Auf dem 1950 gegründeten "Kongreß für kulturelle Freiheit", dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte Ulrike Ackermann anhand der zeitgenössischen Quellen rekonstruiert, fanden sich europäische Intellektuelle zusammen, die sich in der Ablehnung beider Totalitarismen einig waren. Für das Gros der französischen Linksintelligenz jener Zeit stand fest, man müsse die Sowjetunion und ihre "Errungenschaften" um jeden Preis verteidigen. Erst Ereignisse wie die von Budapest (1956) und Prag (1968) sowie der "Gulag-Schock" der siebziger Jahre öffneten ihnen die Augen. Französische Intellektuelle begannen einen intensiven Austausch mit den Dissidenzbewegungen Osteuropas und unterstützten sie. Anders die westdeutschen Linksintellektuellen: Ihr "Sündenfall" bestand darin, nach 1968 auf einen politisch blinden Antifaschismus zu setzen, der sie daran hinderte, sich mit der Realität des kommunistischen Totalitarismus angemessen auseinanderzusetzen. Deshalb konnte von tätiger Solidarität mit den verfolgten osteuropäischen Dissidenten keine Rede sein.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.01.2001Die blinden Flecke
Differenzen zwischen deutschen und französischen Intellektuellen
Es ist nie wirklich einfach gewesen, das deutsch-französische Verhältnis. Während des EU-Gipfels in Nizza war unlängst von „harten Gegensätzen zwischen Deutschland und Frankreich” die Rede, von der Notwendigkeit einer Neubestimmung der Beziehung. In der Frage, wie unser zukünftiges Europa aussehen wird, sind die beiden wirtschaftsstarken Nachbarländer maßgeblich beteiligt, „sie fusionieren ihre Märkte und entwerfen die Einheitswährung”. Doch „geistig verstehen sie sich nicht”, schreibt André Glucksmann in seinem Buch Das Gute und das Böse.
Ulrike Ackermann, Politikwissenschaftlerin und Publizistin, stellt sich die Frage nach den Projektionen und Denkmustern, die die unterschiedlichen politischen Haltungen der Intellektuellen in Frankreich und Deutschland bestimmen, und ihr Augenmerk gilt dabei vor allem der Auseinandersetzung mit den beiden großen totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts, Faschismus und Kommunismus. Fünfzig Jahre politischer Diskurskultur hat sie untersucht und rekonstruiert – als Material dienten ihr die Beiträge der führenden linksliberalen deutschen und französischen Zeitungen und Zeitschriften zu gravierenden Ereignissen der osteuropäischen Geschichte – der ungarische Aufstand 1956, der Einmarsch der Roten Armee in Prag 1968, der Zusammenbruch des Kommunismus 1989 und der Krieg im ehemaligen Jugoslawien.
Deutlich traten die politischen und ideologischen Widersprüche im Streit um die militärische Intervention der Nato angesichts der Massaker in Srebrenica im Sommer 1995 hervor. Während in Paris Künstler und Intellektuelle ein entschlossenes Eingreifen zur Beendigung der Greueltaten forderten, argumentierte der Großteil der deutschen Linksintellektuellen pazifistisch: Aufgrund der Verbrechen der Wehrmacht auf dem Balkan würde sich ein Bundeswehreinsatz verbieten. Gestattete das Gewicht der Schuld keinen Handlungs- und Denkraum hinsichtlich der serbischen Menschheitsverbrechen oder waren es die starken ideologischen Bande an den Kommunismus, die hier die Wahrnehmung eines Unrechts erschwerten?
Ulrike Ackermann ermittelte zwei zentrale Denkfiguren, „Antifaschismus” und „Antitotalitarismus”, die in nahezu spiegelverkehrter Reihenfolge die Diskussion in Frankreich und Deutschland dominierten. „Jeder Antikommunist ist ein Hund”, sagte Jean-Paul Sartre in den fünfziger Jahren und beschimpfte die als Renegaten, die in Berlin auf dem „Kongreß für kulturelle Freiheit” für die Verteidigung intellektueller Freiheiten eintraten und den totalen Staat, ob faschistisch oder kommunistisch, kritisierten. Häufig waren es unmittelbare biografische Erfahrungen, die zu dieser Haltung beitrugen. Margarete Buber-Neumann, ehemals aktive Kommunistin, erlebte den Terror Stalins und Hitlers. Zwei Jahre in sowjetischen Lagern und fünf Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück machten sie zur unerbittlichen Gegnerin der beiden totalitären Systeme. Ihre Erfahrungen schrieb sie 1947 in ihrem Buch Als Gefangene bei Hitler und Stalin nieder. In Frankreich wurde das Buch zunächst in zwei Bänden publiziert: Déportée à Ravensbrück und Déportée en Siberie – eine vergleichende Perspektive war weiterhin verpönt.
