Eine intellektuelle Biographie über Fremdheit und Ortlosigkeit, im Schreiben wie im Leben.Als die elfjährige Susan Taubes im April 1939 nach sechstägiger Schiffspassage den Boden von New York betrat, lag hinter ihr eine Kindheit in Budapest als Enkelin eines angesehenen Rabbiners und Tochter eines bekannten Psychoanalytikers. Vor ihr lag ein bewegtes kurzes Leben, in dem sie keine Heimat mehr fand. Ihre Studienjahre verbrachte die junge Philosophin in Jerusalem, an der Sorbonne und in Harvard, ihr Leben als Schriftstellerin in Paris und New York: Orte, die den Rahmen ihrer intellektuellen und künstlerischen Arbeit, etwa zum Judentum nach dem Zweiten Weltkrieg oder der Shoah, bildeten, und zu einem außergewöhnlichen Netz an Begegnungen (wie mit Sontag oder Lévinas) führten. Budapest aber blieb der Fluchtpunkt für die immer gegenwärtige Erinnerung an die Welt des eigenen Aufwachsens und Ausgangspunkt für eine lebensgeschichtliche Aneinanderreihung von Verlusterfahrungen. Wie diese zusammen mit politischer Gewalt und ständigem Transit Susan Taubes` Leben und Schreiben prägten, berichtet Christina Pareigis eindrücklich und nah - auf Quellenbasis von Aufzeichnungen und Hinterlassenschaften der Schriftstellerin.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Johanna-Charlotte Horst sieht Christina Pareigis' Buch über Susan Taubes als willkommene Einladung, die Philosophin auch jenseits ihrer Ehe mit Jacob Taubes kennenzulernen als Denkerin vom Range einer Susan Sontag. Stoff bietet der Band dazu genug, meint Horst. Wie Taubes die historischen Brüche ihrer Zeit und die eigene Heimatlosigkeit zu verstehen versucht und sich dafür mit dem Tragischen, der Religion, der Shoa und mit Arendt oder Adorno auseinandersetzt, darüber liest Horst bei Pareigis mit Gewinn.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2021Im Zustand der Selbstentzweiung
Christina Pareigis über das Leben der Religionswissenschaftlerin Susan Taubes
Biographien über Menschen, die freiwillig aus dem Leben schieden, sind besonderen methodischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Frage, wie der Suizid mit der individuellen Geschichte zusammenhängt, bringt das Risiko mit sich, das gesamte Leben vom Ende her zu denken. Wenn dieses Ende im Zusammenhang mit einer konfliktreichen Liebesbeziehung steht, ist die Gefahr, die Biographie als Leidensweg zu erzählen, besonders groß. Insofern hat sich Christina Pareigis mit dem Vorhaben, eine Biographie der Religionswissenschaftlerin Susan Taubes zu schreiben, eine heikle Aufgabe gestellt.
Taubes, die aus einer jüdisch-ungarischen Familie stammte und mit elf Jahren 1939 an der Seite ihres Vaters, des Budapester Rabbiners Sándor Feldmann, in die Vereinigten Staaten emigrierte, war lange fast nur als Frau des Judaisten Jacob Taubes bekannt, den sie 1949 heiratete. Die Partnerschaft mit ihm wurde meist als Schmerzensgeschichte wahrgenommen, in der eine labile Frau den Launen eines Cholerikers ausgesetzt gewesen sei. Dass Susan Taubes' 1969, acht Jahre nach ihrer Trennung, erschienenes Buch "Divorcing" als Schlüsselroman über die Beziehung der Ehepartner gelesen wurde und sie nach dessen Veröffentlichung Suizid beging, bestärkte diese Deutung.
