Is cleanliness next to Germanness, as some nineteenth-century nationalists insisted? This book explores the relationship between gender roles, domesticity, and German national identity between 1870-1945. After German unification, approaches to household management that had originally emerged among the bourgeoisie became central to German national identity by 1914. Thrift, order, and extreme cleanliness, along with particular domestic markers (such as the linen cabinet) and holiday customs, were used by many Germans to define the distinctions between themselves and neighboring cultures. What was bourgeois at home became German abroad, as 'German domesticity' also helped to define and underwrite colonial identities in Southwest Africa and elsewhere. After 1933, this idealized notion of domestic Germanness was racialized and incorporated into an array of Nazi social politics. In occupied Eastern Europe during WWII Nazi women's groups used these approaches to household management in their attempts to 'Germanize' Eastern European women who were part of a large-scale project of population resettlement and ethnic cleansing.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2007Blütenweiße Wäsche, blitzblanke Fußböden
„Durch Reinheit zur Einheit!” – Nancy R. Reagin fragt nach der Rolle der putzenden Frau in der deutschen Nation
Der Nationalismus scheint dort besonders langlebig zu sein, wo er das Alltagsleben betrifft. Das gilt noch im Himmel: Köche sind dort die Franzosen, Polizisten die Engländer, Auto-Mechaniker die Deutschen, Liebhaber die Italiener und Banker die Schweizer. Michael Billig nannte diese ganz alltäglichen Formen der nationalen Zuordnung „banal nationalism”. Der Nationalismus kam weniger durch Fahnen vor den öffentlichen Gebäuden, als vielmehr vor den Haustüren zum Ausdruck. Als Stereotypen finden sich solche wirkmächtigen nationalistischen Topoi noch in Persiflagen wie dem bekannten O’Fünfuhrteefix aus „Asterix bei den Briten”. Die Bezeichnung „Krauts” ging davon aus, alle Deutschen würden sich von einer bestimmten Sorte Gartengemüse ernähren. Auch Vorstellungen von Ordnung in der Haushaltsführung blieben von nationalen und rassistischen Vereinnahmungen nicht verschont. Wenn es so aussieht „wie bei den Hottentotten”, weiß man nicht, wer mehr verunglimpft wird: der Angesprochene oder die südwestafrikanischen Stammesbevölkerung.
Die an der Pace University in New York lehrende Historikerin Nancy R. Reagin untersucht in ihrem neuen Buch die Häuslichkeit als Feld der Nationalisierung der Frau. Sie geht davon aus, dass nicht die Politik, sondern die Sphäre der Häuslichkeit und der Familie die Bühne für die nationale Integration der Frau bereit stellte. Bereits das traditionelle Familienbild ließ den Mann hinaus „ins feindliche Leben” schreiten, „... und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau, / Die Mutter der Kinder, / Und herrschet weise/ Im häuslichen Kreise ...”, wie es in Schillers „Lied von der Glocke” heißt. Das 19. Jahrhundert fügte diesem Organisations- und Erziehungstalent noch die Reinlichkeit hinzu. Frauen, so die zentrale These Reagins, waren im Kaiserreich nicht nur Objekt von Nation und Nationalismus, sondern sie entwickelten spezifische Handlungsmuster, die sie zu Subjekten und Akteuren der Nation machten, die bis dato nur das allgemeine männliche Wahlrecht, die männliche Wehrpflicht und eine männlich dominierte Politik kannte. Die reinliche Hausfrau war somit das Abbild und gleichzeitig der Motor der ebenso rein gedachten Nation, nach 1933 dann der Rassegemeinschaft.
In wechselnden methodischen Zugriffen interessiert sich Reagin für die Rolle der Frau in der Nation. Sie beschreibt Häuslichkeit, Reinlichkeit, Sparsamkeit und Verzicht als spezifische Identitätsmerkmale. Den deutschen Frauen hatte es besonders die blütenweiße Bettwäsche angetan. Strahlend weiß musste sie sein, ebenso die Vorhänge und die Gardinen. Zusammen zeigten sie weithin sichtbar einen reinlich geführten Haushalt an. Bündel weißer Wäsche bilden das Leitmotiv des Buches von der Reichsgründungszeit über die Hausfrauenliteratur und die Weimarer Zeit bis zu den nationalsozialistischen Frauenführerinnen, die im Auftrag Heinrich Himmlers die Eindeutschung von Auslandsdeutschen im besetzten Polen vornahmen. Blütenweiße Wäsche und blitzblanke Fußböden schienen Deutschtum auch außerhalb der Reichsgrenzen zu signalisieren. Folgt man Reagin, war Putzen und Waschen bei hoher Temperatur geradezu eine nationale Obsession der Deutschen.
