In the final years of the twentieth century, emigres from mechanical and electrical engineering and computer science resolved that if the aim of biology was to understand life, then making life would yield better theories than experimentation. Sophia Roosth, a cultural anthropologist, takes us into the world of these self-named synthetic biologists who, she shows, advocate not experiment but manufacture, not reduction but construction, not analysis but synthesis. Roosth reveals how synthetic biologists make new living things in order to understand better how life works. What we see through her careful questioning is that the biological features, theories, and limits they fasten upon are determined circularly by their own experimental tactics. This is a story of broad interest, because the active, interested making of the synthetic biologists is endemic to the sciences of our time."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2017Nur Organismen, die man selbst baut, versteht man auch
Das Virus und die Computermodelle wiesen den Weg: Sophia Roosth beschreibt, wie die synthetische Biologie entstand und wohin sie steuert
In der Biologie ist Leben nicht mehr, was es früher einmal war. Anstatt ein Wesen in Gensequenzen, Proteomen, Transkriptomen, Epigenomen oder Metabolomen zu suchen, benutzt eine neue Generation von Wissenschaftlern biologische Medien - Zellen und ihre biochemischen Komponenten - als Rohmaterial, um neue Lebensformen zu konstruieren. Leben wird nicht mehr wie in der "articifial life"-Forschung als potentiell substratunabhängiger, abstrakter Prozess verstanden, sondern seine Materialität als gegeben, als manipulierbar und synthetisierbar angesehen. Diese Neuausrichtung, die als synthetische Biologie bezeichnet wird, hatte ihren Ursprung in der biotechnologischen Revolution des späten zwanzigsten Jahrhunderts.
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die Genomik mit ihrem fortwährend größer werdenden Einsatz von Computern, Robotern und anderer Hochtechnologie immer mehr Ingenieure und Computerwissenschaftler in die Biologie zog, stellten sich manche dieser Emigranten nach einiger Zeit die Frage, ob Experimente noch zeitgemäß sind und die Grundlagen für gute Theorien liefern können. Eine Schlüsselepisode in der Entstehung der synthetischen Biologie ist Drew Endys Doktorarbeit von 1997. Endy, ein ausgebildeter Ingenieur, versuchte, mit Hilfe von Computermodellen das Verhalten des von Bakterien befallenden Virus T7 zu modellieren. Am Ende seiner Arbeit kam Endy zu einem ernüchternden Ergebnis: Das Modell, das auf allen bekannten Daten zu dem Virus beruhte, war nicht in der Lage, das Vermehrungsverhalten des Parasiten unter neuen experimentellen Bedingungen vorherzusagen. Anstatt sein Modell nun weiter zu verbessern, stellt Endy eine für die Biologie völlig neue Frage: Wie müsste das Genom des Virus aussehen, so dass sein Vermehrungsverhalten mit den Modellresultaten übereinstimmt? Endy begann, das Genom des Virus so zu verändern, dass es zum Modell passte - das Virus erklärte das Modell, nicht das Modell das Virus.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends formulierten Wissenschaftler im Gefolge der Forschungen von Drew Endy und anderen dann die Idee, dass die Herstellung von Leben - Synthese statt experimentelle Analyse und Konstruieren statt Reduktionismus - ein viel besseres Verständnis von Leben gestatte als die traditionellen Forschungsmethoden der Biologie. Die Ethnologin Sophia Roosth untersucht in ihrem Buch verschiedene Varianten dieser synthetischen Biologie. Sie beschreibt die Entstehung der - immer noch im Wandel begriffenen - Disziplin, stellt auch ihre Protagonisten vor, und sie schildert die unterschiedlichen Ausprägungen der synthetischen Biologie an der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten: Im Westen steht industrielle Anwendung im Vordergrund, im Osten werden die Annahmen dieser Anwendung, wie etwa Patentierung von Leben, problematisiert. Die Arbeiten von Jay Keasling dienen der Autorin dazu, die Parallelen zwischen Stoffwechselmanipulationen, bei denen klassische biologische Verwandtschaftsgrenzen bedeutungslos werden, und der Queer-Theorie herauszuarbeiten: Die synthethische Biologie denaturalisiere biologische Verwandtschaftsverhältnisse, genau wie es die Queer-Theorie mit Geschlechterrollen versucht. Die Autorin stellt auch die Biohacker-Szene vor, die eine Reaktion auf das "De-skilling" in der industriellen synthetischen Biologie ist, und berichtet über Versuche, ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu erwecken. Eingestreut zwischen die Kapitel sind sechs kurze Vignetten, die die historische Bedeutungsvielfalt der Begriffes "Synthese" und "synthetisch" beleuchten, von synthetischen Fasern über den synthetischen Kubismus zum Synthesizer in der elektronischen Musik und zur Erkenntnistheorie.
