Über die Liebe zu philosophieren, ist verfänglich. Schwärmer und Schöngeister fühlen sich angesprochen, Fachleute für Ästhetik sehen sich zu feinsinnigen Formbetrachtungen herausgefordert. Gemeint sind sie alle nicht, nicht mit Platons Symposion. Wenn hier über die Liebe philosophiert wird, dann wird schnell erkennbar, dass mit ihr etwas zur Sprache kommt, das weder Sentimentalität noch Erbaulichkeit zuläßt.An den Reden, die im Symposion zum Lob des Eros gehalten werden, zeigt sich, dass Liebe Wahrheitssuche oder Selbstbezogenheit, Transzendenz oder Transzendenzlosigkeit bedeuten kann. Der philosophische Eros ist Wissen um die eigene Bedürftigkeit und somit Liebe zur Wahrheit; der sophistische Eros ist Verkennen der eigenen Bedürftigkeit und damit Liebe zum Ich.Dass der sokratische Eros, die Selbsthingabe an die Wahrheit, der überlegene ist, beweist sich an der Leichtigkeit, mit der Sokrates Widersprüche aufdeckt, denen seine Mitunterredner erliegen. So ist Sokrates in diesem Gelage nicht nur der Trinkfesteste, sondern auch der leidenschaftlichste Liebende. Deshalb verwundert es nicht, dass das Lob des Eros sich unversehens in das Lob des Sokrates verwandelt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2013Liebesgelage für
die Ewigkeit
Albert von Schirnding übersetzt
Platons „Symposion“ neu
Das „Symposion“ Platons, bis heute beliebter Namenspatron wissenschaftlicher Zusammenkünfte, ist das große Buch Europas über die Liebe. Jeder der Teilnehmer, so lautet die Regel des festlichen Abends, soll einen Hymnus auf Eros vortragen.
Der Komödiendichter Aristophanes erzählt die Geschichte von den kugelförmigen Urmenschen, die beide Geschlechter in sich schlossen, ehe die Götter, die um ihre Macht fürchteten, sie in eine männliche und eine weibliche Hälfte teilten, ungefähr so, wie man ein Ei mit einem Haar zerteilt. Seither müssen die beiden Geschlechter einander sehnsüchtig suchen.
Sokrates berichtet von der geheimnisvollen Diotima, in der er, Meister der Dialektik, seine dialektische Meisterin fand, die ihn über die Liebe belehrte. Zu später Stunde kommt betrunken der schöne Jüngling Alkibiades mit bekränztem Haar hereingeschwärmt und spricht bekümmert davon, wie der alte hässliche Sokrates einst sein Liebeswerben spöttisch zurückgewiesen habe.
Es ist ein unerschöpfliches und unendlich wirkungsreiches Werk gewesen. „Das Gastmahl“ hatte es im Deutschen immer geheißen. Hier glaubt Albert von Schirnding, verdienstvoller Altphilologe, der es neu übersetzt, nachbessern zu sollen. „Ein Trinkgelage“ nennt er es. Die Flügel, die einem Wort im Lauf der Zeit gewachsen sind, zu brechen, das bringe bloß ein philologisches Gewissen fertig, hat Karl Kraus gesagt. Schirnding erklärt zu seinem Vorgehen: „Es ging mir, wohl im Unterschied zur offiziellen Methodik, keineswegs um eine sprachliche Leistung im Deutschen. Die Übersetzung diente ausschließlich dem Verstehen des griechischen Originals.“ Gewiss eine redliche Absicht, wenngleich man die sprachliche Leistung Platons, trotz dessen notorischen Widerwillens gegen die Dichterlinge, gern irgendwie auch in der deutschen Entsprechung berücksichtigt sähe. Doch hat die Umsetzung noch darüber hinaus ihre Tücken.
Die ältere Version (von Franz Susemihl) bot zum Beispiel: „Denn selbst solange man auch von jedem e i n z e l n e n unter den lebenden Wesen sagt, es lebe und sei dasselbe, so wie man von Kindesbeinen auf derselbe genannt wird bis zum Alter, – so wird ihm diese Bezeichnung doch nur dem zum Trotze gegeben, dass man niemals dieselben Teile in sich fasst, sondern sie beständig erneuert und wieder abwirft: so Haare, Fleisch, Knochen, Blut und überhaupt den gesamten Körper.“ Das Problem hat Schwierigkeiten, sich zur Deutlichkeit vorzuarbeiten, weil es in seinem Zentrum an die schwachtonigen Allerweltswörter „einzeln“ und „derselbe“ gebunden ist, was Susemihl durch etwas linkische Hervorhebung ausgleichen will.
Bei Schirnding lautet die Passage: „So wird ein Mensch von der frühen Kindheit an immer als derselbe bezeichnet, obwohl er keineswegs immer mit sich selbst identisch ist. Vielmehr muss er sich immerzu erneuern, um den Verlust an Haar, Fleisch, Knochen, Blut und überhaupt allem Körperlichen auszugleichen.“
Kein Zweifel, er hebt den Gedanken zu größerer Klarheit empor. Doch benötigt er hierfür das Wort „identisch“. Trifft diese moderne Vokabel den Ton der Trinkenden und Feiernden? Ist sie dem Diskurs der alten Griechen angemessen, die mit ihrem klassischen Reinheitsgebot niemals Fremdwörter zuließen (so wenig wie die Isländer heute)? Schleicht sich damit nicht die neuzeitliche verwaltete Welt ein? Und stimmt der Gedanke in dieser Zurichtung noch?