Pareigis, die am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung an der Edition der Schriften von Susan Taubes mitgearbeitet hat, erzählt deren Lebensgeschichte nicht vom Ende aus und erliegt nicht der Versuchung, sie als Doppelbiographie der Ehepartner zu konzipieren. Die Einleitung hebt mit einer Szene an, die Pareigis als emblematisch für Taubes' geistige Physiognomie ansieht: der Ankunft der jungen Susan Feldmann und ihres Vaters im Hafen von New York, den sie am 14. April 1939 als "Alien Passengers for the United States" erreichten. Ellis Island, damals Sitz der Immigrationsbehörde, beschreibt Pareigis mit Worten von Georges Perec als "Fabrik, um Auswanderer in Einwanderer zu verwandeln". Der Kontrast zwischen Taubes' Kindheitserinnerung, in der die Multiethnizität des Habsburger Reichs gegenwärtig blieb, und der Multiethnizität der Vereinigten Staaten, von der sich die Emigranten eine Befreiung vom Stigma der Herkunft versprachen, war für Taubes eine Initialerfahrung.
Pareigis kontrastiert die Ankunft in Amerika mit jener Reise, die Taubes vor ihrem Suizid 1969 nach Budapest unternahm und deren Eindrücke in ihrem "Budapest Journal" festgehalten sind. Die "Wiederbegegnung mit den Plätzen und Wegen der Kindheit" löste, wie Pareigis zeigt, "eine überwältigende Erinnerung aus": Im Wiedererkennen der alten Fassaden und Straßen sei ein Prozess initiiert worden, in dem "historische Geschehnisse und persönlich Erlebtes, jahrzehntelang als voneinander Abgetrenntes im Gedächtnis ,eingefroren', mit einer unerwarteten Plötzlichkeit in die Gegenwart" gelangten.
Die Plötzlichkeit solchen Eindringens lässt den Zerfall historischer Kontinuität erkennen. Es gehört zu den Einsichten von Pareigis' Studie, dass das religionswissenschaftliche Interesse von Taubes bereits eine Reaktion auf die Erosion jüdischer Orthodoxie gewesen ist. Taubes' Faszination für das Werk von Simone Weil und für mystische Traditionen verdankte sich nicht dem Festhalten an überkommenen Formen von Religiosität, vielmehr war es ein Produkt der Säkularisation.
Detailliert beschreibt Pareigis, wie die Erziehung schon in Taubes' Familie vom Zerbrechen religiöser Orthodoxie geprägt war. Zwar beherrschten sie und ihre Geschwister das Hebräische früher als das Ungarische, doch setzte sich ihr Vater als Rabbiner für die Reform des religiösen Unterrichts ein; zwar erhielten die Kinder, bevor sie auf eine Schule kamen, zu Hause eine religiöse Ausbildung, andererseits machte der Vater sie mit der Literatur der Weimarer Klassik vertraut, wofür er von orthodoxen Freunden kritisiert wurde.
Der Konflikt zwischen der Herkunft und einer vom seinerseits krisengeschüttelten Säkularismus geprägten Gegenwart war in Taubes' Kindheit insofern bereits vorgeprägt. Taubes' Randständigkeit im Universitätsbetrieb und ihr Interesse an Außenseitern wie Simone Weil deutet Pareigis vor dem Hintergrund dieser Selbstentzweiung. Ihre Begeisterung für die Avantgarde, wie sie sich in ihrer Bekanntschaft mit Susan Sontag und am Interesse für "Experimental Writing" zeigte, wird so erkennbar als Versuch, den Konnex zwischen Religiosität und Säkularität jenseits der Universität herzustellen.
Dass zu den wichtigen Orten der Studie neben Budapest, New York und Jerusalem nicht auch Berlin gehört, wo Jacob Taubes seit 1966 als Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität wirkte und die Achtundsechziger-Generation mit einem eschatologischen Revolutionspathos beeinflusste, in dem Elemente von Susan Taubes' Denken fortwirkten, liegt an Pareigis' Entscheidung, den Blick auf Taubes nicht zugunsten derer abzuwenden, denen sie begegnet ist. Wenn Pareigis immer wieder auf unveröffentlichte literarische Texte und den Roman "Divorcing" zurückgreift, dessen biographistische Deutung sie überzeugend anzweifelt, ist das darin begründet, dass sich Poesie und Philosophie in Taubes' Werk in einem Schreiben verbinden, "für das die Position der Fremden überhaupt erst Voraussetzung ist". Auch darin erweist es sich als gegenwärtig.
