Birgit Vanderbeke, geboren 1956 in Dahme/Mark, lebt im Süden Frankreichs. Sie wurde 1990 für die Erzählung "Das Muschelessen" mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. 1997 erhielt sie den Kranichsteiner Literaturpreis und 1999 den Solothurner Literaturpreis für ihr erzählerisches Gesamtwerk, 2002 wurde ihr der Hans-Fallada-Preis verliehen. Zuletzt erschienen "Geld oder Leben" und "Schmeckt's? Kochen ohne Tabu".
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Es gibt ja, konstatiert Ijoma Mangold, unter den deutschen Schriftstellern so eine "neue Faszination für den Straßenkampf und den Aktionismus", nicht selten verbunden mit einem verklärenden Blick auf eine Zeit, in der die Herzen vermeintlich wild waren und junge Menschen ihre Ideale an den Himmel sprühen wollten. Auch Birgit Vanderbeke, vermutet Mangold, pflegt solche Sehnsüchte und hat sich deshalb eine Verschwörung 16-Jähriger ausgedacht, die die Nase voll haben von Konsum und Fernsehverblödung und Botschaften aus dem Untergrund schicken. Doch wo ist das Abenteuer? Wofür brennen die Herzen? Und wer sind diese Kids überhaupt? Vanderbeke, urteilt Mangold, weiß von ihnen "nicht mehr als deren Eltern". Dafür hat sie keinen Aufwand gescheut, um die Revolte, die keine ist, sondern nur Gelaber, korrekt zeitgemäß mit modernster Kommunikationstechnologie auszustatten, mit dem Ergebnis, dass der Rezensent dort, wo die Erzählung sein sollte, hauptsächlich "superpenetrante Computervokabularsoße" vorfindet. Fazit: Eine "unerträgliche Ranschmeiße" und ein dazu Werk von "niederschmetternder Bravheit".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2005Ohne Pulverdampf kein Abenteuer
Ran an die Jugend: Birgit Vanderbekes oberspießiger Rebellionsroman „Sweet Sixteen”
Die Geschichte ist sehr simpel, und vielleicht ist sie ja wahr: Es gab einmal eine Zeit, die noch einen Glauben kannte und Ideale hatte, für die zu kämpfen sich lohnte. Man war lebendig, denn man hatte eine ziemliche Wut im Bauch. Mit dieser Wut ließ man sich nicht runterputzen, sondern machte kaputt, was einen kaputt machte. „Burn warehouse burn” war das mal mehr metaphorische, mal durchaus buchstäbliche Motto. Jedenfalls pochte das rebellische Blut heiß in den Adern, es gab Abenteuer, und das Leben war wild und gefährlich.
Heute dagegen gibt es keine Wut mehr. Statt dessen Depression. Jeder fristet resigniert sein angepasstes Leben, vom Privatfernsehen eingeseift, oberspießige Konsumlemuren des Spätkapitalismus. Dröge, langweilig, konformistisch ist das Dasein geworden, eine Zeit stickigster Restauration, in der die natürlichen Freiheitsinstinkte des Menschen in einem Verblendungszusammenhang lahm gelegt worden sind. Alle nur noch karrieregeil, fernsehsüchtig und seit dem elften Lebensjahr in der Jungen Union. Das ist aus uns geworden in gerade einmal dreißig Jahren. Damals war Jugend, heute ist Vorruhestand.
Wie gesagt: Das ist eine sehr plakative Ansicht, aber vielleicht ist sie wahr. Der Film „Die fetten Jahre sind vorbei” hat genau eine solche Geschichte erzählt: Wie heute das Karrieredenken (Mercedes) und der Konsumfetischismus (Gourmetrestaurant) uns zu biederen Sklaven des Kapitalismus gemacht haben, und wie die Jugend, um aus dieser Verknechtung auszubrechen, wieder anknüpfen sollte an jene politischen Jugendbewegungen der siebziger Jahre, die es doch schon einmal vorgemacht hätten, dass das Leben aufregend, anarchisch und ungebunden sein kann, wenn man nur dem Schweinesystem die Zähne zeigt. Die Jugend nämlich, wenn sie noch einen Funken Leben im Leibe hat, wird sich nie abfinden mit den erstarrten Verhältnissen und wird die Kraft ihrer Unverbildetheit wieder auf die Straße tragen. Dann sollten sich die Philister warm anziehen.
