Zuerst die vielen Menschen auf den Feldern. Zwischen Salat und Sellerie, oder abgetaucht in Möhren und Radieschen. Den Blick auf den Boden gerichtet, dann den Körper gestreckt, eine Handbewegung und die Zwiebel fliegt im hohen Bogen in den Korb, den ganzen Tag, jeden Tag der Woche. Monatelang. Im Akkord. Kein Einheimischer macht diese Arbeit. Nicht alleine weil die Arbeit so schwer ist oder niemand Lust auf solche Arbeit hat, sondern weil man in Deutschland mit diesem Lohn seine Familie kaum dauerhaft ernähren kann. Deshalb stammen die Autokennzeichen der Arbeiter innen aus RO, BG, TR und seltener in den letzten Jahren aus PL. Am Tag werden die Stimmen im Feld sehr leise und erst wieder lauter, sobald alle abends in das Containerdorf zurückgekehrt sind und die erste Körperreinigung mit Schlauch und kaltem Wasser stattgefunden hat. Dort, wo auch die Wäsche von Hand gewaschen wird, wenn der Euro für den Waschautomaten zusätzlich für die Familie zu Hause gespart werden muss. Containergesellschaft. Mehr Bewohner innen als manches Dorf in Deutschland. Tagsüber menschenleer, nachts müde und still. 20'-Container. Farbe RAL 9045. Grundfläche 12,70 m2. Rauminhalt 31,76 m3. 4 Personen. 2 Stockbetten. 4 Metallspinde. Zwischen Gleichgültigkeit und Hackordnung. Das Leben findet abends nur 3 Stunden lang statt. Wie nahe darf ich der Containergesellschaft kommen? Sind die Menschen hier anders, als ich sie in den Heimatländern kennengelernt habe? Die meisten strahlen noch mehr Würde aus als in ihrem Heimatdorf. Selbst der Universitätsprofessor aus der Großstadt, der hier in den Semesterferien Gemüse erntet. Das Suppengrün im deutschen Supermarkt kostet im Angebot 0,99 EUR.
- Hermann Recknagel
Mit Texten von: Hermann Recknagel, Katharina Schultens, Dr. Andrea Gnam, Dr. Marcel Schilling, Dr. Stephan Grätzel
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2016Akkordarbeit fürs Suppengrün
Im knallfarbenen Orange der Sonderangebots-Schilder springt der Bildband "0,99" von Hermann Recknagel dem Betrachter ins Auge: der Preis für "Suppengrün" - so der Untertitel. Recknagel hat Saisonarbeiter bei der Ernte fotografiert, vor seiner Haustüre, in der Pfalz. Hauptsächlich Rumänninen und Rumänen ziehen auf den Fotos in Kolonnen aufs Feld. Die Saisonarbeitskräfte sorgen dafür, dass am Ende zwei, drei Karotten, ein Stück Sellerie, Porree und ein paar Zweige Petersilie als billiges "Suppengrün" in die Regale wandern. Wer glaubt, vegane Ernährung mache per se zu einem besseren Menschen, der kann einmal einen Blick auf diese Fotos der Akkordarbeit in der Gemüse-Landwirtschaft werfen. Anklägerisch will Recknagel mit seinem Buch nicht auftreten. Im Interview erklärt er, mit dem Verdienst der drei Monate auf den Feldern könnten die Saisonkräfte zu Hause mit der Familie ein ganzes Jahr leben. Die Bilder beschönigen nichts, dramatisieren aber auch nicht. Die Porträtierten hat Recknagel als in sich Ruhende abgelichtet. Hart arbeitend, aber nicht gedemütigt oder unglücklich. Aufrecht blicken sie in die Kamera, einige von ihnen verhalten grinsend. Einigen Porträtierten hat er auf Doppelseiten Arbeitsutensilien zugeordnet. Der Erntehelferin vor einem Frühlingszwiebelfeld die hellbraunen Gummiringe, mit denen diese gebündelt werden; dem Lauchschneider zwei scharfe Messer, und oft Handschuhe in unterschiedlichen Zerfallsstadien. Das Buch trägt dazu bei, sich Gedanken auch über Kleinigkeiten zu machen. Wer hat sich je vergegenwärtigt, dass es Petersilienfelder gibt?
bär
"Suppengrün 0,99 Euro" von Hermann Recknagel. Mit Texten von Hermann Recknagel, Katharina Schultens, Andrea Gnam, Marcel Schilling, Stephan Grätzel. Kook Books Verlag, Berlin 2016. 224 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 49 Euro.
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Im knallfarbenen Orange der Sonderangebots-Schilder springt der Bildband "0,99" von Hermann Recknagel dem Betrachter ins Auge: der Preis für "Suppengrün" - so der Untertitel. Recknagel hat Saisonarbeiter bei der Ernte fotografiert, vor seiner Haustüre, in der Pfalz. Hauptsächlich Rumänninen und Rumänen ziehen auf den Fotos in Kolonnen aufs Feld. Die Saisonarbeitskräfte sorgen dafür, dass am Ende zwei, drei Karotten, ein Stück Sellerie, Porree und ein paar Zweige Petersilie als billiges "Suppengrün" in die Regale wandern. Wer glaubt, vegane Ernährung mache per se zu einem besseren Menschen, der kann einmal einen Blick auf diese Fotos der Akkordarbeit in der Gemüse-Landwirtschaft werfen. Anklägerisch will Recknagel mit seinem Buch nicht auftreten. Im Interview erklärt er, mit dem Verdienst der drei Monate auf den Feldern könnten die Saisonkräfte zu Hause mit der Familie ein ganzes Jahr leben. Die Bilder beschönigen nichts, dramatisieren aber auch nicht. Die Porträtierten hat Recknagel als in sich Ruhende abgelichtet. Hart arbeitend, aber nicht gedemütigt oder unglücklich. Aufrecht blicken sie in die Kamera, einige von ihnen verhalten grinsend. Einigen Porträtierten hat er auf Doppelseiten Arbeitsutensilien zugeordnet. Der Erntehelferin vor einem Frühlingszwiebelfeld die hellbraunen Gummiringe, mit denen diese gebündelt werden; dem Lauchschneider zwei scharfe Messer, und oft Handschuhe in unterschiedlichen Zerfallsstadien. Das Buch trägt dazu bei, sich Gedanken auch über Kleinigkeiten zu machen. Wer hat sich je vergegenwärtigt, dass es Petersilienfelder gibt?
bär
"Suppengrün 0,99 Euro" von Hermann Recknagel. Mit Texten von Hermann Recknagel, Katharina Schultens, Andrea Gnam, Marcel Schilling, Stephan Grätzel. Kook Books Verlag, Berlin 2016. 224 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 49 Euro.
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