Karasek macht den Versuch, dem Alter die Altersmilde zu nehmen, und zeigt in autobiografischen und generationsbiografischen Geschichten, dass das Leben komisch ist, gerade dann, wenn das Lachen bestenfalls sardonisch sein kann. Er erzählt von der Liebe und der Erinnerung daran, von der Wohltat und dem Schrecken des Vergessens und von der Zukunft. Komisch, poetisch, bewegend. Wer alt wird, hat Glück, schon allein weil er erlebt und erkennt, welches Unglück das Alter ist: Ein Fluch, den man zum Segen erklären muss; nichts anderes bleibt einem übrig. Wie will man auch unabwendbarem Verfall und unaufhaltsamer Zerstörung anders begegnen als mit Trotz? Oder ist der glücklicher, dem das Alter erspart bleibt? Und was ist mit den Jungen, denen eine stetig wachsende Zahl von Alten im Weg steht? Hellmuth Karasek, der 'publizistische Turbokarpfen im Teich der grauen Hechte' (Gerhard Stadelmaier), sieht das Leben als Fallbeispiel, jedenfalls solange man noch aufstehen kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2006Wie ein einziger Tag
Was bleibt: Silvia Bovenschen und Hellmuth Karasek machen sich Gedanken zum Alter
Nichts mache schneller alt als der stete Gedanke, daß man älter wird, fand Georg Christoph Lichtenberg. Das Thema jedoch ist wie der Prozeß selbst: unentrinnbar. Man wird nicht fertig damit. George Steiner mag erklären, warum Denken traurig macht, doch die eigentliche Frage scheint, ob Denken nicht vielmehr alt macht. Eine Unschlüssigkeit oder unerfüllte Gefühlssehnsucht, wie sie, glaubt man etwa den aktuellen Romanen von Katharina Hacker und Peter Stamm, viele der ratlosen Mittdreißiger bis Endvierziger umtreibt, scheint früheren Generationen jedenfalls fremd. Die Fähigkeit, über sich selbst hinauszudenken, ohne deshalb über den Dingen zu stehen, jene Mischung aus Empathie, Ehrlichkeit und Eleganz, begleitet von Disziplin und Milde, also einer Strenge sich selbst und Nachsicht anderen gegenüber, macht Menschen zu Leitfiguren. An der Charakterreife mögen viele vorbeischrammen, doch dem Alter entgeht keiner, schon gar nicht in unserer Gesellschaft, wo immer mehr Alte immer weniger Jungen begegnen.
Egal, wie alt man ist oder wie jung man sich fühlt - man sollte Silvia Bovenschens "Älter werden" lesen, was, den Bestsellerlisten zufolge, glücklicherweise bereits viele Menschen tun. Sie hat ein Buch geschrieben, das in der Hand zu glühen scheint, bevor es ein gedankliches Feuerwerk im Kopf entfacht. Es sind Überlegungen, Beobachtungen und Aphorismen zum Alter, die weise zu nennen verkennen würde, daß die Autorin genau das nicht sein möchte, weil sie dazu viel zu sehr und mit geballter Herzenskraft im Leben steht. Silvia Bovenschen bringt Menschen, Tieren, Dingen und Büchern eine Aufmerksamkeit entgegen, wie es nur derjenige vermag, der um die Zerbrechlichkeit der Welt weiß, ohne daran zu verzweifeln, im Gegenteil: dem die Schönheit aufgrund der eigenen Vergänglichkeit um so kostbarer ist und der sich mit allen Sinnen an ihr erfreut. Unter der Überschrift "Was hält? (Verankerungen)" steht dann: "die Liebe (zu S. Sch.)" - wie dieses Buch überhaupt eine unaufdringliche Freundschaftserklärung ist, die Silvia Bovenschen fast noch über der Liebe ansiedelt -, "die Freunde und die Hunde" - manchmal in Personalunion -, "die Sonne, gute Lektüren, gutes Essen, gute Kunst, gute Musik, angenehme Gesellschaft". Zustimmend, bestärkt in eigenen Überzeugungen, liest man das, bis zum Eintrag: "die Medizin (daß die, die Menschen, einander helfen können, zeitweilig die Schmerzen nehmen können)". So lakonisch behandelt Silvia Bovenschen, die jeden Monat einige Tage im Krankenhaus verbringen muß und gezwungen ist, sich im Rollstuhl sitzend statt ihrer Geisteshaltung folgend aufrecht gehend fortzubewegen, ihre Multiple-Sklerose-Erkrankung, die ihren Gedanken zu Leben und Zeit jene bestechende, bisweilen bestürzende Genauigkeit verleiht. Und bevor der Leser noch innehält, um die ganze Wucht dieser Bemerkung zu erfassen, macht sie auch schon weiter: "der Blick von der Steilküste Sorrents auf den Golf von Neapel. Und dies und das (aber nicht viel)."
