Produktdetails
- Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 656
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 902g
- ISBN-13: 9783627000172
- ISBN-10: 362700017x
- Artikelnr.: 24219462
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Medea kommt zum Tee
Anne Stevenson umkreist Sylvia Plath / Von Elisabeth Bronfen
Die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath, ehrgeizige und begabte Tochter deutsch-österreichischer Einwanderer, die sich im Alter von dreißig Jahren in London das Leben nahm, bleibt eine der rätselhaftesten Figuren der modernen Literaturgeschichte. Im Jahre ihres Todes hatte sie einen ersten Gedichtband und einen autobiographischen Roman unter Pseudonym veröffentlicht, außerdem Gedichte und Kurzgeschichten in renommierten literarischen Zeitschriften untergebracht. Sie war eine viel versprechende, wenn auch noch keinem größeren Publikum bekannte junge Literatin, die gerade dabei war, ihre am College gelernten poetischen Formeln abzustreifen, um eine Lyrik erschütternder Intensität zu schreiben. Die zwei Jahre nach ihrem Tod von ihrem Ehemann Ted Hughes herausgegebene Gedichtsammlung "Ariel" führte schlagartig zu ihrem posthumen Ruhm: nicht nur, weil es der Autorin in diesen wie im Fieber geschriebenen letzten Texten gelungen war, ihre selbstzerstörerische Verwandlungssucht mit gewaltsamer, getriebener Wortbrillanz zu schildern. Die Gedichte mit ihrer Feier der Selbstauslöschung schienen in der Leiche der Dichterin eine konkrete Verkörperung zu finden.
Man könnte darüber spekulieren, ob Sylvia Plaths Lyrik die anhaltende umstrittene Wirkung gehabt hätte, wenn sie nicht eines Nachts ihren Kopf in den Gasherd gesteckt hätte, nachdem sie sich wenige Monate vorher im Streit von ihrem Gatten trennte, um alleine mit ihren beiden kleinen Kindern zu leben. Wie im Fall jener anderen berühmten Selbstmörderin der frühen sechziger Jahre - Marilyn Monroe - will die Flut an Biographien nicht abbrechen. Es stellt sich scheinbar weiterhin die Frage: Wie konnte aus der strahlenden, ambitionierten jungen Amerikanerin, die sich während ihres Studiums so erfolgreich den Erwartungen ihrer Mitmenschen anzupassen gewusst hatte, jene hagere, getriebene Engländerin werden, die alle poetischen Konventionen abwarf, um ihr proteisches Werk durchzusetzen?
Als Anne Stevenson vor zehn Jahren ihre Biographie "Bitter Fame. A Life of Sylvia Plath" veröffentlichte, löste die Publikation Verwunderung und Entrüstung aus. Von ihren Vorgängern hob sie sich dezidiert dadurch ab, dass sie für Ted Hughes und seine Schwester Olwyn Partei ergriff. Der von Missverständnissen und Auslassungen geprägten populären Hagiographie, die um die früh verstorbene Dichterin gesponnen wurde, wollte sie mit ihrer Biographie einen objektiven Bericht entgegenhalten. Bereits in der Einleitung wird jedoch deutlich, dass es auch ihr nicht um ein ausgewogenes Bild Sylvia Plaths geht. Zwar gibt sie zu, dass viele sich an die "lebhafte und inspirierende junge Frau" erinnern, deren Intelligenz, Charme, Humor und Liebesfähigkeit ebenso einmalig und aufregend waren wie ihre böse Zunge und ihr scharfsinniger Witz. Doch privilegiert sie diejenigen Zeugen, die Sylvia Plath als eine komplizierte, selbstbezogene, verbissen ehrgeizige und obsessive Amerikanerin wahrgenommen haben, deren äußere, strahlend lächelnde Erscheinung einen Kern unerklärlicher Wut und Ängste verbarg. Unter einer Richtigstellung der Legende versteht Stevenson nicht die Darstellung der widersprüchlichen Seiten der jungen Künstlerin. Ihr Anliegen ist es, der Wut derer das Gewicht einer authentischen Zeugenschaft zuzugestehen, die sich von Plaths Sucht nach Aufmerksamkeit und Lob gekränkt fühlten.
