Schillernd, enigmatisch, schwer zu fassen: Das Bewußtsein gilt als eines der großen Rätsel unserer Zeit, und es gibt viele, unter ihnen nicht wenige Philosophen, die behaupten, es sei unmöglich, es auf die gleiche Weise zu erforschen wie etwa den Stoffwechsel, die Kontinentaldrift oder die Schwerkraft. Bewußtsein sei "etwas anderes" oder "mehr" als bloße Biologie und würde sich deshalb einer wissenschaftlichen Erklärung prinzipiell entziehen. Zu den profiliertesten Widersachern dieser Auffassung gehört der Philosoph Daniel C. Dennett, dessen neues Buch ein leidenschaftliches Plädoyer für eine wissenschaftliche Erforschung des Bewußtseins ist und zugleich ein Weckruf für seine eigene Zunft. Bewußtsein, so Dennett, ist nichts weiter als ein Teil unserer biologischen Ausstattung, weshalb man es auf die gleiche Weise untersuchen könne wie andere natürliche Phänomene: mit naturwissenschaftlichen Methoden. Probleme bei diesem Unterfangen bereitet allein die mächtige philosophische Tradition, indem sie nach wie vor den süßen Träumen von verführerischen subjektiven Erlebnisqualitäten und anderen Eigenschaften geistiger Zustände nachhängt, die sich einer objektivierenden Erklärung angeblich entziehen.Dennett läßt die maßgeblichen Debatten um den Status des Bewußtseins Revue passieren, liefert raffinierte Dekonstruktionen einiger der berühmtesten philosophischen Gedankenexperimente zu diesem Thema, fordert Gegenspieler wie John Searle oder David Chalmers zum Duell und entzaubert Stück für Stück diese Traumwelt als Resultat eines bornierten Festhaltens an realitätsfernen Intuitionen - an Träumen eben, die die Erforschung des Bewußtseins nicht befördern, sondern sie im Gegenteil behindern.
Ist das, was wir Bewusstsein nennen, überhaupt theoriefähig? Ist Bewusstsein - das Haben von Gedanken und Gefühlen - nicht ein derart subjektives Phänomen, dass es sich auf keine Weise objektivieren lässt? John Searle ist ein prominenter Philosoph, der diese Ansicht vertritt. Er fordert nicht weniger als ein neues Verständnis von naturwissenschaftlicher Erklärung. Nur so bestünde eine Chance, erklären zu können, wie die Neuronen unseres Gehirns den subjektiven, qualitativen Charakter unseres bewussten Erlebens hervorbringen. Schließlich bestehe genau darin das Rätsel des Bewusstseins.
Wo Searle sich angesichts des "harten" Problems der Erklärung von Bewusstsein nur noch mit einer "anderen" Wissenschaft zu behelfen weiß, da sieht Daniel Dennett absolut kein abgründiges Problem, das andere als normalwissenschaftliche Methoden erfordern würde. Bewusstsein ist für ihn kein zutiefst rätselhaftes Phänomen, es wird bloß recht schnell zu einem, wenn man ein paar Schritte in die falsche Richtung tut. In diesem Sinne argumentiert Dennett in seinem neuen Buch ("Süße Träume". Die Erforschung des Bewusstseins und der Schlaf der Philosophie. Aus dem Amerikanischen von Gerson Reuter. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 216 S., geb., 24,80 [Euro]).
Am Beginn dessen, was Dennett einen Irrweg nennt, stehe die Intuition, dass Bewusstsein etwas Subjektives und Inneres ist, das von außen und für andere höchstens indirekt oder gar nicht zugänglich ist. Nur mir selbst ist demnach bekannt, wie es sich anfühlt. So wie auch nur ich selbst diese meine bewusste Rotempfindung haben kann, die eben nicht einfach in die auch von Dritten feststellbare Reizung meiner Retina und die Verarbeitungsprozeduren dahintergeschalteter Neuronenverbände konvertiert werden kann. Denn - so beispielsweise die Frage Searles - lässt sich ein größerer Unterschied denken als der zwischen Erregungssequenzen von Neuronen und meiner Empfindung von Rot? Wie also diese "Erklärungslücke" überwinden? Und schon sieht man sich vor das Dilemma gestellt, das laut Dennett nur beschworen wird, in Wirklichkeit aber gar keins ist. Dieses Dilemma lautet: Bewusstsein sei entweder gar nicht oder nur mit verzweifelt anmutenden theoretischen Einsätzen zu erklären.
