In an intriguing history that traverses the globe, Cole excavates the forgotten history of criminal identification--from photography to exotic anthropometric systems based on measuring body parts, from fingerprinting to DNA typing. He reveals how fingerprinting ultimately won the trust of the public and the law after a long battle against rival identification systems.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2001Schauen Sie sich die Finger doch erst einmal an!
Vermessene Verbrechensbekämpfung: Simon Coles historische Studie entzaubert den Mythos biometrischer Methoden
Politiker schienen schon immer anfällig zu sein, jede Neuerung, die eine universelle Identifizierbarkeit der Bürger verspricht, enthusiastisch willkommen zu heißen; Tony Blair ließ sich 1999 eine Probe seines Erbguts entnehmen, die in der nationalen britischen DNA-Datenbank gespeichert wurde. Doch nicht erst mit dem doppelhelikalen Wundermolekül kamen solche Hoffnungen auf. Schon 1921 nahm der amerikanische Präsident Warren Harding an einer publikumswirksamen Aktion teil: Auf der Jahresversammlung der "International Association for Identification" ließ er seine Fingerabdrücke erfassen.
Simon Cole schildert meisterhaft die Geschichte der Identifikationstechnologie im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Der anonyme und mobile Migrant, der im neunzehnten Jahrhundert aus Europa floh und in Amerika sein Glück suchte, der "unheilbare" Wiederholungstäter und die für Beamte nur mit größten Schwierigkeiten individuell unterscheidbaren dunkelhäutigen und dunkelhaarigen Kolonialsubjekte waren die Quellen für den Aufstieg der ersten Identifikationstechnologien. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde der Polizei und den Gerichten bewußt, daß ein Großteil der Straftaten von wenigen Wiederholungstätern begangen wurden. Dies führte dazu, daß Ersttäter mit einer nachsichtigen Strafe rechnen konnten, während Wiederholungstäter immer härtere Strafen bekamen.
Die neue Verurteilungspraxis erforderte jedoch ein zuverlässiges Strafregister und die eindeutige Identifizierbarkeit der Verdächtigen. Aber jeder Versuch scheiterte zunächst an der Notwendigkeit, Register nach den Namen der Straftäter zu ordnen. Nichts war einfacher, als sich nach einer Festnahme als Ersttäter darzustellen - es mußte nur ein falscher Name angegeben werden. Alphonse Bertillons biometrische Methode erlaubte es zum ersten Mal, eine Täterkartei unabhängig vom Namen anzulegen und jeden Wiederholungstäter nach der Messung und Klassifikation zahlreicher Körpermerkmale einem Eintrag im Strafregister zuzuordnen. Doch Bertillons System erforderte eine Disziplin, die nur mit größten Schwierigkeiten aufrechterhalten werden konnte. Nachlässige Messungen, nicht hinreichend qualifizierte Beamte und Zweifel, ob diese Methode auf für europäische Augen zum Verwechseln ähnlich aussehende "Eingeborene" anwendbar war, unterminierten den Ansatz. In der Kolonialverwaltung Indiens entstand schließlich eine Methode, welche die Identifikation von Personen revolutionieren sollte und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Bertillonage schrittweise abzulösen begann: die Fingerabdruckmethode.
In Großbritannien wurde das neue, nicht sonderlich arbeitsintensive Verfahren schnell übernommen. Zunächst mußte aber das Problem einer ausschließlich auf Eigenschaften der Fingerabdruckmuster beruhenden Klassifikation gelöst werden. Über seinen Vetter Charles Darwin erfuhr das exzentrische wissenschaftliche Multitalent Francis Galton von der Fingerabdruckmethode. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es Galton 1892 schließlich, vier Muster zur Grundlage einer Klassifikation von Abdrücken zu machen: Bogen, Schlinge nach rechts und links und Wirbel. Darüberhinaus identifizierte er auch noch Merkmale der Papillarlinien, die eine feinere Einteilung der Grundmuster ermöglichten. Als Statistikpionier konnte Galton sich auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, zu berechnen, wie wahrscheinlich eine vollständige Übereinstimmung der Fingerabdrücke aller zehn Finger zweier Personen ist, und fand die folgende, nun berühmte Antwort: 1 zu 64 Milliarden.