Es gibt ein weitverbreitetes Unbehagen an dem, was man Entpolitisierung nennt. Und es gibt eine neue Faszination für den Straßenkampf und den Aktionismus. Die Romane von Christoph Hein, Uwe Tellkamp und Andreas Maier aus diesem Frühjahr sind - auf je sehr verschiedene Art - Ausdruck dieses Unbehagens. Jetzt hat die Erfolgsautorin Birgit Vanderbeke dieses Thema aufgegriffen und einen kurzen, nur etwa 140 Seiten starken Roman geschrieben, der im Gestus wie ein „Jetzt reichts. Wir haben die Schnauze voll!” daherkommt.
Auch für Birgit Vanderbeke gehören Jugend und Freiheit, Jugend und Aufmüpfigkeit, Jugend und Rebellion zusammen. Es gibt, sagt ihr Roman implizit, und es wird immer geben ein Alter, wo man erwachsen genug ist, um selbst zu denken, und noch jung genug, um von den Deformationen der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht völlig verbildet zu sein. Dies ist die Jugend, und in ihr fällt das Gute und das Abenteuerliche zusammen. Für diese Einheit hat Vanderbeke die Verführungsformel „Sweet Sixteen” gefunden, die ihrem Buch den Titel gibt.
Der Austritt aus dem Saftladen
Leider ist dies auch das Beste, was man über ihren Roman sagen kann. Der Rest nämlich ist unerträgliche Ranschmeiße. Aber erstmal zur Orientierung kurz der Plot. Der Roman spielt in der Gegenwart. Da verschwinden plötzlich Schüler spurlos - und zwar alle ausgerechnet an ihrem sechzehnten Geburtstag. Die Eltern sind bestürzt, die Polizei alarmiert. Sind sie verschleppt worden? Immer kurz nach ihrem Verschwinden finden sich ihre Handys in den Briefkästen zufälliger Adressaten. Die Behörden begreifen: Diese Jugendlichen wollen nicht gefunden werden. Erst sind es eine Handvoll, irgendwann zählt man sie nach Tausenden. Als T-Shirts mit der Aufschrift „Free your Mind” auftauchen, ist klar, dass man es mit einer geheimen Jugendverschwörung zu tun hat.
Aus dem Untergrund schicken die Jugendlichen Botschaften des Inhalts, dass sie dabei seien, aus dem „gesamten Saftladen” und „aus dem Kartell des geistigen und physischen Schwachsinns austreten” zu wollen. Sie entziehen sich der „Vollverblödung der Bevölkerung durch Medien und Konsum”. Als Vorbild dienen die politischen sechziger und siebziger Jahre, aber Birgit Vanderbeke scheut erzählerisch keine Mühen, die von ihr ins Auge gefasste Jugendbewegung up to date auszustatten. Deswegen sind ihre Jugendlichen Computer-Netzwerker geworden, die individuell handeln, sich aber rasch untereinander verständigen. Gleichsam autonome Zellen im Dunstkreis des Chaos Computer Clubs. Und deswegen hat Birgit Vanderbeke über ihren gesamten Text eine penetrante Computervokabularssoße gegossen.