Eine Wende trat ein, als Frankreich mit der Ausweisung von Alexander Solschenizyn aus der Sowjetunion und der Veröffentlichung des Archipel Gulag in den siebziger Jahren den Gulag-Schock erlebte – der sich in Deutschland kaum bemerkbar machte. Paris wurde zum Zufluchtsort osteuropäischer Dissidenten wie Andrzej Wajda, Adam Michnik, Milan Kundera, Antonin Liem, Gründer des Lettre International, und mit ihnen wuchs das Engagement für die Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa – der Totalitarismusbegriff fand Eingang in die öffentliche Debatte.
In Deutschland erlebte dagegen der Kommunismus nach 1968 eine Renaissance – das eigentümliche Unbehagen der deutschen Linksintellektuellen gegenüber den osteuropäischen Bürgerrechtsbewegungen hat hier seine Gründe. Der „Sündenfall”, so Ulrike Ackermann, besteht in jenem hartnäckig sich etablierenden Widerstand gegen den Totalitarismusbegriff: „Die einseitige Kapitalismuskritik auf westlicher Seite, gepaart mit jenem spezifischen ‚Anti-Anti-Kommunismus‘ produzierte gleichsam diesen blinden Fleck in der Wahrnehmung der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten. Er machte große Teile der linksliberalen Intelligenz bis in die achtziger Jahre hinein unfähig, ihre antifaschistische Haltung mit einer umfassenden Verteidigung der Menschenrechte zu verbinden, für demokratische Rechte und Freiheiten und gegen jegliche totalitäre Herrschaft einzutreten. ”
Das Buch ist ein Plädoyer für kritische Selbstreflexion und für die bewusste Wahrnehmung interkultureller Differenzen. Indem sie sich den Worten Hannah Arendts anschließt, fordert Ulrike Ackermann für die gemeinsame Festigung der Demokratie in Europa eine vitale Streitkultur jenseits nationaler Klischees und Denkmuster: „Eine gemeinsame Welt verschwindet, wenn sie nur unter einem Aspekt gesehen wird; sie existiert überhaupt nur in der Vielfalt ihrer Perspektiven. ”
SYLVIA SCHÜTZ
ULRIKE ACKERMANN: Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute. Vorwort von François Bondy. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 269 Seiten, 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Differenzen zwischen deutschen und französischen Intellektuellen
Es ist nie wirklich einfach gewesen, das deutsch-französische Verhältnis. Während des EU-Gipfels in Nizza war unlängst von „harten Gegensätzen zwischen Deutschland und Frankreich” die Rede, von der Notwendigkeit einer Neubestimmung der Beziehung. In der Frage, wie unser zukünftiges Europa aussehen wird, sind die beiden wirtschaftsstarken Nachbarländer maßgeblich beteiligt, „sie fusionieren ihre Märkte und entwerfen die Einheitswährung”. Doch „geistig verstehen sie sich nicht”, schreibt André Glucksmann in seinem Buch Das Gute und das Böse.
Ulrike Ackermann, Politikwissenschaftlerin und Publizistin, stellt sich die Frage nach den Projektionen und Denkmustern, die die unterschiedlichen politischen Haltungen der Intellektuellen in Frankreich und Deutschland bestimmen, und ihr Augenmerk gilt dabei vor allem der Auseinandersetzung mit den beiden großen totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts, Faschismus und Kommunismus. Fünfzig Jahre politischer Diskurskultur hat sie untersucht und rekonstruiert – als Material dienten ihr die Beiträge der führenden linksliberalen deutschen und französischen Zeitungen und Zeitschriften zu gravierenden Ereignissen der osteuropäischen Geschichte – der ungarische Aufstand 1956, der Einmarsch der Roten Armee in Prag 1968, der Zusammenbruch des Kommunismus 1989 und der Krieg im ehemaligen Jugoslawien.