Gegen solche Vorstellungen tritt Dennett mit der gewohnten Verve an. Und weil er weiß, dass tiefsitzende Intuitionen kaum direkt angegangen werden können, tut er es im spielerischen Variieren von Gedankenexperimenten, die diesen Intuitionen eher merkwürdige Folgerungen abgewinnen. Solche therapeutischen Lockerungsübungen sollen den verführerischen Schein der Evidenz zerstreuen, auf die Philosophen wie Searle bauen.
Searle und Dennett vertreten entgegengesetzte Positionen. Trotzdem sind sie vor einiger Zeit beide unter Beschuss gekommen, in einem viel beachteten Buch, das der Philosoph Peter Hacker gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler Max Bennett verfasst hat ("Philosophical Foundations of Neuroscience". Blackwell, Oxford 2003. 461 S., br., 36,- [Euro]). Man findet darin eine detailreiche, im Wittgensteinschen Geiste verfahrende Kritik an Explikationsansprüchen der Neurowissenschaften. Deren Ansprüche auf Erklärung unseres gewohnten psychologischen Vokabulars - wie etwa "denken", "glauben", "wissen", "fühlen", "bewusst sein" - könnten nur dann triftig sein, wenn die Worte in ihrer üblichen Bedeutung expliziert und also auch verwendet werden.
Sieht man sich den Gebrauch dieser Wörter unbefangen an, wird hinreichend klar, dass sie nur auf Menschen als Ganzes - allgemeiner auf Tiere einer gewissen Entwicklungsstufe -, nicht auf deren Teile angewendet werden können: Es ist nicht etwa empirisch falsch, vom denkenden, fühlenden, bewussten Gehirn zu sprechen: Es ist vielmehr eine begriffliche Verwirrung. Und dieser Verwirrung erliegen in den Augen Bennetts und Hackers nicht nur eine Reihe von Neurowissenschaftlern, sondern auch ansonsten so gegensätzliche Philosophen wie Searle und Dennett, die in separaten Anhängen gnadenlos gezaust werden.
Nun kann man nachlesen, wie sich die beiden gegen ihre Kritiker zur Wehr setzen (Max Bennett, Daniel C. Dennett, Peter Hacker, John R. Searle: "Neuroscience & Philosophy". Brain, Mind & Language. Columbia University Press, New York 2007. 215 S., geb., 25,95 [Euro]). Searle gibt sich in der Form konziliant und in der Sache unbeeindruckt. Dennett holt dagegen zu einem breit angelegten Gegenangriff aus, der die Berufung auf eine eingespielte und durch keine Empirie veränderbare angebliche Ursprungsbedeutung unseres psychologischen Vokabulars aushebeln soll: Selbstverständlich dürfe man die Bedeutung von Wörtern wie "denken", "glauben", "fühlen" auch auf andere als die eingespielte Weise begreifen. In den Kognitions- und Neurowissenschaften werde es auf legitime Weise vorgemacht.
Wer daraufhin schon die Waage zu Dennetts Gunsten sich senken sieht, den muss die geschliffene Replik von Hacker und Bennett erst recht beeindrucken. Sie wissen ihr Projekt begrifflicher Klärungsarbeit an den Fundamenten der kognitiven Neurowissenschaften mit einer Verve zu verteidigen, die jener Dennetts um nichts nachsteht. Kurzweiliger und auf anregendere Weise als mit diesem Band kann man sich zentrale Fragen der Debatte um Neurowissenschaft und Philosophie kaum vor Augen führen.
HELMUT MAYER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zumindest als Liebhaber des klassischen Streitgesprächs schätzt Rezensent Willy Hochkeppel den amerikanischen Philosophen. Die hier versammelten Vorträge Daniel C. Dennetts glänzen aus Sicht des Rezensenten durch "ausgeklügelte" Argumente und empirische Forschungsbefunde, mit denen Dennett alle Theorien bekämpfe, die im Bewusstsein mehr als nur physikalische Faktoren sehen. Wie La Mettrie, erklärt uns der Rezensent, möchte auch Dennett den Menschen strikt mechanistisch von außen erklären. Leider greife er dabei wie seine Gegner auch zu reinen Behauptungsbegründungen, etwa bei dem berühmten Beispiel von RoboMary, die als Farbexpertin zum ersten Mal eine Farbe in Form einer roten Tomate sieht. Nach Daniel C. Dennett hat sie, die ja schon neurophysiologisch alles über Farben wisse, dadurch kein neues Farberlebnis. Insgesamt hält der Rezensent Dennetts Kampf als selbst ernannter "dünner Materialist" für ehrenvoll, gewissermaßen als Medikation gegen die üblichen Mystifikationen des Bewusstseins. Sein "Fortschrittsoptimismus" sei gleichwohl seinerseits ein wenig angekränkelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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