Das ist das eigentlich Nervige und Verlogene an diesem Roman. Er ist erzählt aus einer Haltung, die immerzu zu erkennen gibt, dass die Autorin ganz auf der Seite der Jugendlichen ist. Deshalb kann sie gar nicht genug überzeichnen, wenn sie die Reaktionen des verunsicherten Establishments aus Politik, Medien und Erziehungsberechtigten beschreibt. Rasterfahndung ist da noch das Mindeste, und die Bundeswehr wird nur aus Kostengründen nicht zum Einsatz gebracht. Aber gut, bitte sehr, das gehört zur Kolportage. Nur dass die Autorin von den Jugendlichen, auf deren Seite ihr Herz so heftig schlägt, uns nichts, aber auch gar nichts zu berichten weiß. Bis zum Schluss erfährt der Leser nicht, wo sich die Schüler rumtreiben, was ihre Ideen sind, was sie fühlen und was sie vorhaben. Jenes Abenteuer, das sich hinter der Formel „Sweet Sixteen” andeutet und von dem man sich gerne lesend hätte mitreißen lassen, weiß Vanderbeke nicht zu erzählen. Sie weiß in Wahrheit von ihren Jugendlichen nicht mehr als deren Eltern, von denen sie behauptet, dass diese selten mehr als fünf Minuten pro Tag mit ihrem Nachwuchs kommunizierten.
Zur Vanderbekeschen Ranschmeiße an die Jugend gehört auch, dass ihre Rebellen nichts Böses tun dürfen. Nicht einmal was Illegales - sieht man von Anchovis in Lüftungsschächten ab. Deshalb ist ihr Buch, anders als seine Botschaft, von niederschmetternder Bravheit. Ein bisschen Pulverdampf in der Nase brauchen abenteuerliche Herzen schon. So jedenfalls kriegen wir die Kids nicht auf die Barrikaden.
IJOMA MANGOLD
BIRGIT VANDERBEKE: Sweet Sixteen. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 140 Seiten, 16,99 Euro.
Als es in den Siebzigern noch eine rebellische Jugendbewegung gab, war das Leben wild und gefährlich
Wolfgang Volz
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Ran an die Jugend: Birgit Vanderbekes oberspießiger Rebellionsroman „Sweet Sixteen”
Die Geschichte ist sehr simpel, und vielleicht ist sie ja wahr: Es gab einmal eine Zeit, die noch einen Glauben kannte und Ideale hatte, für die zu kämpfen sich lohnte. Man war lebendig, denn man hatte eine ziemliche Wut im Bauch. Mit dieser Wut ließ man sich nicht runterputzen, sondern machte kaputt, was einen kaputt machte. „Burn warehouse burn” war das mal mehr metaphorische, mal durchaus buchstäbliche Motto. Jedenfalls pochte das rebellische Blut heiß in den Adern, es gab Abenteuer, und das Leben war wild und gefährlich.
Heute dagegen gibt es keine Wut mehr. Statt dessen Depression. Jeder fristet resigniert sein angepasstes Leben, vom Privatfernsehen eingeseift, oberspießige Konsumlemuren des Spätkapitalismus. Dröge, langweilig, konformistisch ist das Dasein geworden, eine Zeit stickigster Restauration, in der die natürlichen Freiheitsinstinkte des Menschen in einem Verblendungszusammenhang lahm gelegt worden sind. Alle nur noch karrieregeil, fernsehsüchtig und seit dem elften Lebensjahr in der Jungen Union. Das ist aus uns geworden in gerade einmal dreißig Jahren. Damals war Jugend, heute ist Vorruhestand.
Wie gesagt: Das ist eine sehr plakative Ansicht, aber vielleicht ist sie wahr. Der Film „Die fetten Jahre sind vorbei” hat genau eine solche Geschichte erzählt: Wie heute das Karrieredenken (Mercedes) und der Konsumfetischismus (Gourmetrestaurant) uns zu biederen Sklaven des Kapitalismus gemacht haben, und wie die Jugend, um aus dieser Verknechtung auszubrechen, wieder anknüpfen sollte an jene politischen Jugendbewegungen der siebziger Jahre, die es doch schon einmal vorgemacht hätten, dass das Leben aufregend, anarchisch und ungebunden sein kann, wenn man nur dem Schweinesystem die Zähne zeigt. Die Jugend nämlich, wenn sie noch einen Funken Leben im Leibe hat, wird sich nie abfinden mit den erstarrten Verhältnissen und wird die Kraft ihrer Unverbildetheit wieder auf die Straße tragen. Dann sollten sich die Philister warm anziehen.