Das Buch wurde natürlich zum gefundenen Fressen im Grabenkampf zwischen den betroffenen Familienangehörigen einerseits, die ihre widersprüchlichen Gefühle gegenüber der schillernden Figur nicht an die Öffentlichkeit tragen wollten, und den Freunden und Verehrern Sylvia Plaths andererseits, die in der Verstorbenen das Opfer eines tyrannischen Vaters, einer alle Unerfreulichkeiten des Lebens verdrängenden Mutter sowie eines sie unterdrückenden Ehemannes zu entdecken meinten.
Der Krieg der Worte um die Verteidigung Sylvia Plaths wurde nicht zuletzt durch die Rollenverteilung geschürt, die sich in der Verwaltung ihrer Schriften ergeben hatte. Ted Hughes war lange Zeit aus verständlichen Gründen nicht bereit gewesen, Aussagen über seine Ehe mit Sylvia Plath zu machen. Statt dessen fungierte er als Herausgeber diverser Ausgaben ihrer Werke, zu denen er Vorworte schrieb, um den von ihm autorisierten biographischen Kontext für diese Texte in Umlauf zu bringen. Seine Schwester Olwyn Hughes, die wenig Zuneigung für ihre Schwägerin hegte, fungierte als Verwalterin des Nachlasses. Sie hatte somit das letzte Wort in Streitfragen darüber, welche noch unveröffentlichten Texte Sylvia Plaths zitiert werden durften und wie über die Texte der Verstorbenen zu schreiben war, wollte man aus diesen Texten zitieren. Das kontroverse Buch von Anne Stevenson erschien im selben Jahr, in dem Olwyn Hughes ihre Arbeit als Nachlassbevollmächtigte an den Verlag Faber & Faber übergab. Mit der hybriden Autorschaft dieser Biographie hat dies vermutlich zu tun. Nicht nur wurde auf der Titelseite der englischen Originalausgabe darauf hingewiesen, dass dieser Bericht von zusätzlichem Material dreier als Freunde Ted Hughes bekannter Zeitgenossen - Lucas Myers, Dido Merwin und Richard Murphy - begleitet wird. In ihrer Vorbemerkung bedankt Stevenson sich explizit für die großzügige Unterstützung durch Olwyn Hughes, ja, sie ist fast geneigt, von einer doppelten Autorschaft zu sprechen. In einer Fußnote, die in der deutschen Übersetzung nicht erscheint, benennt sie genau die Passagen über die späten Gedichte Plaths, die aus der Feder Olwyn Hughes stammen.
Kenner des Streites darüber, welche Darstellung des Lebens der Sylvia Plath die richtige sei, ahnten zu Recht, dass diese Vorbemerkung eine verschlüsselte Botschaft war. Helen Vendler, Expertin für amerikanische Nachkriegslyrik, fragte sich im "New Republic" verwundert, wie eine Biographin, die selber Dichterin ist, dazu kommt, der ehemaligen Schwägerin zu erlauben, für sie die Deutung der späten Lyrik der Autorin zu schreiben. Andere Kritiker erinnerten daran, dass als Stein des Anstoßes zwischen den Nachlassverwaltern und deren Kontrahenten die Veröffentlichung der Plath-Tagebücher galt. Ted Hughes hatte lediglich eine um ein Drittel gekürzte Ausgabe autorisiert und diese mit einem Geständnis eingeleitet. Er habe das Tagebuch, das Einträge bis drei Tage vor dem Selbstmord Sylvia Plaths enthielt, zerstört, um seinen Kindern diese Lektüre zu ersparen, und ein zweites Tagebuch verloren. Die Lücke, die sich aufgrund dieser Zerstörung der autobiographischen Schriften ergab, füllte Stevenson durch die Stimme jener Frau, die nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass sie ihre Schwägerin für eine vulgäre, eingebildete Amerikanerin hielt. Den von Ted Hughes später bedauerten Verlust der Manuskripte, in denen Sylvia Plath ihre Entzweiung von ihrem Ehemann sowie die Entstehung der Ariel-Gedichte beschreibt, erwähnt Stevenson lediglich in einer Fußnote.
