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Produktdetails
  • Beck'sche Reihe Bd.1136
  • Verlag: Beck
  • 1995.
  • Seitenzahl: 209
  • Deutsch
  • Gewicht: 187g
  • ISBN-13: 9783406392368
  • ISBN-10: 3406392369
  • Artikelnr.: 06051194
Autorenporträt
Friedrich Prinz, geb. 1928, Historiker, emeritierter Professor der Universität München, ist durch zahlreiche Bücher und Aufsätze als einer der bedeutendsten Frühmittelalterforscher der Gegenwart bekanntgeworden. Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Geschichte Bayerns und der Böhmischen Länder. Der Autor ist auch mit einer Reihe von Fernseh- und Rundfunksendungen hervorgetreten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.1995

Zeit zwischen den Zeiten
Die Erinnerungen des böhmischen Historikers Friedrich Prinz

Friedrich Prinz: Szenenwechsel. Eine Jugend in Böhmen und Bayern. Beck'sche Reihe. Verlag C. H. Beck, München 1995. 210 Seiten, 19,80 Mark.

Draußen auf den Feldern reifes Getreide, drinnen im Haus reife Äpfel; bei der erwachsenen Schwester in den Sommerferien der Geruch von frischer Milch und warmem Brot - Kindheitserinnerungen des Historikers Friedrich Prinz. Es war eine Kindheit in Nordböhmen, in der Stadt Tetschen an der Elbe vor allem, in der Umgebung und im nahen Elbsandsteingebirge. Hier sprach man ein härteres Deutsch als drunten im Egerland oder im Böhmerwald. Sie hatten ihre eigenen Ausdrücke; "Tschundern" nannten sie es, wenn sie in eisenbeschlagenen Schuhen auf dem Eis oder auf hartgefrorenem Schnee bergab rutschten. Wer hätte das in Sachsen oder in Bayern verstanden?

Auch die Leute waren anders als die Deutsch-Böhmen weiter südlich: Härter, strenger - Prinz spricht von nordböhmischen Preußen; auch weniger fromm. Im Elternhaus trafen die unterschiedlichen Naturelle aufeinander, der nordböhmische freigeistige Vater und die in der Tiefe ihrer Seele religiöse Mutter aus dem Böhmerwald.

Sie lebten als Deutsche in der ersten Tschechoslowakei. Streit mit Tschechen gab es nicht. Die Schwester wurde in den Schulferien zum Tschechischlernen nach Innerböhmen geschickt. Die jungen Tschechinnen, die dafür im Austausch ins Haus kamen, mochte der Junge gut leiden.

Doch der tschechisch bestimmte Staat behandelte seine Deutschen mit einem geringen Sinn für Gerechtigkeit. Friedrich Prinz, vom Jahrgang 1928, sah als Kind manches davon, und anderes erfuhr er von seinem Vater. Im Staatsbürgerkunde-Unterricht oder in einem Prachtband für die Schulen über die Tschechoslowakei kamen die mehr als drei Millionen Deutschen kaum vor. Der Prager Regierung ging es darum, in den deutsch besiedelten Landesteilen "möglichst viele tschechische Schulen zu errichten, was zumeist auf Kosten des deutschen Schulwesens ging". Sie lockte auch mit materiellen Vorteilen deutsche Eltern an, ihre Kinder in die tschechische Schule zu schicken. Sogar die Weltwirtschaftskrise habe die Prager Regierung, schreibt Prinz, noch für ihre Tschechisierungspolitik benutzt. In Prag, so hörte er als Kind, sei es nicht ungefährlich, auf der Straße Deutsch zu sprechen. Prinz schreibt den Tschechen einen "künstlich prolongierten Siegesrausch von 1918" zu und eine "antideutsche Reconquista-Ideologie".

In geschichtsdarstellenden Passagen, die Prinz in die Erzählung seiner Kindheit und Jugend einfügt, wendet er sich gegen die Behauptung, die Deutschen in der ersten CSR seien staatsilloyal gewesen. Bis 1935 hätten 70 bis 80 Prozent der Deutschen hinter den deutschen Parteien gestanden, die den Staat mittragen wollten. Im Krisenspätsommer 1938 sei die überwältigende Mehrheit der deutschen Wehrpflichtigen der Einberufung ins tschechoslowakische Heer gefolgt.