Es gibt ein weitverbreitetes Unbehagen an dem, was man Entpolitisierung nennt. Und es gibt eine neue Faszination für den Straßenkampf und den Aktionismus. Die Romane von Christoph Hein, Uwe Tellkamp und Andreas Maier aus diesem Frühjahr sind - auf je sehr verschiedene Art - Ausdruck dieses Unbehagens. Jetzt hat die Erfolgsautorin Birgit Vanderbeke dieses Thema aufgegriffen und einen kurzen, nur etwa 140 Seiten starken Roman geschrieben, der im Gestus wie ein „Jetzt reichts. Wir haben die Schnauze voll!” daherkommt.
Auch für Birgit Vanderbeke gehören Jugend und Freiheit, Jugend und Aufmüpfigkeit, Jugend und Rebellion zusammen. Es gibt, sagt ihr Roman implizit, und es wird immer geben ein Alter, wo man erwachsen genug ist, um selbst zu denken, und noch jung genug, um von den Deformationen der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht völlig verbildet zu sein. Dies ist die Jugend, und in ihr fällt das Gute und das Abenteuerliche zusammen. Für diese Einheit hat Vanderbeke die Verführungsformel „Sweet Sixteen” gefunden, die ihrem Buch den Titel gibt.
Der Austritt aus dem Saftladen
Leider ist dies auch das Beste, was man über ihren Roman sagen kann. Der Rest nämlich ist unerträgliche Ranschmeiße. Aber erstmal zur Orientierung kurz der Plot. Der Roman spielt in der Gegenwart. Da verschwinden plötzlich Schüler spurlos - und zwar alle ausgerechnet an ihrem sechzehnten Geburtstag. Die Eltern sind bestürzt, die Polizei alarmiert. Sind sie verschleppt worden? Immer kurz nach ihrem Verschwinden finden sich ihre Handys in den Briefkästen zufälliger Adressaten. Die Behörden begreifen: Diese Jugendlichen wollen nicht gefunden werden. Erst sind es eine Handvoll, irgendwann zählt man sie nach Tausenden. Als T-Shirts mit der Aufschrift „Free your Mind” auftauchen, ist klar, dass man es mit einer geheimen Jugendverschwörung zu tun hat.
Aus dem Untergrund schicken die Jugendlichen Botschaften des Inhalts, dass sie dabei seien, aus dem „gesamten Saftladen” und „aus dem Kartell des geistigen und physischen Schwachsinns austreten” zu wollen. Sie entziehen sich der „Vollverblödung der Bevölkerung durch Medien und Konsum”. Als Vorbild dienen die politischen sechziger und siebziger Jahre, aber Birgit Vanderbeke scheut erzählerisch keine Mühen, die von ihr ins Auge gefasste Jugendbewegung up to date auszustatten. Deswegen sind ihre Jugendlichen Computer-Netzwerker geworden, die individuell handeln, sich aber rasch untereinander verständigen. Gleichsam autonome Zellen im Dunstkreis des Chaos Computer Clubs. Und deswegen hat Birgit Vanderbeke über ihren gesamten Text eine penetrante Computervokabularssoße gegossen.
Das ist das eigentlich Nervige und Verlogene an diesem Roman. Er ist erzählt aus einer Haltung, die immerzu zu erkennen gibt, dass die Autorin ganz auf der Seite der Jugendlichen ist. Deshalb kann sie gar nicht genug überzeichnen, wenn sie die Reaktionen des verunsicherten Establishments aus Politik, Medien und Erziehungsberechtigten beschreibt. Rasterfahndung ist da noch das Mindeste, und die Bundeswehr wird nur aus Kostengründen nicht zum Einsatz gebracht. Aber gut, bitte sehr, das gehört zur Kolportage. Nur dass die Autorin von den Jugendlichen, auf deren Seite ihr Herz so heftig schlägt, uns nichts, aber auch gar nichts zu berichten weiß. Bis zum Schluss erfährt der Leser nicht, wo sich die Schüler rumtreiben, was ihre Ideen sind, was sie fühlen und was sie vorhaben. Jenes Abenteuer, das sich hinter der Formel „Sweet Sixteen” andeutet und von dem man sich gerne lesend hätte mitreißen lassen, weiß Vanderbeke nicht zu erzählen. Sie weiß in Wahrheit von ihren Jugendlichen nicht mehr als deren Eltern, von denen sie behauptet, dass diese selten mehr als fünf Minuten pro Tag mit ihrem Nachwuchs kommunizierten.