Die Autorin schlägt zur Erklärung immer die Brücke zu Vorstellungen von bürgerlicher Respektabilität, Ordnungssinn und Repräsentationswillen. Dabei war Reinheit bereits im 19. Jahrhundert auch ein politischer Begriff. „Sweeping the German Nation” zeigt schließlich nicht nur, was man unter deutsch verstand. Der Doppelsinn dieser Formulierung liegt vielmehr in der Veränderung des Deutschen selbst, im Sichtbarmachen eines nationalen Wesens, das später rassisch definiert werden konnte. Auf den Wiener Christsozialen und Antisemiten Georg von Schönerer geht der Spruch zurück: „Durch Reinheit zur Einheit!”
Reagin benutzt Häuslichkeit als Marker, um an Knotenpunkten der neuesten deutschen Geschichte die Rolle von Frauen sichtbar zu machen. Dazu dienen ihr die Organisationen der national gesinnten Hauswirtschaftsaktivistinnen im Kaiserreich und die Mobilisierung der Hauswirtschaft für den Ersten Weltkrieg. Die Sozialfigur der reinlichen und häuslichen Frau besaß in allen Fällen einen ausgesprochen politischen Sinn. Häuslichkeit bildete geradezu eine nationale Lebensform in der neuesten Geschichte, die umso wirksamer war, je unscheinbarer und verzichtsbetonter sie auftrat. Reinlichkeit und Häuslichkeit waren nicht nur Tugenden der Industriegesellschaft, sondern auch selbsterklärte Eigenschaften des jungen deutschen Nationalstaates. Erst recht kam die Unterscheidung von „rein” und „unrein” als Kern der nationalsozialistischer Politik der Eindeutschung in Osteuropa zum Tragen.
Die Hauswirtschaft verwandelte als kleinste ökonomische Einheit die Autarkiepolitik der Gesellschaft in eine individuelle Lebensform. Wirtschaftliche Autarkie zog Konsumverzicht nach sich, den wiederum die Hausfrauen im Alltag durchzusetzen hatten. Hunderttausende von Einmachgläsern für Früchte und Marmelade legten hiervon ebenso Zeugnis ab wie der Kampf gegen ausländische Produkte, die im Haushalt nichts zu suchen hatten.
In den 1920er Jahren focht die Zeitschrift „Deutsche Hausfrau” gegen den Import von Südfrüchten. Mussolini hatte in Italien die Einfuhr von Bananen verboten. Genauso sollte die deutsche Hausfrau nicht eine einzige Banane oder Orange auf den Küchentisch stellen, solange es auf den deutschen Märkten noch deutsche Früchte gab.
Statt dessen bewarben die Hausfrauenaktivistinnen den Quark, eigentlich ein Abfallprodukt bei der Milchveredelung, das man zuvor nur an Tiere verfüttert hatte. Quark fand sich – häufig in Verbindung mit Pellkartoffeln – als angebliches „Essen des einfachen Mannes” auf dem nationalen Speisezettel wieder. Dieser Speiseplan sollte die Ernährungsfreiheit des deutschen Volkes gegen Importe aller Art sichern. Erst die Autarkie in der Küche würde das deutsche Volk tatsächlich frei machen von jedweder Bevormundung durch die westlichen Siegermächte. Der Kampf gegen Versailles drang bis auf die Küchenzettel vor. Die Hausfrauenverbände grenzten die deutsche Frau gegen ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Ländern mit Klischees der Hauswirtschaft ab. So würde die britischen Hausfrau – ganz Aristokratin – die Küche dem Personal überlassen, das dann unverantwortlich mit den Ressourcen umging. Die Französin war zwar dem Haushalt zu-, der Häuslichkeit aber abgewandt. Den zeitgenössisch markantesten Unterschied aber stellten die amerikanischen Hausfrauen dar. In der heraufziehenden Konsumgesellschaft der Vereinigten Staaten fanden sich Frauen in der Rolle umworbener Konsumentinnen wieder. Die Konsumgüterindustrie stellte elektrische Geräte besonders für den Haushalt her. Mixer und Staubsauger, der elektrische Herd und der Kühlschrank veränderten die Rolle der Frau gründlich.