Silvia Bovenschen ist eine furchtlose Denkerin ohne Scheuklappen. Während sie Wörter und Begriffe behutsam auf ihr Alter, Gefühle und Erkenntnisse auf ihre Haltbarkeit abtastet, steuert sie schnurstracks heikle Themen an. "Runzelsex (so darf man das nicht nennen!)" ist ein Eintrag überschrieben, in dem sie sich gegen die Altersdiskriminierung und den Jugendwahn ausspricht, die unsere Wahrnehmung, zumal in erotischer Hinsicht, befallen haben. "Das sei doch ganz selbstverständlich, daß man auch den Alten, selbst den ganz Alten, noch ein sexuelles Begehren und eine Befriedigung ihrer Lust zugestehen müsse, lese ich . . . Ja, ja, das sehe ich auch so, ich möchte nur nicht dabeisein. Ich bin für diese Liberalisierung, ich bin ihr nur nicht gewachsen." Und dann folgt einer dieser typischen Bovenschen-Sätze, bei denen man gleichzeitig nicken, lachen und klatschen möchte: "Das ist ein alter Konflikt in mir: der zwischen meiner gesellschaftspolitischen Liberalität und meiner ästhetischen Belastbarkeit."
Das Bewußtsein dieses Konflikts durchzieht das ganze Buch. Es bewahrt Silvia Bovenschen - neben anderen Eigenschaften, versteht sich - vor allen Fettnäpfchen der Altersgeschwätzigkeit wie der Auflistung von Banalitäten, die sich aufgrund plötzlicher eigener Betroffenheit markerschütternd anfühlen mögen, aber für fremde Ohren und Augen eben doch Banalitäten bleiben. Es bewahrt sie vor Larmoyanz und dem Predigergestus - kurz: es bewahrt sie vor all den Fallstricken, die Hellmuth Karaseks Buch zum Verhängnis werden. Weiter könnte die Kluft von zwei Werken zum selben Thema nicht sein: Hier ein gedankliches und stilistisches Konzentrat, das man sich langsam im Kopf und im Herzen zergehen lassen sollte, um es in seinem ganzen Reichtum auszukosten, dort ein wortreiches Zuviel an Episoden, Zitaten und Erlebnissen, die letztlich die Aussage nicht verstärken, sondern verwässern. Doch schon die Titel legen einen Vergleich nahe: "Älter werden" heißt Silvia Bovenschens Buch punktgenau; "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten" der Band Karaseks. Wo Silvia Bovenschen zunächst die Welt und die Menschen darin betrachtet, um dann einen Bezug zu sich selbst herzustellen, sieht Karasek stets erst sich und dann die anderen. Wo sie eigene Leistungen und Stationen entweder wegläßt oder bis zur Unkenntlichkeit herunterspielt, setzt er die eigene Bekanntheit (eine Krankenschwester kennt ihn etwa aus dem "Literarischen Kabarett") gewissermaßen voraus und läßt seine fraglos eindrucksvolle Karriere als Mann des Theaters und der Literatur ausführlich Revue passieren, ohne daß indes eine Autobiographie dabei herauskäme (die er ja auch separat schon verfaßt hat).
