamkeit" und "ratlos blinden Verehrung für seine Frau" fast immer nur als Funktion des Mutterbild-Entwurfs: und der ist vernichtend: "Meine Vergleiche mit dem Vater . . . fielen nie zu ihren Gunsten aus." Während zum Beispiel von der Erscheinung des Vaters immer Bewegung ausging - "Sein häuslicher Auftritt, geballt nervös, überreizt oder feindlich, in seltenen Fällen froh, bewirkte Unsicherheit, rief Abwehr hervor, freudlose Neugier oder Ironie: es wird was passieren, aber was." -, "vermittelte die Erscheinung meiner Mutter nichts"; denn "sie erstickte in festgesetzter Harmonie".

In Meckels Beschreibung liefert das oft benutzte Wort "Konversation" den Schlüssel, um diese unnahbare Frau zu begreifen: "Durchdringende Analyse erschien ihr geschmacklos und Schärfe des Erkennens erträglich nur, wenn sie angenehm zu vermitteln war." Sie ist intelligent, aber sie beläßt es dabei; und sie ist schön und verläßt sich auch auf ihre Schönheit - sie verläßt sich darauf, daß ihre "Intelligenz und Schönheit ausreichend seien". Und ihr Mann, der diese schöne Frau einst eroberte, bestätigt dies alles durch restlose Hinnahme; denn "ihre Vollkommenheit bestätigte ihn", und so "unterwarf er sich der Faszination durch sie".

Für die Kinder - drei Söhne - ist diese Frau "nicht erreichbar". So wie die Konversation nach geordneten Regeln verläuft, die garantieren, daß nichts und niemand verletzt wird, so wird auch das Leben geregelt: Die Schule hat für die Erziehung zu sorgen, der Vater ist fürs Geldverdienen da, und das Dienstmädchen für die Ordnung im Haus - diese Mutter sorgte sich um nichts, nicht einmal um sich selbst: Sie war bloß. Und das war ihr genug. Sogar als der Mann verletzt aus dem Krieg kommt, nimmt sie ihn nicht an: Nun waren auch die wenigen "vertrauten Illusionen perdu", nun "ertrug sie einen schwerbeschädigten Mann", aber "entzog sich fortan seinem Zugriff". Der "preußische Protestantismus", den sie lebte, kam nicht dem Vater, sondern der Kirchengemeinde zugute.

Diese Mutter erscheint neben dem immerhin erregbaren Vater wie eine monströse Statue. Meckel hat ihr Phänomen aus kleinen Erlebnissen, lebenslang gewonnenen Erfahrungen, konkreten Situationen und besonderen Blickwinkeln abgeschriebenen Momentaufnahmen zusammengesetzt, und das Bild, das sich bei seiner Sucharbeit schließlich herauskristallisiert hat, wirkt wie ein impressionistisches Pastiche; nicht so geschlossen wie einst das Vaterbild und auch, bei aller Kritik, nicht wie jenes immerhin verständnisvoll. Diese Mutter hat verletzt, ohne zu handeln; sie war bloß da für sich, doch nicht da als Mutter.

Und hatte doch auch ihre eigene Geschichte, die Meckel miterzählt: Früh starb ihr Vater, und sie hing fest an ihrer eigenen Mutter, wurde geliebt wie niemand sonst: der "Gram ihrer Mutter, die Unlebendigkeit ihres Nachfolgevaters, das Freudlos-Förmliche ihres Elternhauses" - "Erkältung der Seele ein Leben lang". Prägnanter kann man den Grund kaum formulieren, auf dem diese Statue stand, die Meckel so eindrucksvoll beschrieben hat.

Interessant wäre zu wissen, ob die Mutter 1980 auch des Sohnes Vaterbuch gelesen hat; und was sie dazu sagte.

Christoph Meckel: "Suchbild. Meine Mutter". Roman. Carl Hanser Verlag. München 2002. 124 S., geb., 13,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Autor hat schon einmal und mit großem Erfolg, wie Helmut Böttiger uns wissen lässt, ein "Suchbild" erstellt, das "Über meinen Vater" hieß. Für Böttiger reiht es sich ein in eine ganze Reihe von Vaterporträts, mit denen Angehörige der 68er-Generation eine politische wie private Geschichtsaufarbeitung betrieben. Ansatzweise sei es dem Sohn Meckel sogar gelungen, sich in die Welt seines Vater hineinzudenken, meint Böttiger. Nichts davon in dem neuen "Suchbild. Meine Mutter", das Böttiger nicht wie eine souveräne Annäherung sondern wie eine unsouveräne Abrechnung vorkommt. Die Mutter als protestantisch-verkniffene, sinnenfeindliche, büchervernarrte Frau, die Literatur und Leben nicht unter einen Hut bekommt. Für Böttiger klingt bei all dem eine Sehnsucht nach der wilden frühen Lyrikerzeit des Autors durch, eine Sehnsucht nach Verklärung und Sozialromantik; leider verweigere der Autor auch bei diesem Punkt jede Selbstbefragung, sagt Böttiger, und weise damit eine auffällige Gemeinsamkeit zu seiner Mutter auf: Selbstgerechtigkeit.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Meckels hypnotisierende Prosa, die in ihrer Zartheit und Geschmeidigkeit, freilich auch in ihrer kristallinen Härte ihresgleichen sucht, ist auf biographische Wahrheit aus. (...) 'Suchbild. Meine Mutter' ist ein selten radikales Buch, Seite um Seite, Satz um Satz."
Hartmut Buchholz, Badische Zeitung, 27.8.02

"... seit Jahrzehnten eine verlässliche Größe in der literarischen Landschaft ..."
Tilman Krause, Die Welt, 07.12.02

"Er sucht sich glänzende Wörter zusammen, die mit der Wucht eines Knalleffekts zu enden haben. Meckel ist kein Erzähler. Er ist ein Tambourmajor der Sprache. Und dies hat etwas Auftrumpfendes."
Alfred Eckerle, Tagesspiegel Berlin, 18.08.02