MAGNUS KLAUE
Christina Pareigis: "Susan Taubes". Eine intellektuelle Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 472 S., Abb., geb., 29,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christina Pareigis über das Leben der Religionswissenschaftlerin Susan Taubes
Biographien über Menschen, die freiwillig aus dem Leben schieden, sind besonderen methodischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Frage, wie der Suizid mit der individuellen Geschichte zusammenhängt, bringt das Risiko mit sich, das gesamte Leben vom Ende her zu denken. Wenn dieses Ende im Zusammenhang mit einer konfliktreichen Liebesbeziehung steht, ist die Gefahr, die Biographie als Leidensweg zu erzählen, besonders groß. Insofern hat sich Christina Pareigis mit dem Vorhaben, eine Biographie der Religionswissenschaftlerin Susan Taubes zu schreiben, eine heikle Aufgabe gestellt.
Taubes, die aus einer jüdisch-ungarischen Familie stammte und mit elf Jahren 1939 an der Seite ihres Vaters, des Budapester Rabbiners Sándor Feldmann, in die Vereinigten Staaten emigrierte, war lange fast nur als Frau des Judaisten Jacob Taubes bekannt, den sie 1949 heiratete. Die Partnerschaft mit ihm wurde meist als Schmerzensgeschichte wahrgenommen, in der eine labile Frau den Launen eines Cholerikers ausgesetzt gewesen sei. Dass Susan Taubes' 1969, acht Jahre nach ihrer Trennung, erschienenes Buch "Divorcing" als Schlüsselroman über die Beziehung der Ehepartner gelesen wurde und sie nach dessen Veröffentlichung Suizid beging, bestärkte diese Deutung.
Pareigis, die am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung an der Edition der Schriften von Susan Taubes mitgearbeitet hat, erzählt deren Lebensgeschichte nicht vom Ende aus und erliegt nicht der Versuchung, sie als Doppelbiographie der Ehepartner zu konzipieren. Die Einleitung hebt mit einer Szene an, die Pareigis als emblematisch für Taubes' geistige Physiognomie ansieht: der Ankunft der jungen Susan Feldmann und ihres Vaters im Hafen von New York, den sie am 14. April 1939 als "Alien Passengers for the United States" erreichten. Ellis Island, damals Sitz der Immigrationsbehörde, beschreibt Pareigis mit Worten von Georges Perec als "Fabrik, um Auswanderer in Einwanderer zu verwandeln". Der Kontrast zwischen Taubes' Kindheitserinnerung, in der die Multiethnizität des Habsburger Reichs gegenwärtig blieb, und der Multiethnizität der Vereinigten Staaten, von der sich die Emigranten eine Befreiung vom Stigma der Herkunft versprachen, war für Taubes eine Initialerfahrung.
Pareigis kontrastiert die Ankunft in Amerika mit jener Reise, die Taubes vor ihrem Suizid 1969 nach Budapest unternahm und deren Eindrücke in ihrem "Budapest Journal" festgehalten sind. Die "Wiederbegegnung mit den Plätzen und Wegen der Kindheit" löste, wie Pareigis zeigt, "eine überwältigende Erinnerung aus": Im Wiedererkennen der alten Fassaden und Straßen sei ein Prozess initiiert worden, in dem "historische Geschehnisse und persönlich Erlebtes, jahrzehntelang als voneinander Abgetrenntes im Gedächtnis ,eingefroren', mit einer unerwarteten Plötzlichkeit in die Gegenwart" gelangten.
Die Plötzlichkeit solchen Eindringens lässt den Zerfall historischer Kontinuität erkennen. Es gehört zu den Einsichten von Pareigis' Studie, dass das religionswissenschaftliche Interesse von Taubes bereits eine Reaktion auf die Erosion jüdischer Orthodoxie gewesen ist. Taubes' Faszination für das Werk von Simone Weil und für mystische Traditionen verdankte sich nicht dem Festhalten an überkommenen Formen von Religiosität, vielmehr war es ein Produkt der Säkularisation.