So berechtigt Anne Stevensons einseitige Entlarvung der Legende "Sylvia Plath" sein mag, so sehr verärgerte damals der Tonfall, den sie für ihre Schilderung der psychischen Störungen Sylvia Plaths, ihrer irrationalen Eifersucht, ihrer manischen Anflüge von Selbsterhöhung und ihrer depressiven Selbstzerstörung wählte. Unwillig, die eigenen Vorurteile offen zu legen, mit denen sie an das Schreiben dieser Biographie herangegangen war, macht Stevenson unfreiwillig ihre subjektive Gewichtung sichtbar: am deutlichsten darin, dass sie im Anhang jene ungehemmt voreingenommenen Berichte nochmals vollständig abdrucken ließ, aus denen sie ausgiebig zitiert hat. Die somit doppelt zur Sprache gebrachte kritische Haltung gegenüber der Verstorbenen, die in der Hasstirade Dido Merwins eine Hochleistung an scharfzüngigem britischen Wortwitz erfährt, akzentuiert die Auslassung anderer Stimmen, die womöglich mehr Sympathie für Sylvia Plaths Version ihrer Ehekrise gehabt hätten.
Stevenson übernimmt vor allem im Blick auf Sylvia Plaths Leben nach ihrer Rückkehr nach England die Vorurteile der britischen Familienangehörigen wie der Freunde von Ted Hughes, ohne deren Erzählinteresse zu reflektieren. So werden Meinungen zu Fakten. Es entsteht bei dieser wenig einfühlsamen Beurteilung der emotionalen Zwickmühle, in der Sylvia Plath sich offensichtlich befand, der Eindruck, dass Anne Stevenson die Geschichte der egozentrischen Amerikanerin, die sich in der Welt der britischen Literaten nie zurechtfinden konnte, im Amerika des Kalten Krieges aber nicht leben wollte, wie einen Zerrspiegel ihrer eigenen Biographie wahrgenommen hat. Fast gleichaltrig wie Plath, hatte auch sie einen Engländer geheiratet, und es war ihr gelungen, den Kulturschock zu überwinden und sich mit dem England der Nachkriegszeit zu arrangieren, um gerade durch ihre amerikanische Prägung eine Kennerin der britischen Kultur zu werden.
In Reaktion auf die Schelte, die sie für ihre Biographie erhielt, hat Anne Stevenson die kryptische Vorbemerkung sowie den kritischen Gestus ihrer Erzählstimme entschlüsselt. In ihren Gesprächen mit Janet Malcolm, die für den "New Yorker" über den Streit um die Publikationen im Umfeld des Plath-Nachlasses berichtet hat, erläuterte sie, was sich hinter dem Euphemismus der doppelten Autorschaft verbirgt. Ihr Buch sei das Resultat eines Teufelspaktes gewesen, den sie mit Olwyn Hughes habe eingehen müssen, um aus dem Plath-Nachlass zitieren zu dürfen. Alle Widersprüche und Ereignisse, die belegt hätten, dass Plath Grund für ihre Eifersuchtsanfälle hatte, mussten ausgelassen werden. Auch der Umstand, dass Assia Wevil, deren Affäre mit Ted Hughes zur Trennung zwischen ihm und seiner Frau führte, in einer bizarren Geste der Imitation sich und ihre Tochter wenige Jahre später ebenfalls durch Vergasung tötete, fand keine Erwähnung.
Erst im Kontext des Streites darüber, welche Version des Lebens von Sylvia Plath den Fakten am ehesten entspricht, erhält die von der Frankfurter Verlagsanstalt wiederaufgelegte Übersetzung dieser Biographie ihre Brisanz. Anne Stevenson greift auf das Erzählmuster zurück, Sylvia Plath sei zwar psychisch gefährdet gewesen, doch ihre Mitmenschen hätten die Zeichen ihrer Selbstzerstörung nicht richtig einschätzen können. Es geht ihr offenkundig nicht um eine Entlastungsgeschichte. Sie spricht im Namen derer, die den Schmerz über den Selbstmord einer Dreißigjährigen und die Vorwürfe, die damit verbunden waren, nie ganz abschütteln konnten.