Deutlich traten die politischen und ideologischen Widersprüche im Streit um die militärische Intervention der Nato angesichts der Massaker in Srebrenica im Sommer 1995 hervor. Während in Paris Künstler und Intellektuelle ein entschlossenes Eingreifen zur Beendigung der Greueltaten forderten, argumentierte der Großteil der deutschen Linksintellektuellen pazifistisch: Aufgrund der Verbrechen der Wehrmacht auf dem Balkan würde sich ein Bundeswehreinsatz verbieten. Gestattete das Gewicht der Schuld keinen Handlungs- und Denkraum hinsichtlich der serbischen Menschheitsverbrechen oder waren es die starken ideologischen Bande an den Kommunismus, die hier die Wahrnehmung eines Unrechts erschwerten?
Ulrike Ackermann ermittelte zwei zentrale Denkfiguren, „Antifaschismus” und „Antitotalitarismus”, die in nahezu spiegelverkehrter Reihenfolge die Diskussion in Frankreich und Deutschland dominierten. „Jeder Antikommunist ist ein Hund”, sagte Jean-Paul Sartre in den fünfziger Jahren und beschimpfte die als Renegaten, die in Berlin auf dem „Kongreß für kulturelle Freiheit” für die Verteidigung intellektueller Freiheiten eintraten und den totalen Staat, ob faschistisch oder kommunistisch, kritisierten. Häufig waren es unmittelbare biografische Erfahrungen, die zu dieser Haltung beitrugen. Margarete Buber-Neumann, ehemals aktive Kommunistin, erlebte den Terror Stalins und Hitlers. Zwei Jahre in sowjetischen Lagern und fünf Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück machten sie zur unerbittlichen Gegnerin der beiden totalitären Systeme. Ihre Erfahrungen schrieb sie 1947 in ihrem Buch Als Gefangene bei Hitler und Stalin nieder. In Frankreich wurde das Buch zunächst in zwei Bänden publiziert: Déportée à Ravensbrück und Déportée en Siberie – eine vergleichende Perspektive war weiterhin verpönt.
Eine Wende trat ein, als Frankreich mit der Ausweisung von Alexander Solschenizyn aus der Sowjetunion und der Veröffentlichung des Archipel Gulag in den siebziger Jahren den Gulag-Schock erlebte – der sich in Deutschland kaum bemerkbar machte. Paris wurde zum Zufluchtsort osteuropäischer Dissidenten wie Andrzej Wajda, Adam Michnik, Milan Kundera, Antonin Liem, Gründer des Lettre International, und mit ihnen wuchs das Engagement für die Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa – der Totalitarismusbegriff fand Eingang in die öffentliche Debatte.
In Deutschland erlebte dagegen der Kommunismus nach 1968 eine Renaissance – das eigentümliche Unbehagen der deutschen Linksintellektuellen gegenüber den osteuropäischen Bürgerrechtsbewegungen hat hier seine Gründe. Der „Sündenfall”, so Ulrike Ackermann, besteht in jenem hartnäckig sich etablierenden Widerstand gegen den Totalitarismusbegriff: „Die einseitige Kapitalismuskritik auf westlicher Seite, gepaart mit jenem spezifischen ‚Anti-Anti-Kommunismus‘ produzierte gleichsam diesen blinden Fleck in der Wahrnehmung der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten. Er machte große Teile der linksliberalen Intelligenz bis in die achtziger Jahre hinein unfähig, ihre antifaschistische Haltung mit einer umfassenden Verteidigung der Menschenrechte zu verbinden, für demokratische Rechte und Freiheiten und gegen jegliche totalitäre Herrschaft einzutreten. ”
Das Buch ist ein Plädoyer für kritische Selbstreflexion und für die bewusste Wahrnehmung interkultureller Differenzen. Indem sie sich den Worten Hannah Arendts anschließt, fordert Ulrike Ackermann für die gemeinsame Festigung der Demokratie in Europa eine vitale Streitkultur jenseits nationaler Klischees und Denkmuster: „Eine gemeinsame Welt verschwindet, wenn sie nur unter einem Aspekt gesehen wird; sie existiert überhaupt nur in der Vielfalt ihrer Perspektiven. ”
SYLVIA SCHÜTZ
ULRIKE ACKERMANN: Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute. Vorwort von François Bondy. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 269 Seiten, 38 Mark.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2000Immun gegen die ideologische Blindheit
Der Kongreß für die kulturelle Freiheit wird rehabilitiert: Prophetischer Antitotalitarismus
Ulrike Ackermann: Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute. Mit einem Vorwort von François Bondy. Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 269 Seiten, 32,80 Mark
Im Oktober 1947 organisierten ein paar Intellektuelle in Berlin einen "Ersten deutschen Schriftstellerkongreß" - mit Heinrich Mann in der Rolle des Ehrenvorsitzenden und Ricarda Huch als Alterspräsidentin. Es ging darum, die Spaltung des deutschen Geisteslebens zu verhindern. Die Ideale des Humanismus, des Friedens und der Völkerfreundschaft wurden beschworen. Im Mittelpunkt stand die Rede von Johannes R. Becher. Ulrike Ackermann befaßt sich nun ausgiebig mit der Veranstaltung. Sie hat den Literaturwissenschaftler Hans Mayer befragt, der damals dabei war. Mayer erzählt von der Organisation der Tagung auf Initiative der sowjetischen Militärverwaltung - sie stand tatsächlich im Dienste der stalinistischen Propaganda, die damals auf Hochtouren zu laufen begann.
