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Suhrkamps Theorie-Buchreihe erschien 20 Jahre lang, von 1966 bis 1986. Über 200 Titel nahm der Verlag in die Reihe auf, darunter Grundlagentexte der Geistes- und Kulturwissenschaften: Kuhns Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Habermas' Erkenntnis und Interesse, Althussers Für Marx, Mauss' Die Gabe, Bourdieus Zur Soziologie der symbolischen Formen, Searles Sprechakte, Foucaults Archäologie des Wissens, Knorr-Cetinas Die Fabrikation von Erkenntnis. Mithilfe von Archivalien, Gesprächen und Lektüren rekonstruiert Morten Paul die Entstehung der Reihe vor dem Hintergrund der Frage der…mehr

Produktbeschreibung
Suhrkamps Theorie-Buchreihe erschien 20 Jahre lang, von 1966 bis 1986. Über 200 Titel nahm der Verlag in die Reihe auf, darunter Grundlagentexte der Geistes- und Kulturwissenschaften: Kuhns Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Habermas' Erkenntnis und Interesse, Althussers Für Marx, Mauss' Die Gabe, Bourdieus Zur Soziologie der symbolischen Formen, Searles Sprechakte, Foucaults Archäologie des Wissens, Knorr-Cetinas Die Fabrikation von Erkenntnis. Mithilfe von Archivalien, Gesprächen und Lektüren rekonstruiert Morten Paul die Entstehung der Reihe vor dem Hintergrund der Frage der gesellschaftlichen Relevanz theoretischer Texte: Wie verhält sich die Theorie zur Praxis, die ihr die Form als Text, Buch, Reihe gibt? Wie bestimmt diese Form die gesellschaftliche Wirkung von Theorie? Und wieso musste diese Reihe letztlich scheitern, angesichts der Erfolge der edition suhrkamp und suhrkamp taschenbuch wissenschaft?Das Buch erscheint in der Reihe Applied Publishing Studies.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Maximilian Gillessen freut sich über Morten Pauls Geschichte von Suhrkamps Theorie-Reihe. Was für Unseld ein Verlustgeschäft war, gibt retrospektiv laut Rezensent immerhin Stoff für eine unterhaltsame Darstellung über professorale Grabenkämpfe, die einander abstoßenden Seiten von Geist und Marktwirtschaft und die Eitelkeiten von Habermas, Enzensberger und Co. Anhand einer Reihe von Dokumenten aus den Archiven gelingt Paul eine lesenswerte kulturgeschichtliche Studie über ein fast vergessenes verlegerisches Großprojekt, so Gillessen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2023

Kraut und Rüben von erster Qualität
Von den Schwierigkeiten, Ideen zu arrangieren: Morten Paul legt eine lehrreiche und dabei auch recht unterhaltsame Geschichte von Suhrkamps "Theorie"-Reihe vor

In geistes- und sozialwissenschaftlichen Seminaren sind sie allgegenwärtig: die dunkelblauen Bände der Reihe Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, kurz stw, deren fünfzigster Geburtstag dieses Jahr begangen wird. Ihrer Vorgängerin, der von 1966 bis 1986 zunächst in grauen, später in weißen Bänden erschienenen Reihe "Theorie", wird dabei - zumindest von Verlagsseite - nicht gedacht. Ihr hat der Literaturwissenschaftler Morten Paul eine lesenswerte, überdies ansprechend gestaltete Studie gewidmet, die weit mehr ist als die Geschichte einer heute fast vergessenen Buchreihe. Anhand zahlreicher Dokumente aus dem Verlagsarchiv, die er kenntnisreich in ein breiteres geistes- und kulturgeschichtliches Panorama einordnet, zeigt er nicht nur, wie Suhrkamp zu einem Synonym für anspruchsvolle Theorietexte werden konnte; er liefert darüber hinaus wichtige Einsichten in den Aufstieg des Begriffs der Theorie, bevor deren "langer Sommer" (Philipp Felsch) begann.

Auch wenn Peter Suhrkamp schon früh Adorno und Benjamin zu seinen Autoren zählte, galt sein Interesse doch vor allem der Belletristik. Erst Siegfried Unseld, der den Verlag nach Suhrkamps Tod allein führte, konzentrierte sich auf den Aufbau eines eigenständigen Theorieprogramms. Und das wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der unerwartet hohen Verkaufszahlen, die gerade den philosophischen Titeln Adornos, Blochs und Wittgensteins in der 1963 von Unseld begründeten Edition Suhrkamp beschieden waren.

Zwischen dem hochpreisigen Segment der Wissenschaftsverlage und dem des erschwinglichen Taschenbuches bestand also eine Marktlücke. Da der Verlag jedoch nicht über die nötige Expertise zum Aufbau einer geisteswissenschaftlichen Taschenbuchreihe verfügte, wandte sich Unseld an Vertreter aus der akademischen Welt, die für die Seriosität des Vorhabens bürgen sollten. Aber so einmalig die Konstellation philosophischer Temperamente, die er für seinen Herausgeberkreis gewinnen konnte, aus heutiger Sicht anmutet - Jürgen Habermas, Dieter Henrich, Jacob Taubes und Hans Blumenberg -, so zäh verlief oft die Zusammenarbeit. Drei Jahre vergingen mit Verhandlungen über die Rechte und Pflichten der Herausgeber, über das Veto- und Abstimmungssystem, Honorare und nicht zuletzt über die "Physiognomie" (Taubes) der Reihe, bis die ersten Bücher 1966 erscheinen konnten. Entnervt sprach Habermas von einem "Professorenzirkus".