Das Buch ist stellenweise theoretisch recht anspruchsvoll, aber im Großen und Ganzen bietet es einen faszinierenden und verständlichen Einblick in eine entstehende wissenschaftliche Disziplin und das Selbstverständnis ihrer Protagonisten. Dabei spricht diese Ethnologie der synthetischen Biologie auch zentrale erkenntnistheoretische Probleme der Biologie an, natürlich auch die Frage, wie der Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen zu fassen ist. Roosth hat keine schnellen Antworten auf diese Fragen parat, aber sie zeigt, dass die synthetische Biologie grundlegende Annahmen in Frage stellt und die Materialität des Lebens wieder in den Vordergrund rückt.
Seit der Antike wurde immer wieder versucht, Lebensprozesse in nicht belebten Medien ablaufen zu lassen. Die synthetische Biologie kehrt sich ab von diesem Platonismus, der Form über Materie stellt. Obwohl der Computer ein zentrales Werkzeug der synthetischen Biologen darstellt, handelt es sich letztendlich um Viren, Bakterien oder Hefen, die die Brut- und Kühlschränke der Labore bevölkern und die nie ihre Materialität verlieren.
Auch im Hinblick auf ein anderes Problem bietet die synthetische Biologie eine neue Perspektive: Viele Biologen und Philosophen diagnostizieren eine Krise der Theorie in der Biologie - die unglaubliche Datenflut, mit der die Wissenschaftler tagtäglich konfrontiert werden, erlaube es nicht mehr, auch nur für kleine Domänen stabile und allgemeingültige Theorien zu formulieren. Theoriefreie Daten treiben angeblich die Biologie voran. Sophia Roosth hat ihre Zweifel an dieser These: Wenn diese Flut von Daten nicht genug ist, um Leben zu verstehen, dann wird vielleicht einer neuer Modus des biologischen Verstehens gebraucht, und zwar das biologische Machen und Konstruieren. Möglicherweise kann die synthetische Biologie damit die neue "Theoriemaschine" der Biologie werden.
THOMAS WEBER
Sophia Roosth: "Synthetic".
How Life Got Made. The University of Chicago Press, Chicago 2017. 256 S., br., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Virus und die Computermodelle wiesen den Weg: Sophia Roosth beschreibt, wie die synthetische Biologie entstand und wohin sie steuert
In der Biologie ist Leben nicht mehr, was es früher einmal war. Anstatt ein Wesen in Gensequenzen, Proteomen, Transkriptomen, Epigenomen oder Metabolomen zu suchen, benutzt eine neue Generation von Wissenschaftlern biologische Medien - Zellen und ihre biochemischen Komponenten - als Rohmaterial, um neue Lebensformen zu konstruieren. Leben wird nicht mehr wie in der "articifial life"-Forschung als potentiell substratunabhängiger, abstrakter Prozess verstanden, sondern seine Materialität als gegeben, als manipulierbar und synthetisierbar angesehen. Diese Neuausrichtung, die als synthetische Biologie bezeichnet wird, hatte ihren Ursprung in der biotechnologischen Revolution des späten zwanzigsten Jahrhunderts.