Zum Ereignis wurde der Kongreß indes aus einem anderen Grund. Seine Teilnehmer erlebten den ersten großen öffentlichen Auftritt von Melvin J. Lasky, dem einzigen ausländischen Gast, der nicht aus der Sowjetunion angereist war. Außer Programm wandte sich der junge amerikanische Journalist an die Anwesenden. Er kritisierte die Zensur- und Einschüchterungsversuche der Regierung seines eigenen Landes, dessen Umgang mit der intellektuellen Opposition alles andere als demokratisch vorbildlich sei. Kaum heftiger äußerte er sich zu den Zuständen in der Sowjetunion. Lasky war selber am meisten über das Echo auf seine Ansprache erstaunt. "Einer Bombe gleich hatte sie eingeschlagen", schreibt Ackermann. Und sie zitiert Hans Mayer: "Mit der Rede von Lasky war der Kongreß im Grunde zu Ende, der Kalte Krieg hatte begonnen."
Lasky zeigte sich bereit, die Verantwortung für seinen turbulenten Auftritt zu übernehmen. Sie bestand in einer historischen Aufgabe, der er fortan sein Leben widmete. Vor genau fünfzig Jahren gründete er den Kongreß für die Freiheit der Kultur. Seine Geschichte bildet das Kernstück von Ackermanns Werk. Akribisch beschreibt sie den Beitrag, den so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Arthur Koestler, Ignazio Silone, Raymond Aron, François Bondy, Albert Camus, Denis de Rougemont, David Rousset und andere leisteten. Dem in Deutschland erscheinenden "Monat" wurden Zeitschriften in Paris ("Preuves") und London ("Encounter") - auch in Italien - zur Seite gestellt. Ein steifer und eiskalter Wind wehte ihren Mitarbeitern ins Gesicht, denn der Zeitgeist - und die Mehrheit der Intellektuellen zumindest in Frankreich - hielt es mit dem Gegner. Der Kongreß für die kulturelle Freiheit wurde als antikommunistische Propagandazentrale im Dienste des Kapitalismus und Amerikas beschimpft.
Sein - unschönes - Ende bestärkte diesen Eindruck und schien ihn zu bestätigen. Im April 1966 enthüllte die "New York Times", daß der Kongreß nicht von den Gewerkschaften finanziert, sondern vom amerikanischen Geheimdienst CIA unterhalten werde - was selbst die Verantwortlichen um Lasky zu ignorieren schienen. Raymond Aron war erschüttert: "Von diesem Moment an entfernte ich mich vom Kongreß" - der nicht mehr lange überlebte. Der "Monat" erschien noch während eines Jahrzehnts (mit Chefredakteuren wie Klaus Harpprecht und Michael Naumann). Am längsten - bis 1990 - hielt sich der "Encounter".
Das Ende des Kalten Krieges hat eine veränderte Sicht auf die Arbeit des Kongresses ermöglicht. Doch hierzulande - in Frankreich gibt es die umfassende Darstellung von Pierre Grémion und eine Anthologie von "Preuves", auf englisch die Studie von Peter Coleman - ist seine Leistung nie wirklich gewürdigt worden. Diese Aufgabe erfüllt Ackermanns Buch. Sie macht deutlich, daß es sich bei den Persönlichkeiten im Zentrum und im Umfeld keineswegs um reaktionäre Konservative, sondern um linke und liberale, hoch gebildete und differenziert argumentierende Publizisten handelte. Sie waren auch europäische Pioniere - und was ihnen als "primärer Antikommunismus" unterstellt wurde, hat sich als geradezu prophetischer Antitotalitarismus entpuppt.