Der national-deutschen Frau war dieses soziale Rollenmodell des consumer housewifes gerade nicht zugedacht. Es stand in scharfem Gegensatz zum Verzichts- und Autarkieideal. Die Hausfrauenorganisationen hielten statt dessen das Ideal der Sparsamkeit hoch. In der Praxis bedeutete dies, dass Marmelade direkt auf das Brot gehörte und nicht erst auf den Teller.
Von der nationalistischen Hauswirtschaft profitierte auch der Hering, der zum Massennahrungsmittel aufstieg. Überhaupt nahm der Fischkonsum zwischen 1933 und 1938 um fünfzig Prozent zu. Auf der Rechnung der Sparsamkeitsfanatiker fand sich die weibliche Arbeitszeit als Posten nicht wieder. Die Verarbeitung von Resten nahm allmählich mehr Zeit in Anspruch als die Herstellung des Hauptgangs. Der ökonomische Nationalismus verschleuderte die weibliche Arbeitszeit.
Reagin zeichnet eine gerade Linie vom Häuslichkeitsideal der deutschen Frauenverbände im Kaiserreich bis zu den nationalsozialistischen Frauen. Dieser Weg führte in die Umerziehungslager für so genannte asoziale Familien genauso wie zum Mutterkreuz nach vier Kindern. Sowohl in der Asozialen-Kolonie für Bremen in Hashude wie auch in der rassischen Reproduktion des arischen Herrenvolkes waren Frauen aktiv.
Im Generalgouvernement spielten Frauen spielten überall dort eine zentrale Rolle, wo es darum ging, den Auslandsdeutschen aus Russland, Polen oder Rumänien die Grundprinzipien von deutscher Küche, Kindererziehung, Haushaltsführung zu vermitteln. Für die Bedeutung von Häuslichkeit und Reinlichkeit spricht auch, dass die Beauftragten Himmlers auf der Suche nach versprengten Resten von Auslandsdeutschen, die als eindeutschungsfähig galten, in vielen Fällen mangels praktikabler Alternativen auf diese Kriterien zurückgriffen.
Zwei Punkte bleiben in dieser Studie unterbelichtet. Die nationale Stilisierung der Frau bezog vor allem die Erziehung und hier die Vermittlung des bürgerlichen Wertehimmels durch Religion mit ein. Wichtiger aber noch war der soziale Ort der reinlichen Hausfrau. Reinlichkeit und Häuslichkeit waren immer auch Instrumente der sozialen Distinktion des Bürgertums gegenüber den Unterschichten. Die Autorin scheint sich dieser Ambivalenz bewusst zu sein, denn im Schlusswort arbeitet sie vor allem diese Dimension heraus. Was auf der Oberfläche national daherkam, war oft in einem tieferen Sinne nur eine soziale Selbstermächtigungsformel des Bürgertums zur Erziehung der Arbeiterschaft und der ländlichen Unterschichten.
Freilich blieb richtig: keine nationale Identität ohne das Bürgertum. Das galt sogar noch für die Hölle. Auch dort haben die Nationen noch bürgerliche Attribute, nur eben vertauschte: die Engländer kochen, die Franzosen reparieren die Autos, die Italiener sind die Banker, Liebhaber die Schweizer. Die Deutschen sind dort Polizisten. SIEGFRIED WEICHLEIN
NANCY R. REAGIN: Sweeping the German Nation. Domesticity and National Identity, 1870-1945. Cambridge University Press 2006, 247 Seiten, 71 Euro.