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die Genomik mit ihrem fortwährend größer werdenden Einsatz von Computern, Robotern und anderer Hochtechnologie immer mehr Ingenieure und Computerwissenschaftler in die Biologie zog, stellten sich manche dieser Emigranten nach einiger Zeit die Frage, ob Experimente noch zeitgemäß sind und die Grundlagen für gute Theorien liefern können. Eine Schlüsselepisode in der Entstehung der synthetischen Biologie ist Drew Endys Doktorarbeit von 1997. Endy, ein ausgebildeter Ingenieur, versuchte, mit Hilfe von Computermodellen das Verhalten des von Bakterien befallenden Virus T7 zu modellieren. Am Ende seiner Arbeit kam Endy zu einem ernüchternden Ergebnis: Das Modell, das auf allen bekannten Daten zu dem Virus beruhte, war nicht in der Lage, das Vermehrungsverhalten des Parasiten unter neuen experimentellen Bedingungen vorherzusagen. Anstatt sein Modell nun weiter zu verbessern, stellt Endy eine für die Biologie völlig neue Frage: Wie müsste das Genom des Virus aussehen, so dass sein Vermehrungsverhalten mit den Modellresultaten übereinstimmt? Endy begann, das Genom des Virus so zu verändern, dass es zum Modell passte - das Virus erklärte das Modell, nicht das Modell das Virus.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends formulierten Wissenschaftler im Gefolge der Forschungen von Drew Endy und anderen dann die Idee, dass die Herstellung von Leben - Synthese statt experimentelle Analyse und Konstruieren statt Reduktionismus - ein viel besseres Verständnis von Leben gestatte als die traditionellen Forschungsmethoden der Biologie. Die Ethnologin Sophia Roosth untersucht in ihrem Buch verschiedene Varianten dieser synthetischen Biologie. Sie beschreibt die Entstehung der - immer noch im Wandel begriffenen - Disziplin, stellt auch ihre Protagonisten vor, und sie schildert die unterschiedlichen Ausprägungen der synthetischen Biologie an der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten: Im Westen steht industrielle Anwendung im Vordergrund, im Osten werden die Annahmen dieser Anwendung, wie etwa Patentierung von Leben, problematisiert. Die Arbeiten von Jay Keasling dienen der Autorin dazu, die Parallelen zwischen Stoffwechselmanipulationen, bei denen klassische biologische Verwandtschaftsgrenzen bedeutungslos werden, und der Queer-Theorie herauszuarbeiten: Die synthethische Biologie denaturalisiere biologische Verwandtschaftsverhältnisse, genau wie es die Queer-Theorie mit Geschlechterrollen versucht. Die Autorin stellt auch die Biohacker-Szene vor, die eine Reaktion auf das "De-skilling" in der industriellen synthetischen Biologie ist, und berichtet über Versuche, ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu erwecken. Eingestreut zwischen die Kapitel sind sechs kurze Vignetten, die die historische Bedeutungsvielfalt der Begriffes "Synthese" und "synthetisch" beleuchten, von synthetischen Fasern über den synthetischen Kubismus zum Synthesizer in der elektronischen Musik und zur Erkenntnistheorie.
Das Buch ist stellenweise theoretisch recht anspruchsvoll, aber im Großen und Ganzen bietet es einen faszinierenden und verständlichen Einblick in eine entstehende wissenschaftliche Disziplin und das Selbstverständnis ihrer Protagonisten. Dabei spricht diese Ethnologie der synthetischen Biologie auch zentrale erkenntnistheoretische Probleme der Biologie an, natürlich auch die Frage, wie der Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen zu fassen ist. Roosth hat keine schnellen Antworten auf diese Fragen parat, aber sie zeigt, dass die synthetische Biologie grundlegende Annahmen in Frage stellt und die Materialität des Lebens wieder in den Vordergrund rückt.
Seit der Antike wurde immer wieder versucht, Lebensprozesse in nicht belebten Medien ablaufen zu lassen. Die synthetische Biologie kehrt sich ab von diesem Platonismus, der Form über Materie stellt. Obwohl der Computer ein zentrales Werkzeug der synthetischen Biologen darstellt, handelt es sich letztendlich um Viren, Bakterien oder Hefen, die die Brut- und Kühlschränke der Labore bevölkern und die nie ihre Materialität verlieren.
Auch im Hinblick auf ein anderes Problem bietet die synthetische Biologie eine neue Perspektive: Viele Biologen und Philosophen diagnostizieren eine Krise der Theorie in der Biologie - die unglaubliche Datenflut, mit der die Wissenschaftler tagtäglich konfrontiert werden, erlaube es nicht mehr, auch nur für kleine Domänen stabile und allgemeingültige Theorien zu formulieren. Theoriefreie Daten treiben angeblich die Biologie voran. Sophia Roosth hat ihre Zweifel an dieser These: Wenn diese Flut von Daten nicht genug ist, um Leben zu verstehen, dann wird vielleicht einer neuer Modus des biologischen Verstehens gebraucht, und zwar das biologische Machen und Konstruieren. Möglicherweise kann die synthetische Biologie damit die neue "Theoriemaschine" der Biologie werden.
THOMAS WEBER
Sophia Roosth: "Synthetic".
How Life Got Made. The University of Chicago Press, Chicago 2017. 256 S., br., 24,95 [Euro].
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