Produktdetails
  • Verlag: Yale University Press
  • Seitenzahl: 256
  • Erscheinungstermin: 10. September 2012
  • Englisch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 634g
  • ISBN-13: 9780300186512
  • ISBN-10: 0300186517
  • Artikelnr.: 35531475
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2012

Bislang ging noch jeder Sturm vorüber

Vom neuen Löwen zum Tyrannen: Der amerikanische Nahost-Historiker David W. Lesch beschreibt den Niedergang des Hauses Assad - ohne allzu viel Hoffnung auf eine schnelle Lösung.

Eines stellt David Lesch, Professor für Nahost-Geschichte an der Trinity University in San Antonio, Texas, gleich zu Beginn seines Buches über den Absturz des Hauses Assad klar: Hier schreibt nicht irgendwer über den syrischen Präsidenten, sondern einer, der Baschar al Assad aus vielen Interviews und Begegnungen kennt - vermutlich besser, so Lesch, "als jeder andere im Westen". Diese Selbsteinschätzung weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Wer das Buch zur Hand nimmt in der Hoffnung, aus erster Hand Einsicht zu bekommen in die Motive Assads, den Aufstand in seinem Land mit einer Härte niederzuschlagen, die selbst seine schärfsten Kritiker überrascht hat, wird enttäuscht.

Über die Entscheidungsabläufe im inneren Machtzirkel, darüber, wer warum seit März 2011 in Syrien welche Befehle gegeben hat und gibt, kann auch Lesch nur spekulieren. "Es ist schwierig zu erkennen, was in jenen ersten Tagen und Wochen genau passierte, denn der Prozess, nach dem in Syrien Entscheidungen getroffen werden, ist undurchsichtig", räumt er ein. Zwar zitiert Lesch immer wieder aus Gesprächen mit Assad, doch sein letzter direkter Kontakt mit ihm liegt vier Jahre zurück. Eine Reihe von E-Mails, die Lesch seit Beginn der Revolution an die "persönliche E-Mail-Adresse" von Assads Beraterin Bouthaina Shaaban geschickt hat mit der Bitte um Weiterleitung an den Präsidenten, blieben unbeantwortet. Trotzdem spielen die früheren Begegnungen Leschs mit Assad für das Buch eine Schlüsselrolle. Denn in seiner 2005 veröffentlichten Assad-Biographie ("The New Lion of Damascus: Baschar al-Assad and Modern Syria") kam der Autor noch zu dem Schluss, Assad habe das Potential, aus Syrien einen modernen Staat zu machen. Wenn er nun, sieben Jahre später, feststellt, Assad sei zu einem "echten Tyrannen" mutiert, der jegliche Legitimierung zu herrschen verloren habe, wird deutlich: Hier schreibt sich einer auch seine Enttäuschung vom Leib. "Viele von uns hatten gehofft, Assad würde das System verändert. Stattdessen hat, wie es scheint, das System ihn verändert."

Die ersten beiden Kapitel handeln denn auch nicht vom Fall, sondern vom Aufstieg Assads zum mächtigsten Mann Syriens. Dass Baschar nach seinem älteren Bruder Bassil nur zweite Wahl für die Nachfolge seines Vaters Hafiz al Assad war und eigentlich eine Karriere als Augenarzt angestrebt hatte, dürfte inzwischen bekannt sein. Ein tödlicher Verkehrsunfall Bassils 1994 änderte den Lauf der Geschichte. Als "Rennen gegen die Zeit" beschreibt Lesch die Jahre von 1994 bis 2000, in denen Hafiz al-Assad Baschar auf die Machtübernahme vorbereitete. Er stieg im Militär zum Brigadegeneral auf und übernahm 1998 vom damaligen Vizepräsident Khaddam das wichtige Libanon-Portfolio. Am 11. Juni 2000, einen Tag nach dem Tod von Hafiz al-Assad, nominierte die herrschende Baath-Partei Baschar dann zum neuen Präsidenten. Schnell wurde noch das Mindestalter des Präsidenten von vierzig auf vierunddreißig Jahre gesenkt, maßgeschneidert für den 1965 geborenen Baschar.

Kurz darauf begann, ermutigt von einer Aufbruch und Veränderung versprechenden Antrittsrede Baschars, eine Phase der Debatten, Foren und öffentlichen Aufrufe, die als "Damaszener Frühling" beschrieben wird - rückblickend scheint es eine Laune der Geschichte, dass auch dieser erste zarte Aufbruchsversuch Richtung Demokratie in Syrien den Titel "Frühling" trug. Kurzlebig war auch er, und anhand der rasch wieder einsetzenden Repression illustriert Lesch das Dilemma, in dem sich Assad von Anfang an befand: Sein Vater hatte ihm einen autoritären Staat hinterlassen, der sich auf einen umfangreichen Unterdrückungsapparat aus Polizei, Militär und Geheimdiensten stützten, aber auch auf ein ausgeklügeltes System der Patronage und Korruption. So entstand ein System gegenseitiger Abhängigkeit: Die vom Regime begünstigten Eliten profitierten vom System und zahlten mit ihrer Loyalität. Umgekehrt war das System damit nur bedingt reformfähig, da es sonst die Unterstützung der gekauften Eliten verloren hätte.