Aufbauend auf Galtons Arbeiten entwickelte der Kolonialbeamte Edward Henry 1895 eine leicht katalogisierbare und kommunizierbare Klassifikation, die sich erst in Indien und dann in Großbritannien durchsetzte. In den Vereinigten Staaten begann der Siegeszug des Fingerabdruckes mit seiner Anwendung als Kontrollinstrument der Einwanderungsbehörde und wurde 1910 zum ersten Mal vor Gericht als Beweismittel angewendet. Bis in die dreißiger Jahre koexistierten Bertillonage und Fingerabdrücke, doch in den frühen vierziger Jahren hatte der Fingerabdruck so viel Autorität gewonnen, daß bis zum Aufstieg der DNA-Technologie keine Identifikationsmethode zu konkurrieren vermochte.
Trotz dieser Erfolgsgeschichte steht nicht alles zum besten. Zu Recht weist Cole immer wieder darauf hin, daß die von Galton berechnete Wahrscheinlichkeit nur gilt, wenn vollständige Abdrücke aller zehn Finger miteinander verglichen werden. Doch diese Bedingung wird fast nie erwähnt, wenn die Leistungsfähigkeit der Fingerabdrücke gepriesen wird. Allem Anschein nach hat sich nie ein Wissenschaftler ernsthaft darum gekümmert nachzuweisen, ob tatsächlich die Fingerabdruckfragmente zweier Personen identisch sein können oder wie groß die Fehlerrate der Methode ist. Einen ersten Hinweis auf dieses Problem können die unterschiedlichen nationalen Standards bei der Identifikation von Fingerabdrücken bieten. In Großbritannien galt bis zum 31. Dezember 2000 ein Fingerabdruckfragment als identisch mit einem anderen, wenn sechzehn Charakteristika, sogenannte Minutien, übereinstimmten. In Deutschland sind es hingegen acht bis zwölf, und in den Vereinigten Staaten gibt es überhaupt keinen verbindlichen Standard. Wer in Deutschland alleine aufgrund von Fingerabdrücken verurteilt wurde, hätte in Großbritannien durchaus freigesprochen werden können - ein äußerst fragwürdiger Zustand für eine angeblich wissenschaftliche und universell gültige Methode.
Simon Cole ist vielleicht ein bißchen zu voreilig mit seiner Vermutung, die Tage des Fingerabdruckes als Beweismittel vor Gericht seien gezählt. Noch ist es nicht gelungen, vor amerikanischen Gerichten Fingerabdrücke als Beweismittel auszuschließen, da sie nicht den 1993 vom Obersten Gerichtshof neu festgelegten Kriterien für die Wissenschaftlichkeit von Beweismaterial entsprechen. Anders als bei der DNA-Identifikationstechnologie gibt es keine unabhängigen Experten, die für eine kritische Qualitätsüberprüfung nötig bürgen. Die Identifikation mit Fingerabdrücken benötigte mehrere Jahrzehnte, bis Gerichte ihre Autorität voll und ganz anerkannten, sie ist zu einem fast mythischen Bestandteil der Verbrechensaufklärung geworden. Es wird vielleicht noch einige Jahre oder Jahrzehnte dauern, diese Methode zu unterhöhlen - oder aber ihre Wirksamkeit überzeugend zu demonstrieren. Coles kritische historische Studie ist ein wichtiger Schritt in dem Unternehmen, die forensischen Wissenschaften auf ein zuverlässigeres Fundament zu stellen.