Zur Vanderbekeschen Ranschmeiße an die Jugend gehört auch, dass ihre Rebellen nichts Böses tun dürfen. Nicht einmal was Illegales - sieht man von Anchovis in Lüftungsschächten ab. Deshalb ist ihr Buch, anders als seine Botschaft, von niederschmetternder Bravheit. Ein bisschen Pulverdampf in der Nase brauchen abenteuerliche Herzen schon. So jedenfalls kriegen wir die Kids nicht auf die Barrikaden.
IJOMA MANGOLD
BIRGIT VANDERBEKE: Sweet Sixteen. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 140 Seiten, 16,99 Euro.
Als es in den Siebzigern noch eine rebellische Jugendbewegung gab, war das Leben wild und gefährlich
Wolfgang Volz
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2005In dem Alter machen sie alle Party
Birgit Vanderbeke möchte Teil einer Jugendbewegung sein
Birgit Vanderbeke hat eine Hommage an alle Sechzehnjährigen verfaßt, die schon in einem Alter über Info-Highways rasten, als ihre Eltern noch vom Dreirad fielen. Kaum dem Schnuller entwöhnt, waren dieser Generation die einschlägigen Links zum Extremsex vertraut, den elektronischen Hausaufgabenservice hatten sie vor dem Abc abgespeichert und den Eltern dabei leicht gereizt erklärt, daß sie zum "Googeln" nicht ihr Planschbecken brauchten. Auf dem Kinderzimmer-PC konnten sie vom heimischen Bombenbasteln über kabbalistische Geheimlehren bis zur mongolischen Stutenmilchgärung jedes erdenkliche Detail erfahren, und all das ohne die geringste Aufsicht. Denn zur Installation von Schutzprogrammen fehlten seitens der Erzieher Problembewußtsein und Know-how.
Ein fröhliches Nebeneinander von Fatalismus, Schwundstufenpädagogik und Weltuntergangsgerede schweißt Eltern, Ordnungskräfte und mediale Plaudertaschen zu einer ratlosen Öffentlichkeit zusammen, als in "Sweet Sixteen" immer mehr Jugendliche an ihrem sechzehnten Geburtstag spurlos verschwinden. In einem Netz-Manifest geben sie bekannt, daß sie sich "das Wesentliche künftig selber" beibringen würden, statt sich weiter mit "Depressos" und "Regressos" herumzuschlagen. Vanderbekes Aussteiger sind ein Hybrid aus Berliner Spontis, französischen Fassadenskatern, japanischen Suizid-Chatvereinen, globalen Bloggern und No-Logo-Partisanen. Wie die Achtundsechziger treffen sie auf eine völlig unvorbereitete Öffentlichkeit, die nicht länger mit dem Wirtschaftswunder, sondern mit auseinanderfallenden Familien- und Sozialstrukturen, Wellnessurlauben und der eigenen Nabelschau beschäftigt ist.