Den Sudetendeutschen legt der Autor zur Last, sie hätten in ihrer Mehrheit nach 1935 den Schutz des Hitler-Reiches erwartet, obwohl sie aus den Berichten von Flüchtlingen genug über die Verbrechen des NS-Regimes wissen mußten. Doch erinnert Prinz auch daran, daß der tschechische Staat im Herbst 1938 sudetendeutsche Sozialdemokraten, die in die amputierte Tschechoslowakei geflohen waren, unter entwürdigenden Umständen in die sudetendeutschen Gebiete zurückschaffte. Den "Abzug" der nach 1918 als Staatsbedienstete in die deutschböhmischen Gebiete gekommenen Tschechen nach dem Einmarsch möchte Prinz nicht mit dem radikalen Abschub der gesamten deutschen Volksgruppe nach Kriegsende gleichgesetzt sehen. Da hat er sicher recht. Aber freiwillig gingen sie nicht, es kam dabei auch zu Brutalitäten. Deshalb ist "Abzug" hier nicht das richtige Wort.

Prinz wurde 1944 mit knapp 16 Jahren in den Krieg geschickt, kam im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Von dort ging er in seine Heimat - ein entsetzlicher Fehler -, wurde von der neuen, tschechoslowakischen Staatsmacht grundlos ins Gefängnis geworfen und dort mißhandelt. Für die Deutschen gab es in der CSR kein Leben mehr - wie auch, da der Staat nicht einmal mehr deutsche Sozialdemokraten im Land haben wollte. Im November 1946 dann der "Abschub" nach Bayern. Bei Furth im Wald flogen aus den Viehwaggons Hunderte weiße Armbinden - ohne dieses Zeichen der Erniedrigung durfte ein Deutscher in der CSR nach dem Krieg nicht auf die Straße gehen; Zuwiderhandlungen wurden zum Beispiel mit polizeilichen Faustschlägen ins Gesicht geahndet. Seltsam, daß offenbar niemand von den vertriebenen Deutschen seine weiße Armbinde aufbewahren wollte.

Die Nachkriegsjahre in Niederbayern, dessen Menschenschlag Prinz im Rückblick als verschlossen, aber gutmütig erscheint, waren schwer - Hunger, Armut; Schuljahre mußten nachgeholt werden, das drückte ihn am wenigsten. In kirchlichen Häusern fand Prinz ein Unterkommen. Seelischen Rückhalt hatte er offenbar weder an der katholischen Kirche, zu der er wie sein agnostischer und sozialdemokratischer Vater Distanz hielt, noch im Protestantismus, dessen Milieu und Atmosphäre, wie er sie in einem von Diakonissen geleiteten Heim erlebte, ihm unsympathisch waren. Prinz erlebte, wie der bayerische katholische Pfarrer es dem Vater verwies, daß er am Grabe Vertriebener des Prager Erzbischofs Beran Ja zur deutschen Vertreibung beklagte. Da wurde etwas zuviel Ehrfurcht vor Kirchenfürsten verlangt.

Friedrich Prinz schloß die Schule ab in der "Zeit zwischen den Zeiten" - nicht mehr Krieg und noch nicht Frieden; lernte im Passauer Amerika-Haus eine neue Welt kennen, studierte. Über das gestelzte Wort "Kommilitone" mokiert er sich noch heute. Sartre, Hemingway, Koeppen, Richter, Kolbenhoff verschlang er, Böll weniger. Der Politik stand er lange Zeit fern: "Seltsam genug, obwohl wir alle von der Zeit ein gerütteltes Maß an ,Schicksal' mitbekommen und erlitten hatten, waren wir doch völlig apolitisch, ja, wir kapselten uns - gebranntes Kind scheut das Feuer - gegen unsere Gegenwart unbewußt ab, und das ging damals wohl Millionen ebenso; wir waren von dem, was uns zugestoßen war, wie betäubt. Unter meinen Papieren und Briefen dieser Zeit finde ich - abgesehen von der Angst vor einem Atomkrieg - kaum Themen, die auf Politik und die Probleme der Nachkriegsgesellschaft Bezug hatten. Vielleicht gab es damals gar keine Gesellschaft, sondern nur einen Ameisenhaufen voll verstörter Überlebender."

Tetschen hat er später wiedergesehen, doch es war ihm seit dem tschechischen Staatsterror der Nachkriegsmonate nicht mehr Heimat. Seine Kindheit in Böhmen schildert Friedrich Prinz empfindsam, mit sanften Farben, mit anrührenden Bildern ("die Hänge voll rotem Fingerhut und die lauten Gasthäuser neben den Barockkirchen") und mit einem bedächtigen Erzählstil ("Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen"; "Aber ich schweife wieder vom Thema ab"), der nichts Konstruiertes hat. Vielleicht hätte er die Jugenddichtungen weglassen sollen. JOHANN GEORG REISSMÜLLER

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