Zwar könnten auch die Temperamente der Autoren unterschiedlicher nicht sein: Karasek ist eine Erzählernatur (und ein Talent), Silvia Bovenschen eine Analytikerin, die die Essayform allemal der Schnurre vorzieht. Karasek lädt mit pointierten Selbstbeobachtungen zum Wiedererkennen ein: "Im Alter fallen einem des Nachts all die Sätze ein, die man in der Jugend hätte sagen sollen. Dafür fallen einem die Haltungen nicht mehr ein, die sofort zum Schlaf geführt haben." Natürlich darf bei ihm auch das Sehnsuchtsdrama vom alten Mann und dem Mädchen nicht fehlen. Spätestens da drängt sich der Eindruck auf, daß Karasek genau das umtreibt, was Martin Walser in seinem Altersroman "Angstblüte" so beklemmend wie packend beschreibt: Jene Panik, die Männer ab einem gewissen Alter zu Handlungen und Sätzen anstiftet, die sie nicht das letzte Mal getan oder gesagt oder gedacht haben wollen.
Angst, gar Panik ist bei Silvia Bovenschen nicht zu spüren, was nicht als Abgeklärtheit mißverstanden werden sollte. Es ist eher eine Zwischenbilanz, ohne Anmaßung auf Gültigkeit. Je älter man wird, desto mehr verwandelt sich das Leben in ein Sammellager, eine Geröllhalde. Alles hat sich angestaut, Erkenntnisse, Erfahrungen, Besitztümer, Bekanntschaften, Angewohnheiten und mancher Spleen. Das Bedürfnis nach Ordnung entspringt bei Silvia Bovenschen einem untrüglichen Gefühl für Proportion - und Eleganz. "Eleganz ist eine Balancefrage", schreibt sie. "Eleganz arbeitet (in bewußter Vergeblichkeit) gegen den Tod, ohne sich auf Jugend zu abonnieren." Wie sie diese Balance hält und durchhält, schreibend, lesend, lebend, das macht den schmalen Band "Älter werden" zu einem gewaltigen Buch. Schon als Kind habe sie geahnt, daß auch das Glück altert, schreibt Silvia Bovenschen. Für das Glück beim Lesen ihrer Sätze gilt das nicht.
Silvia Bovenschen: "Älter werden". Notizen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 155 S., geb., 17,90 [Euro].
Hellmuth Karasek: "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten". Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 271 S., geb., 18,95 [Euro].
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Was bleibt: Silvia Bovenschen und Hellmuth Karasek machen sich Gedanken zum Alter
Nichts mache schneller alt als der stete Gedanke, daß man älter wird, fand Georg Christoph Lichtenberg. Das Thema jedoch ist wie der Prozeß selbst: unentrinnbar. Man wird nicht fertig damit. George Steiner mag erklären, warum Denken traurig macht, doch die eigentliche Frage scheint, ob Denken nicht vielmehr alt macht. Eine Unschlüssigkeit oder unerfüllte Gefühlssehnsucht, wie sie, glaubt man etwa den aktuellen Romanen von Katharina Hacker und Peter Stamm, viele der ratlosen Mittdreißiger bis Endvierziger umtreibt, scheint früheren Generationen jedenfalls fremd. Die Fähigkeit, über sich selbst hinauszudenken, ohne deshalb über den Dingen zu stehen, jene Mischung aus Empathie, Ehrlichkeit und Eleganz, begleitet von Disziplin und Milde, also einer Strenge sich selbst und Nachsicht anderen gegenüber, macht Menschen zu Leitfiguren. An der Charakterreife mögen viele vorbeischrammen, doch dem Alter entgeht keiner, schon gar nicht in unserer Gesellschaft, wo immer mehr Alte immer weniger Jungen begegnen.
