Von den Vögeln, die in der afrikanischen Savanne Büffel von lästigen Insekten befreien, über Hunde, die mit dem Menschen eine unzertrennliche Partnerschaft fürs ganze Leben eingegangen sind, bis hin zu Zellkörpern und Blaualgen, die sich einst zusammenfanden und heute die Welt der Flora grün färben und die Grundlage für das Leben auf unserem Planeten liefern: Symbiosen, die Netzwerke des Lebens, gehören zu den erstaunlichsten Phänomenen der Natur. Dieses Buch zeigt und erklärt die wechselseitigen Bündnisse verschiedener Lebewesen und lädt mit großen satten Schautafeln zum Entdecken der bunten Formen des fantastischen Miteinanders ein. Es unterstreicht durch den die Bilder und Texte prägenden liebevollen Blick, wie zerbrechlich die gewachsenen Kooperationen sind, die das Überleben so vieler Lebensformen sichern. Dabei wird sinnlich erfahrbar, welche Achtsamkeit wir der Natur und uns als ihrem Bestandteil schuldig sind, denn im wirklichen Leben ist niemand eine Insel für sich allein
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2017Wer überleben will, braucht einen Partner
Erklärt und gezeichnet: Ein Buch über Symbiose und Kooperation in der Natur
Von Blattschneiderameisen und Titanwurzen handelt dieses Buch, von Korallenriffen und Flechten. Es geht um die mannigfaltigen Symbiosen, Kooperationen und intimen Wechselwirkungen über Artgrenzen hinweg. Doch obwohl es sich um ein klassisch anmutendes Naturbuch handelt, ausgestattet mit Illustrationen, die in ihrer Präzision und Opulenz an die Hochzeit der Naturdarstellung im neunzehnten Jahrhundert heranreichen, ist der Band "Symbiosen", den der Biologe Josef H. Reichholf und der Illustrator Johann Brandstetter jetzt vorlegen, zugleich ein hochaktuelles Werk.
Warum, das macht Reichholf, der bis 2010 in der Zoologischen Staatssammlung in München wirkte und sich darüber hinaus als Autor vieler Umweltbücher einen Namen gemacht hat, gleich im Vorwort deutlich: "Unser Leben hängt von einem höchst vielfältigen Geflecht ab, das wir Gesellschaft nennen und das längst nahezu die gesamte Menschheit mit einschließt." Und nicht einmal große Gesellschaften könnten sich über längere Zeit vom Rest der Welt abschließen.
Und dann geht es los mit den Erkundungen: Reichholf erzählt von Bakterien, die an Pflanzenwurzeln Knöllchen bilden und ihnen - und uns als menschlichen Konsumenten - den lebenswichtigen Stickstoff zuführen. Von Pilzgeflechten im Boden, die mit Bäumen Nährstoffe und Mineralien austauschen. Diese Beispiele mögen Lesern bekannt sein, die sich für Biologie interessieren, doch Reichholf geht tiefer. Er erzählt von Faultieren, in deren Fell Algen gut leben können, die dem Tier damit im Wald die Tarnfarbe geben, welche zum Schutz vor gefährlichen Raubvögeln beitragen kann.
Eine weitere Symbiose-Geschichte handelt von Pfeilgiftfröschen, die ihren Nachwuchs in den kleinen Wasserpools von Bromelienpflanzen aufziehen. Es ist nicht offensichtlich, worin der Vorteil für die Pflanzen besteht: "Die tierischen Bewohner verbessern mit ihren Ausscheidungen die Versorgung der Bromelien mit Nährsalzen."
Besondere Aufmerksamkeit gilt den Korallenriffen, ihnen widmet Reichholf gleich drei seiner einunddreißig Symbiose-Geschichten. Riffe überträfen in der Fülle ihres Tierlebens sogar die Regenwälder - eine "Wunderwelt", die auch von Wettbewerb, aber vor allem von mannigfaltigen Symbiosen geprägt ist. Von Algen, die Blumentieren das Leben ermöglichen, Putzerfischen, die Barschen die Zähne reinigen, und Clownfischen, die Anemonen vor Fraßfeinden schützen, erzählt der Autor. Man merkt in jeder Zeile, dass ihn eine tiefe, lebenslange Faszination für das Verbundensein antreibt.
Die in der Biologie bis heute übliche Einteilung der Natur in Arten, die gegeneinander in Wettbewerb treten, erscheint nach der Lektüre nur noch als Seitenaspekt eines viel wichtigeren Geschehens: des Zusammenlebens, Zusammenwirkens und Zusammenhelfens über Artgrenzen hinweg. Erst durch Symbiose entstehen Lebensgemeinschaften. Natürlich kann man auch das ökonomisch betrachten und auf ein Puzzle von Eigeninteressen reduzieren. Reichholf lässt keinen Zweifel, dass er eine solche enge Betrachtung für viel zu eng hält.
Die Illustrationen von Johann Brandstetter leisten das, was in den allermeisten Naturführern, die Arten der Identifikation wegen isoliert darstellen, zu kurz kommt: sie stellen Tiere und Pflanzen in Lebensräumen und Beziehungen dar. In manchen Fällen tritt noch ein Naturforscher oder das eine oder andere verspielte Element hinzu. Die Anmutung des neunzehnten Jahrhunderts formuliert eine Botschaft, dass nämlich das organisch-organismische Denken von damals, das später aus der Biologie vertrieben wurde, wichtig bleibt.
Einen Bogen ins Menschliche schlägt am Schluss ein Kapitel über die Stadt als Mensch-Natur-Symbiose und die Frage, wie das Verhältnis von Mensch und Natur ausgewogener ausgestaltet werden könnte. Utopien von "Ökomodernisten", die Menschheit könne sich in technischen Gebilden verkapseln, erscheinen nach der Lektüre absurd: Am wenigsten können wir uns von der Natur abschließen.