Putzen und Waschen – eine Obsession der Deutschen
Der Kampf gegen Versailles beherrschte auch den Küchenzettel
So verschieden wie die Nationen waren die Frauen. Die Britin überließ alles dem unzuverlässigen Personal, der Französin fehlte das Gemüt, die umworbene amerikanische Konsumentin vertraute der neuesten Technik. Nicht so die Deutsche. Sie war sparsam und verwendete, wo immer es ging, einheimische Produkte. Sie verzichtete gern und sorgte überall für Reinlichkeit. Die weise Herrschaft im häuslichen Kreise musste man freilich erlernen. Etwa in einer Hauswirtschaftsschule wie dieser in Potsdam: Das Bild wurde im Jahre 1916 aufgenommen und zeigt die Schülerinnen, wie sie Wände und Decken von Spinnweben reinigen. Foto: Ullstein
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„Durch Reinheit zur Einheit!” – Nancy R. Reagin fragt nach der Rolle der putzenden Frau in der deutschen Nation
Der Nationalismus scheint dort besonders langlebig zu sein, wo er das Alltagsleben betrifft. Das gilt noch im Himmel: Köche sind dort die Franzosen, Polizisten die Engländer, Auto-Mechaniker die Deutschen, Liebhaber die Italiener und Banker die Schweizer. Michael Billig nannte diese ganz alltäglichen Formen der nationalen Zuordnung „banal nationalism”. Der Nationalismus kam weniger durch Fahnen vor den öffentlichen Gebäuden, als vielmehr vor den Haustüren zum Ausdruck. Als Stereotypen finden sich solche wirkmächtigen nationalistischen Topoi noch in Persiflagen wie dem bekannten O’Fünfuhrteefix aus „Asterix bei den Briten”. Die Bezeichnung „Krauts” ging davon aus, alle Deutschen würden sich von einer bestimmten Sorte Gartengemüse ernähren. Auch Vorstellungen von Ordnung in der Haushaltsführung blieben von nationalen und rassistischen Vereinnahmungen nicht verschont. Wenn es so aussieht „wie bei den Hottentotten”, weiß man nicht, wer mehr verunglimpft wird: der Angesprochene oder die südwestafrikanischen Stammesbevölkerung.
Die an der Pace University in New York lehrende Historikerin Nancy R. Reagin untersucht in ihrem neuen Buch die Häuslichkeit als Feld der Nationalisierung der Frau. Sie geht davon aus, dass nicht die Politik, sondern die Sphäre der Häuslichkeit und der Familie die Bühne für die nationale Integration der Frau bereit stellte. Bereits das traditionelle Familienbild ließ den Mann hinaus „ins feindliche Leben” schreiten, „... und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau, / Die Mutter der Kinder, / Und herrschet weise/ Im häuslichen Kreise ...”, wie es in Schillers „Lied von der Glocke” heißt. Das 19. Jahrhundert fügte diesem Organisations- und Erziehungstalent noch die Reinlichkeit hinzu. Frauen, so die zentrale These Reagins, waren im Kaiserreich nicht nur Objekt von Nation und Nationalismus, sondern sie entwickelten spezifische Handlungsmuster, die sie zu Subjekten und Akteuren der Nation machten, die bis dato nur das allgemeine männliche Wahlrecht, die männliche Wehrpflicht und eine männlich dominierte Politik kannte. Die reinliche Hausfrau war somit das Abbild und gleichzeitig der Motor der ebenso rein gedachten Nation, nach 1933 dann der Rassegemeinschaft.
In wechselnden methodischen Zugriffen interessiert sich Reagin für die Rolle der Frau in der Nation. Sie beschreibt Häuslichkeit, Reinlichkeit, Sparsamkeit und Verzicht als spezifische Identitätsmerkmale. Den deutschen Frauen hatte es besonders die blütenweiße Bettwäsche angetan. Strahlend weiß musste sie sein, ebenso die Vorhänge und die Gardinen. Zusammen zeigten sie weithin sichtbar einen reinlich geführten Haushalt an. Bündel weißer Wäsche bilden das Leitmotiv des Buches von der Reichsgründungszeit über die Hausfrauenliteratur und die Weimarer Zeit bis zu den nationalsozialistischen Frauenführerinnen, die im Auftrag Heinrich Himmlers die Eindeutschung von Auslandsdeutschen im besetzten Polen vornahmen. Blütenweiße Wäsche und blitzblanke Fußböden schienen Deutschtum auch außerhalb der Reichsgrenzen zu signalisieren. Folgt man Reagin, war Putzen und Waschen bei hoher Temperatur geradezu eine nationale Obsession der Deutschen.