Detailliert beschreibt Pareigis, wie die Erziehung schon in Taubes' Familie vom Zerbrechen religiöser Orthodoxie geprägt war. Zwar beherrschten sie und ihre Geschwister das Hebräische früher als das Ungarische, doch setzte sich ihr Vater als Rabbiner für die Reform des religiösen Unterrichts ein; zwar erhielten die Kinder, bevor sie auf eine Schule kamen, zu Hause eine religiöse Ausbildung, andererseits machte der Vater sie mit der Literatur der Weimarer Klassik vertraut, wofür er von orthodoxen Freunden kritisiert wurde.
Der Konflikt zwischen der Herkunft und einer vom seinerseits krisengeschüttelten Säkularismus geprägten Gegenwart war in Taubes' Kindheit insofern bereits vorgeprägt. Taubes' Randständigkeit im Universitätsbetrieb und ihr Interesse an Außenseitern wie Simone Weil deutet Pareigis vor dem Hintergrund dieser Selbstentzweiung. Ihre Begeisterung für die Avantgarde, wie sie sich in ihrer Bekanntschaft mit Susan Sontag und am Interesse für "Experimental Writing" zeigte, wird so erkennbar als Versuch, den Konnex zwischen Religiosität und Säkularität jenseits der Universität herzustellen.
Dass zu den wichtigen Orten der Studie neben Budapest, New York und Jerusalem nicht auch Berlin gehört, wo Jacob Taubes seit 1966 als Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität wirkte und die Achtundsechziger-Generation mit einem eschatologischen Revolutionspathos beeinflusste, in dem Elemente von Susan Taubes' Denken fortwirkten, liegt an Pareigis' Entscheidung, den Blick auf Taubes nicht zugunsten derer abzuwenden, denen sie begegnet ist. Wenn Pareigis immer wieder auf unveröffentlichte literarische Texte und den Roman "Divorcing" zurückgreift, dessen biographistische Deutung sie überzeugend anzweifelt, ist das darin begründet, dass sich Poesie und Philosophie in Taubes' Werk in einem Schreiben verbinden, "für das die Position der Fremden überhaupt erst Voraussetzung ist". Auch darin erweist es sich als gegenwärtig.
MAGNUS KLAUE
Christina Pareigis: "Susan Taubes". Eine intellektuelle Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 472 S., Abb., geb., 29,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2021Überall im Exil
Die erste Biografie der Schriftstellerin und Philosophin Susan Taubes
Susan Taubes promovierte über Simone Weil, war mit Hannah Arendt bekannt, mit Susan Sontag befreundet. Wäre ihr Werk zu Lebzeiten wahrgenommen worden, hätte sie in den schmalen Kanon der großen intellektuellen Frauen aufgenommen worden können. Ihr Leben ließe sich dann als Erfolgsgeschichte à la Susan Sontag erzählen. Christina Pareigis’ im Wallstein Verlag erschienene Studie „Susan Taubes. Eine intellektuelle Biografie“ unternimmt diesen Versuch. Sie stellt ihre Protagonistin als eine Denkerin vor, die die historischen Brüche ihrer Zeit verstehen wollte.
Taubes’ Vater war ein jüdischer Psychoanalytiker, der allein mit der Tochter 1939 von Budapest in die USA auswanderte. Die dadurch entstandene Kluft zwischen einer jüdischen Herkunft und einem religionsfernen, bildungsbürgerlichen Leben beschäftigte Taubes ihr ganzes Leben lang. Sie fühlte sich radikal nicht-zugehörig, überall im Exil. Als ob sie dieser inneren Situationen einen äußeren Ausdruck geben wollte, war Taubes ständig auf Reisen. Und wo auch immer sie sich ein Zuhause einrichtete, entstand ein improvisierter Durchgangsort.
In ihrem autobiografisch gefärbten Roman „Divorcing“ wird diese Ruhelosigkeit als Bewältigungsstrategie beschrieben: „This seemed the obvious way to deal with things: pack and unpack and pack again if you were travelling, and Sophie had been traveling all her life.“ Mit dem Leben zurecht zu kommen, heißt für sie: packen, auspacken, packen. Taubes bewegte sich aber nicht nur zwischen den USA, Israel und Europa hin und her, sondern auch zwischen der Philosophie, der Ethnologie und einer sehr ernst genommenen Passion für die Schauspielerei. Ihr Werk ist entsprechend zerstreut. Man muss es aus verschiedenen Zeitschriften und noch zu sichtenden Kisten auflesen.
Zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere widmete sie sich der Tragödie: Das Tragische stelle eine Art Übergangsstadium dar und stehe zwischen liturgischem Ritual und einem Denken in Begriffen, seien es nun metaphysische oder psychoanalytische. Über die Tragödie kommt Susan Taubes schließlich zu der existenziellen Frage, welche Rolle eigentlich die Religion in einer aus den Fugen geratenen Welt noch spielen kann.
In ihrer Promotion „The Absent God“ verbindet sie dieses Problem mit der Frage, wie es trotz Aufklärung zur Shoa kommen konnte. Damit tritt sie mit vielen anderen Denkerinnen und Philosophen des
20. Jahrhunderts wie Hannah Arendt oder Theodor W. Adorno ins Gespräch. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht die Mystikerin Simone Weil. Weil konvertierte vom Sozialismus zum Mystizismus und vereinte in ihrem Denken Politik und Religion. Das Spannungsverhältnis dieser Sphären wird in „The Absent God“ als Symptom einer Epoche entziffert, die auch Susan Taubes’ Gegenwart noch bestimmt.
So sehr man aber die intellektuellen Leistungen Taubes betont, müssen sowohl Pareigis als auch eine Rezensentin ihrer Biografie Susan Taubes’ Ehe mit Jacob Taubes den Platz einzuräumen, den er im Leben nun einmal hatte. Zu den Alltagsproblemen eines gemeinsamen Lebens kam im Hause Taubes noch die Auseinandersetzung über die richtige Lebensform hinzu. Die Vorstellungen davon gingen weit auseinander. Da sie jedoch das Resultat existenziell-philosophischer Positionierungen waren, ließen sie sich kaum verhandeln. Letztendlich scheiterte daran die Ehe der Taubes. Das legt zumindest Pareigis nah, wenn sie feststellt, dass „in der Verständigung des Paars über Themen wie Gesetz und Gerechtigkeit, Geschichte und ‚letzte Dinge‘ die Frage nach ihrem gemeinsamen Leben auf dem Spiel stand“.
In einem frühen Brief an ihren Gatten schreibt Susan Taubes, wie traurig und hoffnungslos sie über die vielen Missverständnisse sei: „Liebling, rette mich aus dem Albtraum, den Männer Religion nennen.“ Wie auch immer Jacob Taubes’ theologisches Programm auszubuchstabieren ist, er wollte ein frommer Jude sein und sich an die Regeln seiner Religion halten. Ein Albtraum für seine Lebenspartnerin. Sie bittet ihren Mann darum, eine Grenze zwischen Privatleben und seiner akademischer Arbeit über jüdische Religionsphilosophie zu ziehen. Wie so oft mangelte es offenbar auch dieser intellektuellen Ehe an derartigen Safespaces.
Nach einer längeren Europa-Reise und unmittelbar nach Erscheinen ihres Hauptwerks, dem Roman „Divorcing“, nimmt Susan Taubes sich 1969 das Leben. Mit der Vollendung ihres Buches, so David Rieff, Susan Sontags Sohn, war die Notwendigkeit des eigenen Daseins abhanden gekommen. Er schreibt im Vorwort der 2020 erschienenen Neuauflage von „Divorcing“: „Taubes Werk und ein großer Teil ihres Lebens waren Proben für ihren eigenen Tod.“ Um so unglücklicher, dass die deutsche Publikation des Buches in den Neunzigerjahren unter dem Kitsch-Titel „Scheiden tut weh“ vor allem als Schlüsselroman gelesen wurde, in dem die dreckige Wäsche eines prominenten FU-Professors, der Jacob Taubes zu diesem Zeitpunkt war, gewaschen werde.
Pareigis beschreibt in ihrer Biografie mit großer Materialfülle ein Leben, das viel zu lange vom Schatten des Ehemanns verdeckt wurde. Man darf gespannt sein, in welche Richtungen das Nachdenken über die Philosophin und Schriftstellerin Susan Taubes in den kommenden Jahren gehen wird.