Das Buch ist nicht nur Naturinteressierten wärmstens zu empfehlen. Seine Botschaft, dass Abkapselung auf unserem Planeten eigentlich niemals funktioniert und es darum geht, Symbiosen zu entwickeln, verdient eine breite Leserschaft.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Johann Brandstetter und Josef H. Reichholf: "Symbiosen". Das erstaunliche Miteinander in der Natur.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
298 S., Abb., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erklärt und gezeichnet: Ein Buch über Symbiose und Kooperation in der Natur
Von Blattschneiderameisen und Titanwurzen handelt dieses Buch, von Korallenriffen und Flechten. Es geht um die mannigfaltigen Symbiosen, Kooperationen und intimen Wechselwirkungen über Artgrenzen hinweg. Doch obwohl es sich um ein klassisch anmutendes Naturbuch handelt, ausgestattet mit Illustrationen, die in ihrer Präzision und Opulenz an die Hochzeit der Naturdarstellung im neunzehnten Jahrhundert heranreichen, ist der Band "Symbiosen", den der Biologe Josef H. Reichholf und der Illustrator Johann Brandstetter jetzt vorlegen, zugleich ein hochaktuelles Werk.
Warum, das macht Reichholf, der bis 2010 in der Zoologischen Staatssammlung in München wirkte und sich darüber hinaus als Autor vieler Umweltbücher einen Namen gemacht hat, gleich im Vorwort deutlich: "Unser Leben hängt von einem höchst vielfältigen Geflecht ab, das wir Gesellschaft nennen und das längst nahezu die gesamte Menschheit mit einschließt." Und nicht einmal große Gesellschaften könnten sich über längere Zeit vom Rest der Welt abschließen.
Und dann geht es los mit den Erkundungen: Reichholf erzählt von Bakterien, die an Pflanzenwurzeln Knöllchen bilden und ihnen - und uns als menschlichen Konsumenten - den lebenswichtigen Stickstoff zuführen. Von Pilzgeflechten im Boden, die mit Bäumen Nährstoffe und Mineralien austauschen. Diese Beispiele mögen Lesern bekannt sein, die sich für Biologie interessieren, doch Reichholf geht tiefer. Er erzählt von Faultieren, in deren Fell Algen gut leben können, die dem Tier damit im Wald die Tarnfarbe geben, welche zum Schutz vor gefährlichen Raubvögeln beitragen kann.
Eine weitere Symbiose-Geschichte handelt von Pfeilgiftfröschen, die ihren Nachwuchs in den kleinen Wasserpools von Bromelienpflanzen aufziehen. Es ist nicht offensichtlich, worin der Vorteil für die Pflanzen besteht: "Die tierischen Bewohner verbessern mit ihren Ausscheidungen die Versorgung der Bromelien mit Nährsalzen."
Besondere Aufmerksamkeit gilt den Korallenriffen, ihnen widmet Reichholf gleich drei seiner einunddreißig Symbiose-Geschichten. Riffe überträfen in der Fülle ihres Tierlebens sogar die Regenwälder - eine "Wunderwelt", die auch von Wettbewerb, aber vor allem von mannigfaltigen Symbiosen geprägt ist. Von Algen, die Blumentieren das Leben ermöglichen, Putzerfischen, die Barschen die Zähne reinigen, und Clownfischen, die Anemonen vor Fraßfeinden schützen, erzählt der Autor. Man merkt in jeder Zeile, dass ihn eine tiefe, lebenslange Faszination für das Verbundensein antreibt.
Die in der Biologie bis heute übliche Einteilung der Natur in Arten, die gegeneinander in Wettbewerb treten, erscheint nach der Lektüre nur noch als Seitenaspekt eines viel wichtigeren Geschehens: des Zusammenlebens, Zusammenwirkens und Zusammenhelfens über Artgrenzen hinweg. Erst durch Symbiose entstehen Lebensgemeinschaften. Natürlich kann man auch das ökonomisch betrachten und auf ein Puzzle von Eigeninteressen reduzieren. Reichholf lässt keinen Zweifel, dass er eine solche enge Betrachtung für viel zu eng hält.
Die Illustrationen von Johann Brandstetter leisten das, was in den allermeisten Naturführern, die Arten der Identifikation wegen isoliert darstellen, zu kurz kommt: sie stellen Tiere und Pflanzen in Lebensräumen und Beziehungen dar. In manchen Fällen tritt noch ein Naturforscher oder das eine oder andere verspielte Element hinzu. Die Anmutung des neunzehnten Jahrhunderts formuliert eine Botschaft, dass nämlich das organisch-organismische Denken von damals, das später aus der Biologie vertrieben wurde, wichtig bleibt.
Einen Bogen ins Menschliche schlägt am Schluss ein Kapitel über die Stadt als Mensch-Natur-Symbiose und die Frage, wie das Verhältnis von Mensch und Natur ausgewogener ausgestaltet werden könnte. Utopien von "Ökomodernisten", die Menschheit könne sich in technischen Gebilden verkapseln, erscheinen nach der Lektüre absurd: Am wenigsten können wir uns von der Natur abschließen.
Das Buch ist nicht nur Naturinteressierten wärmstens zu empfehlen. Seine Botschaft, dass Abkapselung auf unserem Planeten eigentlich niemals funktioniert und es darum geht, Symbiosen zu entwickeln, verdient eine breite Leserschaft.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Johann Brandstetter und Josef H. Reichholf: "Symbiosen". Das erstaunliche Miteinander in der Natur.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
298 S., Abb., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
https://www.zdf.de/wissen/scobel/buchtipp-symbiosen-100.html Gert Scobel zdf 20180201