Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.1999Ferne
"Syrien - Religion und Politik im Nahen Osten" von Gerhard Schweizer. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 372 Seiten, einige Farbfotos, eine Karte. Gebunden, 46 Mark. ISBN 3-608-93396-4
Ein Fremder kommt nach Syrien. Er spricht kein Arabisch. Auf dem Markt schenkt ihm ein alter Mann eine Orange, die er gerade erst teuer erstanden hat. Der Fremde ist gerührt. Er heißt Gerhard Schweizer, ist Kulturwissenschaftler und wird ein Buch über Syrien schreiben. Ein Buch, das allerdings kaum von Menschen, dafür um so mehr von Geschichte und Gesellschaft handelt, von der Faszination Islam jenseits der klassischen Stereotypen des Fundamentalismus und des Orientalismus. Seine Begegnungen mit Menschen bleiben flüchtig. Er trifft viele, allerdings nur Männer. Wenn er sie nach der politischen Situation befragt, werden sie unruhig. Sie haben Angst vor Spitzeln. Beim Thema Religion ist es genauso. Fragen nach dem persönlichen Leben stellt Schweizer erst gar nicht, jedenfalls schreibt er nicht darüber. Auf der Ebene persönlicher Begegnung liegen die Stärken seines Buches also nicht. Dafür schafft es Verständnis für den Islam, für seine historische Entwicklung und seine politische Bedeutung im arabischen Raum. Die Gegenüberstellung von Christentum und Islam im Mittelalter zeigt, daß ihr Verhältnis zueinander nicht immer gleich war. Den Vorsprung, in wissenschaftlicher wie geistiger Hinsicht, hatte damals der Islam, erst mit der Renaissance wendete sich das Blatt. Die islamische Welt stagnierte, kritische Meinungen wurden zusehends unterdrückt. Das Abendland hingegen schaffte in Rückbesinnung auf antike Traditionen - die auf dem Umweg über arabische Gelehrte nach Europa zurückkamen - einen gewaltigen Sprung, der in der Aufklärung mündete. Aufklärung aber bedeutet Trennung von Religion und Politik. Heute, so sieht es Schweizer, schwankt der Islam zwischen dem Stolz, eine politische Religion zu sein, und dem Bewußtsein, den Vorsprung der westlichen Welt einholen zu müssen, um international wettbewerbsfähig zu werden - in wirtschaftlicher wie kultureller Hinsicht. Wer Schweizer gelesen hat, sieht Syrien anders, wirklicher: ein Land, das wenig mit den abendländischen Klischees zu tun hat. Die syrische Gesellschaft ist nicht Projektionsfläche westlicher Vorstellungswelten, sie steht für sich. Schade bleibt, daß vom Alltag der Menschen wenig zu spüren ist. Wer wissen will, wie es dort aussieht, muß auf Lieve Joris zurückgreifen. Sie lebte ein Jahr lang bei einer Freundin in Damaskus, deren Mann als Kommunist im Gefängnis sitzt - und schrieb darüber das ebenfalls kürzlich erschienene Buch "Die Tore von Damaskus". Persönliche Geschichte und zugrundeliegende Strukturen, ein Amalgam aus Joris und Schweizer, das wäre ideal. (maha)
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"Syrien - Religion und Politik im Nahen Osten" von Gerhard Schweizer. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 372 Seiten, einige Farbfotos, eine Karte. Gebunden, 46 Mark. ISBN 3-608-93396-4
Ein Fremder kommt nach Syrien. Er spricht kein Arabisch. Auf dem Markt schenkt ihm ein alter Mann eine Orange, die er gerade erst teuer erstanden hat. Der Fremde ist gerührt. Er heißt Gerhard Schweizer, ist Kulturwissenschaftler und wird ein Buch über Syrien schreiben. Ein Buch, das allerdings kaum von Menschen, dafür um so mehr von Geschichte und Gesellschaft handelt, von der Faszination Islam jenseits der klassischen Stereotypen des Fundamentalismus und des Orientalismus. Seine Begegnungen mit Menschen bleiben flüchtig. Er trifft viele, allerdings nur Männer. Wenn er sie nach der politischen Situation befragt, werden sie unruhig. Sie haben Angst vor Spitzeln. Beim Thema Religion ist es genauso. Fragen nach dem persönlichen Leben stellt Schweizer erst gar nicht, jedenfalls schreibt er nicht darüber. Auf der Ebene persönlicher Begegnung liegen die Stärken seines Buches also nicht. Dafür schafft es Verständnis für den Islam, für seine historische Entwicklung und seine politische Bedeutung im arabischen Raum. Die Gegenüberstellung von Christentum und Islam im Mittelalter zeigt, daß ihr Verhältnis zueinander nicht immer gleich war. Den Vorsprung, in wissenschaftlicher wie geistiger Hinsicht, hatte damals der Islam, erst mit der Renaissance wendete sich das Blatt. Die islamische Welt stagnierte, kritische Meinungen wurden zusehends unterdrückt. Das Abendland hingegen schaffte in Rückbesinnung auf antike Traditionen - die auf dem Umweg über arabische Gelehrte nach Europa zurückkamen - einen gewaltigen Sprung, der in der Aufklärung mündete. Aufklärung aber bedeutet Trennung von Religion und Politik. Heute, so sieht es Schweizer, schwankt der Islam zwischen dem Stolz, eine politische Religion zu sein, und dem Bewußtsein, den Vorsprung der westlichen Welt einholen zu müssen, um international wettbewerbsfähig zu werden - in wirtschaftlicher wie kultureller Hinsicht. Wer Schweizer gelesen hat, sieht Syrien anders, wirklicher: ein Land, das wenig mit den abendländischen Klischees zu tun hat. Die syrische Gesellschaft ist nicht Projektionsfläche westlicher Vorstellungswelten, sie steht für sich. Schade bleibt, daß vom Alltag der Menschen wenig zu spüren ist. Wer wissen will, wie es dort aussieht, muß auf Lieve Joris zurückgreifen. Sie lebte ein Jahr lang bei einer Freundin in Damaskus, deren Mann als Kommunist im Gefängnis sitzt - und schrieb darüber das ebenfalls kürzlich erschienene Buch "Die Tore von Damaskus". Persönliche Geschichte und zugrundeliegende Strukturen, ein Amalgam aus Joris und Schweizer, das wäre ideal. (maha)
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