In der Bilanz darf der Beitrag zur politischen Kultur der Adenauer-Republik nicht übergangen werden. Wolf Jobst Siedler spricht von einem "Fenster zur Welt": "Als Studenten rissen wir uns die neuerschienenen Hefte buchstäblich aus den Händen. Bisher verfemte Namen, verbotene Debatten - im ,Monat' wurden sie geführt." Er stillte den Nachholbedarf einer Generation, die im "Dritten Reich" aufgewachsen war: "Was dachte man in Paris, London, New York, was war die Haltung von Arnold Toynbee oder Raymond Aron - in Laskys Zeitschrift stand es drin." Sind Renegaten die besseren Antitotalitären? Es gab sie im engsten Kreise des Kongresses: Arthur Koestler wie Ignazio Silone waren ehemalige Kommunisten, die Ideologie und Institutionen aus dem Innern kannten und kompetent kritisieren konnten. Später bekehrte sich eine neue Generation, die mit den marxistischen Dogmen groß geworden war, aber von der sozialistischen Wirklichkeit keinerlei Ahnung hatte, zu den liberalen Positionen. Ziemlich unvermittelt entdeckten die Achtundsechziger den Antitotalitarismus und die Kultur der Menschenrechte. Zwar wurden politische Denker wie Aron und Camus fortan kultisch verehrt - aber zu den Vorfahren und ihren Verdiensten haben sich die Vertreter der zweiten antitotalitären Generation nie wirklich bekannt. Die Überwindung des Marxismus beanspruchen sie weitgehend als ihre epochale Leistung.
In Frankreich erfolgte sie unter dem Eindruck des "Schocks Solschenizyn", der in Deutschland kaum zum Tragen kam. Ackermann hat beide Länder im Blick und stellt kompetent die Zusammenhänge zwischen den Generationen dar. Sie legt die Phasenverschiebungen frei und beschreibt die unterschiedlichen Begriffs-Auffassungen. Deutlich wird, daß die Arbeit des Kongresses keinesfalls wirkungslos blieb - und im stillen Engagement für die Dissidenten weiterging. Diese aktive Solidarität wiederum war eine Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands - und Europas.
Daran erinnert François Bondy in seinem Vorwort. Die Autorin behandelt auch die Auseinandersetzungen um das "Schwarzbuch der kommunistischen Verbrechen" und die Debatten um den Vergleich der beiden Totalitarismen (Furet, Nolte). Den Auftakt macht sie konsequenterweise mit Jugoslawien: In den Diskussionen, die seinen Zerfall begleiteten, sind alle Positionen des Nachkriegs auszumachen - der militärische Einsatz im Kosovo wurde im Namen des triumphierenden Antitotalitarismus geführt. Ackermann analysiert den Kalten Krieg der Intellektuellen. Er hatte eine rote und eine braune Front - seine entscheidende Demarkationslinie aber blieb der Totalitarismus.
Ärgerlich und mißverständlich ist der abgenutzte Titel des Buches. Die Politikwissenschaftlerin schreckt vor keiner Polemik zurück - vor allem nicht gegen die unverbesserlichen Altlinken beider Deutschlands. Mit den Franzosen ist sie nachsichtiger. Aber ihr Buch handelt allenfalls in zweiter Linie vom Sündenfall der Intellektuellen. Es ist zuallererst eine - verdiente, willkommene, notwendige - Rehabilitierung jener, die gegen die ideologische Blindheit immun waren und gar nie an ein Paradies glaubten.
