»Schade, dass IKEA keine Särge hat und Aldi entsprechende Hemden dazu.«
- Seite 81 -
Die 14jährige Annie lebt mit ihrer (vor allem in Liebesdingen) glücklosen Mutter Nette und dem kauzigen Opa auf einer Schattenmorellenplantage. In der Schule ist sie eine Außenseiterin, weil sie – statt zu
chatten oder Musik zu hören oder was man sonst so als Heranwachsende macht – lieber durch die…mehr»Schade, dass IKEA keine Särge hat und Aldi entsprechende Hemden dazu.«
- Seite 81 -
Die 14jährige Annie lebt mit ihrer (vor allem in Liebesdingen) glücklosen Mutter Nette und dem kauzigen Opa auf einer Schattenmorellenplantage. In der Schule ist sie eine Außenseiterin, weil sie – statt zu chatten oder Musik zu hören oder was man sonst so als Heranwachsende macht – lieber durch die Kirschbäume strolcht und die Vögel vertreibt. Einen eigenen Computer oder einen iPod hat Annie auch gar nicht. Dazu fehlt das Geld, denn die Mutter hat nicht nur mit den Männern Pech, sondern auch mit ihren Kirschen.
Als der Opa sich eine blutjunge Gespielin aus dem Internet auf den Hof holt und dort mit ihr seinen zweiten Frühling erlebt, hat Nette endgültig die Nase voll und nimmt sich eine Auszeit. Kurz darauf packt auch der Opa seine Koffer, um mit seiner Ninotschka ans Meer zu fahren. Und plötzlich ist Annie alleine – mit der anstehenden Kirschernte und der 16jährigen Paula, die eines Tages hochschwanger für Annies Tür steht…
Das Setting (Frau/Mädchen allein auf einem Bauernhof) erinnert bewusst an Emmas Glück, einem früheren Roman der Autorin. Doch während es hier um das Ende des Lebens ging, dreht sich in Süß wie Schattenmorellen nun alles um dessen Anfang. Im Zentrum stehen Annie und deren Reife zur Frau, die leider schneller vonstatten geht als man es einem Kind eigentlich wünscht. Viel zu sehr lasten die Unzufriedenheit und das Unvermögen der Erwachsenen auf ihren jungen Schultern, doch Annie ist stark, gewitzt und strahlt trotz allem eine unbändige Lebensfreude aus. Sie ist ein Charakter, den man so schnell nicht wieder vergisst, jemand, der sich einprägt.
Aber auch die anderen, teils sehr skurrilen Figuren sind Claudia Schreiber vortrefflich gelungen. Die überforderte Mutter, der schräge Opa (von dem im Übrigen das obige Zitat stammt) – sie und auch die anderen Nebenfiguren werden dem Leser mit wenigen Worten greifbar gemacht. Sie sind überzeichnet und doch lebensnah.
Insgesamt ist die Geschichte keine, die so oder ähnlich tagtäglich passiert. Trotzdem steckt sehr viel Wahres und Weises in Claudia Schreibers Worten. Kaum vorstellbar eigentlich, dass sie für das, was sie da alles erzählt, mit gerade einmal 285 Seiten (gebunden in Handtaschengröße!) auskommt. Aber egal wie ernst es auch wird, nie drückt die Geschichte zu sehr auf den Magen. Dafür sorgt der teils recht derbe Humor der Autorin, die hier einen perfekten Balanceakt zwischen Schwere und Leichtigkeit schafft.
Ihr Erzählstil ist herzlich und schnodderig zugleich, ehrlich und absolut unkitschig.
FAZIT: Ein außergewöhnliches, originelles Buch. Hatte mich Emmas Glück vor 4 Jahren noch nicht restlos überzeugen können, die bittersüßen Kirschen haben es definitiv geschafft!