JOHANNA-CHARLOTTE HORST
„Liebling, rette mich aus
dem Alptraum, den
Männer Religion nennen.“
Christina Pareigis:
Susan Taubes – Eine
intellektuelle Biographie. Wallstein, Göttingen 2020. 472 Seiten, 29 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die erste Biografie der Schriftstellerin und Philosophin Susan Taubes
Susan Taubes promovierte über Simone Weil, war mit Hannah Arendt bekannt, mit Susan Sontag befreundet. Wäre ihr Werk zu Lebzeiten wahrgenommen worden, hätte sie in den schmalen Kanon der großen intellektuellen Frauen aufgenommen worden können. Ihr Leben ließe sich dann als Erfolgsgeschichte à la Susan Sontag erzählen. Christina Pareigis’ im Wallstein Verlag erschienene Studie „Susan Taubes. Eine intellektuelle Biografie“ unternimmt diesen Versuch. Sie stellt ihre Protagonistin als eine Denkerin vor, die die historischen Brüche ihrer Zeit verstehen wollte.
Taubes’ Vater war ein jüdischer Psychoanalytiker, der allein mit der Tochter 1939 von Budapest in die USA auswanderte. Die dadurch entstandene Kluft zwischen einer jüdischen Herkunft und einem religionsfernen, bildungsbürgerlichen Leben beschäftigte Taubes ihr ganzes Leben lang. Sie fühlte sich radikal nicht-zugehörig, überall im Exil. Als ob sie dieser inneren Situationen einen äußeren Ausdruck geben wollte, war Taubes ständig auf Reisen. Und wo auch immer sie sich ein Zuhause einrichtete, entstand ein improvisierter Durchgangsort.
In ihrem autobiografisch gefärbten Roman „Divorcing“ wird diese Ruhelosigkeit als Bewältigungsstrategie beschrieben: „This seemed the obvious way to deal with things: pack and unpack and pack again if you were travelling, and Sophie had been traveling all her life.“ Mit dem Leben zurecht zu kommen, heißt für sie: packen, auspacken, packen. Taubes bewegte sich aber nicht nur zwischen den USA, Israel und Europa hin und her, sondern auch zwischen der Philosophie, der Ethnologie und einer sehr ernst genommenen Passion für die Schauspielerei. Ihr Werk ist entsprechend zerstreut. Man muss es aus verschiedenen Zeitschriften und noch zu sichtenden Kisten auflesen.
Zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere widmete sie sich der Tragödie: Das Tragische stelle eine Art Übergangsstadium dar und stehe zwischen liturgischem Ritual und einem Denken in Begriffen, seien es nun metaphysische oder psychoanalytische. Über die Tragödie kommt Susan Taubes schließlich zu der existenziellen Frage, welche Rolle eigentlich die Religion in einer aus den Fugen geratenen Welt noch spielen kann.
In ihrer Promotion „The Absent God“ verbindet sie dieses Problem mit der Frage, wie es trotz Aufklärung zur Shoa kommen konnte. Damit tritt sie mit vielen anderen Denkerinnen und Philosophen des
20. Jahrhunderts wie Hannah Arendt oder Theodor W. Adorno ins Gespräch. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht die Mystikerin Simone Weil. Weil konvertierte vom Sozialismus zum Mystizismus und vereinte in ihrem Denken Politik und Religion. Das Spannungsverhältnis dieser Sphären wird in „The Absent God“ als Symptom einer Epoche entziffert, die auch Susan Taubes’ Gegenwart noch bestimmt.
So sehr man aber die intellektuellen Leistungen Taubes betont, müssen sowohl Pareigis als auch eine Rezensentin ihrer Biografie Susan Taubes’ Ehe mit Jacob Taubes den Platz einzuräumen, den er im Leben nun einmal hatte. Zu den Alltagsproblemen eines gemeinsamen Lebens kam im Hause Taubes noch die Auseinandersetzung über die richtige Lebensform hinzu. Die Vorstellungen davon gingen weit auseinander. Da sie jedoch das Resultat existenziell-philosophischer Positionierungen waren, ließen sie sich kaum verhandeln. Letztendlich scheiterte daran die Ehe der Taubes. Das legt zumindest Pareigis nah, wenn sie feststellt, dass „in der Verständigung des Paars über Themen wie Gesetz und Gerechtigkeit, Geschichte und ‚letzte Dinge‘ die Frage nach ihrem gemeinsamen Leben auf dem Spiel stand“.
