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1998: Die Enthüllungen um den Präsidenten spalten die US-Nation und stehen exemplarisch für die tragische Figur Silks: Er hat ein Geheimnis, das er seit 50 Jahren vor seiner Familie bewahrt...

Produktbeschreibung
1998: Die Enthüllungen um den Präsidenten spalten die US-Nation und stehen exemplarisch für die tragische Figur Silks: Er hat ein Geheimnis, das er seit 50 Jahren vor seiner Familie bewahrt...
Autorenporträt
Philip Roth wurde 1933 in Newark, New Jersey, geboren. Für sein Werk wurde er mit allen bedeutenden amerikanischen Literaturpreisen ausgezeichnet. Im Jahre 2001 erhielt er die höchste Auszeichnung der American Academy of Arts and Letters, die Goldmedaille für Belletristik, die alle sechs Jahre für das Gesamtwerk eines Autors verliehen wird. 2006 wurde Philiph Roth mit dem "Pen/Nabokov-Preis" ausgezeichnet, 2007 erhielt er den "Saul-Bellow-Preis" des Schriftsteller-Verbands, 2009 den "Welt"-Literaturpreis und 2011 wurde er mit dem "Man Booker International Prize" ausgezeichnet. Im Jahr 2012 wurde ihm der Prinz-von-Asturien-Preis in der Kategorie Literatur verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2002

Ein Freund, und die Welt fiel über mich her
Aber erst im Schmutz findet das Leben zu sich selbst: Heute erscheint Philip Roths großer Roman „Der menschliche Makel”
Die Zartheit, die so zurückgenommen ist, dass sie ein untergründiges Pathos birgt, dem wir uns gerne hingeben, eben weil es sich uns nicht aufdrängt – diese Zartheit stellt sich in Büchern meist erst nach erheblichem epischen Vorlauf ein. Dann nämlich, wenn Leser und Buch so miteinander verbandelt sind, dass auch kleinste Nervenzuckungen des Textes den Leser sogleich berühren. Diese Gleichschaltung muss erst aufgebaut werden, und das braucht Erzählzeit. Thoas „Leb wohl” in der „Iphigenie” eignet dieses zarte Pathos ebenso wie Alkmenens „Ach”, beide sind nicht zufällig Schlussworte. „So lebte er hin”, heißt es am Ende von Büchners „Lenz” und, weil gut vorbereitet, scheint in diesem unauffälligen Satz die ganze Abgründigkeit eines verwirrten Lebens auf.
In seinem neuen Roman „Der menschliche Makel”, der heute auf deutsch in die Buchhandlungen kommt, gelingt Philip Roth bereits nach fünfzig Seiten ein solcher Satz. Das ist kein Kriterium im Sinne eines „schneller, weiter, höher”, es zeigt aber sehr gut, wie reich Roths Stoff ist, und wie meisterhaft er sich in ihm bewegt, dass nur wenige Kapitel genügen, um eine plastische Erzählwelt aufzubauen, in der jedem Satz ohne Prätention im Ohr des Lesers eine berückende Bedeutungsintensität zuwächst. „Kaum hatte ich einen Freund gefunden, da stürmte alle Bosheit der Welt wieder auf mich ein.” Der hier erzählt, ist Nathan Zuckerman, das aus vielen Büchern vertraute alter ego Philip Roths. Zuckerman ist mittlerweile ein alter Mann, der die intellektuelle Boheme Manhattens verlassen und sich in einem Willensakt lebensabendlicher Melancholie von den aufpeitschenden Verführungen und erschöpfenden Kämpfen des Lebens gelöst hat und die Zeit, die ihm noch bleibt, in der Einsiedelei der Berkshires verbringen möchte. Eine Prostataoperation mag die Entscheidung leichter gemacht haben, jetzt ist er impotent. Da lernt er Coleman Silk vom nahe gelegenen Athena College kennen.