JÜRG ALTWEGG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Kongreß für die kulturelle Freiheit wird rehabilitiert: Prophetischer Antitotalitarismus
Ulrike Ackermann: Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute. Mit einem Vorwort von François Bondy. Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 269 Seiten, 32,80 Mark
Im Oktober 1947 organisierten ein paar Intellektuelle in Berlin einen "Ersten deutschen Schriftstellerkongreß" - mit Heinrich Mann in der Rolle des Ehrenvorsitzenden und Ricarda Huch als Alterspräsidentin. Es ging darum, die Spaltung des deutschen Geisteslebens zu verhindern. Die Ideale des Humanismus, des Friedens und der Völkerfreundschaft wurden beschworen. Im Mittelpunkt stand die Rede von Johannes R. Becher. Ulrike Ackermann befaßt sich nun ausgiebig mit der Veranstaltung. Sie hat den Literaturwissenschaftler Hans Mayer befragt, der damals dabei war. Mayer erzählt von der Organisation der Tagung auf Initiative der sowjetischen Militärverwaltung - sie stand tatsächlich im Dienste der stalinistischen Propaganda, die damals auf Hochtouren zu laufen begann.
Zum Ereignis wurde der Kongreß indes aus einem anderen Grund. Seine Teilnehmer erlebten den ersten großen öffentlichen Auftritt von Melvin J. Lasky, dem einzigen ausländischen Gast, der nicht aus der Sowjetunion angereist war. Außer Programm wandte sich der junge amerikanische Journalist an die Anwesenden. Er kritisierte die Zensur- und Einschüchterungsversuche der Regierung seines eigenen Landes, dessen Umgang mit der intellektuellen Opposition alles andere als demokratisch vorbildlich sei. Kaum heftiger äußerte er sich zu den Zuständen in der Sowjetunion. Lasky war selber am meisten über das Echo auf seine Ansprache erstaunt. "Einer Bombe gleich hatte sie eingeschlagen", schreibt Ackermann. Und sie zitiert Hans Mayer: "Mit der Rede von Lasky war der Kongreß im Grunde zu Ende, der Kalte Krieg hatte begonnen."
Lasky zeigte sich bereit, die Verantwortung für seinen turbulenten Auftritt zu übernehmen. Sie bestand in einer historischen Aufgabe, der er fortan sein Leben widmete. Vor genau fünfzig Jahren gründete er den Kongreß für die Freiheit der Kultur. Seine Geschichte bildet das Kernstück von Ackermanns Werk. Akribisch beschreibt sie den Beitrag, den so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Arthur Koestler, Ignazio Silone, Raymond Aron, François Bondy, Albert Camus, Denis de Rougemont, David Rousset und andere leisteten. Dem in Deutschland erscheinenden "Monat" wurden Zeitschriften in Paris ("Preuves") und London ("Encounter") - auch in Italien - zur Seite gestellt. Ein steifer und eiskalter Wind wehte ihren Mitarbeitern ins Gesicht, denn der Zeitgeist - und die Mehrheit der Intellektuellen zumindest in Frankreich - hielt es mit dem Gegner. Der Kongreß für die kulturelle Freiheit wurde als antikommunistische Propagandazentrale im Dienste des Kapitalismus und Amerikas beschimpft.
Sein - unschönes - Ende bestärkte diesen Eindruck und schien ihn zu bestätigen. Im April 1966 enthüllte die "New York Times", daß der Kongreß nicht von den Gewerkschaften finanziert, sondern vom amerikanischen Geheimdienst CIA unterhalten werde - was selbst die Verantwortlichen um Lasky zu ignorieren schienen. Raymond Aron war erschüttert: "Von diesem Moment an entfernte ich mich vom Kongreß" - der nicht mehr lange überlebte. Der "Monat" erschien noch während eines Jahrzehnts (mit Chefredakteuren wie Klaus Harpprecht und Michael Naumann). Am längsten - bis 1990 - hielt sich der "Encounter".
Das Ende des Kalten Krieges hat eine veränderte Sicht auf die Arbeit des Kongresses ermöglicht. Doch hierzulande - in Frankreich gibt es die umfassende Darstellung von Pierre Grémion und eine Anthologie von "Preuves", auf englisch die Studie von Peter Coleman - ist seine Leistung nie wirklich gewürdigt worden. Diese Aufgabe erfüllt Ackermanns Buch. Sie macht deutlich, daß es sich bei den Persönlichkeiten im Zentrum und im Umfeld keineswegs um reaktionäre Konservative, sondern um linke und liberale, hoch gebildete und differenziert argumentierende Publizisten handelte. Sie waren auch europäische Pioniere - und was ihnen als "primärer Antikommunismus" unterstellt wurde, hat sich als geradezu prophetischer Antitotalitarismus entpuppt.