Egal, wie alt man ist oder wie jung man sich fühlt - man sollte Silvia Bovenschens "Älter werden" lesen, was, den Bestsellerlisten zufolge, glücklicherweise bereits viele Menschen tun. Sie hat ein Buch geschrieben, das in der Hand zu glühen scheint, bevor es ein gedankliches Feuerwerk im Kopf entfacht. Es sind Überlegungen, Beobachtungen und Aphorismen zum Alter, die weise zu nennen verkennen würde, daß die Autorin genau das nicht sein möchte, weil sie dazu viel zu sehr und mit geballter Herzenskraft im Leben steht. Silvia Bovenschen bringt Menschen, Tieren, Dingen und Büchern eine Aufmerksamkeit entgegen, wie es nur derjenige vermag, der um die Zerbrechlichkeit der Welt weiß, ohne daran zu verzweifeln, im Gegenteil: dem die Schönheit aufgrund der eigenen Vergänglichkeit um so kostbarer ist und der sich mit allen Sinnen an ihr erfreut. Unter der Überschrift "Was hält? (Verankerungen)" steht dann: "die Liebe (zu S. Sch.)" - wie dieses Buch überhaupt eine unaufdringliche Freundschaftserklärung ist, die Silvia Bovenschen fast noch über der Liebe ansiedelt -, "die Freunde und die Hunde" - manchmal in Personalunion -, "die Sonne, gute Lektüren, gutes Essen, gute Kunst, gute Musik, angenehme Gesellschaft". Zustimmend, bestärkt in eigenen Überzeugungen, liest man das, bis zum Eintrag: "die Medizin (daß die, die Menschen, einander helfen können, zeitweilig die Schmerzen nehmen können)". So lakonisch behandelt Silvia Bovenschen, die jeden Monat einige Tage im Krankenhaus verbringen muß und gezwungen ist, sich im Rollstuhl sitzend statt ihrer Geisteshaltung folgend aufrecht gehend fortzubewegen, ihre Multiple-Sklerose-Erkrankung, die ihren Gedanken zu Leben und Zeit jene bestechende, bisweilen bestürzende Genauigkeit verleiht. Und bevor der Leser noch innehält, um die ganze Wucht dieser Bemerkung zu erfassen, macht sie auch schon weiter: "der Blick von der Steilküste Sorrents auf den Golf von Neapel. Und dies und das (aber nicht viel)."
Silvia Bovenschen ist eine furchtlose Denkerin ohne Scheuklappen. Während sie Wörter und Begriffe behutsam auf ihr Alter, Gefühle und Erkenntnisse auf ihre Haltbarkeit abtastet, steuert sie schnurstracks heikle Themen an. "Runzelsex (so darf man das nicht nennen!)" ist ein Eintrag überschrieben, in dem sie sich gegen die Altersdiskriminierung und den Jugendwahn ausspricht, die unsere Wahrnehmung, zumal in erotischer Hinsicht, befallen haben. "Das sei doch ganz selbstverständlich, daß man auch den Alten, selbst den ganz Alten, noch ein sexuelles Begehren und eine Befriedigung ihrer Lust zugestehen müsse, lese ich . . . Ja, ja, das sehe ich auch so, ich möchte nur nicht dabeisein. Ich bin für diese Liberalisierung, ich bin ihr nur nicht gewachsen." Und dann folgt einer dieser typischen Bovenschen-Sätze, bei denen man gleichzeitig nicken, lachen und klatschen möchte: "Das ist ein alter Konflikt in mir: der zwischen meiner gesellschaftspolitischen Liberalität und meiner ästhetischen Belastbarkeit."
Das Bewußtsein dieses Konflikts durchzieht das ganze Buch. Es bewahrt Silvia Bovenschen - neben anderen Eigenschaften, versteht sich - vor allen Fettnäpfchen der Altersgeschwätzigkeit wie der Auflistung von Banalitäten, die sich aufgrund plötzlicher eigener Betroffenheit markerschütternd anfühlen mögen, aber für fremde Ohren und Augen eben doch Banalitäten bleiben. Es bewahrt sie vor Larmoyanz und dem Predigergestus - kurz: es bewahrt sie vor all den Fallstricken, die Hellmuth Karaseks Buch zum Verhängnis werden. Weiter könnte die Kluft von zwei Werken zum selben Thema nicht sein: Hier ein gedankliches und stilistisches Konzentrat, das man sich langsam im Kopf und im Herzen zergehen lassen sollte, um es in seinem ganzen Reichtum auszukosten, dort ein wortreiches Zuviel an Episoden, Zitaten und Erlebnissen, die letztlich die Aussage nicht verstärken, sondern verwässern. Doch schon die Titel legen einen Vergleich nahe: "Älter werden" heißt Silvia Bovenschens Buch punktgenau; "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten" der Band Karaseks. Wo Silvia Bovenschen zunächst die Welt und die Menschen darin betrachtet, um dann einen Bezug zu sich selbst herzustellen, sieht Karasek stets erst sich und dann die anderen. Wo sie eigene Leistungen und Stationen entweder wegläßt oder bis zur Unkenntlichkeit herunterspielt, setzt er die eigene Bekanntheit (eine Krankenschwester kennt ihn etwa aus dem "Literarischen Kabarett") gewissermaßen voraus und läßt seine fraglos eindrucksvolle Karriere als Mann des Theaters und der Literatur ausführlich Revue passieren, ohne daß indes eine Autobiographie dabei herauskäme (die er ja auch separat schon verfaßt hat).