Eine neue Lektüre Anne Stevensons Biographie lohnt sich nicht zuletzt deshalb, weil seit der ursprünglichen Veröffentlichung Ted Hughes mit den im gleichen Verlag veröffentlichten "Birthday Letters" sein Schweigen gebrochen hat. In diesen Gedichten brachte er seinen Schmerz über den Tod seiner ersten Frau zum Ausdruck, aber auch sein Gefühl, von ihr in den Bann des Todes hineingezogen worden zu sein. In der Geschichte, die er so lange für sich behalten hatte, wies er sich die Rolle desjenigen zu, den sie schmerzlich treffen musste, um zum eigentlichen Geliebten, zum toten Vater, zu gelangen. Als wolle er sich der Schuld entledigen, dass er ihren Tod nicht verhindern konnte, hebt er die psychischen und physischen Narben hervor, die Sylvia Plath mit in die Ehe brachte. Im Nachhinein haben die Verteidiger Anne Stevensons Recht behalten. Der Wert ihrer Biographie bestand nie darin, dass sie die Fakten von den Halbwahrheiten über das Leben Sylvia Plaths geschieden hätte. Sondern darin, dass sie die Geschichte der Ehe zwischen Ted Hughes und Sylvia Plath aus der Sicht des verletzten Ehemannes einfühlsam und respektvoll dargestellt hat. Diesem Kapitel ist nun nichts hinzuzufügen.
Doch ein zweiter Blick auf Anne Stevensons Biographie enthält noch einen verstohlenen Gewinn. Der Umstand, dass sie wie kaum eine andere aus eigener Erfahrung weiß, was es für eine junge, selbstbewusste Amerikanerin bedeutete, in das reglementierte England der fünfziger Jahre mit seinen Klassenschranken und Geschlechterrollen zu ziehen, hebt einen Aspekt von Sylvia Plaths Leben hervor, der im Umfeld des Ehestreites unterbelichtet geblieben ist: die schmerzvolle Erfahrung der kulturellen Verpflanzung. Direkt erwähnt Stevenson zwar nur, wie sehr Plaths typisch amerikanische Kleidung und Gesten sie in England lächerlich erscheinen ließen. Plaths Glaube daran, dass man sich neu entwerfen könnte, wird als amerikanische Naivität abgetan, ihre Freundlichkeit als stereotypes amerikanisches Verhalten, das ihr erlaubt, Paniksituationen in den Griff zu bekommen. Doch wie bei jeder guten Erzählung haben auch bei Anne Stevenson die Leerstellen ihres Textes eine besondere Resonanz. Man beginnt zu ahnen, dass mit Plaths erster Überfahrt nach England eine kulturelle Verunsicherung stattgefunden haben muss, die sich nach ihrer endgültigen Umsiedlung scheinbar verfestigt hat. In "Rand", einem ihrer letzten Gedichte, erinnert sie an die bedeutendste Exilantin der Antike: Medea. Mit ihren zwei toten Kindern an der Brust ist sie zum vollendeten Kunstwerk geworden. Von Sylvia Plaths Selbstmord ausgehend war man geneigt, in dieser Denkfigur das Leitbild ihrer toddurchdrungenen Lyrik zu sehen. Man könnte aber der von Anne Stevenson gelegten Spur der kulturellen Entfremdung nachgehen. Auch das von Sophokles entworfene Schicksal der doppelten Exiliertheit seiner Heldin spiegelt Sylvia Plaths Situation wider - als Amerikanerin fremd in England und als noch nicht anerkannte Dichterin fremd im Haus ihres berühmten Gatten.