Diesem Coleman Silk ist Unerhörtes widerfahren, und er möchte, dass Zuckerman, der berühmte Schriftsteller, das zu Papier bringt, damit die Welt begreift, welches Unrecht man ihm angetan hat. Und weil die beiden sich tatsächlich anfreunden, bricht über Zuckerman wieder die ganze Korruptheit, Gier und Unerlöstheit des Lebens ein: „Kaum hatte ich einen Freund gefunden, da stürmte alle Bosheit der Welt wieder auf mich ein.”
Es ist, an diesem Punkt, ein großer Satz, weil in ihm alle Pole, zwischen die der Roman gespannt ist, schlicht, aber ergreifend anklingen: Die Verderbtheit der Welt und der Sturm des Lebens, die Einsamkeit und die Freundschaft, das Loslassen und das Gepacktwerden. Coleman Silk ist Altphilologe und hat über Jahrzehnte als Dekan das kleine Athena College zu einigem Ansehen geführt. Als er bei Zuckerman erscheint, ist er bereits 71. Seine glänzende akademische Karriere hat ein abruptes Ende gefunden: Zwei Jahre zuvor hatte er sich in einem Seminar nach zwei Studenten erkundigt, die seit Semesterbeginn noch nicht einmal erschienen waren. „Kennt jemand diese Leute?”, fragt er die anderen Studenten. „Hat sie schon mal jemand im College gesehen, oder sind es dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen?”
Ein Huhn ohne Kopf
„Do they exist or are they spooks?”, fragt Silk im englischen Original (der Übersetzer Dirk van Gunsteren hat Hervorragendes geleistet, hier blieb ihm nichts anderes übrig, als in die Umschreibung auszuweichen). „Spook” heißt Gespenst, und das war – der Kontext der Äußerung zeigt es –, was Silk meinte. Das Wort hat im Amerikanischen aber noch eine andere, ältere Bedeutung: Es ist auch eine abfällige Bezeichnung für einen Schwarzen. Und wie sich herausstellt, handelt es sich bei den beiden abwesenden Studentinnen um Afroamerikaner, die nun das erste Mal auftreten, um ihrem Professor Rassismus vorzuwerfen. Was seine akademischen Vorlieben betrifft, ist Coleman nicht gerade ein Freund der Minoritäten-Studien, und so steht er plötzlich isoliert da, fallen gelassen von allen, die er einst selber förderte. So weitet sich die Albernheit zu einem veritablen College-Eklat aus, bei dem jeder versucht, sein Mütchen zu kühlen und die eigenen Schafe ins Trockene zu bringen. In einem Klima von Ehrgeiz, Heuchelei und politischer Korrektheit wird Silk stigmatisiert, bis er in Unehren den Bettel hinschmeißt.
Dieser Handlungsstrang, der den Roman in Gang bringt, hat alle Eigenschaften einer campus novel – keineswegs originell, aber sehr gekonnt erzählt. Aber überhaupt gilt für dieses Buch: Es werden sehr viele Geschichten erzählt, die alle für sich genommen ziemlich gut sind, aber wie bei einer atomaren Kettenreaktion erst in ihrer Verknüpfung zu jenem epischen Sturzbach anschwellen, dessen schäumende Kraft wie in einer griechischen Tragödie den Professor der Altphilologie und seine Welt mit sich reißt.
Man darf sich Silk nicht als verstaubten, knorzigen Gelehrten, nicht als Fausts Famulus Wagner vorstellen. Was ihn für die griechische Tragödie begeistert, ist deren dionysische Elementargewalt, die Nietzsche an ihr herausstrich. Das ist eine weitere Geschichte in diesem Buch: Der alte Coleman Silk lernt nach dem Tod seiner Frau die junge Faunia Farley kennen, die am College als Putzfrau arbeitet. Dank Viagra haben die beiden eine stürmische sexuelle Beziehung, die die Verhärtungen und Verhärmungen der leidigen Spook- Affäre von Coleman loslöst. Der alberne, bornierte Makel politischer Unkorrektheit hat das Leben klein gemacht. Jetzt befleckt ihn nur der gewaltige Makel des Verlangens, und plötzlich erscheint das Leben wieder groß.