In der Bilanz darf der Beitrag zur politischen Kultur der Adenauer-Republik nicht übergangen werden. Wolf Jobst Siedler spricht von einem "Fenster zur Welt": "Als Studenten rissen wir uns die neuerschienenen Hefte buchstäblich aus den Händen. Bisher verfemte Namen, verbotene Debatten - im ,Monat' wurden sie geführt." Er stillte den Nachholbedarf einer Generation, die im "Dritten Reich" aufgewachsen war: "Was dachte man in Paris, London, New York, was war die Haltung von Arnold Toynbee oder Raymond Aron - in Laskys Zeitschrift stand es drin." Sind Renegaten die besseren Antitotalitären? Es gab sie im engsten Kreise des Kongresses: Arthur Koestler wie Ignazio Silone waren ehemalige Kommunisten, die Ideologie und Institutionen aus dem Innern kannten und kompetent kritisieren konnten. Später bekehrte sich eine neue Generation, die mit den marxistischen Dogmen groß geworden war, aber von der sozialistischen Wirklichkeit keinerlei Ahnung hatte, zu den liberalen Positionen. Ziemlich unvermittelt entdeckten die Achtundsechziger den Antitotalitarismus und die Kultur der Menschenrechte. Zwar wurden politische Denker wie Aron und Camus fortan kultisch verehrt - aber zu den Vorfahren und ihren Verdiensten haben sich die Vertreter der zweiten antitotalitären Generation nie wirklich bekannt. Die Überwindung des Marxismus beanspruchen sie weitgehend als ihre epochale Leistung.
In Frankreich erfolgte sie unter dem Eindruck des "Schocks Solschenizyn", der in Deutschland kaum zum Tragen kam. Ackermann hat beide Länder im Blick und stellt kompetent die Zusammenhänge zwischen den Generationen dar. Sie legt die Phasenverschiebungen frei und beschreibt die unterschiedlichen Begriffs-Auffassungen. Deutlich wird, daß die Arbeit des Kongresses keinesfalls wirkungslos blieb - und im stillen Engagement für die Dissidenten weiterging. Diese aktive Solidarität wiederum war eine Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands - und Europas.
Daran erinnert François Bondy in seinem Vorwort. Die Autorin behandelt auch die Auseinandersetzungen um das "Schwarzbuch der kommunistischen Verbrechen" und die Debatten um den Vergleich der beiden Totalitarismen (Furet, Nolte). Den Auftakt macht sie konsequenterweise mit Jugoslawien: In den Diskussionen, die seinen Zerfall begleiteten, sind alle Positionen des Nachkriegs auszumachen - der militärische Einsatz im Kosovo wurde im Namen des triumphierenden Antitotalitarismus geführt. Ackermann analysiert den Kalten Krieg der Intellektuellen. Er hatte eine rote und eine braune Front - seine entscheidende Demarkationslinie aber blieb der Totalitarismus.
Ärgerlich und mißverständlich ist der abgenutzte Titel des Buches. Die Politikwissenschaftlerin schreckt vor keiner Polemik zurück - vor allem nicht gegen die unverbesserlichen Altlinken beider Deutschlands. Mit den Franzosen ist sie nachsichtiger. Aber ihr Buch handelt allenfalls in zweiter Linie vom Sündenfall der Intellektuellen. Es ist zuallererst eine - verdiente, willkommene, notwendige - Rehabilitierung jener, die gegen die ideologische Blindheit immun waren und gar nie an ein Paradies glaubten.
JÜRG ALTWEGG
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sylvia Schütz befasst sich eingehend mit der Untersuchung, die die unterschiedlichen politischen Ansichten von Intellektuellen in Deutschland und Frankreich beleuchtet, wobei sie den Hauptschwerpunkt des Textes in der Auseinandersetzung der Intellektuellen mit dem Faschismus und dem Kommunismus sieht. Die Rezensentin ermittelt als maßgebliches Quellenmaterial für die Studie die Diskussion von Ereignissen in Osteuropa in den wichtigsten "linksliberalen deutschen und französischen Zeitungen und Zeitschriften". Die Autorin - Politikwissenschaftlerin und Publizistin - mache deutlich, woraus die unterschiedliche Einstellung vor allem zum Kommunismus resultiert. Die Studie ist ein "Plädoyer für kritische Selbstreflexion und für die bewusste Wahrnehmung interkultureller Differenzen", meint die Rezensentin, die den Ergebnissen der Autorin insgesamt zuzustimmen scheint, ohne dies explizit auszusprechen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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