Das Besondere am "Sweet Sixteen"-Enigma, konstatiert ein Leitartikel, sei "gerade nicht die Flucht aus der Wirklichkeit, sondern die Flucht in die Wirklichkeit". Birgit Vanderbekes burleske Erzählung macht sich diese These zu eigen. Ökonomisch knapp und trocken komisch führt sie die mentalen Schrebergärten vor, aus denen die Kids in die Jetztzeit entkommen. Worthülsen und sprachliche Multiples der Betroffenheitsgesellschaft passieren Revue, wenn eine Fernsehmoderatorin familiäre Abendessen als Rituale bezeichnet und nach dem Verschwinden ihres Sohnes medienwirksam von einer "schlimmen Zeit der Ungewißheit" spricht. Ein Polizist legt den Maßstab der eigenen Jugend an und erwidert einer besorgten Mutter: "Was wird sein, er wird Party machen. In dem Alter machen sie alle Party." Doch Birgit Vanderbeke weiß, daß die Kinder des Mauerfalls nicht länger in Partykellern zusammenhocken, sondern einzeln ausschwärmen, im Kopf vernetzt. Ob sie in der Berliner Hausbesetzerszene unterschlüpfen, wie der Text suggeriert, sei dahingestellt. Wahrscheinlich sind die Kids längst in Hongkong, Taipeh oder Katmandu.
Wo immer sie stecken mögen, die als Trendforscherin tätige Erzählerin hat den Ehrgeiz, ihnen auf die Schliche zu kommen. Sie durchforstet das Netz nach mysteriösen Foren und lauscht den launigen Konversationsschnipseln des fünfzehnjährigen Josha wie Ödipus der Pythia. Was die Hypothesen betrifft, die sie mit ihren Kollegen durchgeht, ist die Handlung wie ein Krimi angelegt. Doch im Laufe des Buches stellt sich heraus, daß es in ihm weniger um die fremde Welt heutiger Adoleszenten als um vertraute Rückblicke in die Pubertät der Erzählerin geht. Die urbanen "Parkour"-Kletterer vergleicht sie mit den Trümmerfeldeskapaden der Nachkriegskinder, Demos und Kommunen mit Schülern, die in Kaufhäusern und Internetcafés den Unterricht schwänzen, Joshas Kultfilm "Fight Club" mit dem Abenteuerbuch "Fünf Freunde", dem Märchen vom Hamelner Rattenfänger und dem "Letzten Tango in Paris".
Daß eine Protestgeneration hier bei der nächsten Anschluß sucht, wird ganz deutlich, als Kurt Kutsch, ein an Wolf Biermann angelehntes Faktotum der politischen Klampfenrhetorik, zum heimlichen Sympathisanten der "Sweet Sixteen"-Bewegung aufsteigt. Seinem Kommentar schaltet die Autorin sogar die letzte Seite frei: "Nun, vielleicht entsteht da etwas Neues. Etwas Wildes. Etwas Aufregendes", frohlockt er als Apo-Opa in Zeiten des entgrenzten Wellnessbereichs.
Sein Auftritt ist nicht ganz weit hergeholt. Vanderbekes Erzählung trifft genau die ins Moralische kippende Abtauchstimmung vieler Kids, die aus den Konsum-Ekstasen der Jahrtausendwende mit seelischen Bulimiesymptomen erwachen. Doch die Versuchung, in ihrem Aufbegehren das der Sit-ins und Friedensmärsche wiederzuerkennen, verleitet zur Musealisierung eines noch offenen Phänomens und nimmt dem Stoff einen Teil seiner Schubkraft. Das Rätsel, das eine Altersformation der anderen ist, steht nach dem abrupten Erzählschluß ungelöst im Raum. Die Erzählerin findet ein kühnes Bild dafür. Sie erinnert sich an Surfer in schwarzen Latexanzügen, die ihr vom Strand aus wie Pinguine vorkamen: "Plötzlich richteten sie sich auf, nicht alle auf einmal, aber alle. Sie drehten sich kurz um, sahen aufs offene Meer, und jetzt kam die Welle."
Birgit Vanderbeke verpaßt die nächste Welle, indem sie die schwerelos dahingleitende Erzählung überstürzt in einer Farce enden läßt: Kutsch gerät als gefährlicher "Schläfer" auf den Radarschirm des Verfassungsschutzes, ein mißglückter Aufruf an die Jugend löst gar eine Regierungskrise aus. "Sweet Sixteen" hätte weniger von der paternalistischen Ironie der Erzählerin und mehr vom absurden Witz der Schnittstellen gebrauchen können, an denen Birgit Vanderbeke die High- und Low-Tech-Generationen aufeinandertreffen läßt. "Mann, bist du schnell", bemerkt ihr weiblicher Trendscout, als Josha eine SMS eintippt. "Anders geht's nicht, sagte er. Entweder du bist schnell, oder du bist draußen." Die beim Texten gültige Maxime läßt sich bei Texten nur bedingt anwenden. Durch sie wurde ein streckenweise sehr witziges Buch um seine wahre Dimension gebracht. Die Erzählerin hätte weniger auf die medialen Displays und dafür länger aufs Meer schauen sollen.