THOMAS WEBER
Simon A. Cole: "Suspect Identities". A History of Fingerprinting and Criminal Identification. Harvard University Press, Cambridge/Massachussetts 2001. 369 S., Abb., geb., 23,95 brit. Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vermessene Verbrechensbekämpfung: Simon Coles historische Studie entzaubert den Mythos biometrischer Methoden
Politiker schienen schon immer anfällig zu sein, jede Neuerung, die eine universelle Identifizierbarkeit der Bürger verspricht, enthusiastisch willkommen zu heißen; Tony Blair ließ sich 1999 eine Probe seines Erbguts entnehmen, die in der nationalen britischen DNA-Datenbank gespeichert wurde. Doch nicht erst mit dem doppelhelikalen Wundermolekül kamen solche Hoffnungen auf. Schon 1921 nahm der amerikanische Präsident Warren Harding an einer publikumswirksamen Aktion teil: Auf der Jahresversammlung der "International Association for Identification" ließ er seine Fingerabdrücke erfassen.
Simon Cole schildert meisterhaft die Geschichte der Identifikationstechnologie im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Der anonyme und mobile Migrant, der im neunzehnten Jahrhundert aus Europa floh und in Amerika sein Glück suchte, der "unheilbare" Wiederholungstäter und die für Beamte nur mit größten Schwierigkeiten individuell unterscheidbaren dunkelhäutigen und dunkelhaarigen Kolonialsubjekte waren die Quellen für den Aufstieg der ersten Identifikationstechnologien. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde der Polizei und den Gerichten bewußt, daß ein Großteil der Straftaten von wenigen Wiederholungstätern begangen wurden. Dies führte dazu, daß Ersttäter mit einer nachsichtigen Strafe rechnen konnten, während Wiederholungstäter immer härtere Strafen bekamen.
Die neue Verurteilungspraxis erforderte jedoch ein zuverlässiges Strafregister und die eindeutige Identifizierbarkeit der Verdächtigen. Aber jeder Versuch scheiterte zunächst an der Notwendigkeit, Register nach den Namen der Straftäter zu ordnen. Nichts war einfacher, als sich nach einer Festnahme als Ersttäter darzustellen - es mußte nur ein falscher Name angegeben werden. Alphonse Bertillons biometrische Methode erlaubte es zum ersten Mal, eine Täterkartei unabhängig vom Namen anzulegen und jeden Wiederholungstäter nach der Messung und Klassifikation zahlreicher Körpermerkmale einem Eintrag im Strafregister zuzuordnen. Doch Bertillons System erforderte eine Disziplin, die nur mit größten Schwierigkeiten aufrechterhalten werden konnte. Nachlässige Messungen, nicht hinreichend qualifizierte Beamte und Zweifel, ob diese Methode auf für europäische Augen zum Verwechseln ähnlich aussehende "Eingeborene" anwendbar war, unterminierten den Ansatz. In der Kolonialverwaltung Indiens entstand schließlich eine Methode, welche die Identifikation von Personen revolutionieren sollte und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Bertillonage schrittweise abzulösen begann: die Fingerabdruckmethode.
In Großbritannien wurde das neue, nicht sonderlich arbeitsintensive Verfahren schnell übernommen. Zunächst mußte aber das Problem einer ausschließlich auf Eigenschaften der Fingerabdruckmuster beruhenden Klassifikation gelöst werden. Über seinen Vetter Charles Darwin erfuhr das exzentrische wissenschaftliche Multitalent Francis Galton von der Fingerabdruckmethode. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es Galton 1892 schließlich, vier Muster zur Grundlage einer Klassifikation von Abdrücken zu machen: Bogen, Schlinge nach rechts und links und Wirbel. Darüberhinaus identifizierte er auch noch Merkmale der Papillarlinien, die eine feinere Einteilung der Grundmuster ermöglichten. Als Statistikpionier konnte Galton sich auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, zu berechnen, wie wahrscheinlich eine vollständige Übereinstimmung der Fingerabdrücke aller zehn Finger zweier Personen ist, und fand die folgende, nun berühmte Antwort: 1 zu 64 Milliarden.