Zwar könnten auch die Temperamente der Autoren unterschiedlicher nicht sein: Karasek ist eine Erzählernatur (und ein Talent), Silvia Bovenschen eine Analytikerin, die die Essayform allemal der Schnurre vorzieht. Karasek lädt mit pointierten Selbstbeobachtungen zum Wiedererkennen ein: "Im Alter fallen einem des Nachts all die Sätze ein, die man in der Jugend hätte sagen sollen. Dafür fallen einem die Haltungen nicht mehr ein, die sofort zum Schlaf geführt haben." Natürlich darf bei ihm auch das Sehnsuchtsdrama vom alten Mann und dem Mädchen nicht fehlen. Spätestens da drängt sich der Eindruck auf, daß Karasek genau das umtreibt, was Martin Walser in seinem Altersroman "Angstblüte" so beklemmend wie packend beschreibt: Jene Panik, die Männer ab einem gewissen Alter zu Handlungen und Sätzen anstiftet, die sie nicht das letzte Mal getan oder gesagt oder gedacht haben wollen.
Angst, gar Panik ist bei Silvia Bovenschen nicht zu spüren, was nicht als Abgeklärtheit mißverstanden werden sollte. Es ist eher eine Zwischenbilanz, ohne Anmaßung auf Gültigkeit. Je älter man wird, desto mehr verwandelt sich das Leben in ein Sammellager, eine Geröllhalde. Alles hat sich angestaut, Erkenntnisse, Erfahrungen, Besitztümer, Bekanntschaften, Angewohnheiten und mancher Spleen. Das Bedürfnis nach Ordnung entspringt bei Silvia Bovenschen einem untrüglichen Gefühl für Proportion - und Eleganz. "Eleganz ist eine Balancefrage", schreibt sie. "Eleganz arbeitet (in bewußter Vergeblichkeit) gegen den Tod, ohne sich auf Jugend zu abonnieren." Wie sie diese Balance hält und durchhält, schreibend, lesend, lebend, das macht den schmalen Band "Älter werden" zu einem gewaltigen Buch. Schon als Kind habe sie geahnt, daß auch das Glück altert, schreibt Silvia Bovenschen. Für das Glück beim Lesen ihrer Sätze gilt das nicht.
Silvia Bovenschen: "Älter werden". Notizen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 155 S., geb., 17,90 [Euro].
Hellmuth Karasek: "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten". Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 271 S., geb., 18,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schon der Titel lässt erahnen, woran dieses Buch über das Älterwerden krankt, bemerkt Rezensentin Felicitas von Lovenberg. Hellmuth Karasek tue sich schwer, die Dinge beim Namen zu nennen, und ergehe sich wortreich in Erlebnisschilderungen, die letztlich den Kern der Überlegung "verwässern". Und vor allem stelle er seine - als bekannt vorausgesetzte - Person dermaßen ins Zentrum der Erzählung, moniert Lovenberg, dass man meinen könne, es mit einer Autobiografie zu tun zu haben, hätte Karasek nicht bereits eine geschrieben. Zwar gelingen dem begabten Erzähler Karasek "pointierte" Sätze und Skizzen, von denen sich der ältere Leser ertappt und der jüngere erheitert fühlt, aber insgesamt ereilt die Rezensentin ein Eindruck der Torschlusspanik. "Süßer Vogel Jugend" ist für sie das larmoyante "Sehnsuchtsdrama" des alten Mannes.
© Perlentaucher Medien GmbH
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