Hamburg, Sommer 1939. Während der Zweite Weltkrieg immer näher rückt, versuchen der 16-jährige Henri und seine Freunde, den Alltag auszublenden. Man trifft sich im Schwimmbad oder im Park, einer hat immer ein Grammophon dabei - und dann wird gehottet bis zum Abwinken! Die neue Jazzmusik begeistert die »Swingheinis« mit ihrer ausgelassenen Lebensfreude. Den Nazis ist sie allerdings ein Dorn im Auge.Schon bald wird die Polizei auf die unangepassten Jugendlichen aufmerksam. Eines Nachts schnappt die Falle für Henri zu und er findet sich im Dunkeln eines Gestapokellers wieder ...Der Roman fußt auf Berichten über die Hamburger Swingjugend 1939 bis 1941 und erzählt packend von einem Aufwachsen inmitten des Zweiten Weltkriegs.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Fritz Göttler lässt sich von Cornelia Franz und ihrem Roman ins Swinging Hamburg entführen. Die Autorin bringt die Atmosphäre aus Angst und Aufbegehren in der Hamburger Swing-Jugend laut Göttler gut rüber, die Eleganz, den Schellackplattensound und die Razzien und Denunziationen. Die sexuellen, ja obszönen Anklänge des "Floogie" gehen vor lauter "naiver" Begeisterung im Buch aber unter, bemerkt Göttler.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2022Vulkane sind zum Tanzen da
Cornelia Franz erzählt von der Swingjugend
Vielleicht wäre es ja das gewesen: Tanzen, Rauchen, Knutschen, Blödeln, Mode und Musik als cooler Widerstand. Schwierig, sich heute auszumalen, ob man mitgemacht hätte damals in den Dreißigerjahren, ob die Liebe zu wilder Musik statt Märschen, zum freien Wort, zu einem Lebensstil jenseits von Rassismus, Uniformen, Eintopf und Mehrheit überwogen hätte. Henri Winkler jedenfalls ist ein "Swingheini". Das Schimpfwort der Hitlerjugend ist ihm ein Ehrentitel, den besonders fanatischen unter ihnen antwortet er lässig mit "Heil Hotler". Er riskiert viel. Bis er ins Gestapo-Gefängnis kommt. Nach dem Krieg, am Ende von "Swing High", sitzt er im Alsterpavillon: ein Englischlehrer, der versucht, eine neue Generation zu bilden.
Jahrzehntelang haben Zeitzeugen mit Jugendlichen über das Leben und Überleben im Nationalsozialismus gesprochen. Emil Mangelsdorff, Jahrgang 1925, zum Beispiel, Saxophonist und Bruder des Posaunisten Albert Mangelsdorff, hat bis kurz vor seinem Tod Jugendlichen in Schulen und Erzählcafés seiner Heimatstadt Frankfurt ausgemalt, wie das damals war, als er einer von diesen Swingjungs war, die heimlich Jazz hörten, selbst Musik machten, frei sein wollten mitten in der Diktatur. Im Januar ist Mangelsdorff gestorben. Wer erzählt weiter, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt? Vielleicht Figuren wie Henri, der derselbe Jahrgang ist wie Mangelsdorff.
Auch Cornelia Franz, Jahrgang 1956, und damit weit näher an der Zeit des Nationalsozialismus und ihren Nachwehen als Jugendliche von heute, hat sich schon als junges Mädchen gefragt, was sie wohl damals getan hätte. Als sie von der Swingjugend erfahren hat, die in ihrer Heimatstadt Hamburg ihre Wurzeln hatte und eine besonders große Szene war, malte sie sich aus, dass das vielleicht ihre Art von Widerstand gewesen wäre. Ein Glück, dass nur die Gestaltung von "Swing High" schwarz-weiß geraten ist. Ansonsten ist aus dem jugendlichen Wunsch der Autorin ein dichtes und differenziertes Bild dessen erwachsen, wie das Leben von Jugendlichen im Nationalsozialismus ausgesehen hat. Von Fanatismus wie beim Hitlerjungen Olaf, der "Streife" geht, über Henris Jugendliebe Inge, die sich nicht entscheiden kann und zur Verräterin aus Not wird, bis zu Fritz und Konni, die auch unter Folter und im Strafarbeitsdienst ihre Ideale nie verraten.
Wie schwer es ist, sich für das Richtige zu entscheiden, entwickelt Franz an ihrer Hauptfigur, dem Arztsohn Henri. Sein Widerstand wächst langsam. Er versucht, klug zu sein, aber er gerät immer wieder mit seiner Wut, seinem Mut und seiner Lebenslust in hochgefährliche Situationen. An der Brutalität noch des kleinsten Rädchens im Getriebe lässt die Erzählung keinen Zweifel.
Dass es Widerstand ist, was Jazzfans wie Henri leisten, sieht auch der junge Kommunist Robert erst einmal nicht so, mit dem Henri im Hamburger Gestapo-Hauptquartier in einer Dunkelzelle zusammentrifft. Die politischen Zwiegespräche der beiden, weiß auf schwarz, unterteilen, was Franz aus Henris Leben von Sommer 1939 bis März 1941 erzählt. Wie mit dem Krieg der politische Druck schon in der Schule wächst, wie Nazis auf wehrlose Jugendliche eindreschen, unter dem Beifall von Passanten, wie an Nuancen zu erkennen ist, wo jemand ideologisch steht. Vom polnischen Zwangsarbeiter bis zur jüdischen Klassenkameradin versucht Franz, so viele Typen wie möglich unterzubringen.