Anne Stevenson: "Sylvia Plath". Eine Biographie. Aus dem Englischen übersetzt von Manfred Ohl und Hans Sartorius. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1999. 655 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anne Stevenson umkreist Sylvia Plath / Von Elisabeth Bronfen
Die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath, ehrgeizige und begabte Tochter deutsch-österreichischer Einwanderer, die sich im Alter von dreißig Jahren in London das Leben nahm, bleibt eine der rätselhaftesten Figuren der modernen Literaturgeschichte. Im Jahre ihres Todes hatte sie einen ersten Gedichtband und einen autobiographischen Roman unter Pseudonym veröffentlicht, außerdem Gedichte und Kurzgeschichten in renommierten literarischen Zeitschriften untergebracht. Sie war eine viel versprechende, wenn auch noch keinem größeren Publikum bekannte junge Literatin, die gerade dabei war, ihre am College gelernten poetischen Formeln abzustreifen, um eine Lyrik erschütternder Intensität zu schreiben. Die zwei Jahre nach ihrem Tod von ihrem Ehemann Ted Hughes herausgegebene Gedichtsammlung "Ariel" führte schlagartig zu ihrem posthumen Ruhm: nicht nur, weil es der Autorin in diesen wie im Fieber geschriebenen letzten Texten gelungen war, ihre selbstzerstörerische Verwandlungssucht mit gewaltsamer, getriebener Wortbrillanz zu schildern. Die Gedichte mit ihrer Feier der Selbstauslöschung schienen in der Leiche der Dichterin eine konkrete Verkörperung zu finden.
Man könnte darüber spekulieren, ob Sylvia Plaths Lyrik die anhaltende umstrittene Wirkung gehabt hätte, wenn sie nicht eines Nachts ihren Kopf in den Gasherd gesteckt hätte, nachdem sie sich wenige Monate vorher im Streit von ihrem Gatten trennte, um alleine mit ihren beiden kleinen Kindern zu leben. Wie im Fall jener anderen berühmten Selbstmörderin der frühen sechziger Jahre - Marilyn Monroe - will die Flut an Biographien nicht abbrechen. Es stellt sich scheinbar weiterhin die Frage: Wie konnte aus der strahlenden, ambitionierten jungen Amerikanerin, die sich während ihres Studiums so erfolgreich den Erwartungen ihrer Mitmenschen anzupassen gewusst hatte, jene hagere, getriebene Engländerin werden, die alle poetischen Konventionen abwarf, um ihr proteisches Werk durchzusetzen?
Als Anne Stevenson vor zehn Jahren ihre Biographie "Bitter Fame. A Life of Sylvia Plath" veröffentlichte, löste die Publikation Verwunderung und Entrüstung aus. Von ihren Vorgängern hob sie sich dezidiert dadurch ab, dass sie für Ted Hughes und seine Schwester Olwyn Partei ergriff. Der von Missverständnissen und Auslassungen geprägten populären Hagiographie, die um die früh verstorbene Dichterin gesponnen wurde, wollte sie mit ihrer Biographie einen objektiven Bericht entgegenhalten. Bereits in der Einleitung wird jedoch deutlich, dass es auch ihr nicht um ein ausgewogenes Bild Sylvia Plaths geht. Zwar gibt sie zu, dass viele sich an die "lebhafte und inspirierende junge Frau" erinnern, deren Intelligenz, Charme, Humor und Liebesfähigkeit ebenso einmalig und aufregend waren wie ihre böse Zunge und ihr scharfsinniger Witz. Doch privilegiert sie diejenigen Zeugen, die Sylvia Plath als eine komplizierte, selbstbezogene, verbissen ehrgeizige und obsessive Amerikanerin wahrgenommen haben, deren äußere, strahlend lächelnde Erscheinung einen Kern unerklärlicher Wut und Ängste verbarg. Unter einer Richtigstellung der Legende versteht Stevenson nicht die Darstellung der widersprüchlichen Seiten der jungen Künstlerin. Ihr Anliegen ist es, der Wut derer das Gewicht einer authentischen Zeugenschaft zuzugestehen, die sich von Plaths Sucht nach Aufmerksamkeit und Lob gekränkt fühlten.
Das Buch wurde natürlich zum gefundenen Fressen im Grabenkampf zwischen den betroffenen Familienangehörigen einerseits, die ihre widersprüchlichen Gefühle gegenüber der schillernden Figur nicht an die Öffentlichkeit tragen wollten, und den Freunden und Verehrern Sylvia Plaths andererseits, die in der Verstorbenen das Opfer eines tyrannischen Vaters, einer alle Unerfreulichkeiten des Lebens verdrängenden Mutter sowie eines sie unterdrückenden Ehemannes zu entdecken meinten.