INGEBORG HARMS.
Birgit Vanderbeke: "Sweet Sixteen". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 140 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Birgit Vanderbeke möchte Teil einer Jugendbewegung sein
Birgit Vanderbeke hat eine Hommage an alle Sechzehnjährigen verfaßt, die schon in einem Alter über Info-Highways rasten, als ihre Eltern noch vom Dreirad fielen. Kaum dem Schnuller entwöhnt, waren dieser Generation die einschlägigen Links zum Extremsex vertraut, den elektronischen Hausaufgabenservice hatten sie vor dem Abc abgespeichert und den Eltern dabei leicht gereizt erklärt, daß sie zum "Googeln" nicht ihr Planschbecken brauchten. Auf dem Kinderzimmer-PC konnten sie vom heimischen Bombenbasteln über kabbalistische Geheimlehren bis zur mongolischen Stutenmilchgärung jedes erdenkliche Detail erfahren, und all das ohne die geringste Aufsicht. Denn zur Installation von Schutzprogrammen fehlten seitens der Erzieher Problembewußtsein und Know-how.
Ein fröhliches Nebeneinander von Fatalismus, Schwundstufenpädagogik und Weltuntergangsgerede schweißt Eltern, Ordnungskräfte und mediale Plaudertaschen zu einer ratlosen Öffentlichkeit zusammen, als in "Sweet Sixteen" immer mehr Jugendliche an ihrem sechzehnten Geburtstag spurlos verschwinden. In einem Netz-Manifest geben sie bekannt, daß sie sich "das Wesentliche künftig selber" beibringen würden, statt sich weiter mit "Depressos" und "Regressos" herumzuschlagen. Vanderbekes Aussteiger sind ein Hybrid aus Berliner Spontis, französischen Fassadenskatern, japanischen Suizid-Chatvereinen, globalen Bloggern und No-Logo-Partisanen. Wie die Achtundsechziger treffen sie auf eine völlig unvorbereitete Öffentlichkeit, die nicht länger mit dem Wirtschaftswunder, sondern mit auseinanderfallenden Familien- und Sozialstrukturen, Wellnessurlauben und der eigenen Nabelschau beschäftigt ist.
Das Besondere am "Sweet Sixteen"-Enigma, konstatiert ein Leitartikel, sei "gerade nicht die Flucht aus der Wirklichkeit, sondern die Flucht in die Wirklichkeit". Birgit Vanderbekes burleske Erzählung macht sich diese These zu eigen. Ökonomisch knapp und trocken komisch führt sie die mentalen Schrebergärten vor, aus denen die Kids in die Jetztzeit entkommen. Worthülsen und sprachliche Multiples der Betroffenheitsgesellschaft passieren Revue, wenn eine Fernsehmoderatorin familiäre Abendessen als Rituale bezeichnet und nach dem Verschwinden ihres Sohnes medienwirksam von einer "schlimmen Zeit der Ungewißheit" spricht. Ein Polizist legt den Maßstab der eigenen Jugend an und erwidert einer besorgten Mutter: "Was wird sein, er wird Party machen. In dem Alter machen sie alle Party." Doch Birgit Vanderbeke weiß, daß die Kinder des Mauerfalls nicht länger in Partykellern zusammenhocken, sondern einzeln ausschwärmen, im Kopf vernetzt. Ob sie in der Berliner Hausbesetzerszene unterschlüpfen, wie der Text suggeriert, sei dahingestellt. Wahrscheinlich sind die Kids längst in Hongkong, Taipeh oder Katmandu.