Die Autorin schlägt zur Erklärung immer die Brücke zu Vorstellungen von bürgerlicher Respektabilität, Ordnungssinn und Repräsentationswillen. Dabei war Reinheit bereits im 19. Jahrhundert auch ein politischer Begriff. „Sweeping the German Nation” zeigt schließlich nicht nur, was man unter deutsch verstand. Der Doppelsinn dieser Formulierung liegt vielmehr in der Veränderung des Deutschen selbst, im Sichtbarmachen eines nationalen Wesens, das später rassisch definiert werden konnte. Auf den Wiener Christsozialen und Antisemiten Georg von Schönerer geht der Spruch zurück: „Durch Reinheit zur Einheit!”
Reagin benutzt Häuslichkeit als Marker, um an Knotenpunkten der neuesten deutschen Geschichte die Rolle von Frauen sichtbar zu machen. Dazu dienen ihr die Organisationen der national gesinnten Hauswirtschaftsaktivistinnen im Kaiserreich und die Mobilisierung der Hauswirtschaft für den Ersten Weltkrieg. Die Sozialfigur der reinlichen und häuslichen Frau besaß in allen Fällen einen ausgesprochen politischen Sinn. Häuslichkeit bildete geradezu eine nationale Lebensform in der neuesten Geschichte, die umso wirksamer war, je unscheinbarer und verzichtsbetonter sie auftrat. Reinlichkeit und Häuslichkeit waren nicht nur Tugenden der Industriegesellschaft, sondern auch selbsterklärte Eigenschaften des jungen deutschen Nationalstaates. Erst recht kam die Unterscheidung von „rein” und „unrein” als Kern der nationalsozialistischer Politik der Eindeutschung in Osteuropa zum Tragen.
Die Hauswirtschaft verwandelte als kleinste ökonomische Einheit die Autarkiepolitik der Gesellschaft in eine individuelle Lebensform. Wirtschaftliche Autarkie zog Konsumverzicht nach sich, den wiederum die Hausfrauen im Alltag durchzusetzen hatten. Hunderttausende von Einmachgläsern für Früchte und Marmelade legten hiervon ebenso Zeugnis ab wie der Kampf gegen ausländische Produkte, die im Haushalt nichts zu suchen hatten.
In den 1920er Jahren focht die Zeitschrift „Deutsche Hausfrau” gegen den Import von Südfrüchten. Mussolini hatte in Italien die Einfuhr von Bananen verboten. Genauso sollte die deutsche Hausfrau nicht eine einzige Banane oder Orange auf den Küchentisch stellen, solange es auf den deutschen Märkten noch deutsche Früchte gab.
Statt dessen bewarben die Hausfrauenaktivistinnen den Quark, eigentlich ein Abfallprodukt bei der Milchveredelung, das man zuvor nur an Tiere verfüttert hatte. Quark fand sich – häufig in Verbindung mit Pellkartoffeln – als angebliches „Essen des einfachen Mannes” auf dem nationalen Speisezettel wieder. Dieser Speiseplan sollte die Ernährungsfreiheit des deutschen Volkes gegen Importe aller Art sichern. Erst die Autarkie in der Küche würde das deutsche Volk tatsächlich frei machen von jedweder Bevormundung durch die westlichen Siegermächte. Der Kampf gegen Versailles drang bis auf die Küchenzettel vor. Die Hausfrauenverbände grenzten die deutsche Frau gegen ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Ländern mit Klischees der Hauswirtschaft ab. So würde die britischen Hausfrau – ganz Aristokratin – die Küche dem Personal überlassen, das dann unverantwortlich mit den Ressourcen umging. Die Französin war zwar dem Haushalt zu-, der Häuslichkeit aber abgewandt. Den zeitgenössisch markantesten Unterschied aber stellten die amerikanischen Hausfrauen dar. In der heraufziehenden Konsumgesellschaft der Vereinigten Staaten fanden sich Frauen in der Rolle umworbener Konsumentinnen wieder. Die Konsumgüterindustrie stellte elektrische Geräte besonders für den Haushalt her. Mixer und Staubsauger, der elektrische Herd und der Kühlschrank veränderten die Rolle der Frau gründlich.
Der national-deutschen Frau war dieses soziale Rollenmodell des consumer housewifes gerade nicht zugedacht. Es stand in scharfem Gegensatz zum Verzichts- und Autarkieideal. Die Hausfrauenorganisationen hielten statt dessen das Ideal der Sparsamkeit hoch. In der Praxis bedeutete dies, dass Marmelade direkt auf das Brot gehörte und nicht erst auf den Teller.