Der Krieg der Worte um die Verteidigung Sylvia Plaths wurde nicht zuletzt durch die Rollenverteilung geschürt, die sich in der Verwaltung ihrer Schriften ergeben hatte. Ted Hughes war lange Zeit aus verständlichen Gründen nicht bereit gewesen, Aussagen über seine Ehe mit Sylvia Plath zu machen. Statt dessen fungierte er als Herausgeber diverser Ausgaben ihrer Werke, zu denen er Vorworte schrieb, um den von ihm autorisierten biographischen Kontext für diese Texte in Umlauf zu bringen. Seine Schwester Olwyn Hughes, die wenig Zuneigung für ihre Schwägerin hegte, fungierte als Verwalterin des Nachlasses. Sie hatte somit das letzte Wort in Streitfragen darüber, welche noch unveröffentlichten Texte Sylvia Plaths zitiert werden durften und wie über die Texte der Verstorbenen zu schreiben war, wollte man aus diesen Texten zitieren. Das kontroverse Buch von Anne Stevenson erschien im selben Jahr, in dem Olwyn Hughes ihre Arbeit als Nachlassbevollmächtigte an den Verlag Faber & Faber übergab. Mit der hybriden Autorschaft dieser Biographie hat dies vermutlich zu tun. Nicht nur wurde auf der Titelseite der englischen Originalausgabe darauf hingewiesen, dass dieser Bericht von zusätzlichem Material dreier als Freunde Ted Hughes bekannter Zeitgenossen - Lucas Myers, Dido Merwin und Richard Murphy - begleitet wird. In ihrer Vorbemerkung bedankt Stevenson sich explizit für die großzügige Unterstützung durch Olwyn Hughes, ja, sie ist fast geneigt, von einer doppelten Autorschaft zu sprechen. In einer Fußnote, die in der deutschen Übersetzung nicht erscheint, benennt sie genau die Passagen über die späten Gedichte Plaths, die aus der Feder Olwyn Hughes stammen.
Kenner des Streites darüber, welche Darstellung des Lebens der Sylvia Plath die richtige sei, ahnten zu Recht, dass diese Vorbemerkung eine verschlüsselte Botschaft war. Helen Vendler, Expertin für amerikanische Nachkriegslyrik, fragte sich im "New Republic" verwundert, wie eine Biographin, die selber Dichterin ist, dazu kommt, der ehemaligen Schwägerin zu erlauben, für sie die Deutung der späten Lyrik der Autorin zu schreiben. Andere Kritiker erinnerten daran, dass als Stein des Anstoßes zwischen den Nachlassverwaltern und deren Kontrahenten die Veröffentlichung der Plath-Tagebücher galt. Ted Hughes hatte lediglich eine um ein Drittel gekürzte Ausgabe autorisiert und diese mit einem Geständnis eingeleitet. Er habe das Tagebuch, das Einträge bis drei Tage vor dem Selbstmord Sylvia Plaths enthielt, zerstört, um seinen Kindern diese Lektüre zu ersparen, und ein zweites Tagebuch verloren. Die Lücke, die sich aufgrund dieser Zerstörung der autobiographischen Schriften ergab, füllte Stevenson durch die Stimme jener Frau, die nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass sie ihre Schwägerin für eine vulgäre, eingebildete Amerikanerin hielt. Den von Ted Hughes später bedauerten Verlust der Manuskripte, in denen Sylvia Plath ihre Entzweiung von ihrem Ehemann sowie die Entstehung der Ariel-Gedichte beschreibt, erwähnt Stevenson lediglich in einer Fußnote.
So berechtigt Anne Stevensons einseitige Entlarvung der Legende "Sylvia Plath" sein mag, so sehr verärgerte damals der Tonfall, den sie für ihre Schilderung der psychischen Störungen Sylvia Plaths, ihrer irrationalen Eifersucht, ihrer manischen Anflüge von Selbsterhöhung und ihrer depressiven Selbstzerstörung wählte. Unwillig, die eigenen Vorurteile offen zu legen, mit denen sie an das Schreiben dieser Biographie herangegangen war, macht Stevenson unfreiwillig ihre subjektive Gewichtung sichtbar: am deutlichsten darin, dass sie im Anhang jene ungehemmt voreingenommenen Berichte nochmals vollständig abdrucken ließ, aus denen sie ausgiebig zitiert hat. Die somit doppelt zur Sprache gebrachte kritische Haltung gegenüber der Verstorbenen, die in der Hasstirade Dido Merwins eine Hochleistung an scharfzüngigem britischen Wortwitz erfährt, akzentuiert die Auslassung anderer Stimmen, die womöglich mehr Sympathie für Sylvia Plaths Version ihrer Ehekrise gehabt hätten.