Dass das dennoch nicht plakativ wird, liegt auch daran, dass es Franz über weite Strecken gelingt, die Spannung und buchstäblich den Sound der Zeit einzufangen. Nicht nur mit Songtiteln und Textzitaten aus Jazz und Schlager, sondern auch in verschiedenen Soziolekten all dieser Vertreter einer Epoche: Die Jugendlichen gehen "abhotten", der Nazisportlehrer beschimpft die "Versager". Und nicht nur im Schwanken der Eltern zwischen wiedergekäutem Patriotismus und menschlicher Anständigkeit ist zu spüren, wie nah an jedem Jetzt diese Fragen sind. EVA-MARIA MAGEL
Cornelia Franz: "Swing High - Tanzen gegen den Sturm". Roman.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2022. 224 S., geb., 16,- Euro. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cornelia Franz erzählt von der Swingjugend
Vielleicht wäre es ja das gewesen: Tanzen, Rauchen, Knutschen, Blödeln, Mode und Musik als cooler Widerstand. Schwierig, sich heute auszumalen, ob man mitgemacht hätte damals in den Dreißigerjahren, ob die Liebe zu wilder Musik statt Märschen, zum freien Wort, zu einem Lebensstil jenseits von Rassismus, Uniformen, Eintopf und Mehrheit überwogen hätte. Henri Winkler jedenfalls ist ein "Swingheini". Das Schimpfwort der Hitlerjugend ist ihm ein Ehrentitel, den besonders fanatischen unter ihnen antwortet er lässig mit "Heil Hotler". Er riskiert viel. Bis er ins Gestapo-Gefängnis kommt. Nach dem Krieg, am Ende von "Swing High", sitzt er im Alsterpavillon: ein Englischlehrer, der versucht, eine neue Generation zu bilden.
Jahrzehntelang haben Zeitzeugen mit Jugendlichen über das Leben und Überleben im Nationalsozialismus gesprochen. Emil Mangelsdorff, Jahrgang 1925, zum Beispiel, Saxophonist und Bruder des Posaunisten Albert Mangelsdorff, hat bis kurz vor seinem Tod Jugendlichen in Schulen und Erzählcafés seiner Heimatstadt Frankfurt ausgemalt, wie das damals war, als er einer von diesen Swingjungs war, die heimlich Jazz hörten, selbst Musik machten, frei sein wollten mitten in der Diktatur. Im Januar ist Mangelsdorff gestorben. Wer erzählt weiter, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt? Vielleicht Figuren wie Henri, der derselbe Jahrgang ist wie Mangelsdorff.
Auch Cornelia Franz, Jahrgang 1956, und damit weit näher an der Zeit des Nationalsozialismus und ihren Nachwehen als Jugendliche von heute, hat sich schon als junges Mädchen gefragt, was sie wohl damals getan hätte. Als sie von der Swingjugend erfahren hat, die in ihrer Heimatstadt Hamburg ihre Wurzeln hatte und eine besonders große Szene war, malte sie sich aus, dass das vielleicht ihre Art von Widerstand gewesen wäre. Ein Glück, dass nur die Gestaltung von "Swing High" schwarz-weiß geraten ist. Ansonsten ist aus dem jugendlichen Wunsch der Autorin ein dichtes und differenziertes Bild dessen erwachsen, wie das Leben von Jugendlichen im Nationalsozialismus ausgesehen hat. Von Fanatismus wie beim Hitlerjungen Olaf, der "Streife" geht, über Henris Jugendliebe Inge, die sich nicht entscheiden kann und zur Verräterin aus Not wird, bis zu Fritz und Konni, die auch unter Folter und im Strafarbeitsdienst ihre Ideale nie verraten.
Wie schwer es ist, sich für das Richtige zu entscheiden, entwickelt Franz an ihrer Hauptfigur, dem Arztsohn Henri. Sein Widerstand wächst langsam. Er versucht, klug zu sein, aber er gerät immer wieder mit seiner Wut, seinem Mut und seiner Lebenslust in hochgefährliche Situationen. An der Brutalität noch des kleinsten Rädchens im Getriebe lässt die Erzählung keinen Zweifel.
Dass es Widerstand ist, was Jazzfans wie Henri leisten, sieht auch der junge Kommunist Robert erst einmal nicht so, mit dem Henri im Hamburger Gestapo-Hauptquartier in einer Dunkelzelle zusammentrifft. Die politischen Zwiegespräche der beiden, weiß auf schwarz, unterteilen, was Franz aus Henris Leben von Sommer 1939 bis März 1941 erzählt. Wie mit dem Krieg der politische Druck schon in der Schule wächst, wie Nazis auf wehrlose Jugendliche eindreschen, unter dem Beifall von Passanten, wie an Nuancen zu erkennen ist, wo jemand ideologisch steht. Vom polnischen Zwangsarbeiter bis zur jüdischen Klassenkameradin versucht Franz, so viele Typen wie möglich unterzubringen.
Dass das dennoch nicht plakativ wird, liegt auch daran, dass es Franz über weite Strecken gelingt, die Spannung und buchstäblich den Sound der Zeit einzufangen. Nicht nur mit Songtiteln und Textzitaten aus Jazz und Schlager, sondern auch in verschiedenen Soziolekten all dieser Vertreter einer Epoche: Die Jugendlichen gehen "abhotten", der Nazisportlehrer beschimpft die "Versager". Und nicht nur im Schwanken der Eltern zwischen wiedergekäutem Patriotismus und menschlicher Anständigkeit ist zu spüren, wie nah an jedem Jetzt diese Fragen sind. EVA-MARIA MAGEL
Cornelia Franz: "Swing High - Tanzen gegen den Sturm". Roman.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2022. 224 S., geb., 16,- Euro. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main