Es sind Einblicke wie diese, tief in die syrische Mentalität, Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur, die Leschs Buch bei allen Schwächen zu einer lohnenden Lektüre machen. Während Leschs Analyse der Ursachen des arabischen Frühlings kaum über bereits an vielen Stellen Beschriebenes hinausgeht und er so gut wie keine Kontakte zur syrischen Opposition und vor allem zu den jungen Syrern, welche die Ereignisse im Land vorantreiben, zu haben scheint, sondern sich für den Ablauf der Ereignisse vor allem auf Medienberichte stützt, brilliert er da, wo es um die größeren, regionalen Zusammenhänge geht, um strategische Allianzen, Proxy-Kriege und Interessenpolitik.

Erhellend sind auch Leschs Ausführungen zur internationalen Lage Syriens in den Jahren 2000 bis 2010, mit aufschlussreichen Bezügen zum (und Kritik am) inneramerikanischen Diskurs. Für die Regierung von George W. Bush war Syrien ein Schurkenstaat, der islamistischen Kämpfern freien Zugang in den Irak gewährte und damit die falsche Seite im "Krieg gegen den Terror" gewählt hatte. Nach der zunächst Syrien angelasteten Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Rafia Hariri im Februar 2005 und dem daraufhin international erzwungenen Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon schien die Isolation Syriens ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben.

Doch Assad, den damals viele Beobachter schwer angezählt sahen, saß die Lage einfach aus - ein Verhalten, das Lesch charakteristisch für das Haus Assad nennt und das vielleicht ein wenig sein heutiges Agieren erklärt. Bislang ging noch jeder Sturm vorüber.

Und tatsächlich wendete sich bereits 2006, nach dem fehlgeschlagenen Krieg Israels gegen die Hizbullah im Libanon, das Blatt zu Assads Gunsten. Vom Pariah wurde er zum umworbenen Staatsmann. Diplomaten aus Europa gaben sich in Damaskus die Klinke in die Hand; 2007 wurde er gar zu den Friedensverhandlungen nach Annapolis eingeladen. Erfahrungen wie diese, so Lesch, seien prägend für Assad und seinen Politikstil gewesen, für den internationale Gunst oder Verachtung vergängliche Größen sind. Auf jede Form der Bedrohung reagiere das System Assad zudem mit Rückzug in einen "typisch syrischen autoritären Überlebensmodus". Kompromisse würden niemals aus einer perzipierten Position der Schwäche heraus geschlossen - auch das könnte erklären, warum der internationale Druck, die verschärften Sanktionen, sogar die Drohkulisse einer militärischen Intervention Assad nicht zum Einlenken bewegen, sondern das Gegenteil zu bewirken scheinen.

Und so ist sich Lesch am Ende - dem Titel zum Trotz - gar nicht so sicher, ob Assad nicht vielleicht doch noch Monate, vielleicht sogar Jahre an der Macht bleibt (obwohl er für Lesch bereits gefallen ist, und sei es auch nur in dessen Wertschätzung). Ausführlich beschreibt er die verschiedenen Szenarien: vom Militärputsch über Sturz durch Intervention oder verhandelten Abgang von der Macht bis zum langen, blutigen Bürgerkrieg. Keines der beschriebenen Szenarien bietet freundliche Aussichten, und darin liegt das größte Verdienst des Buches: Lesch zeigt warum es keinen einfachen Weg aus der Syrien-Krise gibt - und dass jede Hoffnung auf ein schnelles Ende des Blutvergießens und auf einen raschen Übergang zu einer friedlichen Post-Assad-Ära eine Illusion ist.

SUSANNE FISCHER

David W. Lesch: "Syria". The Fall of the House of Assad.

Yale University Press, New Haven und London 2012. 256 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"An excellent and balanced analysis of Syrian contemporary history by top Syria expert David Lesch, enabling readers to access and understand the wide-ranging complexities of this country today."
Nikolaos van Dam, author of Destroying a Nation: The Civil War in Syria

"Lesch has masterfully distilled the complexities of Syria's modern history into a concise and readable volume. This is essential reading for anyone new to Syria seeking an informative and well-written overview of its recent history."
Chris Phillips, Queen Mary University of London