Der sich in seinen Zellen erneuernde Mensch ist eben d o c h mit sich identisch.
Was also tun, um diesem bejahrten und alterslosen Buch seinen Platz in der Gegenwart zu erobern? Das lässt sich schwer entscheiden.
BURKHARD MÜLLER
Platon: Symposion. Ein Trinkgelage. Neu übersetzt und kommentiert von Albert von Schirnding. Verlag C.H. Beck, München 2012. 143 Seiten, 16,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
die Ewigkeit
Albert von Schirnding übersetzt
Platons „Symposion“ neu
Das „Symposion“ Platons, bis heute beliebter Namenspatron wissenschaftlicher Zusammenkünfte, ist das große Buch Europas über die Liebe. Jeder der Teilnehmer, so lautet die Regel des festlichen Abends, soll einen Hymnus auf Eros vortragen.
Der Komödiendichter Aristophanes erzählt die Geschichte von den kugelförmigen Urmenschen, die beide Geschlechter in sich schlossen, ehe die Götter, die um ihre Macht fürchteten, sie in eine männliche und eine weibliche Hälfte teilten, ungefähr so, wie man ein Ei mit einem Haar zerteilt. Seither müssen die beiden Geschlechter einander sehnsüchtig suchen.
Sokrates berichtet von der geheimnisvollen Diotima, in der er, Meister der Dialektik, seine dialektische Meisterin fand, die ihn über die Liebe belehrte. Zu später Stunde kommt betrunken der schöne Jüngling Alkibiades mit bekränztem Haar hereingeschwärmt und spricht bekümmert davon, wie der alte hässliche Sokrates einst sein Liebeswerben spöttisch zurückgewiesen habe.
Es ist ein unerschöpfliches und unendlich wirkungsreiches Werk gewesen. „Das Gastmahl“ hatte es im Deutschen immer geheißen. Hier glaubt Albert von Schirnding, verdienstvoller Altphilologe, der es neu übersetzt, nachbessern zu sollen. „Ein Trinkgelage“ nennt er es. Die Flügel, die einem Wort im Lauf der Zeit gewachsen sind, zu brechen, das bringe bloß ein philologisches Gewissen fertig, hat Karl Kraus gesagt. Schirnding erklärt zu seinem Vorgehen: „Es ging mir, wohl im Unterschied zur offiziellen Methodik, keineswegs um eine sprachliche Leistung im Deutschen. Die Übersetzung diente ausschließlich dem Verstehen des griechischen Originals.“ Gewiss eine redliche Absicht, wenngleich man die sprachliche Leistung Platons, trotz dessen notorischen Widerwillens gegen die Dichterlinge, gern irgendwie auch in der deutschen Entsprechung berücksichtigt sähe. Doch hat die Umsetzung noch darüber hinaus ihre Tücken.
Die ältere Version (von Franz Susemihl) bot zum Beispiel: „Denn selbst solange man auch von jedem e i n z e l n e n unter den lebenden Wesen sagt, es lebe und sei dasselbe, so wie man von Kindesbeinen auf derselbe genannt wird bis zum Alter, – so wird ihm diese Bezeichnung doch nur dem zum Trotze gegeben, dass man niemals dieselben Teile in sich fasst, sondern sie beständig erneuert und wieder abwirft: so Haare, Fleisch, Knochen, Blut und überhaupt den gesamten Körper.“ Das Problem hat Schwierigkeiten, sich zur Deutlichkeit vorzuarbeiten, weil es in seinem Zentrum an die schwachtonigen Allerweltswörter „einzeln“ und „derselbe“ gebunden ist, was Susemihl durch etwas linkische Hervorhebung ausgleichen will.
Bei Schirnding lautet die Passage: „So wird ein Mensch von der frühen Kindheit an immer als derselbe bezeichnet, obwohl er keineswegs immer mit sich selbst identisch ist. Vielmehr muss er sich immerzu erneuern, um den Verlust an Haar, Fleisch, Knochen, Blut und überhaupt allem Körperlichen auszugleichen.“
Kein Zweifel, er hebt den Gedanken zu größerer Klarheit empor. Doch benötigt er hierfür das Wort „identisch“. Trifft diese moderne Vokabel den Ton der Trinkenden und Feiernden? Ist sie dem Diskurs der alten Griechen angemessen, die mit ihrem klassischen Reinheitsgebot niemals Fremdwörter zuließen (so wenig wie die Isländer heute)? Schleicht sich damit nicht die neuzeitliche verwaltete Welt ein? Und stimmt der Gedanke in dieser Zurichtung noch?
Der sich in seinen Zellen erneuernde Mensch ist eben d o c h mit sich identisch.
Was also tun, um diesem bejahrten und alterslosen Buch seinen Platz in der Gegenwart zu erobern? Das lässt sich schwer entscheiden.
BURKHARD MÜLLER
Platon: Symposion. Ein Trinkgelage. Neu übersetzt und kommentiert von Albert von Schirnding. Verlag C.H. Beck, München 2012. 143 Seiten, 16,95 Euro.
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»Die vorliegende neue Übersetzung dieses Dialogs ... gehört zweifelsohne zu den besten neueren Übersetzungen. Sie ist gut lesbar, bleibt aber stets nahe genug am Text, um den ursprünglichen Sinn nicht zu verfälschen. [...] Diese Ausgabe des platonischen Symposion ist ohne Einschränkung zu empfehlen.« Prof. Dr. Rudolf Rehn