Wo immer sie stecken mögen, die als Trendforscherin tätige Erzählerin hat den Ehrgeiz, ihnen auf die Schliche zu kommen. Sie durchforstet das Netz nach mysteriösen Foren und lauscht den launigen Konversationsschnipseln des fünfzehnjährigen Josha wie Ödipus der Pythia. Was die Hypothesen betrifft, die sie mit ihren Kollegen durchgeht, ist die Handlung wie ein Krimi angelegt. Doch im Laufe des Buches stellt sich heraus, daß es in ihm weniger um die fremde Welt heutiger Adoleszenten als um vertraute Rückblicke in die Pubertät der Erzählerin geht. Die urbanen "Parkour"-Kletterer vergleicht sie mit den Trümmerfeldeskapaden der Nachkriegskinder, Demos und Kommunen mit Schülern, die in Kaufhäusern und Internetcafés den Unterricht schwänzen, Joshas Kultfilm "Fight Club" mit dem Abenteuerbuch "Fünf Freunde", dem Märchen vom Hamelner Rattenfänger und dem "Letzten Tango in Paris".
Daß eine Protestgeneration hier bei der nächsten Anschluß sucht, wird ganz deutlich, als Kurt Kutsch, ein an Wolf Biermann angelehntes Faktotum der politischen Klampfenrhetorik, zum heimlichen Sympathisanten der "Sweet Sixteen"-Bewegung aufsteigt. Seinem Kommentar schaltet die Autorin sogar die letzte Seite frei: "Nun, vielleicht entsteht da etwas Neues. Etwas Wildes. Etwas Aufregendes", frohlockt er als Apo-Opa in Zeiten des entgrenzten Wellnessbereichs.
Sein Auftritt ist nicht ganz weit hergeholt. Vanderbekes Erzählung trifft genau die ins Moralische kippende Abtauchstimmung vieler Kids, die aus den Konsum-Ekstasen der Jahrtausendwende mit seelischen Bulimiesymptomen erwachen. Doch die Versuchung, in ihrem Aufbegehren das der Sit-ins und Friedensmärsche wiederzuerkennen, verleitet zur Musealisierung eines noch offenen Phänomens und nimmt dem Stoff einen Teil seiner Schubkraft. Das Rätsel, das eine Altersformation der anderen ist, steht nach dem abrupten Erzählschluß ungelöst im Raum. Die Erzählerin findet ein kühnes Bild dafür. Sie erinnert sich an Surfer in schwarzen Latexanzügen, die ihr vom Strand aus wie Pinguine vorkamen: "Plötzlich richteten sie sich auf, nicht alle auf einmal, aber alle. Sie drehten sich kurz um, sahen aufs offene Meer, und jetzt kam die Welle."
Birgit Vanderbeke verpaßt die nächste Welle, indem sie die schwerelos dahingleitende Erzählung überstürzt in einer Farce enden läßt: Kutsch gerät als gefährlicher "Schläfer" auf den Radarschirm des Verfassungsschutzes, ein mißglückter Aufruf an die Jugend löst gar eine Regierungskrise aus. "Sweet Sixteen" hätte weniger von der paternalistischen Ironie der Erzählerin und mehr vom absurden Witz der Schnittstellen gebrauchen können, an denen Birgit Vanderbeke die High- und Low-Tech-Generationen aufeinandertreffen läßt. "Mann, bist du schnell", bemerkt ihr weiblicher Trendscout, als Josha eine SMS eintippt. "Anders geht's nicht, sagte er. Entweder du bist schnell, oder du bist draußen." Die beim Texten gültige Maxime läßt sich bei Texten nur bedingt anwenden. Durch sie wurde ein streckenweise sehr witziges Buch um seine wahre Dimension gebracht. Die Erzählerin hätte weniger auf die medialen Displays und dafür länger aufs Meer schauen sollen.
INGEBORG HARMS.
Birgit Vanderbeke: "Sweet Sixteen". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 140 S., geb., 16,90 [Euro].
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