Von der nationalistischen Hauswirtschaft profitierte auch der Hering, der zum Massennahrungsmittel aufstieg. Überhaupt nahm der Fischkonsum zwischen 1933 und 1938 um fünfzig Prozent zu. Auf der Rechnung der Sparsamkeitsfanatiker fand sich die weibliche Arbeitszeit als Posten nicht wieder. Die Verarbeitung von Resten nahm allmählich mehr Zeit in Anspruch als die Herstellung des Hauptgangs. Der ökonomische Nationalismus verschleuderte die weibliche Arbeitszeit.
Reagin zeichnet eine gerade Linie vom Häuslichkeitsideal der deutschen Frauenverbände im Kaiserreich bis zu den nationalsozialistischen Frauen. Dieser Weg führte in die Umerziehungslager für so genannte asoziale Familien genauso wie zum Mutterkreuz nach vier Kindern. Sowohl in der Asozialen-Kolonie für Bremen in Hashude wie auch in der rassischen Reproduktion des arischen Herrenvolkes waren Frauen aktiv.
Im Generalgouvernement spielten Frauen spielten überall dort eine zentrale Rolle, wo es darum ging, den Auslandsdeutschen aus Russland, Polen oder Rumänien die Grundprinzipien von deutscher Küche, Kindererziehung, Haushaltsführung zu vermitteln. Für die Bedeutung von Häuslichkeit und Reinlichkeit spricht auch, dass die Beauftragten Himmlers auf der Suche nach versprengten Resten von Auslandsdeutschen, die als eindeutschungsfähig galten, in vielen Fällen mangels praktikabler Alternativen auf diese Kriterien zurückgriffen.
Zwei Punkte bleiben in dieser Studie unterbelichtet. Die nationale Stilisierung der Frau bezog vor allem die Erziehung und hier die Vermittlung des bürgerlichen Wertehimmels durch Religion mit ein. Wichtiger aber noch war der soziale Ort der reinlichen Hausfrau. Reinlichkeit und Häuslichkeit waren immer auch Instrumente der sozialen Distinktion des Bürgertums gegenüber den Unterschichten. Die Autorin scheint sich dieser Ambivalenz bewusst zu sein, denn im Schlusswort arbeitet sie vor allem diese Dimension heraus. Was auf der Oberfläche national daherkam, war oft in einem tieferen Sinne nur eine soziale Selbstermächtigungsformel des Bürgertums zur Erziehung der Arbeiterschaft und der ländlichen Unterschichten.
Freilich blieb richtig: keine nationale Identität ohne das Bürgertum. Das galt sogar noch für die Hölle. Auch dort haben die Nationen noch bürgerliche Attribute, nur eben vertauschte: die Engländer kochen, die Franzosen reparieren die Autos, die Italiener sind die Banker, Liebhaber die Schweizer. Die Deutschen sind dort Polizisten. SIEGFRIED WEICHLEIN
NANCY R. REAGIN: Sweeping the German Nation. Domesticity and National Identity, 1870-1945. Cambridge University Press 2006, 247 Seiten, 71 Euro.
Putzen und Waschen – eine Obsession der Deutschen
Der Kampf gegen Versailles beherrschte auch den Küchenzettel
So verschieden wie die Nationen waren die Frauen. Die Britin überließ alles dem unzuverlässigen Personal, der Französin fehlte das Gemüt, die umworbene amerikanische Konsumentin vertraute der neuesten Technik. Nicht so die Deutsche. Sie war sparsam und verwendete, wo immer es ging, einheimische Produkte. Sie verzichtete gern und sorgte überall für Reinlichkeit. Die weise Herrschaft im häuslichen Kreise musste man freilich erlernen. Etwa in einer Hauswirtschaftsschule wie dieser in Potsdam: Das Bild wurde im Jahre 1916 aufgenommen und zeigt die Schülerinnen, wie sie Wände und Decken von Spinnweben reinigen. Foto: Ullstein
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'In this absorbing and informative book, the author analyzes the development of an understanding of domesticity that linked alleged qualities of housework, a private activity, to Germanness, a pubic identity.' The Historian