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Plötzlich diese Übersicht. Milliarden von Seiten, in Sekundenbruchteilen durchsucht, als Trefferliste sauber angezeigt, mit der größten Selbstverständlichkeit sortiert nach Rang und Namen. Google bestimmt die Routinen des Alltags und ist dennoch nicht die Suchmaschine schlechthin. Auch außerhalb des World Wide Web gibt es zahllose, technisch hochgerüstete Prozeduren des Suchens. Die gegenwärtige Selbstverständlichkeit der einen Suchmaschine läßt leicht übersehen, daß Suchmaschinen einen Interessenkonflikt induzieren zwischen jenen, die sie einsetzen wollen, und jenen, auf die sie angesetzt…mehr

Produktbeschreibung
Plötzlich diese Übersicht. Milliarden von Seiten, in Sekundenbruchteilen durchsucht, als Trefferliste sauber angezeigt, mit der größten Selbstverständlichkeit sortiert nach Rang und Namen. Google bestimmt die Routinen des Alltags und ist dennoch nicht die Suchmaschine schlechthin. Auch außerhalb des World Wide Web gibt es zahllose, technisch hochgerüstete Prozeduren des Suchens.
Die gegenwärtige Selbstverständlichkeit der einen Suchmaschine läßt leicht übersehen, daß Suchmaschinen einen Interessenkonflikt induzieren zwischen jenen, die sie einsetzen wollen, und jenen, auf die sie angesetzt werden. Ihr prekärer Status im Spannungsfeld zwischen Übersicht und Überwachung wird verdrängt.
Anhand von vier Fallstudien zeigt David Gugerli die Entwicklung der Suchmaschine auf, von den frühen Fernseh-Ratespielen, von Robert Lembkes Unterhaltungsshow "Was bin ich?", über Eduard Zimmermanns Fahndungssendung "Aktenzeichen XY" und Horst Herolds "Kybernetik der Polizei" bis zu der von Ted Codd ausgehenden Entwicklung der relationalen Datenbank. Während Lembke auf die Feststellung von Normalität ausgerichtet war, suchte Zimmermann die Devianz, Herold die Muster und Codd die allgemeingültige Such- und Abfragesprache für in Form gebrachte Wissensbestände, die man seit Mitte der sechziger Jahre Datenbanken nennt.
"Die Geschichte der Suchmaschine ist eine eminent politische. Mit Suchmaschinen lassen sich Hoffnungen auf Fundamentaldemokratisierung und informationelle Emanzipation ebenso verbinden wie Horrorvisionen eines Orwellschen Überwachungsstaats, der über ein technokratisches Wissensmonopol verfügt."
Autorenporträt
David Gugerli, geboren 1961, ist Professor für Technikgeschichte an der ETH in Zürich. Er war Gastwissenschaftler in Paris, an der Stanford University, am Colegio de México, Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, sowie Professor an der Universidad Nacional Autónoma de México. Gugerli ist Mitglied des Zentrums Geschichte des Wissens, das von der ETH und der Universität Zürich getragen wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2009

Auf die Adresse kommt es an

Ist von Suchmaschinen die Rede, denkt man gleich an Google. Oder an andere Webcrawler, die sich gegen die Übermacht von Google zu profilieren suchen. Man kann unter Suchmaschine aber auch eine allgemeiner gefasste Form von Datenbearbeitung verstehen. Und vielleicht empfiehlt sich das sogar manchmal, wenn es darum geht, die neueren Debatten um Datenhoheiten aus anderem Blickwinkel zu sehen.

David Gugerlis Essay über Suchmaschinen ist ein solches Angebot, das den Fokus auf das Web 2.0 kassiert, um an einige Suchmaschinen avant la lettre zu erinnern ("Suchmaschinen". Die Welt als Datenbank. Suhrkamp Verlag, edition unseld, Frankfurt am Main 2009. 117 S., br., 10,- [Euro]). Deren Merkmale sind bei ihm entsprechend allgemein bestimmt: Das Gesuchte muss sich lediglich objektivieren lassen und mit einer Adresse versehen sein, damit eine programmierte Suche ihr Objekt finden kann; und eine Nähe zu Spiel und Simulation wird auch noch attestiert.

Über diese Merkmalliste muss man aber nicht weiter handeln, sie dient nur dazu, das Spielfeld zu erweitern. Interessanter ist, wie Gugerli dann seine Beispiele von Suchmaschinen auswählt. Eigentlich nicht so, wie man es von einem Technikhistoriker am ehesten erwartet, dafür aber mit Sinn für die Wirkung von Verfremdungseffekten.

