Mit der Lektüre von Sylt literarisch sieht man das Einzigartige der Insel mit neuen Augen, man spürt der Weite, den Meeresfarben, den sandigen Landschaften intensiver nach. Und liefert sich ihr gern mit allen Sinnen aus, wie Christian Morgenstern:Weil ich nur dieses Donnern wieder höre ... weil ich nur diesen Flugsand wieder fühle ... Nicht wie ich will - wie Es will, ist's am besten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2023Draußen flötet der Wind
Gute Bücher, vielmehr gute Autorinnen und Autoren, vermögen fast alles. Da kann man mit dieser Anthologie zu Hause auf dem Sofa liegen und sich während der Lektüre fühlen wie während eines herbstlichen Strandspaziergangs an der Nordsee: bewegt von den Weiten des Horizonts, von Wind und Wetter gleichsam durchlüftet und dann auch irgendwann erschöpft; das alles liegend. So packend und manchmal auch stürmisch sind die hier versammelten Texte. Sylt ist keine liebliche Insel, Sylt ist gewaltig. Den Naturschönheiten und Rauheiten der Insel - auch ihrem Snobismus - muss man als Besucher gewachsen sein. Noch etwas ganz anderes ist es dann aber, über den Mythos Sylt zu schreiben. Das gelingt den ausgewählten Autoren und Autorinnen dieser Anthologie in fast sämtlichen Beiträgen ganz ausgezeichnet. Wundersam schön ist Ernst Penzoldts Text "Ansichtskarte aus Kampen" und darin vor allem ein Satz, der die Magie Sylts so hingebungsvoll beschreibt: "Denn das ist ja das Ärgerliche hier, wo so gar nichts ist, wo man gleichsam auf des Schöpfers flacher Hand gegen den Himmel gehalten ist." Penzoldt war Ende der Vierzigerjahre zu Gast im Kampener Haus des Verlegers Peter Suhrkamp, ebenso wie die hier vertretenen Autoren Kurt Lothar Tank und Max Frisch, der bemerkte: "Man badet hier ohne alles, und das ist herrlich." Doch war Sylt immer mehr als nur Jetset und Freikörperkultur. In den langen Nachkriegsjahrzehnten war die Insel auch die Sommerfrische bundesrepublikanischer Eliten, vor allem aus Journalismus und Verlagswesen. Fritz J. Raddatz residierte mit einem Zweitwohnsitz in Kampen und beschreibt launig, wie er sich dort auf dem Friedhof zu Lebzeiten seine eigene Grabstelle aussucht; nebenbei wird das natürlich zur Liebeserklärung an die Insel. Köstlich erzählt Hans Fallada, mittellos, aber fröhlich die Insel durchstreifend, von der zufälligen Begegnung mit seinem Verleger Ernst Rowohlt: "Er sah mich an, ich sah ihn an. Fallada!, sagte er." Bebildert wird dieses schöne Buch mit seiner Vielzahl an Texten und auch Gedichten von farbstarken Aquarellen Ingo Kühls. üte
"An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt - Sylt literarisch", herausgegeben von Werner Irro. Mit Aquarellen
von Ingo Kühl. Verlag Ellert & Richter,
Hamburg 2022. Gebunden, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gute Bücher, vielmehr gute Autorinnen und Autoren, vermögen fast alles. Da kann man mit dieser Anthologie zu Hause auf dem Sofa liegen und sich während der Lektüre fühlen wie während eines herbstlichen Strandspaziergangs an der Nordsee: bewegt von den Weiten des Horizonts, von Wind und Wetter gleichsam durchlüftet und dann auch irgendwann erschöpft; das alles liegend. So packend und manchmal auch stürmisch sind die hier versammelten Texte. Sylt ist keine liebliche Insel, Sylt ist gewaltig. Den Naturschönheiten und Rauheiten der Insel - auch ihrem Snobismus - muss man als Besucher gewachsen sein. Noch etwas ganz anderes ist es dann aber, über den Mythos Sylt zu schreiben. Das gelingt den ausgewählten Autoren und Autorinnen dieser Anthologie in fast sämtlichen Beiträgen ganz ausgezeichnet. Wundersam schön ist Ernst Penzoldts Text "Ansichtskarte aus Kampen" und darin vor allem ein Satz, der die Magie Sylts so hingebungsvoll beschreibt: "Denn das ist ja das Ärgerliche hier, wo so gar nichts ist, wo man gleichsam auf des Schöpfers flacher Hand gegen den Himmel gehalten ist." Penzoldt war Ende der Vierzigerjahre zu Gast im Kampener Haus des Verlegers Peter Suhrkamp, ebenso wie die hier vertretenen Autoren Kurt Lothar Tank und Max Frisch, der bemerkte: "Man badet hier ohne alles, und das ist herrlich." Doch war Sylt immer mehr als nur Jetset und Freikörperkultur. In den langen Nachkriegsjahrzehnten war die Insel auch die Sommerfrische bundesrepublikanischer Eliten, vor allem aus Journalismus und Verlagswesen. Fritz J. Raddatz residierte mit einem Zweitwohnsitz in Kampen und beschreibt launig, wie er sich dort auf dem Friedhof zu Lebzeiten seine eigene Grabstelle aussucht; nebenbei wird das natürlich zur Liebeserklärung an die Insel. Köstlich erzählt Hans Fallada, mittellos, aber fröhlich die Insel durchstreifend, von der zufälligen Begegnung mit seinem Verleger Ernst Rowohlt: "Er sah mich an, ich sah ihn an. Fallada!, sagte er." Bebildert wird dieses schöne Buch mit seiner Vielzahl an Texten und auch Gedichten von farbstarken Aquarellen Ingo Kühls. üte
"An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt - Sylt literarisch", herausgegeben von Werner Irro. Mit Aquarellen
von Ingo Kühl. Verlag Ellert & Richter,
Hamburg 2022. Gebunden, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main