Nun entzündeten sich die langwierigen Diskussionen nicht allein an persönlichen Eitelkeiten, und es gehört zur Stärke von Pauls Darstellung, dass er in dieser Hinsicht zwar immer wieder Unterhaltsames bietet, dabei aber nie die theoretische Dimension der verhandelten Fragen aus den Augen verliert. Die Geschichte, die er untersucht, ist keine reine Produktions-, sondern eine "Anspruchsgeschichte". Mehr als das Resultat zählt der Prozess, zählen die Erwartungen und Reflexionen, zu denen die Konzeption der Reihe Anlass lieferte.

Schon die Suche nach dem Titel war schwierig. "Logos" sollte die Reihe zunächst heißen, Taubes brachte "Humanitas" ins Spiel. Für wenig Begeisterung sorgte Unselds Vorschlag: "Universitas litterarum". Mit gewohnter Kahlschlagrhetorik ätzte Hans Magnus Enzensberger: "das ist völlig salzlos und antiquiert, bildungsnippes, das gegenteil aller progressiven denkungsart." Am Ende einigte man sich auf einen Begriff, der noch auf seinen Siegeszug wartete: "Theorie". Wofür dieser Name einstehen und welche Werke unter ihm versammelt werden sollten, blieb allerdings offen. Das Feld möglicher Titel war durch die Konkurrenz ohnehin abgesteckt. Vieles aus dem Kanon erschien bereits bei Reclam oder in der "Philosophischen Bibliothek" des Felix Meiner Verlages, dem Unseld die Zusicherung geben musste, nicht "freibeuterisch" in dessen "Interessensphäre einzubrechen".

Mit der "Theorie"-Reihe wollten die vier Herausgeber jedenfalls einen Gegenentwurf zu Meiners Bibliothek liefern: eine Konstellation von Ideen und kein reines Nebeneinander. Doch man konnte sich nur auf einen Minimalbegriff von Aufklärung einigen. Er sollte vergessene historische Stimmen ebenso wie aktuelle Beiträge aus den Geistes- und Sozialwissenschaften umfassen. So folgte die Titelauswahl dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners und erweckte rasch den Eindruck von "Kraut und Rüben, wenn auch von erster Qualität", wie Karl Markus Michel, der die Reihe als Lektor betreute, in einem Brief seufzte.

Dass die "Theorie"-Reihe nicht abzubilden vermochte, was ihre Herausgeber in spekulativen Höhenflügen erdachten, war jedoch nicht allein ihren unterschiedlichen Theoriebegriffen geschuldet. Oft genug stieß sich der Geist an der marktwirtschaftlichen Realität. Als hätte er eine Rechtfertigung des Merve-Heftes avant la lettre geben wollen, erklärte etwa Taubes, das "große Opus" sei nach dem Ende der Systemphilosophie "verdächtig" und das "Kleinformat" die "neue Form des Philosophierens". Zum Verkaufsschlager brachte es nun aber gerade die zwanzigbändige Hegel-Theorie-Werkausgabe, die Unseld mit Blick auf den 200. Geburtstag des Philosophen in Auftrag gegeben hatte.

Dabei zeugt das letztlich veröffentlichte "Theorie"-Programm auch von den blinden Flecken im Theoriebegriff seiner Herausgeber: Von den gut 200 Bänden hatte nur ein einziger eine Frau, Karin Knorr-Cetina, zum Autor. Angesichts der Neigung, die Theorie der Siebzigerjahre mit "French Theory" gleichzusetzen, mag zudem der geringe Anteil aus dem Französischen übersetzter Titel überraschen. Deutlich überwogen die angloamerikanischen Traditionen des Pragmatismus und der analytischen Philosophie.

Am Beispiel von Derridas "Grammatologie", die nicht in der "Theorie"-Reihe erschien, zeigt Paul in einem schönen Kapitel, dass zuweilen Bauchgefühl und Hörensagen mehr als genaue Sachkenntnis für oder gegen die Übersetzung eines Werkes entschieden. Denn weder Taubes, der das Buch empfiehlt, noch Michel, der es ablehnt, haben es wirklich gelesen. Viele Übersetzungen, die zur Konjunktur französischer Theorie beitrugen, entstanden dagegen zunächst in Seminaren und Lektürekreisen, waren das Werk von Studenten und fanden erst später den Weg zu einem Verlag.

Von Anfang an wenig erfolgreich, entwickelte sich die "Theorie"-Reihe für Unseld zusehends zu einem Verlustgeschäft. Der Enthusiasmus der Herausgeber schwand merklich: Blumenberg verließ das Gremium bereits 1970, ihm folgten ein paar Jahre später Taubes und Habermas. Auch mit Niklas Luhmann konnte Henrich der Reihe kein neues Leben einhauchen.

Unseld selbst hatte sie letztlich zu einem Nischendasein verurteilt, als er 1973 die ersten Bände der stw-Reihe veröffentlichte. Anders als die "Theorie" war die stw, die ihre Vorgängerin durch zahlreiche Titelübernahmen regelrecht verschlang, keiner immanenten Ordnung oder Konstellation von Positionen verpflichtet. Gerade durch den Verzicht, einen Kanon zu etablieren, wurde sie, wie Paul ausführt, "Teil eines entgrenzten Begriffs von Geisteswissenschaften". Diesen Begriff konnte der Verlag nunmehr allein erweitern. Die "Theorie"-Reihe hatte ihren Dienst getan. MAXIMILIAN GILLESSEN

Morten Paul: "Suhrkamp Theorie". Eine Buchreihe im philosophischen Nachkrieg.

Spector Books, Leipzig 2023. 350 S., Abb., geb., 34,- Euro.

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