Es ist dieser große Makel, den Roths Roman feiert, der Schmutz und die Erbsünde als Quellen der Vitalität, die das Leben über seine kleinen Verhältnisse hinauswachsen lassen. „The Human Stain” heißt das Buch im Original, und „stain” ist nicht nur im übertragenen Sinn der Schandfleck, sondern meint auch wörtlich das Färben und insofern auch den verbalen Akt, mit dem Silk seine beiden Studenten zu Farbigen macht. Es ist ein starker Titel, und seine volle Bedeutung erschließt sich erst, als Nathan Zuckerman sich daran macht, das erstaunliche Leben seines späten Nachbarns zu erforschen: Silks Lebensmakel ist es, den Makel seiner Herkunft verleugnet zu haben.
Er ist nämlich einer jener hellhäutigen Schwarzen, wie es sie in Amerika häufig gibt, zum Beispiel bei dem berühmten New York-Times- Literaturkritiker Anatole Broyard, dessen Lebensmaskerade Roth als Inspiration gedient haben mag. Mit seinem Eintritt in die Navy beschloss Coleman Silk – zwischen Kohle und Seide entscheidend – sich künftig als Weißer, genauer: als Jude auszugeben. Der menschliche Preis, den er dafür zu zahlen hat, ist immens: Er muss seine Familie verleugnen und sich komplett von ihr trennen.
Der große Gatsby
Wie Philip Roth diese unglaubliche Biografie schildert, ist groß, berührend und zwingend in jedem ihrer Momente. Nichts wirkt konstruiert, wenn die verdrängte Herkunft in der lächerlichen Gestalt der „spooks” Coleman Silk einholt und zu Fall bringt: Tragische Ironie, die bei Roth zugleich den Lebenswillen und das Selbstbestimmungsrecht des Individuums feiert – trotz der Unmöglichkeit, seine Haut zu wechseln. Denn Roth hat die grandiose amerikanische Mythologie noch einmal in Szene gesetzt, den amerikanischen Traum, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, ganz ernst genommen und mit Coleman Silk eine Figur geschaffen, die mühelos neben einem anderen genialen Selbsterfinder der amerikanischen Literatur zu bestehen vermag: dem großen Gatsby. Und er hat diese Geschichte zugleich als Erzählung von der Gewalt des Sex ausgestaltet. Denn wir schreiben 1998: „Es war der Sommer, in dem jeder an den Penis des Präsidenten dachte und das Leben in all seiner schamlosen Schlüpfrigkeit Amerika wieder einmal in Verwirrung stürzte.”
Am Ende sucht Nathan Zuckerman Les, den Ex-Mann von Faunia, auf, an einem See, es ist Winter, Les angelt im Eis. Da heißt es: „Auf einem idyllischen Berg in Amerika sitzt ein Mann auf einem Eimer und fischt durch ein Loch im fünfundvierzig Zentimeter dicken Eis in einem See, dessen Wasser ständig erneuert und gereinigt wird.” Roth findet viele Bilder für die Versteinerung und Vereisung unserer Schicksalsmasken – aber auch für die Löcher in der Starre, aus deren Dunkel immer wieder der Puls sich erneuernden Lebens hervorschlägt. Dies ist eins davon.
IJOMA MANGOLD
PHILIP ROTH: Der menschliche Makel. Roman. Hanser Verlag, München 2002. 400 Seiten, 24,90 Euro.
Coleman Silk, Philip Roths Held, scheint erfolgreich die Haut zu wechseln. Aber am Ende kann er doch nicht heraus. Die Abbildung entnehmen wir dem Band: „Open City. Street Photographs since 1950.” Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2001. 205 Seiten, 39,80 Euro.
Bild: Garry Winograd: New
York City, ca 1969.
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