Stevenson übernimmt vor allem im Blick auf Sylvia Plaths Leben nach ihrer Rückkehr nach England die Vorurteile der britischen Familienangehörigen wie der Freunde von Ted Hughes, ohne deren Erzählinteresse zu reflektieren. So werden Meinungen zu Fakten. Es entsteht bei dieser wenig einfühlsamen Beurteilung der emotionalen Zwickmühle, in der Sylvia Plath sich offensichtlich befand, der Eindruck, dass Anne Stevenson die Geschichte der egozentrischen Amerikanerin, die sich in der Welt der britischen Literaten nie zurechtfinden konnte, im Amerika des Kalten Krieges aber nicht leben wollte, wie einen Zerrspiegel ihrer eigenen Biographie wahrgenommen hat. Fast gleichaltrig wie Plath, hatte auch sie einen Engländer geheiratet, und es war ihr gelungen, den Kulturschock zu überwinden und sich mit dem England der Nachkriegszeit zu arrangieren, um gerade durch ihre amerikanische Prägung eine Kennerin der britischen Kultur zu werden.
In Reaktion auf die Schelte, die sie für ihre Biographie erhielt, hat Anne Stevenson die kryptische Vorbemerkung sowie den kritischen Gestus ihrer Erzählstimme entschlüsselt. In ihren Gesprächen mit Janet Malcolm, die für den "New Yorker" über den Streit um die Publikationen im Umfeld des Plath-Nachlasses berichtet hat, erläuterte sie, was sich hinter dem Euphemismus der doppelten Autorschaft verbirgt. Ihr Buch sei das Resultat eines Teufelspaktes gewesen, den sie mit Olwyn Hughes habe eingehen müssen, um aus dem Plath-Nachlass zitieren zu dürfen. Alle Widersprüche und Ereignisse, die belegt hätten, dass Plath Grund für ihre Eifersuchtsanfälle hatte, mussten ausgelassen werden. Auch der Umstand, dass Assia Wevil, deren Affäre mit Ted Hughes zur Trennung zwischen ihm und seiner Frau führte, in einer bizarren Geste der Imitation sich und ihre Tochter wenige Jahre später ebenfalls durch Vergasung tötete, fand keine Erwähnung.
Erst im Kontext des Streites darüber, welche Version des Lebens von Sylvia Plath den Fakten am ehesten entspricht, erhält die von der Frankfurter Verlagsanstalt wiederaufgelegte Übersetzung dieser Biographie ihre Brisanz. Anne Stevenson greift auf das Erzählmuster zurück, Sylvia Plath sei zwar psychisch gefährdet gewesen, doch ihre Mitmenschen hätten die Zeichen ihrer Selbstzerstörung nicht richtig einschätzen können. Es geht ihr offenkundig nicht um eine Entlastungsgeschichte. Sie spricht im Namen derer, die den Schmerz über den Selbstmord einer Dreißigjährigen und die Vorwürfe, die damit verbunden waren, nie ganz abschütteln konnten.
Eine neue Lektüre Anne Stevensons Biographie lohnt sich nicht zuletzt deshalb, weil seit der ursprünglichen Veröffentlichung Ted Hughes mit den im gleichen Verlag veröffentlichten "Birthday Letters" sein Schweigen gebrochen hat. In diesen Gedichten brachte er seinen Schmerz über den Tod seiner ersten Frau zum Ausdruck, aber auch sein Gefühl, von ihr in den Bann des Todes hineingezogen worden zu sein. In der Geschichte, die er so lange für sich behalten hatte, wies er sich die Rolle desjenigen zu, den sie schmerzlich treffen musste, um zum eigentlichen Geliebten, zum toten Vater, zu gelangen. Als wolle er sich der Schuld entledigen, dass er ihren Tod nicht verhindern konnte, hebt er die psychischen und physischen Narben hervor, die Sylvia Plath mit in die Ehe brachte. Im Nachhinein haben die Verteidiger Anne Stevensons Recht behalten. Der Wert ihrer Biographie bestand nie darin, dass sie die Fakten von den Halbwahrheiten über das Leben Sylvia Plaths geschieden hätte. Sondern darin, dass sie die Geschichte der Ehe zwischen Ted Hughes und Sylvia Plath aus der Sicht des verletzten Ehemannes einfühlsam und respektvoll dargestellt hat. Diesem Kapitel ist nun nichts hinzuzufügen.