Aufbauend auf Galtons Arbeiten entwickelte der Kolonialbeamte Edward Henry 1895 eine leicht katalogisierbare und kommunizierbare Klassifikation, die sich erst in Indien und dann in Großbritannien durchsetzte. In den Vereinigten Staaten begann der Siegeszug des Fingerabdruckes mit seiner Anwendung als Kontrollinstrument der Einwanderungsbehörde und wurde 1910 zum ersten Mal vor Gericht als Beweismittel angewendet. Bis in die dreißiger Jahre koexistierten Bertillonage und Fingerabdrücke, doch in den frühen vierziger Jahren hatte der Fingerabdruck so viel Autorität gewonnen, daß bis zum Aufstieg der DNA-Technologie keine Identifikationsmethode zu konkurrieren vermochte.
Trotz dieser Erfolgsgeschichte steht nicht alles zum besten. Zu Recht weist Cole immer wieder darauf hin, daß die von Galton berechnete Wahrscheinlichkeit nur gilt, wenn vollständige Abdrücke aller zehn Finger miteinander verglichen werden. Doch diese Bedingung wird fast nie erwähnt, wenn die Leistungsfähigkeit der Fingerabdrücke gepriesen wird. Allem Anschein nach hat sich nie ein Wissenschaftler ernsthaft darum gekümmert nachzuweisen, ob tatsächlich die Fingerabdruckfragmente zweier Personen identisch sein können oder wie groß die Fehlerrate der Methode ist. Einen ersten Hinweis auf dieses Problem können die unterschiedlichen nationalen Standards bei der Identifikation von Fingerabdrücken bieten. In Großbritannien galt bis zum 31. Dezember 2000 ein Fingerabdruckfragment als identisch mit einem anderen, wenn sechzehn Charakteristika, sogenannte Minutien, übereinstimmten. In Deutschland sind es hingegen acht bis zwölf, und in den Vereinigten Staaten gibt es überhaupt keinen verbindlichen Standard. Wer in Deutschland alleine aufgrund von Fingerabdrücken verurteilt wurde, hätte in Großbritannien durchaus freigesprochen werden können - ein äußerst fragwürdiger Zustand für eine angeblich wissenschaftliche und universell gültige Methode.
Simon Cole ist vielleicht ein bißchen zu voreilig mit seiner Vermutung, die Tage des Fingerabdruckes als Beweismittel vor Gericht seien gezählt. Noch ist es nicht gelungen, vor amerikanischen Gerichten Fingerabdrücke als Beweismittel auszuschließen, da sie nicht den 1993 vom Obersten Gerichtshof neu festgelegten Kriterien für die Wissenschaftlichkeit von Beweismaterial entsprechen. Anders als bei der DNA-Identifikationstechnologie gibt es keine unabhängigen Experten, die für eine kritische Qualitätsüberprüfung nötig bürgen. Die Identifikation mit Fingerabdrücken benötigte mehrere Jahrzehnte, bis Gerichte ihre Autorität voll und ganz anerkannten, sie ist zu einem fast mythischen Bestandteil der Verbrechensaufklärung geworden. Es wird vielleicht noch einige Jahre oder Jahrzehnte dauern, diese Methode zu unterhöhlen - oder aber ihre Wirksamkeit überzeugend zu demonstrieren. Coles kritische historische Studie ist ein wichtiger Schritt in dem Unternehmen, die forensischen Wissenschaften auf ein zuverlässigeres Fundament zu stellen.
THOMAS WEBER
Simon A. Cole: "Suspect Identities". A History of Fingerprinting and Criminal Identification. Harvard University Press, Cambridge/Massachussetts 2001. 369 S., Abb., geb., 23,95 brit. Pfund.
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