Sucht und Armut sind Massenphänomene, deren Koinzidenz ebenfalls im mense epidemiologische Dimensionen hat. Daran gemessen nehmen sich die bisherigen Bemühungen, die Zusammenhänge wissenschaftlich zu dokumen tieren und aufzuklären, sehr bescheiden aus. Ein wesentlicher Grund liegt zweifellos darin, daß die Armut keine wirksame politische Lobby hat und aus dem öffentlichen Bewußtsein weitgehend verdrängt ist. Zudem verfügt die Sucht-Armuts-Forschung in Deutschland kaum über tragfähige wissenschaft liche Traditionen, an die angeknüpft werden könnte. Das betrifft vor allem die Forschung zum Zusammenhang von Alkoholismus und Armut, die bis in die jüngere Zeit hinein durchdrungen war von pseudowissenschaftlichen, ideologischen und antihumanen Positionen. Wie der historische Beitrag im Buch zeigt, gab es in der Geschichte nur vereinzelt Versuche, den Alkoholismus der Armen als Ausdruck ihrer sozia len Lage zu begreifen. Dominant hingegen waren Denkansätze, die die "Trunksucht" sowohl für die individuelle als auch für die Massenarmut ver antwortlich machten und damit die sozial ökonomischen Mechanismen der Armutsentstehung verdeckten. Nicht die Klassengesellschaft sondern die "Trunksucht ist die Mutter der Armut" (Helenius 1901, zit. n. Hoppe 1904, 356) war das in der Medizin, der Psychiatrie und den Antialkoholverbänden vorherrschende Dogma vor und nach 1900. In der ersten Hälfte des 19. Jahr hunderts war es die "Macht des Alkohols", die die Menschen moralisch zer setze, haltlos mache und in Not und Elend stürze, später, seit der Jahrhun dertwende, die "erbbiologische Degeneration", die Trunksucht und Armut produziere und ebenso deren Verbindung: den Armutsalkoholismus.
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