Doch ein zweiter Blick auf Anne Stevensons Biographie enthält noch einen verstohlenen Gewinn. Der Umstand, dass sie wie kaum eine andere aus eigener Erfahrung weiß, was es für eine junge, selbstbewusste Amerikanerin bedeutete, in das reglementierte England der fünfziger Jahre mit seinen Klassenschranken und Geschlechterrollen zu ziehen, hebt einen Aspekt von Sylvia Plaths Leben hervor, der im Umfeld des Ehestreites unterbelichtet geblieben ist: die schmerzvolle Erfahrung der kulturellen Verpflanzung. Direkt erwähnt Stevenson zwar nur, wie sehr Plaths typisch amerikanische Kleidung und Gesten sie in England lächerlich erscheinen ließen. Plaths Glaube daran, dass man sich neu entwerfen könnte, wird als amerikanische Naivität abgetan, ihre Freundlichkeit als stereotypes amerikanisches Verhalten, das ihr erlaubt, Paniksituationen in den Griff zu bekommen. Doch wie bei jeder guten Erzählung haben auch bei Anne Stevenson die Leerstellen ihres Textes eine besondere Resonanz. Man beginnt zu ahnen, dass mit Plaths erster Überfahrt nach England eine kulturelle Verunsicherung stattgefunden haben muss, die sich nach ihrer endgültigen Umsiedlung scheinbar verfestigt hat. In "Rand", einem ihrer letzten Gedichte, erinnert sie an die bedeutendste Exilantin der Antike: Medea. Mit ihren zwei toten Kindern an der Brust ist sie zum vollendeten Kunstwerk geworden. Von Sylvia Plaths Selbstmord ausgehend war man geneigt, in dieser Denkfigur das Leitbild ihrer toddurchdrungenen Lyrik zu sehen. Man könnte aber der von Anne Stevenson gelegten Spur der kulturellen Entfremdung nachgehen. Auch das von Sophokles entworfene Schicksal der doppelten Exiliertheit seiner Heldin spiegelt Sylvia Plaths Situation wider - als Amerikanerin fremd in England und als noch nicht anerkannte Dichterin fremd im Haus ihres berühmten Gatten.
Anne Stevenson: "Sylvia Plath". Eine Biographie. Aus dem Englischen übersetzt von Manfred Ohl und Hans Sartorius. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1999. 655 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In einer sehr einfühlsamen und ausführlichen Rezension weist Elisabeth Bronfen darauf hin, dass diese Biographie über Sylvia Plath in der Originalausgabe bereits vor zehn Jahren erschien und damals große Kontroversen auslöste - auch bei der Ausgabe der Frankfurter Verlagsanstalt handelt es sich um eine Wiederauflage. In der Flut der Biographien über die amerikanische Dichterin, die sich mit 30 Jahren Anfang der sechziger Jahre das Leben nahm, nimmt Stevensons Buch nach Bronfen eine Sonderstellung ein: Sie versucht eine Ehrenrettung von Plaths Ehemann, dem britischen Lyriker Ted Hughes, und seiner Schwester Olwyn, denen in anderen Büchern eine Mitschuld an Plaths Tod zugeschrieben wird. Bronfen zeigt die Einseitigkeit der Darstellung auf - die Gedichtinterpretationen stammten direkt von Plaths Schwägerin -, findet aber auch positive Elemente in Stevensons Version der Geschichte. Das Verhältnis zum Ehemann, der damals viel berühmter war als Plath selbst, sei objektiv. Außerdem zeige Stevenson, die ebenfalls in den fünfziger Jahren als Amerikanerin nach Großbritannien gegangen sei, wie keine andere Autorin das Moment der kulturellen Entfremdung bei Plath.
© Perlentaucher Medien GmbH
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