So landen wir mit "Was bin ich?" und "Aktenzeichen XY . . . ungelöst" bei zwei überaus erfolgreichen deutschen Fernsehserien, die beide in den sechziger Jahren begannen, um anschließend einen Abriss der neuen rechnergestützten Datenabgleichmethoden zu bekommen, wie sie Horst Herold als Chef des Wiesbadener Bundeskriminalamts von Anfang der siebziger Jahre an in die polizeiliche Arbeit einführte. Den Abschluss bildet ein Rückblick auf Edgar F. Codds Ende der sechziger Jahre begonnene Entwicklung von Datenbanken, die Abfragen auf untechnische und vor allem nicht von vornherein mit der gewählten Datenadressierung festgelegte Weise ermöglichten.

Codds inzwischen omnipräsentes Konzept universeller Abfragemöglichkeiten führt dabei eine Grundtendenz der verwaltungstechnischen wie ökonomischen Modernisierung dieser Jahre vor: Flexibilisierung von Erwartungen und die möglichst trägheitsfreie Neuverknüpfung von Steuerungselementen nach Maßgabe veränderter Lageeinschätzungen. Robert Lembkes Ratespiel und Eduard Zimmermanns Kriminalshow hatten es in massenmedialer Form aber auch mit der Verarbeitung solcher Flexibilität zu tun.

Gugerli interpretiert das fast dreißig Jahre in so gut wie unveränderter Form über die Bildschirme laufende Beruferaten als ritualisierte Form einer immer wieder gelingenden Etablierung von Normalität, also von bestehenden Erwartungsmustern: Exotisch mögen sich manche Berufe angehört haben, aber ob erraten oder nicht - und Annette, Marianne, Hans und Guido waren eine gut arbeitende Suchmaschine -, sie wurden mit konkreten Menschen verknüpft und sicher eingeordnet. So wie die eingeladenen Prominenten, deren Status geprüft und bestätigt wurde.

Zimmermanns "Aktenzeichen XY" setzte zwar für eine ungleich spektakulärer inszenierte - und im kriminaltechnischen Sinn ineffektive - Suche ebenso auf die Kooperation von Menschen. Aber in diesem Fall war es das ganze Publikum vor den Fernsehschirmen, und es ging darum, hinter der Fassade von normaler Unscheinbarkeit die Abweichung auszumachen, die Devianz des Verbrechens - das eben doch nicht jeder hätte begehen können, obwohl natürlich gerade in dieser Anmutung ein nicht unwesentlicher Reiz der Sendung lag.

In Herolds Bundeskriminalamt hatten dann aber die Rechner ihren Auftritt. Spektakulär auch er und diesmal effektiv, selbst wenn später der größte Erfolg, mit den Methoden der negativen Rasterfahndung das Versteck von Hanns Martin Schleyers Entführern zu entdecken, durch eine kleine Schlamperei knapp verpasst wurde. Herolds Konzept einer kybernetischen Polizeimaschine, die dezentral und rechnergestützt auf die Erkennung von devianten Mustern eingestellt wurde, versprach eine neue Form prognostisch nutzbaren Wissens um die Zusammenhänge von gesellschaftlichen Entwicklungen und krimineller Praxis. In den späten siebziger Jahren wurden daraus schrittweise Szenarien der Überwachung unter der Bedingung eines staatlichen Datenmonopols.

Diese Diagnose ist natürlich nicht neu, und von ihr führen direkte Linien zu heutigen politischen Auseinandersetzungen über den Umgang mit massiv wachsenden Datenaggregaten. Gugerli zieht diese Linien nicht aus, sondern setzt auf seine Beispiele, in denen sich auf sehr unterschiedliche Weise die Selbstverständlichkeit unseres heutigen Umgangs mit Suchprogrammen anbahne. Ans Netz denkt man ohnehin und kann es auch bei der Lektüre gut nutzen, um sich Videos der behandelten Fernsehserien anzusehen. Schließlich ist Youtube auch eine Suchmaschine.

HELMUT MAYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Angebot des Autors, die Debatten um Datenhoheiten einmal aus anderer Perspektive zu betrachten, nimmt Helmut Mayer gerne an. David Gugerlis verfremdungsfreudiger Essay führt ihn zu ganz frühen "Suchmaschinen". Dabei mit Robert Lembkes "Was bin ich?" oder "Aktenzeichen XY" konfrontiert zu werden, findet Mayer erfrischend überraschend. Um so mehr, als Gugerli anschließend über Datenabgleichmethoden und die frühe Entwicklung von Datenbanken referiert. Dass Gugerli weniger auf aktuelle Bezüge setzt, als auf seine ungewöhnlichen Beispiele, geht für Mayer okay. Die Art und Weise unseres Umgangs mit der Suchmaschine, so scheint es, wird am Beispiel des heiteren Beruferatens erst so recht plausibel.

© Perlentaucher Medien GmbH