In einem frühen Brief an ihren Gatten schreibt Susan Taubes, wie traurig und hoffnungslos sie über die vielen Missverständnisse sei: „Liebling, rette mich aus dem Albtraum, den Männer Religion nennen.“ Wie auch immer Jacob Taubes’ theologisches Programm auszubuchstabieren ist, er wollte ein frommer Jude sein und sich an die Regeln seiner Religion halten. Ein Albtraum für seine Lebenspartnerin. Sie bittet ihren Mann darum, eine Grenze zwischen Privatleben und seiner akademischer Arbeit über jüdische Religionsphilosophie zu ziehen. Wie so oft mangelte es offenbar auch dieser intellektuellen Ehe an derartigen Safespaces.
Nach einer längeren Europa-Reise und unmittelbar nach Erscheinen ihres Hauptwerks, dem Roman „Divorcing“, nimmt Susan Taubes sich 1969 das Leben. Mit der Vollendung ihres Buches, so David Rieff, Susan Sontags Sohn, war die Notwendigkeit des eigenen Daseins abhanden gekommen. Er schreibt im Vorwort der 2020 erschienenen Neuauflage von „Divorcing“: „Taubes Werk und ein großer Teil ihres Lebens waren Proben für ihren eigenen Tod.“ Um so unglücklicher, dass die deutsche Publikation des Buches in den Neunzigerjahren unter dem Kitsch-Titel „Scheiden tut weh“ vor allem als Schlüsselroman gelesen wurde, in dem die dreckige Wäsche eines prominenten FU-Professors, der Jacob Taubes zu diesem Zeitpunkt war, gewaschen werde.
Pareigis beschreibt in ihrer Biografie mit großer Materialfülle ein Leben, das viel zu lange vom Schatten des Ehemanns verdeckt wurde. Man darf gespannt sein, in welche Richtungen das Nachdenken über die Philosophin und Schriftstellerin Susan Taubes in den kommenden Jahren gehen wird.
JOHANNA-CHARLOTTE HORST
„Liebling, rette mich aus
dem Alptraum, den
Männer Religion nennen.“
Christina Pareigis:
Susan Taubes – Eine
intellektuelle Biographie. Wallstein, Göttingen 2020. 472 Seiten, 29 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Man entdeckt Susan Taubes als eine Schriftstellerin - und das ist das entscheidende bei dieser Biographie.« (Carsten Hueck, Deutschlandfunk Kultur »Lesart«, 21.01.2021) »Ebenso akribisch recherchiert wie analytisch dicht geschrieben, bietet die Studie ein faszinierendes Denk- und Lebensbild.« (Thomas Meyer, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 07.02.2021) »Pareigis beschreibt in ihrer Biografie mit großer Materialfülle ein Leben, das viel zu lange vom Schatten des Ehemanns verdeckt wurde.« (Johanna-Charlotte Horst, Süddeutsche Zeitung, 04.03.2021) »Fast als feministisches Konzept wird sich hier das Denken als verwoben mit dem Leben erschrieben.« (Charlotte Szász, Die Literarische Welt, 27.02.2021) »Die Susan-Taubes-Biografie von Christina Pareigis (...) vermittelt ein atmosphärisch dichtes, so zuverlässiges wie spannendes Porträt einer eigenständigen Intellektuellen.« (Hans-Peter Kunisch, Philosophie Magazin, 02/2021) »Es ist das große Verdienst von Christina Pareigis (...), eine zu Unrecht vernachlässigte Intellektuelle (...) und ihr eindrückliches Wirken und existenzielles Leiden einem größeren Publikum bekannt zu machen.« (Cornelius Mitterer, Zeitschrift für Germanistik, 1/2022)
»Fast als feministisches Konzept wird sich hier das Denken als verwoben mit dem Leben erschrieben.« Charlotte Szász, Die Literarische Welt